OLG Köln, Urteil vom 31.03.2011 - 18 U 171/10
Fundstelle
openJur 2012, 78610
  • Rkr:

1) Die vereinbarungsmäßige Verwendung einer Kapitaleinlage zur Erfüllung einer Darlehensverbindlichkeit stellt keine verdeckte Sacheinlage dar.

2) Die Haftung des Erwerbers gem. § 16 Abs. 2 GmbHG erstreckt sich auch auf Ansprüche der Gesellschaft aus § 31 GmbHG.

3) Werden in einem Vergleich über eine Mehrheit von Forderungen auch solche Forderungen einbezogen, für die eine gesamtschuldnerische Haftung Dritter besteht, so kommen Leistungen auf den Vergleich anteilig gemäß § 366 BGB auch dem nicht am Vergleich beteiligten Gesamtschuldner zugute.

Tenor

Auf die Berufung der Beklagten wird das Urteil des Landgerichts Aachen vom 21.07.2010 teilweise abgeändert und wie folgt neu gefasst:

Die Beklagte wird verurteilt, an den Kläger 2.938.400,00 € nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszins seit dem 29.09.2007 zu zahlen. Im Übrigen wird die Klage abgewie-sen.

Die weitergehende Berufung wird zurückgewiesen.

Der Kläger trägt von den Kosten des Rechtsstreits erster Instanz 55 % der Gerichtskosten und seiner eigenen außergerichtlichen Kosten sowie 16 % der außergerichtlichen Kosten der Beklagten. Außerdem trägt er 16 % der Kosten der Berufung. Im Übrigen trägt die Beklagte die Kosten des Rechtsstreits.

Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar. Den Parteien wird nachgelassen, die Zwangsvollstreckung durch die jeweils andere Partei gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 120 Prozent des vollstreckbaren Betrages abzuwen-den, wenn nicht der jeweilige Vollstreckungsgläubiger zuvor Sicherheit in Höhe von 120 Prozent des jeweils zu vollstreckenden Betrages leistet.

Die Revision wird zugelassen.

Gründe

I.

Der Kläger wurde durch Beschluss des Amtsgerichts Aachen vom 01.12.2007 - 92 IN 243/07 - zum Insolvenzverwalter über das Vermögen der L. F. GmbH (künftig: Schuldnerin) aus I. bestellt, deren Alleingesellschafterin die Beklagte war. Die Parteien streiten über die Frage, ob die Beklagte zur Zahlung von 3 Mio. € auf eine Erhöhung des Stammkapitals und Rückzahlung einer Entnahme in Höhe von 500.000 € verpflichtet ist.

Die Schuldnerin wurde durch Gesellschaftsvertrag vom 10.05.2005 als Polyester Produktions- und Vertriebs GmbH mit einem Stammkapital von 5 Mio. € gegründet. Alleingesellschafterin war die C. T. B. (künftig: C. T. B.), die frühere Beklagte zu 1). Die Schuldnerin übernahm das Anlagevermögen der in Insolvenz geratenen L. P. GmbH und änderte ihre Firma in L. F. GmbH. Hauptlieferantin der Schuldnerin war in der Folgezeit die C. T. B.

Die Geschäftsentwicklung der Schuldnerin verlief von Anfang an negativ. Bereits im ersten Geschäftsjahr erwirtschaftete sie einen erheblichen Verlust. In dem Bericht des Wirtschaftsprüfers heißt es hierzu:

"Infolge des erwirtschafteten Gesamtverlustes von ca. 4,6 Mio. € war das Eigenkapital der Gesellschaft zum Bilanzstichtag 31. Mai 2006 bereits zu mehr als 90 % verzehrt. …

Weil sich die Verlustsituation auch in den folgenden Monaten fortsetzte (beinahe Mio. € 1,0 je Monat), geriet die Gesellschaft kurz nach dem Bilanzstichtag in eine Überschuldungssituation.

Darüber hinaus drohte der Gesellschaft bereits zum maßgeblichen Bilanzstichtag 31. Mai 2006 Zahlungsunfähigkeit…

Nach dem aktuellen Stand des Rechnungswesens im Januar 2007 beläuft sich der in den ersten sieben Monaten des zweiten Geschäftsjahres der Gesellschaft … erwirtschaftete Verlust vorläufig auf ca. Mio. € 6,0." (Anlage K 17, S. 8)

Die negative wirtschaftliche Entwicklung der Schuldnerin setzte sich danach fort, sodass zum 31.05.2007 bereits ein Verlust in Höhe von 13,1 Mio. € erwirtschaftet worden war. Die von der Schuldnerin beauftragte Wirtschaftsprüfungsgesellschaft gelangte u. a. zu folgenden Ergebnissen:

"Die Gesellschaft befindet sich zum Bilanzstichtag (d. i. 31.05.2007) nach Liquidationswerten in einer Überschuldungssituation, die jedoch durch Rangrücktrittserklärung des Gesellschafters beseitigt ist. … Die Gesellschaft kann in der derzeitigen Konstellation wahrscheinlich nicht fortgeführt werden." (Anlage K 12, S. 5)

Hauptgläubigerin der Schuldnerin war zunächst die C. T. B. Mit dieser hatte die Schuldnerin am 31.10.2006 eine Stundungs- und Rangrücktrittsvereinbarung (Anlage K 9) geschlossen. Durch Verträge vom 23.01.2007 verkaufte die C. T. B. ihre Anteile an der Schuldnerin zum Preis von 40 Zloty (= 10,36 €) und Forderungen gegen die Schuldnerin in Höhe von mehr als 15,7 Mio. € zum Preis von 3 Mio. € an die Beklagte (Anlagen K 7 und K 8).

1. Mit Vertrag vom 11.07.2005 war der Schuldnerin von der N. Bank in Q. ein Darlehen in Höhe von 3 Mio. € zur Verfügung gestellt worden. Bei Fälligkeit der Darlehensrückzahlung am 12.07.2006 erfolgte mit Vereinbarung vom 13.07.2006 eine Verlängerung des Darlehens bis zum 12.07.2007 (Anlage K 5). Die C. T. B. hatte sich für dieses Darlehen verbürgt (Anlagen B 1 und K 6). Am 13.07.2006 hatte die Schuldnerin der N. Bank zudem eine unwiderrufliche Einzugsermächtigung in Höhe der Zahlungsansprüche aus diesem Darlehensvertrag zu Lasten ihrer Konten bei der Raiffeisenbank I. (Anlage K 28) erteilt.

Mit Beschluss vom 14.09.2006 - eingetragen in das Handelsregister am 24.11.2006 (Anlage K 3) - war das Stammkapital der Schuldnerin um 3 Mio. € auf insgesamt 8 Mio. € erhöht worden. Vorausgegangen war diesem Beschluss eine Unterbrechung der Jahresabschlussprüfung 2005 durch den Wirtschaftsprüfer wegen erheblicher Bedenken gegen die Existenzfähigkeit der Schuldnerin (Anlage zum Schriftsatz der Rechtsanwälte R. & Kollegen vom 24.01.2009; Bl. 238 ff. d. A.). Die Einzahlung des Erhöhungsbetrages erfolgte mit Wertstellung am 25.10.2006 auf ein Konto der Schuldnerin bei der N. Bank. Mit Wertstellung vom darauf folgenden Tag wurden 3.002.766,66 € auf den Kreditvertrag zwischen der Schuldnerin und der N. Bank umgebucht (Anlage K 4). Die N. Bank hatte die Schuldnerin mit Schreiben vom 09.10.2006 (Anlage K 16) entsprechend aufgefordert.

Der Kläger hat die Auffassung vertreten, der Anspruch der Schuldnerin auf Einzahlung des Erhöhungsbetrages sei durch die Gutschrift vom 25.10.2006 nicht erloschen. Das Kapital habe der Schuldnerin nie zur freien Verfügung gestanden, sondern sei von Anfang an nur dazu bestimmt gewesen, das Darlehen gegenüber der N. Bank zurückzuführen, für das die Alleingesellschafterin als Bürgin haftete. Jedenfalls ergebe sich ein Zahlungsanspruch in der Höhe des Betrages, der an die N. Bank geflossen sei aber aus § 32b GmbHG a. F. Die Bürgschaft sei von Anfang an eine kapitalersetzende Gesellschaftersicherheit gewesen, weil die Schuldnerin zu diesem Zeitpunkt schon nicht mehr kreditwürdig gewesen sei. Die Haftung treffe nicht nur die C. T. B. , sondern gemäß § 16 Abs. 3 GmbHG auch die Beklagte.

Die Beklagte hat die Kreditunwürdigkeit der Schuldnerin bestritten, weil stille Reserven vorhanden gewesen, aber in der Bilanz nicht berücksichtigt worden seien. Außerdem habe hinter der Schuldnerin eine starke Gesellschafterin gestanden. Es sei die eigene Entscheidung des Geschäftsführers der Schuldnerin gewesen, mit dem Kapitalerhöhungsbetrag die Darlehensverbindlichkeit gegenüber der N. Bank zu tilgen. Jedenfalls müsse sich der zwischen dem Kläger und der C. T. B. in einem Parallelverfahren (42 O 73/09 LG Aachen) auch in Bezug auf die Einlageschuld geschlossene Vergleich, auf den diese insgesamt 2,7 Mio. € gezahlt hat, auch zu ihren Gunsten auswirken. Aufgrund dieses Vergleiches haben der Kläger und die C. T. B. in diesem Rechtsstreit das Verfahren übereinstimmend für erledigt erklärt und über die Kosten verglichen.

2. Am 24.04.2007 überwies die Schuldnerin 500.000 € auf ein österreichische Konto der Beklagten.

Der Kläger hat hierzu die Auffassung vertreten, dass die Beklagte gemäß § 31 Abs. 1 GmbHG zur Erstattung dieser Zahlung verpflichtet sei.

Die Beklagte hat dagegen gemeint, dass eine Überschuldung der Schuldnerin bei Überweisung der 500.000 € nicht vorgelegen habe, weil auch stille Reserven zu berücksichtigen seien.

Das Landgericht hat die Beklagte antragsgemäß verurteilt. In der Weiterleitung der Kapitalerhöhung an die darlehensgebende Bank hat es eine verdeckte Sacheinlage gesehen, die nicht zur Erfüllung der Einlageschuld geführt habe. Wegen der weiteren Einzelheiten des erstinstanzlichen Parteivortrags, der gestellten Anträge sowie der Entscheidungsgründe wird auf das angefochtene Urteil Bezug genommen.

Hiergegen richtet sich die form- und fristgerecht eingelegte und begründete Berufung der Beklagten. Sie wiederholt und vertieft ihren erstinstanzlichen Vortrag. Außerdem wendet sie gegen ihre Verurteilung ein, dass sie inzwischen den Erwerb der Geschäftsanteile an der Schuldnerin angefochten habe. Diesbezüglich sei ein Rechtsstreit zwischen ihr und der C. T. B. in Q. anhängig.

Die Beklagte beantragt,

unter Abänderung des Urteils des Landgerichts Aachen vom 21.07.2010 die Klage abzuweisen.

Der Kläger beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Er verteidigt die angefochtene Entscheidung unter Wiederholung seines früheren Vortrags. Insbesondere ist er der Auffassung, dass sich die Zahlung der 3 Mio. € auf das Konto der Schuldnerin bei der N. Bank wegen der sofort danach erfolgten Umbuchung auf das Darlehenskonto der Schuldnerin als verdeckte Sacheinlage darstelle. Eine Anrechnung der von der C. T. B. an ihn gezahlten 2,7 Mio. € auf die hier in Rede stehende Forderung komme allenfalls in Höhe von ca. 20 % in Betracht, denn durch den Vergleich seien Forderungen in einer Höhe von insgesamt 14.429.703,17 € erledigt worden.

II.

Die Berufung ist zulässig, hat aber nur zum Teil Erfolg.

1. Soweit das Landgericht davon ausgegangen ist, dass der Kläger von der Beklagten die Zahlung von 3 Mio. € verlangen könne, teilt der Senat das Ergebnis, stützt es aber auf eine andere Begründung. Zudem ist dieser Anspruch inzwischen in Höhe von 561.600,00 € durch die von der C. T. B. auf den mit dem Kläger geschlossenen Vergleich erfolgte Zahlung erloschen.

a) Während das Landgericht - entsprechend der Rechtsauffassung des Klägers - davon ausgegangen ist, dass die die Zahlung der C. T. B. in Höhe von 3 Mio. € eine verdeckte Sacheinlage darstelle, die nicht zur Erfüllung der Einlageschuld geführt habe, hält der Senat die Voraussetzungen der verdeckten Sacheinlage nicht für gegeben. Eine verdeckte Sacheinlage i. S. des § 19 Abs. 4 GmbHG n. F., der auf diesen Fall gem. § 3 Abs. 4 EGGmbHG Anwendung findet, liegt nur vor, "wenn die gesetzlichen Regeln für Sacheinlagen dadurch unterlaufen werden, dass zwar eine Bareinlage vereinbart wird, die Gesellschaft aber bei wirtschaftlicher Betrachtung von dem Einleger aufgrund einer im Zusammenhang mit der Übernahme der Einlage getroffenen Absprache einen Sachwert erhalten soll (vgl. BGH NZG 2007, 144 Rn 11 m. w. N.). Diese Voraussetzungen liegen hier nicht vor. Der Erhöhungsbetrag wurde einem Konto der Schuldnerin am 25.10.2006 gutgeschrieben, das schon vor der Überweisung ein Guthaben aufgewiesen hatte. Damit war grundsätzlich Erfüllung eingetreten.

Der Umstand, dass dieses Kapital dann dazu benutzt worden ist, Schulden der Schuldnerin gegenüber einem Dritten zu tilgen, ändert an der realen Kapitalaufbringung nichts. Das Eigenkapital einer GmbH ist gerade dazu bestimmt, damit zu wirtschaften, und dazu gehört auch die Ablösung von Fremdkapital. Es kommt auch nicht darauf an, ob der C. T. B. schon bei Einzahlung klar war, dass das eingezahlte Kapital gerade zur Ablösung des Darlehens verwendet werden würde. Verwendungsabsprachen der Gesellschafter stehen der Erfüllungswirkung einer Einlage nicht entgegen (BGH NJW 2003, 825), weil die entsprechende Verwendung letztlich auf einer Entscheidung der Geschäftsführer der Gesellschaft beruht (Schneider/Westermann, in: Scholz, GmbHG, 10., Aufl., 2006, § 19 Rn 102; ebenso: Märtens, in: MünchKomm. GmbHG, 2010, § 19 Rn 199). Die Ablösung von Fremdkapital durch Eigenkapital ist eine grundsätzlich legitime geschäftspolitische Entscheidung. Gerade in Fällen schon bestehender oder drohender Überschuldung sind die Gesellschafter sogar gehalten, der Gesellschaft neues Eigenkapital zuzuführen. Dann muss es aber auch möglich sein, dass die Gesellschaft damit Schulden tilgt, ohne dass deswegen die Erfüllungswirkung der Kapitaleinzahlung entfällt.

Etwas anderes gilt nur in Fällen des sog. Hin- und Herzahlens - jetzt § 19 Abs. 5 GmbHG n. F. -, in denen die Einlagemittel unter (objektiver) Umgehung der Kapitalaufbringungsregeln mittelbar oder gar unmittelbar wieder an den Einleger zurückfließen (vgl. BGH NJW 2003, 825; ebenso BGH NZG 2007, 300 Rn 10). Ein solcher Fall liegt hier aber nicht vor, auch wenn nicht zu übersehen ist, dass die Einlage mittelbar an C. T. B. zurückgeflossen ist, weil sie durch die Tilgung des Darlehens von ihrer Bürgenverpflichtung freigeworden ist. Dagegen ist aber auch unter Berücksichtigung des Grundsatzes der realen Kapitalaufbringung nichts einzuwenden, denn damit entfiel auch der grundsätzlich bestehende Freistellungsanspruch der C. T. B. gegenüber der Schuldnerin. Problematisch ist die Verwendung des eingezahlten Kapitals zur Schuldentilgung nur dann, wenn sich die Gesellschaft in einer Krise befindet. Hierfür bieten die Regelungen über die Kapitalerhaltung und das Eigenkapitalersatzrecht aber eine hinreichende Regelungsgrundlage. Wendete man dagegen auch hierauf § 19 Abs. 4 GmbHG n. F. an, käme es zu der Schwierigkeit, dass nach neuem Recht der Wert der Darlehensforderung gemäß § 19 Abs. 4 S. 3 GmbHG n. F. auf die Einlageschuld angerechnet werden müsste. Angesichts des vorhandenen Kapitals von 3 Mio. € kann die Darlehensforderung jedenfalls nicht als wertlos angesehen werden.

b) Der Anspruch gegen die Beklagte ergibt sich auch nicht aus § 32b GmbHG a. F. Diese Bestimmung findet auf diesen Fall noch Anwendung, weil die Insolvenz vor dem 01.11.2008 eröffnet worden ist (§ 103d EGinsO). Der Anspruch richtet sich jedoch nur gegen den jeweiligen Gesellschafter, der durch die Darlehenstilgung seitens der Gesellschaft von seiner Bürgschaft frei geworden ist, nicht aber gemäß § 16 Abs. 3 GmbHG a. F. auch gegen den Erwerber. Bei dem Anspruch aus § 32b GmbHG handelt es sich nicht um eine rückständige Leistung "auf den Gesellschaftsanteil". Aus der Neufassung in § 16 Abs. 2 GmbHG ergibt sich eindeutig, dass hier nur "Einlageverpflichungen" gemeint sind. Insoweit wird allerdings im Schrifttum auch eine andere Auffassung vertreten, weil es konsequent sei, § 16 Abs. 2 GmbHG a. F. auch auf diesen Anspruch anzuwenden, wenn man diese Bestimmung auf den Anspruch aus § 31 Abs. 1 GmbHG anwendet (Winter/Löbbe, in: Ulmer, GmbHG, 2005 ff., § 16 Rn 34). Diese Konsequenz ist jedoch keineswegs geboten, denn sie übersieht, dass der Anspruch aus §§ 32a, 32b GmbHG insolvenzrechtlicher Natur ist, während der Anspruch aus § 31 GmbHG tatsächlich gesellschaftsrechtlicher Natur ist (vgl. OLG Köln NZI 2010, 1001).

c) Der Anspruch folgt jedoch aus den sog. Rechtsprechungsregeln (§§ 31 Abs. 3 analog, 32a, 32b GmbHG a. F.). Die von der Rechtsprechung zum Kapitalersatzrecht entwickelten Regelungen sind durch die gesetzlichen Bestimmungen in §§ 32a, 32b GmbHG a. F., die sog. "Novellenregelungen", nicht überholt worden, sondern bestanden bis zum Inkrafttreten des § 30 Abs. 1 S. 3 GmbHG n. F. im Hinblick auf die Inkongruenz der Anwendungsbereiche fort (Hueck/Fastrich, in: Baumbach/Hueck, GmbHG, 18. Aufl., 2006, § 32a Rn 91 m. w. N.). Hieran hat für Insolvenzverfahren, die vor dem 01.11.2008 eröffnet worden sind, auch das Inkrafttreten des MoMiG mit der Regelung in § 30 Abs. 1 S. 3 GmbHG n. F. nach gefestigter Rechtsprechung des BGH nichts geändert (BGH NZG 2009, 422 Rn 17 ff.). Nach diesen Regeln besteht eine Haftung gemäß § 31 Abs. 1 GmbHG analog bei der Rückerstattung kapitalersetzender Gesellschafterleistungen (BGH NJW 1990, 1730, 1731).

Die Bürgschaft der C. T. B. für das Darlehen, das die N. Bank der Schuldnerin gewährt hatte, stellt sich als kapitalersetzende Gesellschaftersicherheit i. S. des § 32a Abs. 3 GmbHG a. F. dar. Die Schuldnerin befand sich jedenfalls bei der Verlängerung des Darlehens und der Erstreckung der Bürgschaft hierauf am 13.07.2006 in einer Krise. Das ergibt sich ohne Weiteres aus folgenden unstreitigen Tatsachen:

Das Eigenkapital der Schuldnerin war zu diesem Zeitpunkt bereits zu mehr als 90 % aufgezehrt (Anlage K 18, S. 8).

Die Verlustsituation setzte sich nahezu ungebremst fort (Anlage K 18, S. 8).

Im August 2006 unterbrach die Wirtschaftsprüfungsgesellschaft ihre Prüfung der Schuldnerin ab, weil sie von Insolvenzreife ausging.

Gerade die von der Wirtschaftsprüfungsgesellschaft vorgeschlagenen Mittel der Krisenbewältigung wurden in der Folgezeit durch die Kapitalerhöhung um 3 Mio. € (14.09.2006) und eine Rangrücktrittsvereinbarung (31.10.2006) ergriffen.

Die Krise hat auch bis zur Insolvenz der Schuldnerin und insbesondere bis zur Ablösung des Darlehens bei der N. Bank am 26.10.2006 fortbestanden. Die Kapitalerhöhung war nicht geeignet, die Krise zu überwinden, weil dadurch allein die Verbindlichkeiten der Schuldnerin gegenüber der N. Bank abgedeckt wurden. Die wesentlichen Schulden bestanden aber gegenüber der C. T. B. selbst und diese bestanden auch in der Folgezeit trotz der Rangrücktritts- und Stundungsvereinbarung vom 31.10.2006 fort. Ein nachdrücklicher Beleg für das Fortbestehen der Krise ergibt sich daraus, dass die C. T. B. ihre Kapitalanteile im Nennwert von 8 Mio. € bereits drei Monate später zu einem symbolischen Kaufpreis von ca. 10 € an die Beklagte veräußert hat und sie zudem Forderungen in einer Größenordnung von mehr als 15 Mio. € gegen die Schuldnerin mit einem Abschlag von 80 % an die Beklagte verkaufte. Angesichts dieser desolaten finanziellen Situation der Schuldnerin war es ausgeschlossen, dass diese sich "aus eigener Kraft" zur marktüblichen Bedingungen am Kapitalmarkt Finanzmittel im erforderlichen Umfang hätte beschaffen können.

Die Befreiung der C. T. B. von ihrer Bürgenverpflichtung durch Tilgung des Darlehens stellt sich demnach wie eine Einlagenrückgewähr dar, sodass ein entsprechender Rückzahlungsanspruch jedenfalls gegen C. T. B. aus § 31 Abs. 1 GmbHG analog entstanden ist. Hierfür haftet auch die Beklagte gemäß § 16 Abs. 3 GmbHG a. F. bzw. § 16 Abs. 2 GmbHG n. F. Der Senat folgt in dieser in der Rechtsprechung bislang - soweit ersichtlich - noch nicht behandelten Frage der Auffassung, die dem Anspruch aus § 31 GmbHG mitgliedschaftlichen Charakter i. S. des § 16 Abs. 3 GmbHG a. F. beimisst (Winter/Löbbe, in: Ulmer, a. a. O., § 16 Rn 34; ebenso Heidinger, in: Michalski, GmbHG, 2. Aufl., 2010, § 31 Rn 17), während ein anderer Teil des Schrifttums hierin einen "persönlichen Anspruch" sieht, auf den § 16 Abs. 3 GmbHG a. F. keine Anwendung finde (Habersack, in: Ulmer, GmbHG, a. a. O., § 31 Rn 10, 15; Westermann, in: Scholz, GmbHG, 10., Aufl., 2006, § 31 Rn 15; Hueck/Fastrich, in: Baumbach/Hueck, GmbHG, 19. Aufl., 2010, § 31 Rn 8; Bayer, in: Lutter/Hommelhoff, GmbHG, 17. Aufl., 2009, § 16 Rn 42). Maßgeblich für die Entscheidung des Senats ist, dass die Kapitalerhaltung die Kehrseite der Kapitalaufbringung ist. Von daher erscheint es konsequent, § 16 Abs. 3 GmbHG a. F. auch auf solche Verpflichtungen anzuwenden, die - wie § 31 GmbHG - der Kapitalerhaltung dienen. Für den Charakter als Beitragsverpflichtung und gegen eine persönliche Schuld spricht auch die Ausfallhaftung der Mitgesellschafter gemäß § 31 Abs. 3 GmbHG.

d) Dem Anspruch des Klägers steht auch nicht entgegen, dass die Beklagte inzwischen den Erwerb der Anteile an der Schuldnerin angefochten hat. Selbst wenn diese Anfechtung berechtigt gewesen sein sollte, berührt dies die Haftung der Beklagten nicht, weil die Beklagte nach den Grundsätzen der fehlerhaften Gesellschaft gleichwohl als Gesellschafterin anzusehen wäre (vgl. BGH NJW 2007, 1058, 1059).

e) Der somit zunächst einmal entstandene Anspruch des Klägers gegen die Beklagte auf Zahlung von 3 Mio. € ist aber in inzwischen in Höhe von 561.600,00 € erloschen. Dies ergibt sich daraus, dass die Zahlung der C. T. B. an den Kläger in einer Gesamthöhe von 2,7 Mio. € in dieser Höhe auf die Verpflichtung der Beklagten anzurechnen ist.

Der Vergleich zwischen dem Kläger und der C. T. B. erfolgte zur Erledigung aller wechselseitigen Ansprüche, also auch zur Erledigung des Anspruchs auf Zahlung von 3 Mio. €, der in diesem Rechtsstreit gegen C. T. B. und die Beklagte als Gesamtschuldnerinnen geltend gemacht worden ist. Durch den Vergleich erfolgt keine Novation (BGH NJW 2010, 2652 Rn 15). Leistungen auf den Vergleich bringen damit in dieser Höhe auch die ursprüngliche Schuld zum Erlöschen.

Etwas anderes würde nur dann gelten, wenn die Teilleistung gemäß § 366 Abs. 2 BGB nicht auf die Gesamtschuld, sondern auf andere Verbindlichkeiten der C. T. B. zu verrechnen gewesen wäre, denn dann läge hinsichtlich der übrigen vom Vergleich erfassten Forderungen ein Erlass vor, der aber keine Gesamtwirkung haben dürfte, weil der Kläger ersichtlich nicht auf sämtliche Ansprüche wegen der 3 Mio. € auch gegen die Beklagte verzichten wollte. Es bestehen aber keine Anhaltspunkte dafür, dass die übrigen vom Vergleich erfassten Forderungen vorrangig i. S. des § 366 Abs. 2 BGB gewesen sind. Von daher hat eine quotale Verrechnung der im Vergleich vereinbarten Teilleistung auf sämtliche Forderungen zu erfolgen.

Die in diesem Rechtsstreit gegen C. T. B. geltend gemachte Forderung auf Zahlung von 3 Mio. € macht 20,8 % der vom Kläger gegen diese insgesamt geltend gemachten Forderungen aus. In dem Parallelrechtstreit 42 O 73/09 LG Aachen hat der Kläger einen Anspruch auf Zahlung von 4.907.269,60 € gegen C. T. B. geltend gemacht. Diesen Anspruch hat er hilfsweise auf weitere Forderungen in Höhe von 6.522.433,57 € gestützt. Zusammen mit der in diesem Rechtsstreit geltend gemachten Forderung in Höhe von 3 Mio. € ergibt sich eine Gesamtforderung in Höhe von

Klageforderung 42 0 73/09 4.907.269,60 €

"Hilfsforderung" 6.522.433,57 €

Klageforderung 42 O 38/08 3.000.000,00 €

14.429.703,17 €

Hiervon sind die hier relevanten 3 Mio. € 20,8 %. 20,8 % der Vergleichssumme von 2,7 Mio. € sind 561.600,00 €.

2. Darüber hinaus hat der Kläger Anspruch auf Zahlung weiterer 500.000,00 € aus § 31 Abs. 1 GmbHG. Zum Zeitpunkt der Überweisung der 500.000 € an die Beklagte war die Schuldnerin bilanziell überschuldet, sodass ihr Zahlungen an ihre Gesellschafterin gemäß § 30 GmbHG untersagt waren. Für die Feststellung der Überschuldung kommt es in diesem Fall auf die Handelsbilanz und nicht auf ein Überschuldungsstatut an (Hueck/Fastrich, in: Baumbach/Hueck, a. a. O., § 30 Rn 14 ff.). Dementsprechend werden die Aktiva auch nur mit ihren Buchwerten berücksichtigt. Etwas anderes gilt nur dann, wenn die Auflösung stiller Reserven ordnungsgemäßer Bilanzierung entspricht (BGH NJW 1990, 1109, 1110). Für eine Auflösung stiller Reserven der Schuldnerin gibt es keine Anhaltspunkte. Angesichts der bilanziellen Überschuldung der Schuldnerin in Höhe von 9.744.218,98 € (Anlage K 12, S. 19) würde selbst eine Bewertung des Grundvermögens mit 4,46 Mio. € (vgl. Anlage B 2, S. 57) nichts an der bilanziellen Überschuldung ändern.

3. Der Zinsanspruch folgt aus §§ 280 Abs. 2, 286 Abs. 1 S. 1, 288 Abs. 1 S. 2 BGB.

III.

Die prozessualen Nebenentscheidungen beruhen auf §§ 92, 708 Nr. 10, 711 ZPO. Hinsichtlich der Kosten des erstinstanzlichen Verfahrens war zu berücksichtigen, dass sich die Klage zunächst auch noch gegen die C. T. B. gerichtet hat, es insoweit aber nicht zu einer Verurteilung gekommen ist. Die vom Kläger mit C. T. B. im Vergleich vereinbarte Kostenbeteiligung - Übernahme von 25 % der Gerichtskosten - wird durch eine entsprechende Reduzierung der Kostentragungspflicht der Beklagten berücksichtigt

IV.

Die Revision war gemäß § 543 Abs. 2 Nr. 1 ZPO zuzulassen. Die Frage, ob § 16 Abs. 3 GmbHG a. F. bzw. § 16 Abs. 2 GmbHG n. F. auf Ansprüche aus § 31 GmbHG Anwendung findet, hat grundsätzliche Bedeutung. Sie wird im Schrifttum kontrovers behandelt, Rechtsprechung hierzu liegt noch nicht vor. Im Konkreten Fall beruht diese Frage zwar auf der Anwendung der "Rechtsprechungsregeln", die im Hinblick auf § 30 Abs. 1 S. 3 GmbHG n. F. auslaufendes Recht sind. Die Regelung des § 31 GmbHG besteht jedoch weiterhin, sodass sich diese Rechtsfrage auch zukünftig in einer unbegrenzten Zahl von Fällen stellen kann.

V.

Der Streitwert für das Berufungsverfahren wird auf 3,5 Mio. € festgesetzt.

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