Der angefochtene Beschluß und der Haftbefehl des Amtsgerichts Aachen (41 Gs 1519/97) vom 20. Mai 1997 werden aufgehoben. Die Kosten des Beschwerdeverfahrens und die dem Beschuldigten hierin entstandenen notwendigen Auslagen hat die Staatskasse zu tragen.
I.
Der Beschuldigte wurde am 27. Mai 1997 festgenommen und befindet
sich seither in Untersuchungshaft aufgrund des Haftbefehls des
Amtsgerichts Aachen (41 Gs 1519/97) vom 20. Mai 1997.
In diesem Haftbefehl wird ihm zur Last gelegt, am 6. Mai 1996 in
Aachen gemeinschaftlich mit anderen Betäubungsmittel in nicht
geringer Menge eingeführt und tateinheitlich hiermit Handel
getrieben zu haben. Der Tatvorwurf betrifft die Lieferung von 1,5
kg Amphetamin durch den gesondert verfolgten K. L. aus
K./Niederlande an den gleichfalls gesondert verfolgten K. D. in A.,
der allerdings nur 1,4 kg erhalten haben soll. Dem Beschuldigten S.
wird zur Last gelegt, gemeinsam mit der verstorbenen H. R. die
Óbergabe an Dossis im Auftrag von L. vorgenommen zu haben.
Mit Verteidigerschriftsatz vom 3. Juni 1997 hat der Beschuldigte
Haftbeschwerde eingelegt. Ein Antrag des Verteidigers vom 4. Juni
1997 auf Verlegung des Beschuldigten aus der JVA Düsseldorf in die
JVA Aachen ist durch Beschluß des Amtsgerichts Aachen (41 GS
1689/97) vom 4. Juni 1997 abgelehnt worden. Gegen diese
Entscheidung hat der Beschuldigte durch Verteidigerschriftsatz vom
8. Juni 1997 Beschwerde eingelegt.
Beide Beschwerden sind durch Beschluß der 1. großen Strafkammer
des Landgerichts Aachen vom 24. Juni 1997 verworfen worden.
Gegen diese Entscheidung richtet sich die weitere Beschwerde vom
7. Juli 1997 (dem Senat vorgelegt am 30. Juli 1997).
II.
Die weitere Beschwerde ist gemäß § 310 Abs. 1 StPO statthaft und
auch im übrigen zulässig.
In der Sache ist das Rechtsmittel begründet. Der Haftbefehl vom
20. Mai 1997 ist aufzuheben. Damit ist auch das Begehren auf
Verlegung in die JVA Aachen in Folge prozessualer Óberholung
gegenstandslos.
1.
Es bestehen schon Zweifel an einem dringenden Tatverdacht im
Sinne des § 112 Abs. 1 Satz 1 StPO, der eine große
Wahrscheinlichkeit dafür voraussetzt, daß der Beschuldigte Täter
der ihm zur Last gelegten Straftat ist (vgl.
Kleinknecht/Meyer-Goßner, StPO, 43. Auflage, § 112 Rn. 5; Boujong
in Karlsruher Kommentar, StPO, 3. Auflage, § 112 Rn. 6) und der
einen stärkeren Verdachtsgrad voraussetzt als der für § 203 StPO
erforderliche hinreichende Tatverdacht (den selbst noch der
Haftrichter des Amtsgerichts Aachen in seiner
Nichtabhilfeentscheidung vom 17. Juni 1997 aufgrund der Ergebnisse
der durchgeführten Telefonüberwachung in Zweifel gezogen
hatte).
Letztlich braucht aber der Senat über die Bedenken gegen das
Bestehen eines dringenden Tatverdachts nicht abschließend zu
entscheiden, weil die insoweit auch gegebenen Zweifel jedenfalls so
beachtlich sind, daß ihretwegen unter Berücksichtigung auch der
sonstigen persönlichen und sozialen Verhältnisse des Beschuldigten
jedenfalls der Haftgrund der Fluchtgefahr (dazu unten zu 2.) zu
verneinen ist.
Das einzige Beweismittel, auf das sich der dringende Tatverdacht
stützen läßt, sind nach dem Haftbefehl und auch nach dem weiteren
Gang des Ermittlungsverfahrens (der keine zusätzlichen Erkenntnisse
gebracht hat, nachdem seitens der gesondert verfolgten L. und D.
keine Aussagen vorliegen, der Beschuldigte selbst sich darauf
berufen hat, es gebe "viele N." und er habe "mit den Sachen im
Haftbefehl nichts zu tun", und nachdem schließlich die in den
fraglichen Telefonaten als "Y." auftretende H. R. verstorben ist)
die Niederschriften über die Telefonüberwachung betreffend die
Telefonate vom 6. Mai 1996 um 19:24 Uhr, 19:33 Uhr und 19:43 Uhr
(Blatt 79 - 84 der TÓ-Beiakte). Entgegen der Ansicht der
Verteidigung sind die Ergebnisse dieser Telefonüberwachung zwar
grundsätzlich verwertbar. Sie betreffen die Telefonanschlüsse 0. -
Anschlußinhaber S. R., Benutzer K. L., = TÓ 95/001 und Nr. 0. -
Anschlußinhaber J. D. in der Gaststätte C. Pub = TÓ 95/003. Zu
diesen Anschlüssen haben richterliche Beschlüsse gemäß §§ 100 a,
100 b StPO auf Óberwachung und Aufzeichnung des Fernmeldeverkehrs
vom 12. Februar und 28. März 1996 (Blatt 63, 66 d. A.) und vom 19.
Januar 1996 (Blatt 60 d. A.) vorgelegen. Damit richtete sich die
Anordnung der Telefonüberwachung in dem gegen den Beschuldigten
Liolios gerichteten Ermittlungsverfahren im Falle des Anschlusses
der S. R. gegen den Beschuldigten selbst und im Falle des
Anschlusses in dem "C. P." gegen Personen im Sinne der zweiten
Alternative des § 100 a Satz 2 StPO. Die hierbei gewonnenen
Erkenntnisse sind gemäß §§ 100 b Abs. 5, 100 a Satz 1 Nr. 4 StPO
auch gegenüber Dritten - hier dem Beschuldigten S. -
verwertbar.
In der Sache selbst jedoch sind die von der Verteidigung
vorgebrachten Zweifel daran, daß der in den Telefonaten vom 6. Mai
1997 als "der Lange" bezeichnete Gesprächsteilnehmer mit dem
Beschuldigten S. identisch ist, nach dem derzeitigen Sachstand
nicht unbegründet. Während die Mitschnitte der Telefongespräche
allenfalls in einer etwaigen Hauptverhandlung abgehört werden
können, sind die TÓ-Niederschriften Blatt 79 - 84 der TÓ-Beiakte
nur bedingt aussagekräftig. Wenngleich die TÓ-Beiakte auch in
anderem Zusammenhang und aus anderen Zeiten Telefonate aufführt, an
denen der Beschuldigte S. beteiligt gewesen sein soll (vgl. schon
den Vermerk der Kriminalpolizei vom 27. November 1996, aus dem die
Staatsanwaltschaft Aachen aber nur wegen des hier in Rede stehenden
Vorfalls vom 6. Mai 1996 einen Tatverdacht abgeleitet und einen
Haftbefehl beantragt hat), so ist andererseits nicht zu verkennen,
daß in der Vielzahl der in dem Verfahren gegen L. u. a. abgehörten
Telefongespräche häufig auch andere Personen als "der Lange"
bezeichnet werden. Mehrfach - etwa Blatt 11, 14, 15, 62 der TÓ-Akte
wird mit "der Lange" der gesondert verfolgte K. L. bezeichnet.
Wenngleich er, weil selbst Teilnehmer der Telefonate vom 6. Mai
1996, als "der Lange" bei den hier fraglichen Gesprächen
ausscheidet, ergibt sich jedoch zumindest aus der Zusammenfassung
des Gesprächsinhalts der Telefonüberwachungsmaßnahme lfd. Nr. 04232
(Blatt 43 TÓ-Akte), daß in einem Telefonat vom 13. April 1996, das
von dem Beschuldigten S. selbst geführt wurde, von einer dritten
Person als einem "Langen" die Rede ist. Zu berücksichtigen ist
insbesondere auch, daß die von K. L. am 6. Mai 1946 um 19:33 Uhr
und 19:43 Uhr zunächst mit "Y." geführten Telefongespräche den
Anschluß des "C. P." A. betrafen, also ein öffentliches Lokal, in
dem dann möglicherweise eine andere Person als der Beschuldigte S.
als "der Lange" an das Telefon gerufen worden sein kann. Jedenfalls
steht entgegen dem angefochtenen Beschluß der Strafkammer nicht mit
Sicherheit fest, daß es gerade der Beschuldigte S. war, der als
"der Lange" an das Telefon geholt wurde: Die nach den Worten "der
Lange" in Klammern angeführte Namensangabe "N. S." ist nicht Inhalt
der Gespräche selbst, sondern eine Hinzufügung der die
Gesprächsinhalte niederschreibenden ermittelnden Polizeibeamten,
wie dies schon die Staatsanwaltschaft Aachen in ihrer
Vorlageverfügung an die Strafkammer dargelegt hat. Es kann auch
nicht mit Gewißheit darauf auf den Beschuldigten S. geschlossen
werden, daß es in Blatt 84 der TÓ-Beiakte heißt, "Y. sagt noch mal,
daß sie N. das Paket so gegeben hat, wie sie es von K. L. bekommen
hat". Bei Blatt 84 der TÓ-Beiakte handelt es sich nur um eine
Zusammenfassung des Inhalts des Telefonats um 19:43 Uhr, das
wörtlich in Blatt 81 = 83 der TÓ-Beiakte wiedergegeben ist; in
dieser wörtlichen Wiedergabe taucht aber bei den Äußerungen der
"Y." der Name "N." gerade nicht auf. Damit handelt es sich bei der
Namensangabe "N." auf Blatt 84 der TÓ-Beiakte - hier ist
hinsichtlich der TÓ-Nr. 95/001 das selbe Telefonat erfaßt wie
hinsichtlich der TÓ-Nr. 95/003 gemäß Blatt 81, 83 TÓ-Beiakte; es
geht um das zur selben Uhrzeit zwischen den Anschlüssen 0. und 0.
geführte Telefonat - lediglich um eine Schlußfolgerung.
Offen bleiben kann schließlich, aus welchen Gründen die
Staatsanwaltschaft und der Haftbefehl davon ausgehen, daß es sich
bei den an Dossis gelieferten "1.400" (g?) um Amphetamin gehandelt
hat, nachdem zunächst die Kriminalpolizei in ihrem das vorliegende
Verfahren einleitenden Vermerk vom 27. November 1996 nur unbestimmt
von "RG" (= Rauschgift) ausgegangen war (auch das Telefonat vom 17.
Mai 1996 = Blatt 88 der TÓ-Beiakte erscheint hierzu in seiner
Aussagekraft fraglich). Weiter kann letztendlich dahinstehen, ob
aus der Formulierung in dem Gespräch vom 6. Mai 1996, 19:24 Uhr
(Blatt 79 der TÓ-Beiakte) aus den Worten des K. D., er habe das
Geschenk geöffnet, "welches K. L. gebracht hat" auch die
Schlußfolgerung möglich ist, daß Óberbringer der fraglichen
Lieferung möglicherweise auch der gesondert verfolgte K. L. in
Person gewesen sein könnte.
2.
Aus den vorgenannten Gründen ist der - angesichts des ständigen
Verkehrs des Beschuldigten in dem "C. P." und seiner Bekanntschaft
mit K. L. möglicherweise bestehende - dringende Tatverdacht
jedenfalls nicht so sehr erhärtet, als daß er nicht auch bei der
subjektiven Einschätzung des Beschuldigten selbst zu einem für ihn
möglicherweise günstigen Ausgang des Ermittlungsverfahrens mit zu
berücksichtigen wäre. Fluchtgefahr besteht, wenn unter Würdigung
aller Umstände des Einzelfalles aufgrund bestimmter Tatsachen eine
überwiegende Wahrscheinlichkeit dafür besteht, der Beschuldigte
werde sich dem weiteren Verfahren entziehen statt an ihm
teilzunehmen (und ggf. nach Anklageerhebung in der Hauptverhandlung
zu erscheinen). Eine solche überwiegende Wahrscheinlichkeit läßt
sich in Würdigung aller Umstände nicht feststellen.
Der Beschuldigte - von dem Vorstrafen nach den bisherigen
Ermittlungen nicht bekannt geworden sind - ist zwar griechischer
Staatsangehöriger, jedoch schon in Deutschland geboren. Er wohnt
bei seinen Eltern (zusammen mit seinen Geschwistern und anderen
Verwandten) in der Z. in A.. Óber konkrete Kontakte nach
Griechenland läßt sich den Akten nichts entnehmen. Auch bestehen
keine Anhaltspunkte dafür, daß etwaige Beziehungen aufgrund
Betäubungsmittelhandels nach den Niederlanden eine Flucht gerade in
dieses Land (aus dem auch eine Auslieferung erfolgen könnte)
besorgen lassen. Der Beschuldigte ist zwar arbeitslos, hat aber bis
zu seiner Festnahme Arbeitslosenhilfe in Höhe von 1.000,00 DM
monatlich bezogen. Es liegt nahe, daß der Beschuldigte angesichts
des gerade auch aus seiner eigenen Sicht aufgrund des Vorbringens
der Verteidigung noch ungewissen Ausgangs des Verfahrens sich
weiter unter seiner Wohnadresse aufhalten wird, um für die Zukunft
des Arbeitslosengeldes nicht verlustig zu gehen. Hinzu kommt, daß
der Beschuldigte spätestens seit der Festnahme des seit dem 28.
Februar 1997 in Untersuchungshaft befindlichen K. L. - die
Bekanntschaft mit diesem bestreitet er nicht - von den Ermittlungen
in dem vorliegenden Verfahrenskomplex wußte und dennoch auch in der
nachfolgenden Zeit keine Anstalten zur Flucht getroffen hat. Er
konnte am 27. Mai 1997 unproblematisch festgenommen werden, als er
sich gerade mit seiner Familie in einem Supermarkt beim Einkauf
befand.
Nach alledem kann - ungeachtet des Vorbringens des Verteidigers,
daß der Beschuldigte auch wieder die Möglichkeit hat, als
Fliesenleger zu arbeiten - von einer konkreten Fluchtgefahr im
Sinne der überwiegenden Wahrscheinlichkeit einer Flucht derzeit
nicht ausgegangen werden.
3.
Mit der Aufhebung des Haftbefehls ist die weitere Beschwerde
durch prozessuale Óberholung erledigt, soweit sich der Beschuldigte
gegen die Ablehnung einer Verlegung aus der JVA Düsseldorf in die
JVA Aachen wendet.
4.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 467 Abs. 1 StPO analog.