OLG Hamm, Beschluss vom 17.11.1992 - 9 W 41/92
Fundstelle
openJur 2012, 73631
  • Rkr:
Tenor

Der angefochtene Beschluß wird abgeändert.

Der Klägerin wird für die Klage in vollem Unfang Prozeßkostenhilfe bewilligt.

Die Entscheidung ergeht gerichtsgebührenfrei, außergerichtliche Kosten werden nicht erstattet.

Gründe

Die Klage bietet hinreichende Aussicht auf Erfolg, § 114 Abs. 1 ZPO. Ein Mitverschulden der Klägerin am Unfall vom 01.01.1990 ist - jedenfalls derzeit - für die Prüfung des Antrages auf Bewilligung von Prozeßkostenhilfe nicht zu berücksichtigen.

Zwar ist auch der Senat der Auffassung, daß beim Zustandekommen des Unfalls ein Verschulden der Klägerin mitgewirkt hat, das bei der Bemessung des Schmerzensgeldanspruches in die Abwägung einfließen kann. Die Quote des Mitverantwortungsanteils läßt sich zur Zeit angesichts der Fülle der zu berücksichtigenden Umstände aber nur willkürlich greifen. Auch das völlige Zurücktreten des Mitverschuldens der Klägerin kommt in Betracht.

1.

Es steht fest, daß der Elektrospeicherofen nicht sicher installiert war und eine große Gefahr in der Wohnung der Klägerin darstellte. Nach der gutachtlichen Stellungnahme des Architekten ... (Bl. 42 d.A.) ließ sich der Heizkörper leicht von Hand in eine Kippbewegung bringen. Ob dessen Installation auch deshalb unsachgemäß war, weil die Montageanleitung eine Befestigung am Boden oder an der Wand vorsah, ist allenfalls für das Maß der Schwere des der Beklagten zu machenden Vorwurfs entscheidend. Maßgeblich kommt es hier auf die der Beklagten obliegende Verkehrssicherungspflicht an. Danach hatte sie die Wohnung frei von einer solchen Gefahr zur Verfügung zu stellen, wie sie im vorliegenden Fall gegeben war. Dies gilt auch für die im Hinblick auf anderweitige Schäden relevante Vertragshaftung.

Es lag nicht außerhalb der Wahrscheinlichkeit, daß der instabil aufgestellte Heizkörper umkippen und einen Wohnungsbenutzer verletzen würde. Es war im Gegenteil sogar wahrscheinlich, daß der Heizkörper gelegentlich auch als Tritthilfe in Anspruch genommen würde. Auch wenn dies nicht dessen Funktion entspricht, mußte die Beklagte mit einer solchen Handlungsweise rechnen, und zwar schon deshalb, weil sich dies in vielfältigen Situationen für einen Mieter zur Vereinfachung anbietet, wenn er an das Fenster heran muß. Ein solcher Heizkörper bietet in der Regel eine freie, stabil wirkende Oberfläche. Der Heizkörper selbst ist schwer und macht einen kompakten Eindruck, so daß die Vermutung nahe liegt, man könne sich darauf stellen, ohne daß der Heizkörper selbst beschädigt wird oder umkippt. Auch das bekannte große Eigengewicht des Heizkörpers vermittelt diesen Eindruck. Die Gefahr eines solchen unsachgemäßen, sorglosen Verhaltens liegt um so näher, als gerade im Bereich der Fenster häufig die Notwendigkeit besteht, sich einer Tritthilfe zu bedienen.

Dies alles mußte die Beklagte bedenken. Maßstab der sie treffenden Verkehrssicherungspflicht ist es nämlich auch, diejenigen Sicherungsvorkehrungen zu treffen, die nach den Sicherheitserwartungen des jeweiligen Verkehrs im Rahmen des wirtschaftlich Zumutbaren geeignet sind, Gefahren abzuwenden, die bei bestimmungsgemäßen oder bei nicht ganz fernliegender bestimmungswidriger Benutzung drohen (vgl. BGH NJW 1985, 1076; 78, 1629). Dies hatte die Beklagte in eigener Veranwortlichkeit zu prüfen, als sie die Wohnung der Klägerin zur Verfügung stellte. Ergibt sich im vorliegenden Fall ferner, worüber die Parteien streiten, daß die Beklagte auch die Bauaufsicht bei der Installation hatte und nach den Herstelleranweisungen die Verankerung der Heizkörper vorgesehen war, trifft sie ein ganz besonders hohes Maß des Verschuldens.

2.

Aus den vorstehenden Erwägungen folgt bereits, daß demgegenüber der der Klägerin zu machende Vorwurf erheblich hinter dem Verschulden der Beklagten zurückbleiben kann, weil hier einfache Leichtfertigkeit in Betracht kommt, die bereits die Beklagte bei der Erfüllung ihrer Verkehrssicherungspflicht in Rechnung stellen mußte. Es kann nicht sicher davon ausgegangen werden, daß der Klägerin die Gefahr bekannt war. Ausweislich des vorliegenden Mietvertrages hatte sie die Wohnung erst am 03.10.1989 angemietet, also ca. 3 Monate vor dem Unfall. Sie nutzte die Wohnung seit dem 16.10.1989. Ihr mußte die Gefahr, die von dem Heizkörper ausging, in dieser Zeit nicht notwendigerweise auffallen. Es spricht sogar viel dafür, daß sie erstmals am Unfalltag - bei Gelegenheit - völlig sorglos im Hinblick auf die aktualisierte Gefahr den Heizkörper als Tritthilfe benutzte.

3.

Das Landgericht wird im einzelnen die Umstände, die wechselseitig für das Verschulden in Betracht kommen, zu prüfen und aufzuklären haben. Nach den zur Zeit vorliegenden Tatsachen ist es möglich, daß der Klägerin ein einheitlich zu bestimmender Schmerzensgeldanspruch von 60.000,00 DM zusteht und im Rahmen der Abwägung für den Feststellungsantrag der Mitverantwortungsanteil der Klägerin vollständig zurücktritt. Es ist deshalb gerechtfertigt, der Klägerin in vollem Umfang PKH zu bewilligen.

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