LG Kleve, Urteil vom 01.10.1991 - 6 S 70/90
Fundstelle
openJur 2012, 73248
  • Rkr:
Tenor

Auf die Berufung der Beklagten wird das am 18. Januar 1990 verkündete Urteil des Amtsgerichts teilweise abgeändert und unter Zurückweisung des REchtsmittels im übrigen wie. folgt neu gefaßt:

1.

Den Beklagten wird untersagt, in ihrem Hause

-Fernseher. Radio, Plattenspieler, Tonbandgerät und, sonstige Geräte, die' der Schallwiedergabe dienen, sowie das Keyboard mit einer größeren Lautstärke als Zimmerlautstärke zu betreiben.

2.

Den Beklagten wird das Spielen mit dem Akkordeon in der Zeit von 22.00 Uhr abends bis 9.00 Uhr morgens und von 13.00 Uhr bis 15.00 . Uhr untersagt. Während des Musizierens mit dem Akkordeon haben die Beklagten Fenster und Türen geschlossen zu halten. Das Musizieren mit dem Akkordeon wird auf maximal 1 1/2 Stunden täglich beschränkt.

3.

Die weitergehende Klage wird abgewiesen.

4.

Die Kosten beider Rechtszüge herden zu 1/4 der Klägerin und zu 3/4 den Beklagten als Gesamtschuldnern auferlegt

Tatbestand

Von der Darstellung des Tatbestandes wird gemäß § 543 Abs. 1 ZPO abgesehen.

Gründe

Die Berufung der Beklagten hat nur zu einem Teil Erfolg.

Das Klagebegehren der Klägerin findet seine Grundlage in §§ 906, 1004 BGB. Gemäß § 906 1 BGB kann der Eigentümer eines Grundstückes "Geräusche" als eine von einem "anderem Grundstück ausgehende Einwirkung insoweit nicht verbieten, als die Einwirkung die Benutzung seines Grundstücks nicht oder nur unwesentlich beeinträchtigt".

Maßstab dafür, ob eine Beeinträchtigung wesentlich ist, ist das Empfinden eines Durchschnittsbenutzers des betroffenen Grundstücks in seiner durch Naturgestaltung und Zweckbestimmung geprägten konkreten Beschaffenheit und nicht das subjektive Empfinden des Gestörten (Palandt, 50. Aufl., Anm. 3 b zu § 906 BGB).

Von diesen Grundsätzen ausgehend ist zwischen den Geräten, die der Tonwiedergabe dienen (Radio, Fernseher. Plattenspieler, Tonbandgeräte und ähnliche Geräte) und der Ausübung von Hausmusik mit dem Akkordeon bzw. auf dem Keyboard zu unterscheiden.

Beim Betri'eb von Tonwiedergabegeräten ist grundsätzlich Zimmerlautstärke einzuhalten.

Zur Definition des Begriffs der Zimmerlautstärke ist folgendes festzustellen: Sinn und Zweck des Begriffs von der Einhaltung der Zimmerlautstärke ist es, auszuschließen, daß andere (Mitbewohner. Nachbarn usw.) durch Schall und Geräusche gestört werden. Die Zimmerlautstärke ist zweifelsfrei dann überschritten, wenn das nachbarliche Geräusch in den Räumen des Betroffenen so laut vernehmbar ist wie das eigene Gespräch, die eigene Unterhaltung,-das eigene Radio, Fernseh- oder Musikprogramm. Generell kann gesagt werden, daß Lautstärken, die in der gestörten Wohnung über einem Wert von ca. 40 Phon (angenähert 40 Dezibel) tagsüber und 30 Phon (angenähert 30 Dezibel) nachts liegen, stets als Óberschreitung der Zimmerlautstärke anzusehen sind. Dies schließt indes nicht aus, daß auch bei einem Schallpegel unterhalb dieser Werte die Zimmerlautstärke bereits überschritten sein kann; zweifelsfrei können auch Geräusche unterhalb dieser Werte zu einer empfindlichen nicht zu duldenden Störung führen. Eingehalten ist die Zimmerlautstärke nur dann, wenn der verursachte, von dem betroffenen Mitbewohner zu hörende Fremdschall unter dem bei 40 Dezibel (tagsüber) zu ziehenden Richtwert liegt und zugleich weder physiologische Wirkungen einzusetzen beginnen noch die psychologisch zu sehende Wirkung des "Aufdie-Nervengehens" sich entfaltet und auch nicht stört. Óberschritten ist die Zimmerlautstärke, wenn der Fremdschall zwar unterhalb des Wertes von 40 Dezibel (tagsüber) liegt, aber nach dem Empfinden eines Durchschnittsmenschen als störend und "Aufdie-Nervengehend" empfunden wird. (Zur Definition des Begriffs der Zimmerlautstärke ZV Materialien-Nr. 3. Lärmstörungen Gutachten und Lärmlexikon 5. Auflage, herausgegeben vom Zentralverband der Deutschen Haus-, Wohnungs- und Grundeigentümer e.V., Cecilienallee 45, 4000 Düsseldorf 30, insbesondere Anmerkungen 4 und 16).

Hiervon ausgehend ist nach dem Ergebnis der erstinstanzlich durchgeführten Beweisaufnahme festzustellen, daß die Beklagten über längere Zeit in zahlreichen Fällen Tonwiedergabegeräte so laut betrieben haben, daß zweifelsfrei die Zimmerlautstärke überschritten war. Dies ergibt sich insbesondere aufgrund der Bekundungen der Zeugen sowie der Aussage des Zeugen xxx selbst wenn sich die Beklagten in letzter Zeit insoweit ruhiger verhalten sollten, besteht aufgrund der zahlreichen Vorfälle in der Vergangenheit auch heute noch Wiederholungsgefahr, so daß der Klägerin ein entsprechender Unterlassungsanspruch zuzuerkennen ist.Hinsichtlich des Spielens mit dem Akkordeon ist festzustellen, daß privat betriebene Hausmusik - hierzu zählt sicher auch das Spielen mit dem Akkordeon - von jeher in Wohnvierteln üblich und daher grundsätzlich als ortsüblichzu dulden ist (Säcker, Münchener Kommentar Anm. 99 zu § 906). Insoweit kommt auch eine Beschränkung auf Zimmerlautstärke nicht in Betracht. Würde man beim Spielen auf dem Akkordeon die Einhaltung der Zimmerlautstärke fordern, wäre ein sinnvolles Musizieren mit diesem Instrument, welches über keine dämpfende Vorrichtung verfügt, nicht möglich. Die Beschränkung auf Zimmerlautstärke beim Spielen mit dem Akkordeon käme damit praktisch einem Verbot des Musizierens gleich (OLG Hamm, Beschluß vom 10.11.1990 in NJW 81, 465 unter Hinweis auf OLG Oldenburg, MdsRpfl. 1977, 213 insoweit zum Klavier). Die Klägerin ist daher grundsätzlich verpflichtet, die mit dem Spielen des Akkordeons verbundenen Geräusche als eine sozialadäquate Beeinträchtigung im Sinne des § 906 1 BGB hinzunehmen.

Diese rechtlich als sozialadäquate und artsüblich einzustufende Beeinträchtigung wird allerdings zu der Zeit unzumutbar, zu welcher man sich üblicherweise zur Ruhe begibt. Dies ist die Zeit zwischen 22.00 Uhr und 9.00 Uhr sowie zwischen 13.00 und 15.00 Uhr.. Es entspricht allgemeiner Óbung und dem Gebot gegenseitiger Rücksichtnahme im Zusammenleben von Menschen, daß während dieser Zeit das häusliche Musizieren zu unterbleiben hat. Darüberhinaus war bei der von der Kammer zu treffenden gerichtlichen Gebrauchsregelung, mit der ein Ausgleich der widerstreitenden Interessen und eine Befriedung der zerstrittenen Prozeßparteien erstrebt wird, eine zeitliche.-Beschränkung des Akkordeonspielens auf maximal 1 1/2 Stunden täglich angezeigt.

Hinsichtlich des Spielens auf dem Keyboard war eine Fixierung des Spielens auf eine Mindestdauer und eine bestimmte Tageszeit nicht veranlaßt. Anders als beim Akkordeon ist auf dem Keyboard durchaus ein sinnvolles Musizieren in Zimmerlautstärke möglich. Hiervor# hat die Kammer sich anläßlich des durchgeführten Ortstermins, bei dem mehrere Spielversuche mit dem Keyboard, welches nach Darstellung der Beklagten lediglich über einen 20-Watt starken Verstärker und eingebaute 20-Watt starke Lautsprecherboxen verfügt, unternommen worden sind, selbst überzeugt. Zwar konnte das Spiel im Hause der Klägern noch leise vernommen werden. Eine Unterhaltung würde hierdurch jedoch nicht gestört. Für den Durchschnittsbenutzer, der auch bereit ist, wegzuhören, bedeutet das Spiel auf dem Keyboard, wenn keine weiteren Verstärker oder stärkere Lautsprecherboxen angeschlossen werden, nur eine unwesentliche Beeinträchtigung im Sinne des § 906 1 BGB.

Allerdings steht aufgrund der erstinstanzlich durchgeführten Beweisaufnahme, in der verschiedene Zeugen ganz offensichtlich viel lautere vom Keyboard ausgehende Geräuschpegel wahrgenommen haben, fest, daß die Beklagten das Keyboard früher des öfteren viel lauter als in Zimmerlautstärke gespielt haben. Auch dies mag sich zwischenzeitlich gebessert haben. Aufgrund der früheren Vorkommnisse besteht allerdings nach wie vor Wiederholungsgefahr. so daß den Beklagten auch im Hinblick auf das Keyboard zu untersagen war, dieses mit einer größeren Lautstärke als Zimmerlautstärke zu spielen.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 92 ZPO.

Der Streitwert für das Berufungsverfahren beträgt 4.000,-- DM.

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