OLG Hamm, Urteil vom 17.04.1985 - 11 U 251/84
Fundstelle
openJur 2012, 72623
  • Rkr:
Tenor

Die Berufung des Klägers gegen das am 18. Juni 1984 verkündete Urteil der 2. Zivilkammer des Landgerichts Essen wird zurückgewiesen.

Die Kosten der Berufung trägt der Kläger.

Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.

Es beschwert den Kläger in Höhe von 8.000,-- DM.

Gründe

Die zulässige Berufung des Klägers hat keinen Erfolg. Das Landgericht hat dem Feststellungsbegehren des Klägers mit Recht nicht stattgegeben. Denn der zwischen der Rechtsvorgängerin der Beklagten einerseits und dem Kläger und seiner Ehefrau andererseits geschlossenen Ratenkreditvertrag ist wirksam zustande gekommen. Er ist insbesondere nicht nach § 138 Abs. 1 BGB wegen Sittenwidrigkeit nichtig. Gegenüber dem Anspruch der Beklagten auf Darlehnsrückzahlung (§ 607 Abs. 1 BGB) kann der Kläger auch nicht mit Erfolg einwenden, ihm stehe wegen Verletzung vorvertraglicher Aufklärungspflichten ein Schadensersatzanspruch aus Verschulden bei Vertragsschluß zu.

I.

Nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofes, der der Senat folgt, ist ein Darlehnsvertrag wegen Verstoßes gegen die guten Sitten nichtig (§ 138 Abs. 1 BGB), wenn zwischen den Leistungen des Darlehnsgebers und den durch einseitige Vertragsgestaltung festgelegten Gegenleistungen des Darlehnsnehmers ein auffälliges Mißverhältnis besteht und der Darlehnsgeber die wirtschaftlich schwächere Lage des Darlehnsnehmers, dessen Unterlegenheit, bei der Festlegung der Darlehnsbedingungen bewußt zu seinem Vorteil ausnutzt. Dem steht es gleich, wenn sich der Darlehnsgeber als objektiv sittenwidrig Handelnder zumindest leichtfertig der Einsicht verschließt, daß sich der Darlehnsnehmer nur aufgrund seiner wirtschaftlich schwächeren Lage auf die ihn beschwerenden Darlehnsbedingungen einläßt. Das Landgericht hat zutreffend angenommen, daß diese Voraussetzungen im vorliegenden Falle nicht gegeben sind.

1. Ein auffälliges Mißverhältnis zwischen Leistung und Gegenleistung liegt entgegen der Ansicht der Berufung nicht vor. Ohne Berücksichtigung der Kosten der Restschuldversicherung (Prämie, anteilige Kreditkosten), die des besseren Vergleichs wegen auszuscheiden sind, errechnet sich nach der sog. Annuitätenmethode anhand der Gillardon-Tabelle ein effektiver Jahreszins von 27,82 %. Demgegenüber betrug der marktübliche effektive Jahreszins zur damaligen Zeit - Juli 1981 -, wenn man die Annuitätenmethode anwendet, 17,2 %. Der vereinbarte effektive Jahreszins übersteigt also den Marktzins um rd. 62 %. Das Ergebnis ist nicht wesentlich anders, wenn man für die Vergleichsrechnung die sog. Uniformmethode zugrundelegt. Dann ergibt sich ein effektiver Vertragszins von 28,26 % und ein Marktzins von 17,45 %. Danach liegt eine Marktzinsüberschreitung von 61,95 % vor. Diese rechtfertigt nicht die Annahme eines auffälligen Mißverhältnisses zwischen Leistung und Gegenleistung. Damit fehlt eine wesentliche Voraussetzung, um ein wucherähnliches Rechtsgeschäft annehmen zu können.

2. Sonstige gravierende Umstände, die dem Darlehnsvertrag ein sittenwidriges Gepräge geben, sind weder dargetan noch sonst erkennbar.

a) Insbesondere reicht es nicht aus, daß möglicherweise einzelne in den Darlehnsbedingungen enthaltene Klauseln einer Inhaltskontrolle nach dem AGB-Gesetz nicht standhalten. Grundsätzlich rechtfertigt auch die Unwirksamkeit einer einzelnen oder einiger vertraglicher Regelungen noch nicht die Annahme einer Gesamtnichtigkeit des Vertrages (§ 6 Abs. 1 AGB-Gesetz). Nur wenn zahlreiche Vertragsbestimmungen unwirksam sind und der Vertrag durch entsprechende Auslegung und Fortfall dieser Bestimmungen einen wesentlich anderen Inhalt erhielte, kann der gesamte Vertrag nichtig sein (BGH NJW 1985, 53, 54 mit weiteren Nachweisen). Letzteres ist hier nicht der Fall.

b) Auch der Umstand, daß ein zinsgünstigerer Kredit der Kreissparkasse xxx aus der Darlehnsvaluta umgeschuldet werden sollte, rechtfertigt - auch in Verbindung mit der aufgezeigten Marktzinsüberschreitung - nicht die Annahme der Sittenwidrigkeit des Darlehnsvertrages. Das geht schon deshalb nicht an, weil die Ablösesumme nur 28,84 % der Darlehnssumme ausmachte. Darüber hinaus kann die Umschuldung nicht als ein so schwerwiegender Umstand angesehen werden, der den Vorwurf der Sittenwidrigkeit des Darlehnsvertrages stützen könnte.

c) Schließlich können auch die bei dem Kläger zur Zeit des Vertragsschlusses bestehenden wirtschaftlichen Verhältnisse den Vorwurf der Sittenwidrigkeit des Darlehnsvertrages nicht rechtfertigen. Wie der von der Beklagten vorgelegten "Bestätigung über telefonische Rückfrage beim Arbeitgeber" zu entnehmen ist, hat die Kreditvermittlerin vor Vertragsschluß die Einkommensverhältnisse des Klägers geklärt. Danach war, wie der Kläger im Darlehnsantrag auch selbst angegeben hat, mit monatlichen Nettoeinkünften von DM 1.900,-- zu rechnen. Die wirtschaftlichen Umstände waren zwar beengt, gleichwohl kann nicht davon ausgegangen werden, daß dem Kläger (und seiner Ehefrau) von vornherein die Aufbringung der laufenden Raten unmöglich war. Entscheidend ist insofern auch die eigene Einschätzung der Leistungsfähigkeit des Kreditbewerbers.

II.

Entgegen der Ansicht der Berufung kann dem Anspruch der Beklagten auf Darlehnsrückzahlung auch nicht ein Schadensersatzanspruch aus Verschulden bei Vertragsschluß entgegengesetzt werden. Denn hier fehlt jeder hinreichende Anhalt dafür, daß die Rechtsvorgängerin der Beklagten oder die Kreditvermittlerin Aufklärungs- und Hinweispflichten gegenüber dem Kläger und seiner Ehefrau verletzt hat. Zwar können einem Darlehnsgeber unter bestimmten Voraussetzungen vorvertragliche Aufklärungspflichten gegenüber dem Darlehnsbewerber obliegen, deren Inhalt und Umfang sich nach der Art des Darlehns und nach dem Aufklärungs- und Schutzbedürfnis des Darlehnsbewerbers richten (BGH WM 1979, 1035, 1037; vgl. auch neuerdings BGH WM 1985, 221, 224). Hier bestand aber für den Kläger kein Aufklärungsbedürfnis, als er das Darlehn beantragte und später in Anspruch nahm. Welche finanziellen Belastungen für ihn und seine Ehefrau mit der Darlehnsaufnahme verbunden waren, ergab sich zweifelsfrei aus dem Darlehnsantrag, von dem die beiden eine Durchschrift erhalten haben. Insbesondere war dem Darlehnsantrag eindeutig zu entnehmen, daß sie eine erste Rate von DM 306,-- und Folgeraten von monatlich DM 443,-- aufbringen mußten. Ferner waren sie sich bewußt, daß der Vorkredit bei der Kreissparkasse xxx abgelöst werden würde. Zwar war die vorgesehene Umschuldung wirtschaftlich nicht sinnvoll, weil der Sparkassenkredit wesentlich zinsgünstiger als der neue Kredit war. Es würde jedoch eine Überspannung der vorvertraglichen Pflichten bedeuten, würde man verlangen, daß der Darlehnsgeber oder der Kreditvermittler den Kreditbewerber vor solchen Umschuldungen warnen müßte.

III.

Nach alledem sind der Kläger und seine Ehefrau verpflichtet, das Gesamtdarlehn nach Maßgabe des Darlehnsantrages zurückzuzahlen. Die begehrte Feststellung kann deshalb nicht getroffen werden. Es muß bei der Abweisung der Klage verbleiben. Die Berufung war somit mit der Kostenfolge aus § 97 Abs. 1 ZPO zurückzuweisen.

Die Nebenentscheidungen ergeben sich aus §§ 708 Nr. 10, 711, 713, 546 Abs. 2 Satz 1 ZPO.

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