OLG Hamm, Beschluss vom 15.01.1985 - 1 UF 219/84
Fundstelle
openJur 2012, 72615
  • Rkr:
Tenor

Auf die befristete Beschwerde der Antragstellerin wird unter Zurückweisung des Beschwerde im übrigen und Abweisung des Hauptantrages und 1. Hilfsantrages als unzulässig der angefochtene Beschluß auf den 2. Hilfsantrag der Beschwerde aufgehoben und die Sache an das Amtsgericht - Familiengericht - ... zu ... abgegeben, das auch über die Kosten zu befinden hat; jedoch bleiben die Gerichtskosten der Beschwerde außer Ansatz.

Gründe

Die Parteien sind getrennt lebende Eheleute. Das Scheidungsverfahren ist anhängig - ... AG ... -.

In diesem Scheidungsverfahren hat die Antragstellerin erfolglos versucht, eine einstweilige Anordnung nach

§ 620 Nr. 7 ZPO zu erlangen, die ihr einstweilen die Ehewohnung zur alleinigen Benutzung zuweist. Der

Antrag ist durch Beschluß vom 21.11.1983 zurückgewiesen worden.

Im vorliegenden isolierten Verfahren hat die Antragstellerin die Zuweisung der Ehewohnung an sich als

alleinige Mieterin angestrebt, da ihr Begehren im Wege der einstweiligen Anordnung erfolglos geblieben und

dagegen eine Beschwerde nicht gegeben sei. Der Antragsgegner sei seit September 1982 arbeitslos und trinke

in erheblichem Umfang alkoholische Getränke; er räume nicht auf. Schon nachmittags, wenn sie von

ihrer Arbeit bei der Firma ... zurückkomme, sei er meist betrunken. Spät abends stehe er dann auf

und rüttele an ihrer Tür und lasse sie nicht schlafen. Die Vermieterin wolle mit ihr allein den

Mietvertrag abschließen. Das Amtsgericht hat nach Anhörung der Vermieterin und der Parteien durch

den angefochtenen Beschluß den Antrag zurückgewiesen.

Mit ihrer befristeten Beschwerde wendet sich die Antragstellerin gegen diese Entscheidung. Der Antragsgegner

beleidige, bedrohe und beschimpfe sie. Er verfolge sie mit Eifersucht und sei auch schon mit dem Messer auf sie

losgegangen. Auch lasse er seine Miethälfte, die er direkt an die Vermieterin zu zahlen hat, oft

rückständig werden. Sie beantragt,

1)

abändernd die eheliche Wohnung in ... der Antragstellerin als alleiniger Mieterin

zuzuweisen,

2)

hilfsweise die eheliche Wohnung der Antragstellerin zur alleinigen Benutzung bis

zur Rechtskraft der Scheidung zuzuweisen,

3)

äußerst hilfsweise den Antrag auf Zuweisung der Ehewohnung an die Antragstellerin

ab Rechtskraft der Scheidung als alleiniger Mieterin an das Familiengericht ... zu dem dort anhängigen

Scheidungsverfahren zu verweisen.

Der Antragsgegner beantragt,

die Beschwerde zurückzuweisen.

Er bestreitet das Vorbringen der Antragstellerin und wendet ein, er könne sich keine andere Wohnung

leisten. Im übrigen sei der Antrag unzulässig, da die Unanfechtbarkeit der Ablehnung des Antrages

nach § 620 Nr. 7 ZPO gemäß § 620 c ZPO andernfalls umgangen würde.

Die befristete Beschwerde ist zulässig. Sie ist jedoch mit dem Haupt- und dem 1. Hilfsantrag erfolglos,

weil beide Anträge unzulässig sind. Lediglich der äußerst hilfsweise gestellte Antrag auf

Verweisung des umgestellten Antrages führt zur Aufhebung der angefochtenen Entscheidung und Abgabe an das

Gericht der Scheidungssache.

1)

Der Hauptantrag auf abschließende Wohnungszuweisung einschließlich Mietrechtsregelung ab sofort ist

unzulässig. Nach § 1 HVO ist es die Aufgabe des Richters, nach der Scheidung über Ehewohnung, und

Hausrat mangels Einigung der Eheleute nach der HVO zu entscheiden. Er konnte insoweit nach früherem Recht

erst nach der Scheidung angerufen werden (vgl. Palandt-Diederichsen 42. Aufl., Anhang § 1587 p BGB

§ 1 HVO Anm. 1, BGH NJW 78, 1529). Durch das 1. EheRG ist zusätzlich die Möglichkeit eröffnet

worden, diese Punkte auch als Scheidungsfolgesache bereits im Verbund geltend zu machen (vgl. Palandt-Diederichsen

a.a.O., Einleitung vor § 1 HVO Anm. 2). Der Gesetzeswortlaut ist angepaßt worden, und zwar nunmehr auf

Regelung "anläßlich der Scheidung" statt früher "nach" der Scheidung. Die von

der Antragstellerin angestrebte Regelung einschließlich richterlicher Gestaltung des Mietverhältnisses

mit Drittwirkung gegenüber dem Vermieter (§ 5 HVO) ist im isolierten Verfahren nach der HVO daher nur

für die Zeit ab Rechtskraft der Scheidung und auch im Verbund als Folgesache nur für die Zeit ab

Rechtskraft der Scheidung zugelassen (vgl. OLG Karlsruhe FamRZ 84, 51-52 -). Das Scheidungsverfahren ist zwar

anhängig, sein Abschluß aber nicht abzusehen. Die von der Antragstellerin angestrebte sofortige

endgültige Wohnungszuweisung einschließlich Mietrechtsregelung ist daher nicht zulässig.

2)

Auch der 1. Hilfsantrag auf sofortige Zuweisung der ehelichen Wohnung zu alleinigen Benutzung nach §§

18 a HVO, 1361 a BGB analog ist nicht zulässig.

Eine entsprechende Anwendung der genannten Vorschriften käme als Grundlage für das Begehren der

Antragstellerin nur in Betracht, wenn im Zuge der gesetzlichen Neuregelung mit dem 1. EheRG eine gesetzliche

Regelungslücke entstanden wäre, die einer Ausfüllung durch analoge Anwendung anderer Vorschriften

zugänglich wäre. Diese Frage ist zwar umstritten und wird teilweise bejaht, wobei im wesentlichen

darauf abgestellt wird, dass auch schon vor Anhängigkeit der Scheidung ein entsprechendes Regelungsbedürfnis

bestehen kann (vgl. KG FamRZ 82, 272; OLG Zweibrücken FamRZ 81, 259 und FamRZ 80, 252; OLG Düsseldorf

FamRZ 81, 872; OLG Celle FamRZ 80, 252; AG Schwetzingen FamRZ 83, 589, Bosch FamRZ 80, 6 u.v.m.). Ein

tatsächlich möglicherweise auftretendes Regelungsbedürfnis begründet aber nicht die Annahme

einer ausfüllbaren Gesetzeslücke.

Nach früherem Recht gab es nur nach Anhängigkeit einer Ehesache die Möglichkeit über

§§ 19 HVO a.F. und 627 ff ZPO a.F. für Hausrat und Ehewohnung einstweilige Regelungen

der Benutzung zu beantragen. Das entspricht den jetzigen Möglichkeiten gemäß § 620

Nr. 7 ZPO. Einem etwa dringenden Regelungsbedürfnis kann auch ohne Anhängigkeit der Scheidung dadurch

Rechnung getragen werden, daß eine Klage auf Feststellung des Rechts zum Getrenntleben erhoben wird, die

ebenfalls die Möglichkeiten nach § 620 Nr. 7 ZPO eröffnet. Darauf hat der Senat wiederholt

(zuletzt 1 WF 33/84) hingewiesen. Soweit der Gesetzgeber mit dem 1. EheRG durch §§ 18 a HVO, 1361 a

BGB eine zusätzliche Möglichkeit eröffnet hat, wegen der Benutzung des Hausrats - ohne Auswirkung

auf die Eigentumsverhältnisse gemäß § 1361 a IV BGB - eine Regelung in einem isolierten

Hauptverfahren nach HVO, FGG zu erreichen, und zwar nicht nur vor Anhängigkeit einer Scheidungssache,

sondern auch bei anhängiger Scheidungssache als isoliertes Hauptverfahren mit der Möglichkeit nicht

einer sofortigen, sondern der befristeten Beschwerde einschließlich einer etwaigen Zulassung der weiteren

Beschwerde, kann diese Verfahrensausweitung jedenfalls nach Anhängigkeit einer Scheidungssache gerade im

Hinblick auf die nach § 1361 a IV BGB gegebene Vorläufigkeit fraglich sein und hat auch in der

Rechtsprechung bereits zu Versuchen, die Zulässigkeit der befristeten Beschwerde einzugrenzen, geführt

(vgl. OLG Zweibrücken FamRZ 83, 1122). Darauf kommt es indes nicht an. Diese Regelung der §§ 18 a

HVO und 1361 a. BGB ist auf beweglichen Hausrat beschränkt.

Da zudem nach § 1361 a IV BGB die Eigentumsverhältnisse unberührt bleiben, ist auch eine

Auswirkung auf Dritte im Regelfall auszuschließen. Das ist jedoch bei Regelungen bezüglich der Ehewohnung

nicht gesichert. Hier sind Auswirkungen auf die Position des Vermieters und seine Möglichkeiten der Realisierung

von Mietansprüchen denkbar. Als Beispiel mag insoweit der vom OLG Celle entschiedene Fall in FamRZ 81, 958

dienen. Das OLG Celle verneint die Zulässigkeit eines Antrages auf Zuweisung der Ehewohnung im isolierten

Verfahren bei entsprechender Anwendung von §§ 18 a HVO, 1361 a BGB, wenn der Antrag nur dazu dienen soll,

dem Ehegatten, der die Wohnung nicht beansprucht, diese zum Zwecke der Haftung für die Mietzahlung zuzuweisen.

Das allein zeigt, welche Auswirkungen auf die Realisierung der Ansprüche auf Mietzinszahlung möglich

sind.

Darüber hinaus ist der Eingriff in das Recht auf Wohnung und Obdach weit einschneidender als der in das

Recht auf Benutzuung von Hausrat. Jeder Ehegatte hat, solange die häusliche Gemeinschaft besteht, nach §

1353 BGB ein Recht auf Mitbesitz an der Ehewohnung auch dann, wenn er nicht Mieter ist (vgl. BGH NJW 78, 1529;

Palandt-Diederichsen, 42. Aufl., BGB § 1353 Anm. 2 b) bb). Im übrigen gilt vor der Scheidung der

Mietvertrag (vgl. Palandt-Diederichsen § 1 HVO Anm. 1). Der Senat folgt insoweit der Ansicht des OLG

Karlsruhe (vgl. FamRZ 84, 51-52 -), daß ein Eingriff in das Recht eines Ehegatten auf Mitbesitz an der

Ehewohnung und damit in sein Recht auf Wohnung überhaupt schwerwiegt und einer besonderen gesetzlichen

Grundlage bedürfte, die derzeit nicht besteht. Die mit §§ 18 a HVO, 1361 a BGB geschaffene

gesetzliche Regelung bezüglich des Hausrats ist eine Ausnahmeregelung, die einer ausdehnenden analogen

Anwendung auf die Benutzung der Ehewohnung nicht zugänglich ist (gegen die Zulässigkeit der

entsprechenden Anwendung u.a. auch OLG Köln FamRZ 83, 1123; OLG Hamm FamRZ 79, 805; OLG Hamm FamRZ 80, 999;

OLG Karlsruhe FamRZ 80, 998).

Alle Ansichten aber, die wie die vorstehend genannten die entsprechende Anwendung von §§ 18 a HVO,

1361 a BGB auf die Ehewohnung vor Anhängigkeit einer Ehesache verneinen, verneinen sie damit auch

für ein isoliertes Verfahren nach den genannten Vorschriften nach Anhängigkeit der Ehesache,

soweit es sich um ein zusätzliches Verfahren nach diesen Vorschriften neben der der dann eröffneten

Möglichkeit aus § 620 Nr. 7 ZPO handelt.

Der Umstand, daß die Möglichkeit, eine einstweilige Anordnung zu erwirken, das Rechtsschutzinteresse

für ein parallel zugelassenes Hauptverfahren regelmäßig nicht entfallen läßt (vgl. BGH

FamRZ 79, 472 und FamRZ 82, 788; OLG Saarbrücken FamRZ 80, 277, OLG Hamm FamRZ 80, 708), eröffnet nicht

ein gesetzlich nicht vorgesehenes Hauptverfahren.

Daß es sich bei der bestehenden Regelung nach §§ 18 a HVO, 1361 a BGB um eine Ausnahme handelt,

zeigt auch der Entwurf der Bundesregierung zum UÄndG (Bundestagsdrucksacke 501/84 Seite 17). Dort wird in

der Begründung zu dem vorgeschlagenen § 1361 b BGB hervorgehoben, daß die auf Endgültigkeit

abzielenden Regelungen der HVO nicht auf Fälle erstreckt werden sollten, in denen kein Scheidungsverfahren

anhängig ist. Ferner wird nach dem Entwurf die Eintrittsschwelle hoch angesetzt und eine vorgezogene Regelung

der Benutzung der Ehewohnung auch nur unter eingeschränkten Voraussetzungen ähnlich wie in § 3 HVO

überhaupt in Betracht gezogen. Vorgeschlagen ist daher nur eine Regelungsmöglichkeit, die eingeengte

Voraussetzungen hat und nur zur Vermeidung unbilliger Härten zugelassen werden soll. Dabei ist in der

Begründung auch hervorgehoben, daß Mißbrauch vorliegen kann, wenn sich der Ehegatte, der aus

der Ehe strebt, auch noch die für ihn vorteilhafte Beibehaltung der Ehewohnung sichern will. Der Entwurf

verdeutlicht, daß nicht eine entsprechende Anwendung von §§ 18 a HVO, 1361 a BGB auf die Ehewohnung

in Betracht gezogen wird, sondern eine Regelung mit engeren Voraussetzungen. Das aber bestätigt, daß

derzeit keine ausfüllbare Regelungslücke besteht, sondern daß die genannten Vorschriften der

§§ 18 a HVO, 1361 a BGB derzeit Ausnahmeregelungen sind, die ausdehnender Auslegung und Anwendung

nicht zugänglich sind (so auch Kalthoener, FamRZ 84, 436; a.A. Brudermüller, NJW 84, 2560). Auf die

materiellrechtliche Lage kommt es angesichts der Unzulässigkeit des Haupt- und 1. Hilfsantrags nicht an.

Der Hilfsantrag der Antragstellerin, der als Hauptantrag auf Benutzung der Ehewohnung im isolierten Verfahren

gerichtet ist, ist daher unzulässig. Auf die Problematik einstweiliger Anordnungen kommt es insoweit nicht an.

3)

Soweit die Antragstellerin in der Verhandlung vor dem Senat äußerst hilfsweise Verweisung bzw.

Abgabe beantragt, hat sie diesen Antrag mündlich dahin erläutert, daß eine abschließende

Wohnungszuweisung einschließlich Mietrechtsregelung ab Rechtskraft der Scheidung gemeint sei und daß

insoweit ein Antrag auf Regelung dieses Punktes als Folgesache gemeint sei.

Dieser Antrag ist zulässig und führt zur Aufhebung der angefochtenen Entscheidung, da diese

verfahrensfehlerhaft darauf beruht, daß nicht auf entsprechende Antragstellung schon in erster Instanz

hingewiesen worden ist.

Im übrigen war mangels Zuständigkeit des Senats der Antrag auf Regelung als Folgesache an das Amtsgericht

der Scheidungssache zu dem Scheidungsverfahren abzugeben, das zugleich über die Kosten des Verfahrens zu

entscheiden hat, soweit nicht der Senat gemäß § 16 KostO die Gerichtskosten des Beschwerdeverfahrens

ausgenommen hat.

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