OLG Hamm, Urteil vom 11.09.1980 - 4 UF 142/80
Fundstelle
openJur 2012, 72378
  • Rkr:
Tenor

Auf die Berufung des Antragstellers werden die Unterhaltsregelung und die Kostenentscheidung des am 27. Februar 1980 verkündeten Verbundurtreils des Amtsgerichts - Familiengericht - Dortmund abgeändert.

Der Unterhaltsantrag der Antragsgegnerin wird abgewiesen.

Die Kosten des ersten Rechtszuges und die Kosten des Berufungsverfahrens werden gegeneinander aufgehoben.

Die Revision wird zugelassen.

Tatbestand

Die Parteien haben am 21. Mai 1955 geheiratet. Aus der Ehe sind die Kinder ..., geboren am 28.9.1955, und ..., geboren am 21. November 1960, hervorgegangen. Der Sohn ... ist am 24.12.1963 verstorben.

Seit September 1978 leben die Parteien getrennt. Beide begehren die Scheidung der Ehe. Das Amtsgericht hat durch Verbundurteil die Scheidung ausgesprochen, den Versorgungsausgleich geregelt und der Antragsgegnerin nach § 1573 BGB 335,- DM monatlichen Unterhalt für die Zeit nach der Scheidung zugesprochen. Gegen diese Unterhaltsentscheidung, wegen deren Begründung auf das amtsgerichtliche Urteil Bezug genommen wird, richtet sich die Berufung des Antragstellers, der den Antrag verfolgt,

unter teilweiser Abänderung des angefochtenen Urteils den Unterhaltsantrag der Antragsgegnerin abzuweisen.

Die Antragsgegnerin beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Der Antragsteller vertritt die Auffassung, daß die Antragsgegnerin ihren Unterhalt selbst verdienen könne und müsse, daß jedenfalls aber ihre Unterhaltsforderung wegen grober Unbilligkeit nicht gerechtfertigt sei. Dazu ist unstreitig, daß die Antragsgegnerin im unmittelbaren zeitlichen Zusammenhang mit der Trennung Beziehungen zu dem ebenfalls verheirateten Zeugen ... aufgenommen hat, mit diesem im September 1978 ohne Wissen des Antragstellers einen gemeinsamen Urlaub verbracht hat und seither mit ihm eine gemeinsame Wohnung hat. Der Antragsteller sieht darin ein Fehl verhalten, das seine Inanspruchnahme auf Unterhalt ausschließt. Dieser Auffassung tritt die Antragsgegnerin mit Rechtsausführungen entgegen.

Wegen weiterer Einzelheiten des Parteivorbringens im zweiten Rechtszug wird auf den vorgetragenen Inhalt der in der Berufungsinstanz gewechselten Schriftsätze Bezug genommen.

Der Senat hat die Parteien in der mündlichen Verhandlung angehört. Sie haben sich wie folgt erklärt:

1)

Die Antragsgegnerin:

Sie habe in den letzten 3 bis 4 Jahren vor der Trennung als Teilzeitverkäuferin in der Textilbranche gearbeitet, wie es auch seit der Trennung bis heute der Fall sei. In dem der Trennung vorausgehenden Urlaub sei sie zunächst zu ihren Eltern nach in ... gefahren. Den weiteren Urlaub habe sie mit dem Zeugen an einem anderen Ort verbracht. Sie hätten jeder ein Einzelzimmer gehabt. Die Ehefrau des Zeugen ..., der Taxifahrer sei, betreibe eine Gaststätte. Dort seien sie und der Antragsteller mit den Eheleuten ... bekannt geworden. Der Antragsteller sei etwa 10 Jahre lang Dauergast in der Gastwirtschaft ... gewesen. Frau und der Antragsteller hätten von ihrer gemeinsamen Urlaubsreise mit dem Zeugen ... nichts gewußt. Ausschlaggebend für ihren Entschluß, mit ... zusammen Urlaub zu machen, sei die Tatsache gewesen, daß der Antragsteller jeden Abend außer Hauses dem Alkohol zugesprochen habe. Er sei nie von der Arbeit unmittelbar nach Hause gekommen. Er habe sich nicht eigentlich betrunken, aber immer Alkohol zu sich genommen. Sie habe ihn in den letzten Jahren fast jeden Abend in der Gaststätte ... abgeholt. Es habe deswegen viel Streit zwischen ihnen gegeben. Er habe über diesen Punkt aber nicht mit sich reden lassen. Daß er einmal zum Abendessen nach Hause gekommen sei, sei so gut wie nie vorgekommen. Es sei immer ca. 22.00 Uhr geworden, ehe er gekommen sei. Im Jahre 1977 sei der Antragsteller allein in Urlaub gefahren. Sie habe nicht mitfahren können, weil sie, da sie von seinen Urlaubsplänen erst zu spät erfahren habe, habe arbeiten müssen. Weil er dennoch gefahren sei, habe sie ihm angedroht, sie nehme das nicht mehr hin, sie lasse sich dann auch etwas einfallen. Nach dem im September 1978 mit dem Zeugen verbrachten Urlaub sei sie nicht mehr in die Ehewohnung zurückgekehrt. Sie habe zunächst bei einer Freundin gewohnt. Auch der Zeuge habe dort Aufnahme gefunden. Es sei eine 1 1/2-Zimmer-Wohnung gewesen. ... habe in der Küche geschlafen.

Der Zeuge ... sei als Taxifahrer bei seiner Ehefrau angestellt gewesen. Seit ca. 8 Wochen sei er als Taxifahrer selbständig. Er habe auch Eheprobleme gehabt. Sie selbst sei schon vor Jahren soweit gewesen, daß sie mit dem Antragsteller habe Schluß machen wollen. Als sie darüber mit dem Zeugen ... gesprochen habe, habe dieser zu ihr gesagt, sie solle sich, wenn sie in Schwierigkeiten sei, an ihn wenden, er werde ihr jederzeit weiterhelfen. Seit Februar 1979 lebe sie mit dem Zeugen ... zusammen in einer eigenen Wohnung. Sie habe den Zeugen mit in die Wohnung genommen, weil sie allein die Miete nicht habe aufbringen können. Es ergebe sich von Fall zu Fall, wer gerade den Haushalt versorge. Der Zeuge sei in der Regel den ganzen Tag unterwegs und beköstige sich dann selbst. In der Wohnung habe er ein eigenes Zimmer, das er sich selbst eingerichtet habe. Es bestehe nur eine Wohngemeinschaft. Geschlechtliche Beziehungen gebe es zwischen ihnen nicht. Das habe es auch in dem gemeinsamen Urlaub 1978 nicht gegeben. Wenn sie daran interessiert wäre, würde sie sich ihren Partner schon selbst aussuchen.

Sie habe sich intensiv um eine Arbeitsstelle mit Vollzeitbeschäftigung bemüht, bisher aber vergeblich. Sie müsse am Verhandlungstage noch zum Arzt. Wahrscheinlich müsse sie noch einmal operiert werden.

2)

Der Antragsteller:

Er arbeite als Baggerführer bei einer Tiefbaufirma. Der Sohn ... sei gelernter Reisekaufmann. Zur Zeit sei er bei der Bundeswehr. Im September 1978 habe er den Verdacht gehabt, daß die Antragsgegnerin nicht allein in Urlaub gefahren sei. Er sei zu ihren Eltern gefahren, die aber angeblich von nichts gewußt hätten. In seiner Erregung habe er dort gesagt, er werde die beiden umlegen, wenn sie zurückkämen. Es sei richtig, daß er sich jeden Abend in der Gastwirtschaft ... aufgehalten habe. Es sei auch richtig, daß die Antragsgegnerin ihm deshalb häufig Vorhaltungen gemacht habe. Schon etwa ein Jahr vor der Trennung habe er den Verdacht gehabt, daß sie engeren Kontakt zu dem Zeugen ... aufgenommen habe.

Gründe

Die Berufung des Antragstellers erwies sich als begründet. Die Antragsgegnerin hat keinen Anspruch auf nachehelichen Unterhalt, weil die Verpflichtung des Antragstellers zu Unterhaltsleistungen grob unbillig wäre i.S. von § 1579 Abs. 1 Nr. 4 BGB. Die angefochtene Entscheidung war demzufolge abzuändern und der auf Unterhalt gerichtete Antrag der Antragsgegnerin abzuweisen.

Mit dem Bundesgerichtshof (FamRZ 1979, 569 und 571; 1980, 665ff.) geht der Senat davon aus, daß der Wegfall des Verschuldensprinzips im Scheidungsrecht es nicht ausschließt, im Rahmen der Billigkeitsregelung des § 1579 Abs. 1 Nr. 4 BGB ein schwerwiegendes Fehlverhalten des Unterhalt beanspruchenden Ehegatten zu berücksichtigen. Ein solches Fehlverhalten, das in seiner Gewichtigkeit den in § 1579 Abs. 1 Nr. 1 bis 3 BGB angeführten Tatbeständen gleichzusetzen ist, muß hier darin gesehen werden, daß die Antragsgegnerin unmittelbar vor der Trennung von dem Antragsteller einen gemeinsamen Urlaub mit dem Zeugen ... verlebt hat und seit der sich an den Urlaub anschließenden Trennung mit dem Zeugen ... in Wohngemeinschaft zusammenlebt. Unter diesen Umständen kann es dem Antragsteller nicht zugemutet werden, seinerseits für den Unterhalt der Antragsgegnerin aufzukommen, also insoweit noch seinen auf der Ehe mit der Antragsgegnerin beruhenden Pflichten nachzukommen, während diese selbst sich absolut von der Ehe abgekehrt hat und mit einem anderen Manne zusammenlebt (BGH FamRZ 80, 666f.). Die Feststellung, daß die Inanspruchnahme des Antragstellers grob unbillig wäre, wird von dem vom Senat als wahr unterstellten Vorbringen der Antragsgegnerin, daß zwischen ihr und dem Zeugen ... geschlechtliche Beziehungen weder bestanden haben noch bestehen, nicht berührt. Denn daß zwischen der Antragsgegnerin und dem Zeugen ... ein enges persönliches Verhältnis besteht, das nach seiner Entstehung dem langfristigen Fortbestand und der Art seiner tatsächlichen Vollziehung grob ehewidrig ist, auch wenn - aus welchen Gründen immer - eine Geschlechtsgemeinschaft nicht besteht, kann nicht zweifelhaft sein. Auch wenn die Abkehr von der Ehe und gleichzeitige Zuwendung zu einem anderen Partner geschlechtliche Kontakte nicht beinhaltet, die neue Verbindung aber ansonsten ganz das Bild eines wie Eheleute zusammenlebenden Paares bietet, wie es hier der Fall ist, bleibt die Unterhaltsforderung des sich so verhaltenden Ehegatten zur Überzeugung des Senats im Verhältnis zu dem anderen Ehegatten grob unbillig i.S. der genannten Vorschrift, so daß es bei der Verurteilung des Antragstellers zu Unterhaltsleistungen nicht verbleiben konnte. Auf die Frage der der Trennung vorausgehenden Zerrüttung der Ehe und ihrer Verursachung kam es dabei nicht mehr an (BGH a.a.O.).

Beiläufig sei vermerkt, daß die Antragsgegnerin, auch wenn ein Unterhaltsanspruch dem Grunde nach bejaht werden könnte, schwerlich als bedürftig angesehen werden könnte. Sie dürfte sich nämlich entgegenhalten lassen müssen, daß sie neben ihrem unstreitigen monatlichen Arbeitsverdienst von 628,85 DM netto durch die hausfrauliche Betreuung des Zeugen ... weiteres Einkommen hat oder zumindest haben könnte. Veranschlagt man die Betreuungsleistungen nach den ebenfalls in dem zitierten BGH-Urteil (FamRZ 80, 665ff.) niedergelegten Maßstäben in Anlehnung an den Rechtsgedanken des § 850h Abs. 2 ZPO mit monatlich 500,- DM, stünden ihr für ihren eigenen Unterhalt bereits 1.128,85 DM (628,85 DM zuzüglich 500,- DM) zur Verfügung. Andererseits hätte sie, wenn man die vom Amtsgericht ermittelten beiderseitigen Einkommen auch als Maßstab für die die Höhe des Unterhalts mitbestimmenden ehelichen Verhältnisse nimmt, einen Aufstockungsunterhaltsanspruch nur in Höhe von monatlich rd. 465,- DM, so daß sie mit ihrem eigenen Arbeitsverdienst von 628,85 DM nur auf 1.093,85 DM monatlich kommen könnte. Dabei errechnet sich der Betrag, von 465,- DM als 3/7-Anteil (Ziff. 30 der von den Familiensenaten des Oberlandesgerichts Hamm regelmäßig angewandten Leitlinien; FamRZ 1980, 21ff.) er Differenz von 1.083,15 DM zwischen dem monatlichen Arbeitsnettoeinkommen des Antragstellers (1.712,- DM) und dem entsprechenden Einkommen der Antragsgegnerin (628,85 DM) Ihre gegenwärtige Unterhaltssituation wäre also besser, als der Antragsteller sie zu schaffen als verpflichtet angesehen werden konnte.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 93a ZPO, die Entscheidung über die Zulassung der Revision auf § 546 Abs. 1 Nr. 1 ZPO.