BGH, Urteil vom 17.07.2012 - II ZR 55/11
Fundstelle
openJur 2012, 71779
  • Rkr:
Verfahrensgang
  • vorher: Az. 4 U 76/10

Die Wiederbestellung eines Vorstandsmitglieds für (höchstens) fünf Jahre nach einverständlicher Amtsniederlegung früher als ein Jahr vor Ablauf der ursprünglichen Bestelldauer ist grundsätzlich zulässig und stellt auch dann, wenn für diese Vorgehensweise keine besonderen Gründe gegeben sind, keine unzulässige Umgehung des § 84 Abs. 1 Satz 3 AktG dar.

Tenor

Auf die Revision der Beklagten wird das Urteil des 4. Zivilsenats des Pfälzischen Oberlandesgerichts Zweibrücken vom 3. Februar 2011 in der Fassung des Berichtigungsbeschlusses vom 29. März 2011 aufgehoben.

Die Berufung des Klägers gegen das Urteil der 2. Kammer für Handelssachen des Landgerichts Frankenthal (Pfalz) vom 22. April 2010 wird zurückgewiesen.

Die Kosten der Rechtsmittelverfahren werden dem Kläger auferlegt.

Von Rechts wegen.

Tatbestand

Der Kläger ist seit dem 21. August 2008 Mitglied des Aufsichtsrats der beklagten Aktiengesellschaft. Die Anteile an der Beklagten werden - teils mittelbar über eine Holding - von den beiden Familienstämmen E. H. und 1 B. H. gehalten. Zwischen den Stämmen gibt es erhebliche Spannungen.

Zu Mitgliedern des zunächst vierköpfigen Vorstands der Beklagten wurden im Jahr 2005 G. B. , der Schwiegersohn des B. H. , und im Jahr 2006 A. K. jeweils für die Zeit bis zum 21. Januar 2010 bestellt. Daneben gehörten dem Vorstand E. H. und K. J. an. Am 6. Juli 2007 beschloss der Aufsichtsrat, dessen Vorsitzender zu dieser Zeit B. H. war, einstimmig, die Bestellung der Vorstandsmitglieder B. und K. einvernehmlich aufzuheben und sie zugleich für die Dauer von fünf Jahren erneut zu Mitgliedern des Vorstands zu bestellen. Am selben Tag legte das Vorstandsmitglied J. sein Amt nieder. Am folgenden Tag fand eine Hauptversammlung der Beklagten statt, auf der ein neuer Aufsichtsrat gewählt wurde. In der Folgezeit scheiterte ein Versuch, die Vorstandsmitglieder B. und K. abzuberufen, an einer Pattsituation im neuen Aufsichtsrat.

Der Kläger hat beantragt festzustellen, dass die Beschlüsse des Aufsichtsrats vom 6. Juli 2007 über die einvernehmliche Aufhebung der Bestellungen der Vorstandsmitglieder B. und K. und ihre gleichzeitige Wiederbestellung nichtig sind.

Das Landgericht hat die Klage abgewiesen (LG Frankenthal, BB 2010, 1626). Das Berufungsgericht hat ihr stattgegeben (OLG Zweibrücken, ZIP 2011, 617). Dagegen wendet sich die Beklagte mit der vom Berufungsgericht zugelassenen Revision.

Gründe

Die Revision hat Erfolg und führt unter Aufhebung des Berufungsurteils zur Wiederherstellung des landgerichtlichen Urteils.

I. Das Berufungsgericht hat seine Entscheidung im Wesentlichen wie folgt begründet:

Die Feststellungsklage sei zulässig. Insbesondere habe der Kläger ein Rechtsschutzbedürfnis, obwohl er zum Zeitpunkt der Beschlussfassung noch nicht Mitglied des Aufsichtsrats gewesen sei. Die Klage sei auch begründet. Die Neubestellung eines Vorstandsmitglieds früher als ein Jahr vor Ablauf der ursprünglichen Amtszeit sei eine unzulässige Umgehung des Verbots in § 84 Abs. 1 Satz 3 AktG und damit nach § 134 BGB nichtig. Jedenfalls aber sei die Zulässigkeit dieses Vorgehens auf eng begrenzte Ausnahmefälle beschränkt, etwa auf den Fall, dass ein Vorstandsmitglied ein Angebot von dritter Seite erhalte und daher auszuscheiden drohe. Derartige Umstände seien nicht nachgewiesen. Insbesondere habe die Beweisaufnahme vor dem Landgericht nicht ergeben, dass tatsächlich konkret eine Abwanderung der Vorstandsmitglieder B. und K. zu befürchten gewesen sei.

II. Diese Ausführungen sind nicht frei von Rechtsfehlern. Die Klage ist auf der Grundlage der rechtsfehlerfrei getroffenen Feststellungen zulässig, entgegen der Auffassung des Berufungsgerichts aber unbegründet.

1. Die Klage ist zulässig.

a) Das Berufungsgericht hat richtig gesehen, dass die Klärung der Fehlerhaftigkeit von Aufsichtsratsbeschlüssen nicht den einschränkenden Vorschriften der §§ 241 ff. AktG unterliegt, sondern ein verfahrensrechtlich unter Verletzung zwingenden Gesetzes- oder Satzungsrechts zustande gekommener oder 5 ein inhaltlich gegen derartiges Recht verstoßender Beschluss des Aufsichtsrats nichtig ist und diese Nichtigkeit mit der gegen die Gesellschaft gerichteten Feststellungsklage nach § 256 Abs. 1 ZPO geltend gemacht werden kann (BGH, Urteil vom 17. Mai 1993 - II ZR 89/92, BGHZ 122, 342, 347 ff.; Urteil vom 21. April 1997 - II ZR 175/95, BGHZ 135, 244, 247). Das wird von der Revision nicht in Frage gestellt.

b) Ebenfalls zutreffend hat das Berufungsgericht ein Rechtsschutzinteresse des Klägers im Sinne des § 256 Abs. 1 ZPO angenommen.

Ein Aufsichtsratsmitglied hat kraft seiner Organstellung ein rechtliches Interesse an der Feststellung, dass die im Aufsichtsrat gefassten Beschlüsse wirksam sind. Das gilt sowohl für Beschlüsse, an denen das Aufsichtsratsmitglied selbst mitgewirkt hat und bei denen es überstimmt worden ist (BGH, Urteil vom 25. Februar 1982 - II ZR 102/81, BGHZ 83, 144, 146; Urteil vom 21. April 1997 - II ZR 175/95, BGHZ 135, 244, 248), als auch für Beschlüsse, die - wie hier - schon vor der Amtszeit des Aufsichtsratsmitglieds gefasst worden sind, aber noch während seiner Amtszeit Wirkung entfalten. Denn die Verantwortung für ein gesetz- und satzungsmäßiges Handeln der Organe der Gesellschaft bezieht sich auch auf derartige Beschlüsse. Gerade von einem neu in den Aufsichtsrat berufenen Mitglied kann nicht erwartet werden, dass es sich mit nichtigen Beschlüssen abfindet, nur weil sie vor seiner Amtszeit gefasst worden sind.

2. Die Klage ist unbegründet.

Der Beschluss über die einvernehmliche Aufhebung der Bestellungen der Vorstandsmitglieder B. und K. und ihre gleichzeitige (Wieder-)Be- stellung ist entgegen der Auffassung des Berufungsgerichts nicht wegen Verstoßes gegen § 84 Abs. 1 Satz 3 AktG nichtig. 11 a) Nach § 84 Abs. 1 Satz 3 AktG ist eine Verlängerung der nach Satz 1 der Vorschrift höchstens fünfjährigen Bestellung, die nach Satz 2 für höchstens fünf Jahre wiederholt oder verlängert werden kann, nur durch einen Aufsichtsratsbeschluss möglich, der frühestens ein Jahr vor Ablauf der bisherigen Amtszeit gefasst werden kann. Der Aufsichtsrat der Beklagten hat mit seinem Beschluss vom 6. Juli 2007 die Regelung des § 84 Abs. 1 Satz 3 AktG dem Wortlaut nach beachtet.

aa) Durch die einvernehmliche Aufhebung der Bestellung der Vorstandsmitglieder B. und K. ist deren "bisherige Amtszeit" im Sinne des § 84 Abs. 1 Satz 3 AktG beendet worden. Die sich daran anschließende (wiederholte) Bestellung war demnach nicht früher als ein Jahr vor Ablauf der bisherigen Amtszeit beschlossen worden.

bb) Soweit die Revisionserwiderung meint, ein unmittelbarer Verstoß gegen § 84 Abs. 1 Satz 3 AktG liege schon deshalb vor, weil die "einvernehmliche" Aufhebung der ursprünglichen Bestellung vor der Neubestellung nicht wirksam erfolgt sei, kann dem nicht gefolgt werden. Die Revisionserwiderung will ihre Auffassung, die "einvernehmliche" Aufhebung sei unwirksam, darauf stützen, dass die Vorstandsmitglieder B. und K. bei der Beschlussfassung im Aufsichtsrat nicht anwesend gewesen seien, sondern von dem Beschluss erst nachträglich Kenntnis genommen hätten. Da sie zuvor ihr Einverständnis mit diesem Vorgehen nicht erklärt hätten, fehle es an einer einverständlichen Aufhebung der Bestellung zum Zeitpunkt der Wiederbestellung. Die Wiederbestellung sei deshalb als einseitige Verlängerung der ursprünglichen Amtszeit über fünf Jahre hinaus zu werten, was nur unter Beachtung der Frist des § 84 Abs. 1 Satz 3 AktG habe geschehen können.

Mit dieser Sichtweise verkennt die Revisionserwiderung, dass der Beschluss des Aufsichtsrats der Beklagten erkennbar nur insoweit gelten sollte, als die beiden Vorstandsmitglieder auch tatsächlich an der einvernehmlichen Aufhebung der ursprünglichen Bestellung mitgewirkt hatten oder noch mitwirken würden. Nach den Feststellungen des Berufungsgerichts kann aber kein Zweifel daran bestehen, dass die Vorstandsmitglieder jedenfalls nachträglich und in engem zeitlichem Zusammenhang mit der Aufhebung ihrer Bestellung einverstanden waren. Da nach dem Inhalt des Aufsichtsratsbeschlusses folglich die Neubestellung von dem vorherigen Wirksamwerden der (einvernehmlichen) Aufhebung der bisherigen Bestellung abhängig sein sollte, ist es unerheblich, ob die Vorstandsmitglieder B. und K. ihr Einverständnis mit der Aufhebung der bisherigen Bestellung erst nach der Beschlussfassung des Aufsichtsrats erklärt haben.

b) Die einvernehmliche Aufhebung der Bestellung verbunden mit der Wiederbestellung der Vorstandsmitglieder für fünf Jahre früher als ein Jahr vor Ablauf der ursprünglichen Bestellung stellt entgegen der Auffassung des Berufungsgerichts auch keine unzulässige Umgehung des Verbots in § 84 Abs. 1 Satz 3 AktG dar.

aa) Diese Vorgehensweise wird in Rechtsprechung und Schrifttum allerdings unterschiedlich beurteilt. Teils wird darin ein Verstoß gegen § 84 Abs. 1 AktG oder jedenfalls eine unzulässige Gesetzesumgehung gesehen (AG Duisburg, NZI 2008, 621, 622; Mertens in Kölner KommAktG, 2. Aufl., § 84 Rn. 18; Mertens/Cahn in KK-AktG, 3. Aufl., § 84 Rn. 23; Götz, AG 2002, 305, 306; Kort in GroßKommAktG, 4. Aufl., § 84 Rn. 114; MünchKomm-AktG/Spindler, 3. Aufl., § 84 Rn. 44; Thüsing in Fleischer, Handbuch Vorstandsrecht, § 4 Rn. 43; Peltzer in Semler/Peltzer, Arbeitshandbuch für Vorstandsmitglieder, § 2 Rn. 87 ff.; Liebscher in Beck'sches Handbuch der AG, 2. Aufl., § 6 18 Rn. 28). Andere Autoren halten einen solchen Bestellungsbeschluss für zulässig (Hefermehl in Geßler/Hefermehl, AktG, § 84 Rn. 28; Willemer, AG 1977, 131 ff.; Hölters/Weber, AG 2005, 629, 631 f.; Fastrich in Festschrift Buchner, 2009, S. 209, 217 f.; Fleischer, DB 2011, 861, 863 ff.; Seibt in K. Schmidt/Lutter, AktG, 2. Aufl., § 84 Rn. 16; Bauer/Arnold, DB 2006, 260, 261; Happ, Aktienrecht, 3. Aufl., 8.03 Rn. 4; Oltmanns in Heidel, Aktienrecht, 3. Aufl., § 84 Rn. 7; Wiesner in MünchHdbAG, 3. Aufl., § 20 Rn. 32; Mutter in Marsch-Barner/Schäfer, Handbuch börsennotierte AG, 2. Aufl., § 19 Rn. 76 f.; Frodermann/Schäfer in Henn/Frodermann/Jannot, Handbuch des Aktienrechts, 8. Aufl., Abschn. 7 Rn. 53; Bosse/Hinderer, NZG 2011, 605, 607; Selter, NZG 2011, 897, 898 f.; Wilsing/Meyer, GWR 2011, 182; Paul, EWiR 2011, 297). Wieder andere erachten diese Vorgehensweise unter Hinweis auf Nr. 5.1.2 des Deutschen Corporate Governance Kodex (DCGK) nur bei Vorliegen besonderer Gründe für unbedenklich (Dauner-Lieb in Henssler/Strohn, Gesellschaftsrecht, AktG § 84 Rn. 12; Hüffer, AktG, 10. Aufl., § 84 Rn. 7; Bürgers/Israel in Bürgers/Körber, AktG, 2. Aufl., § 84 Rn. 11; Lutter/Krieger, Rechte und Pflichten des Aufsichtsrats, 5. Aufl., Rn. 358; Fonk in Arbeitshandbuch für Aufsichtsratsmitglieder, 3. Aufl., § 9 Rn. 51; wohl auch Eckert in Wachter, Aktiengesetz, § 84 Rn. 10).

bb) Die Wiederbestellung eines Vorstandsmitglieds für (höchstens) fünf Jahre nach einverständlicher Amtsniederlegung früher als ein Jahr vor Ablauf der ursprünglichen Bestelldauer ist grundsätzlich zulässig und stellt auch dann, wenn für diese Vorgehensweise keine besonderen Gründe gegeben sind, keine unzulässige Umgehung des § 84 Abs. 1 Satz 3 AktG dar.

Eine - unzulässige - Gesetzesumgehung liegt dann vor, wenn der Zweck einer zwingenden Rechtsnorm dadurch vereitelt wird, dass andere rechtliche Gestaltungsmöglichkeiten missbräuchlich verwendet werden (BAG, ZIP 2009, 21 2073, 2076). Diese Voraussetzungen sind hier in Bezug auf § 84 Abs. 1 Satz 3 AktG nicht erfüllt.

(1) Aus der Entstehungsgeschichte der Norm ergeben sich keine Gründe gegen eine Neubestellung auf fünf Jahre nach einverständlicher Amtsniederlegung.

Die Bestellung der Vorstandsmitglieder ist erstmals durch § 75 Abs. 1 AktG vom 30. Januar 1937 (RGBl. I S. 107) auf die Höchstdauer von fünf Jahren begrenzt worden. Dort fehlte noch eine Regelung über die Verlängerung der Bestellung (jetzt § 84 Abs. 1 Satz 2 AktG). Deshalb entstand Streit über die Frage, ob bei einer Bestellung auf die Dauer von fünf Jahren die Vereinbarung einer automatisch wirkenden Verlängerungsklausel nach Ablauf von fünf Jahren zulässig war. Der Bundesgerichtshof hat das wegen des Zwecks des § 75 Abs. 1 AktG aF, den Aufsichtsrat alle fünf Jahre dazu zu veranlassen, sich in einer verantwortlichen Beratung über die Weiterbeschäftigung des Vorstandsmitglieds schlüssig zu werden, verneint (BGH, Urteil vom 11. Juli 1953 - II ZR 126/52, BGHZ 10, 187, 194 f.). Diese Rechtsprechung hat der Gesetzgeber bei der Aktienrechtsreform 1965, durch die § 84 Abs. 1 AktG in seiner heutigen Fassung geschaffen wurde, aufgegriffen. Dazu heißt es in der amtlichen Begründung des Regierungsentwurfs (bei Kropff, AktG 1965, S. 105):

Der Entwurf schließt sich dieser Ansicht an ... Der somit in jedem Falle erforderliche Beschluss des Aufsichtsrats könnte allerdings bereits bei der ersten Bestellung in der Weise gefasst werden, dass der Aufsichtsrat bestimmt, das Vorstandsmitglied solle nach Ablauf von fünf Jahren im Amt bleiben, falls der Aufsichtsrat nicht vorher etwas anderes beschließe. Damit würde der Zweck der zeitlichen Begrenzung der Bestellung nicht erreicht werden. Deshalb bestimmt der Entwurf, dass der Aufsichtsrat über die erneute Bestellung oder über die Verlängerung der Amtszeit frühestens ein Jahr vor Ablauf der bisherigen Amtszeit beschließen darf (Abs. 1 Satz 3).

Danach soll mit § 84 Abs. 1 Satz 3 AktG lediglich sichergestellt werden, dass der Aufsichtsrat zumindest alle fünf Jahre einen Beschluss über die wie-23 derholte Bestellung oder Verlängerung der Amtszeit der Vorstandsmitglieder fasst. Die hier zu beurteilende Wiederbestellung für fünf Jahre nach einverständlicher Amtsniederlegung widerspricht dem nicht.

(2) Auch der Sinn und Zweck des Gesetzes im Übrigen steht diesem Vorgehen nicht entgegen.

Mit § 84 Abs. 1 Satz 1 bis 3 AktG soll verhindert werden, dass sich die Aktiengesellschaft länger als fünf Jahre an ein Vorstandsmitglied bindet und dadurch wirtschaftlich untragbare Belastungen entstehen können. Der Aufsichtsrat soll spätestens nach fünf Jahren die Möglichkeit haben, sich von dem Vorstandsmitglied ohne einen wichtigen Grund im Sinne des § 84 Abs. 3 AktG und ohne eine Abfindung zu trennen. Als weiterer Zweck gerade des § 84 Abs. 1 Satz 3 AktG kommt hinzu, dass der Aufsichtsrat spätestens alle fünf Jahre gezwungen sein soll, sich in einer verantwortlichen Beratung über die Weiterbeschäftigung des Vorstandsmitglieds schlüssig zu werden (BGH, Urteil vom 11. Juli 1953 - II ZR 126/52, BGHZ 10, 187, 194 f.).

Dieser Gesetzzweck wird durch die vorliegende Fallgestaltung weder vereitelt noch auch nur beeinträchtigt (zum vergleichbaren Gesetzeszweck des § 26 Abs. 2 WEG bei der Verlängerung der Bestellung eines Wohnungseigentumsverwalters vgl. BGH, Beschluss vom 23. Februar 1995 - III ZR 65/94, NJW-RR 1995, 780 f.). Indem das Vorstandsmitglied nach Amtsniederlegung ab diesem Zeitpunkt für fünf Jahre neu bestellt wird, ist die Bindungsfrist sogar noch kürzer, als es die gesetzliche Regelung für den Fall, dass die bisherige Bestellung nicht vorzeitig endet, als äußerste Grenze zulässt. Danach kann sich der Aufsichtsrat, wenn er über eine fünfjährige Verlängerung ein Jahr vor Ablauf der Amtszeit befindet, sogar für sechs Jahre binden. Auch findet eine verantwortliche Beratung und Beschlussfassung über die Neubestellung statt. Der Auf-26 sichtsrat fasst genauso einen Beschluss, wie er es nach der gesetzlichen Regelung im letzten Jahr der laufenden Amtszeit des Vorstandsmitglieds tun würde. Wenn die Neubestellung nach Amtsniederlegung schon kurze Zeit nach Amtsantritt des Vorstandsmitglieds beschlossen wird, mögen zwar die Möglichkeiten des Aufsichtsrats, das Vorstandsmitglied sachgerecht zu beurteilen, noch eingeschränkt sein. Sie sind aber jedenfalls besser als bei der erstmaligen Bestellung, bei der sich der Aufsichtsrat auch auf fünf Jahre binden darf. Im Übrigen hat der Aufsichtsrat, der ein Vorstandsmitglied zulässigerweise zunächst auf nur ein Jahr bestellt und während dieses Jahres - im Einklang mit § 84 Abs. 1 Satz 3 AktG - über eine Verlängerung der Bestellung beschließt, ebenfalls nicht die Möglichkeit, die Eignung des Vorstandsmitglieds durch eine Beobachtung seiner Amtstätigkeit über einen längeren Zeitraum zu beurteilen.

Unbegründet ist der Einwand, durch eine Neubestellung schon früher als ein Jahr vor Ablauf der ursprünglichen Amtszeit habe der Aufsichtsrat in unzulässiger Weise die Möglichkeit, einen künftigen Aufsichtsrat für fünf Jahre an den Vorstand zu binden (Mertens/Cahn in KK-AktG, 3. Aufl., § 84 Rn. 23; Liebscher in Beck'sches Handbuch der AG, 2. Aufl., § 6 Rn. 28). Nach der gesetzlichen Regelung kann ein neuer Aufsichtsrat sogar für sechs Jahre an die Vorstandsbestellung gebunden sein, wenn die Jahresfrist des § 84 Abs. 1 Satz 3 AktG kurz vor Ende der Amtszeit des alten Aufsichtsrats beginnt und dieser Aufsichtsrat eine Verlängerung der Bestellung des Vorstandsmitglieds beschließt. Ein Unterschied besteht zwar darin, dass der Aufsichtsrat bei einer Amtsniederlegung die Neubestellung unabhängig von dem Beginn der Jahresfrist vornehmen kann. Darauf kann es jedoch nicht ankommen, weil der (neue) Aufsichtsrat kein Recht hat, über die Verlängerung der Amtszeit eines Vorstandsmitglieds früher als ein Jahr vor Ablauf der laufenden Amtszeit zu entscheiden. Er muss vielmehr den Vorstand so akzeptieren, wie ihn der alte Aufsichtsrat bestellt hat. 29 c) Die Beschlüsse über die einvernehmliche Amtsniederlegung und Wiederbestellung der Vorstandsmitglieder B. und K. sind auch nicht wegen Rechtsmissbrauchs unwirksam.

aa) Der Aufsichtsrat kann von einem Recht, das ihm zusteht, im Einzelfall einen rechtsmissbräuchlichen Gebrauch machen. Bezieht sich der Rechtsmissbrauch auf eine Beschlussfassung, ist der betreffende Beschluss nichtig. Dieser allgemeine Grundsatz gilt auch in Bezug auf die vorzeitige einvernehmliche Amtsniederlegung und Neubestellung eines Vorstandsmitglieds für fünf Jahre (Fleischer, DB 2011, 861, 864; Fastrich in Festschrift H. Buchner, 2009, S. 209, 217 f.). Dabei kommt es nicht darauf an, ob der Aufsichtsrat für diesen Beschluss wichtige Gründe hat. Entscheidend ist vielmehr, ob er mit dem Beschluss - im Einvernehmen mit dem Vorstandsmitglied - Motive verfolgt, die sich vor dem Hintergrund seiner Treuepflicht der Gesellschaft gegenüber als rechtsmissbräuchlich erweisen.

bb) Dass hier solche Motive vorlägen, hat das Berufungsgericht nicht festgestellt. Die Revisionserwiderung zeigt auch keine Anhaltspunkte im Vortrag der Parteien auf, aus denen sich ergeben könnte, dass der angegriffene Beschluss rechtsmissbräuchlich zustande gekommen wäre. Dagegen spricht schon der Umstand, dass der Beschluss von den Mitgliedern des Aufsichtsrats - mit Ausnahme des erkrankten Aufsichtsratsmitglieds G. Ba. - einstimmig gefasst worden ist. Obwohl der sechsköpfige Aufsichtsrat von den Familienstämmen B. und E. H. paritätisch besetzt war, hat sich der Streit dieser Stämme auf die angefochtene Entscheidung des Aufsichtsrats nicht ausgewirkt. Die Annahme des Berufungsgerichts, die Verlängerungsbeschlüsse beruhten offenkundig nicht auf sachlichen Erwägungen, sondern seien vor dem Hintergrund der Streitigkeiten zwischen den Familienstämmen gefasst worden, um für den am nächsten Tag von der Hauptversammlung zu wählen-30 den neuen Aufsichtsrat "vollendete Tatsachen" zu schaffen, reicht für einen Rechtsmissbrauch nicht aus.

Bergmann Strohn Caliebe Reichart Sunder Vorinstanzen:

LG Frankenthal, Entscheidung vom 22.04.2010 - 2 HKO 89/09 -

OLG Zweibrücken, Entscheidung vom 03.02.2011 - 4 U 76/10 -