KG, Beschluss vom 05.04.2012 - 4 VAs 14/12
Fundstelle
openJur 2012, 71737
  • Rkr:

1. Voraussetzung für die Zulässigkeit eines Antrags auf Erlass einer einstweiligen Anordnung ist die Dringlichkeit des Begehrens. Ein Anordnungsgrund, der konkret darzulegen ist, fehlt, wenn der Antragsteller nach Eintritt der Gefährdung seines Rechts lange Zeit mit seinem Antrag zugewartet oder das Verfügungsverfahren nicht zügig betrieben hat und dadurch seine Behauptung, es handle sich um eine dringende Angelegenheit, widerlegt hat.

2. Gegen Mitteilungen der Staatsanwaltschaft an das Kraftfahrtbundesamt ist der Antrag nach § 22 Abs. 1 Satz 1 i.V.m. § 23 Abs. 1 EGGVG statthaft. Ein Beschwerdeverfahren (§ 24 Abs. 2 EGGVG) ist nicht durchzuführen, da die Mitteilung keine Entscheidung oder Anordnung der Vollstreckungsbehörde darstellt.

3. § 28 Abs. 3 Nr. 1 StVG bestimmt, dass lediglich Daten über im Zusammenhang mit dem Straßenverkehr begangene Straftaten gespeichert werden dürfen. Der Begriff des Zusammenhangs entspricht dem der §§ 44 Abs. 1, 69 Abs. 1 StGB.

Tenor

1. Der Antrag des Betroffenen auf Erlass einer einstweiligen Anordnung gegen die Mitteilung der Staatsanwaltschaft Berlin vom 31. Oktober 2011 wird als unzulässig verworfen.

2. Der Antragsteller hat die Kosten des Verfahrens zu tragen (§ 30 Abs. 1 Satz 1 EGGVG, § 130 Abs. 1 KostO).

3. Der Geschäftswert wird auf 3.000 EUR festgesetzt (§ 30 Abs. 3 Satz 1 EGGVG, § 30 Abs. 3, Abs. 2 Satz 1 KostO).

Gründe

I.

Mit Urteil vom 17. Februar 2011 hat das Amtsgericht Tiergarten in Berlin gegen den Antragsteller wegen Beleidigung in zwei Fällen eine Gesamtgeldstrafe in Höhe von 45 Tagessätzen zu je 50 Euro festgesetzt. Seine Berufung hat das Landgericht Berlin mit der Maßgabe verworfen, dass er zu einer Gesamtgeldstrafe in Höhe von 35 Tagessätzen zu je 50 Euro verurteilt worden ist. Das Urteil ist seit dem 23. August 2011 rechtskräftig. Die Berufungskammer hat festgestellt, dass der bei der Berliner Verkehrsgesellschaft als Busfahrer angestellte Betroffene am 24. Oktober 2008 um 14:43 Uhr und einige Zeit später einen anderen Verkehrsteilnehmer durch Gesten und Worte beleidigte, während er einen BVG-Linienbus führte. Mit Verfügung vom 31. Oktober 2011 hat die Staatsanwaltschaft Berlin als Vollstreckungsbehörde dem Kraftfahrtbundesamt neben den weiteren, im formalisierten Mitteilungsverfahren vorgesehenen Informationen mitgeteilt, dass der vormals Angeklagte rechtskräftig wegen Beleidigung in zwei Fällen (§§ 185, 53 StGB), die er als Führer eines Kraftomnibusses begangen habe, zu einer Gesamtgeldstrafe verurteilt worden sei. Die aufgrund dieser Mitteilung erfolgte Eintragung von zehn Punkten im Verkehrszentralregister nahm das Landesamt für Bürger- und Ordnungsangelegenheiten Berlin zum Anlass, den Betroffenen mit Bescheid vom 16. November 2011 zu verwarnen. Mit an eine Strafvollstreckungskammer des Landgerichts Berlin adressiertem Schriftsatz seiner vormaligen Verteidigerin vom 23. November 2011 hat der Betroffene unter Hinweis auf den möglichen Verlust seiner Berechtigung zur Personenbeförderung um eine korrigierte Mitteilung an das Kraftfahrtbundesamt des Inhalts gebeten, dass er „wegen Beleidigung“ verurteilt worden sei.

Mit am 5. März 2012 eingegangenem Schriftsatz hat der Betroffene den Erlass einer einstweiligen Verfügung begehrt. Er hat beantragt, die Mitteilung der Staatsanwaltschaft vom 31. Oktober 2011 dahingehend abzuändern, dass er „wegen Beleidigung nur zu einer Gesamtgeldstrafe verurteilt“ worden sei. Hilfsweise hat er begehrt, die Staatsanwaltschaft zu verpflichten, die angefochtene Verfügung zurückzunehmen. Wegen der Einzelheiten nimmt der Senat auf die Antragsschrift vom 2. März 2012 Bezug.

II.

1. Der Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung ist unzulässig.

a) Der Rechtsweg nach den §§ 23 ff. EGGVG ist gegen eine gemäß §§ 28 Abs. 3 Nr. 1 und Abs. 4 StVG, 13 Abs. 1 Nr. 1 EGGVG ergangene Mitteilung der Staatsanwaltschaft an das Kraftfahrtbundesamt eröffnet (§ 22 Abs. 1 Satz 1 EGGVG; vgl. OLG Stuttgart, Beschluss vom 5. Februar 2008 – 4 VAs 1/08 – = NStZ-RR 2008, 214; Thüringer OLG, Beschluss vom 9. September 2008 – 1 VAs 6/08 – = VRS 115, 439 – 2008 - ).

Offen bleiben kann, ob dem Erlass einer einstweiligen Anordnung entgegen steht, dass die §§ 23 ff. EGGVG – anders als § 123 VwGO oder § 935 ZPO - einstweiligen Rechtsschutz nicht vorsehen, oder ob dies deswegen nicht der Fall ist, weil Art. 19 Abs. 4 GG in Ausnahmefällen dann vorläufigen gerichtlichen Schutz erfordern kann, wenn ohne einen solchen schwere und unzumutbare, anders nicht abwendbare Nachteile entstünden, deren nachträgliche Beseitigung die Entscheidung in der Hauptsache nicht mehr herbeiführen könnte (vgl. Schoreit in Karlsruher Kommentar zur StPO, 6. Aufl., EGGVG § 28, Rn. 24, m.w.Nachw.).

Ebenso kann dahinstehen, ob der Antrag unzulässig ist, weil es an der Vorläufigkeit der begehrten Maßnahme fehlt und eine – hinsichtlich des Haupt- oder des Hilfsantrags – antragsgemäße Eilentscheidung die Entscheidung in der Hauptsache vorwegnehmen würde (vgl. dazu OLG Karlsruhe, Beschluss vom 11. November 1993 – 2 VAs 23/93 - = NStZ 1994, 142; Meyer-Goßner, StPO, 54. Aufl., EGGVG § 28, Rdn. 13; jeweils m.w.Nachw.).

b) Denn es fehlt bereits an der Dringlichkeit des Begehrens, die – wie auch im Verwaltungs- und Zivilprozess – unabdingbare Voraussetzung für die Zulässigkeit eines Eilantrags ist, denn eine im Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes begehrte Entscheidung setzt ihrer Rechtsnatur nach eine eilbedürftige Angelegenheit voraus. Insofern gelten im Verfahren nach den §§ 23 ff. EGGVG keine anderen Rechtsgrundsätze als im Verwaltungsverfahren (z.B. § 123 VwGO) und im Zivilprozess (z.B. §§ 935 ff. ZPO). Abgesehen davon, dass der Betroffene den Anordnungsgrund schon nicht ausreichend konkret dargelegt hat – er hat ohne zeitliche Präzisierung lediglich auf „die nun anstehende Verlängerung der Erlaubnis zur Personenbeförderung“ hingewiesen -, hat er die Annahme einer Dringlichkeit durch sein eigenes Verhalten ausgeschlossen. Wie im allgemeinen Zivilprozess (vgl. KG, Urteil vom 9. Februar 2001 – 5 U 9667/00 - = NJW-RR 2001, 1201) gilt der Grundsatz, dass ein Anordnungsgrund fehlt, wenn der Antragsteller nach Eintritt der Gefährdung seines Rechts lange Zeit mit seinem Antrag zugewartet oder das Verfügungsverfahren nicht zügig betrieben hat (vgl. Huber in Museliak, ZPO, 9. Aufl., § 935, Rdn. 13 und § 940, Rdn. 4). Der Betroffene hat seine Behauptung, es handle sich um eine dringende Angelegenheit, dadurch widerlegt, dass er nach der Entstehung des dargelegten Regelungsbedürfnisses im November 2011 ohne ersichtlichen Grund mehr als drei Monate gewartet hat, bevor er die einstweilige Verfügung beantragt hat. Aus dem als Anlage K 6 eingereichten Schriftsatz seiner vormaligen Verteidigerin geht hervor, dass er spätestens am 23. November 2011 Kenntnis von der angefochtenen Mitteilung der Staatsanwaltschaft und deren erster Konsequenz, dem Bescheid des Landesamtes für Bürger- und Ordnungsangelegenheiten vom 16. November 2011 (Anlage K 5), erlangt und seitdem für den Fall einer Nichtabänderung der Mitteilung an das Kraftfahrtbundesamt berufliche Nachteile befürchtet hat. Bereits zu diesem frühen Zeitpunkt hätte er um einstweiligen Rechtsschutz ersuchen können. Stattdessen hat er bis März 2012 gewartet, bevor er einen Antrag auf gerichtliche Entscheidung gestellt hat, obwohl es sich bei der bevorstehenden Entscheidung über die Entziehung seines Personenbeförderungsscheins nicht um ein plötzliches Ereignis handelt, das den Betroffenen unerwartet getroffen hat, sondern um ein spätestens seit November vergangenen Jahres erwartetes Verfahren.

2. Der Senat weist vorsorglich darauf hin, dass ein im Hauptsacheverfahren gestellter Antrag auf gerichtliche Entscheidung unbegründet wäre.

a) Der Antrag wäre nach § 22 Abs. 1 Satz 1 i.V.m. § 23 Abs. 1 EGGVG statthaft und auch ansonsten zulässig, denn die Durchführung des Beschwerdeverfahrens gemäß § 24 Abs. 2 EGGVG wäre nicht erforderlich gewesen, da Mitteilungen der Staatsanwaltschaft an das Kraftfahrtbundesamt keine Entscheidung oder Anordnung der Vollstreckungsbehörde darstellen (vgl. OLG Stuttgart, a.a.O.). Die Ausschlussfrist nach § 26 Abs. 1 EGGVG hat nicht begonnen, da die angefochtene Verfügung dem Betroffenen nicht zugestellt oder schriftlich bekannt gegeben worden ist.

Auch die Verweisung auf die gegen Maßnahmen des Empfängers der übermittelten Daten vorgesehene Verfahrensart gemäß § 22 Abs. 1 Satz 2 EGGVG greift nicht, da aufgrund der übermittelten Daten noch keine (anfechtbare) Entscheidung getroffen worden ist. Die Unterrichtung über den erreichten Punktestand und eine damit einhergehende Verwarnung gemäß § 4 Abs. 3 Satz 1 Nr. 1 StVG – wie der Bescheid vom 16. November 2011 – stellen keine Verwaltungsakte dar, weil sie lediglich eine Tatsachengrundlage zur Vorbereitung von Entscheidungen – hier betreffend den Personenbeförderungsschein – schaffen, selbst aber keine unmittelbaren Rechtsfolgen für den Betroffenen auslösen (vgl. BVerwG NJW 2007, 1299; NJW 1988, 87).

b) Eine abändernde Entscheidung nach § 28 Abs. 1 EGGVG wäre hingegen nicht veranlasst, weil die angefochtene Mitteilung rechtmäßig ergangen ist.

Entgegen der Ansicht des Verfahrensbevollmächtigten hat die angefochtene Mitteilung den Inhalt der Verurteilung zutreffend wiedergegeben. Die Berufungskammer des Landgerichts Berlin hat mit ihrem Urteil vom 26. April 2011 – wie dem Tenor und der rechtlichen Würdigung (UA Seite 7, Ziff. 4) unmissverständlich zu entnehmen ist - lediglich den Strafausspruch abgeändert, hingegen nicht den auf Beleidigung in zwei Fällen lautenden Schuldspruch. Diese Informationen, einschließlich der festgesetzten Gesamtgeldstrafe, hat die Staatsanwaltschaft nach Eintritt der Rechtskraft des Urteils korrekt weitergegeben. Die vom Antragsteller begehrte selektive Benachrichtigung lediglich über die geänderte Rechtsfolge bzw. falsche Mitteilung einer Verurteilung wegen nur einer Beleidigungstat hätte gegen die nach §§ 28 Abs. 3 Nr. 1 und Abs. 4 StVG, 13 Abs. 1 Nr. 1 EGGVG bestehende Verpflichtung der Vollstreckungsbehörde verstoßen, die Daten der Verurteilung vollständig und richtig mitzuteilen.

§ 28 Abs. 3 Nr. 1 StVG steht der Übermittlung der Daten auch nicht insoweit entgegen, als lediglich Daten über im Zusammenhang mit dem Straßenverkehr begangene Straftaten gespeichert werden dürfen. Der Begriff des Zusammenhangs entspricht dem der §§ 44 Abs. 1, 69 Abs. 1 StGB. Danach müssen zwischen Tat und dem Führen eines Kraftfahrzeugs eine funktionelle Verknüpfung gegeben und spezifische Belange der Verkehrssicherheit berührt sein (vgl. OLG Stuttgart, a.a.O.; Thüringer OLG, a.a.O.; Janker in Burmann/Heß/Janker, StVR, 22. Aufl., StVG § 28, Rdn. 5; jeweils m.w.Nachw.). Hierzu zählen insbesondere auch tätliche und verbale Auseinandersetzungen zwischen Verkehrsteilnehmern, wenn die Auseinandersetzung ihren Anlass in einem Streit über das Fahrverhalten der Beteiligten hat (vgl. Thüringer OLG, a.a.O.). Das ist der Fall. Anlass der – auch während der polizeilichen Anzeigenaufnahme gezeigten - Reaktionen des Betroffenen war die Beanstandung seines Verkehrsverhaltens durch den Geschädigten. Die fiktive Gleichstellung der zweiten Tat mit der Begehung einer vergleichbaren Tat anlässlich einer Vernehmung auf dem Polizeiabschnitt geht fehl und entkräftet die Annahme eines Zusammenhangs nicht, da der Antragsteller im Gegensatz dazu beide der Verurteilung zu Grunde liegende Beleidigungen beging, während er als Führer eines Linienbusses der BVG am Straßenverkehr teilnahm.

Soweit der Antragssteller schließlich vorgebracht hat, dass die Anzahl der eingetragenen Punkte überhöht sei, kann er in diesem Verfahren, welches ausschließlich die Mitteilung der Staatsanwaltschaft zum Gegenstand hat, kein Gehör finden, zumal die Punktevergabe nicht im Herrschaftsbereich der Vollstreckungsbehörde liegt.