VG Gelsenkirchen, Beschluss vom 26.04.2012 - 6 K 3656/11
Fundstelle
openJur 2012, 86218
  • Rkr:

1. Nach der Rechtsprechung des BVerfG hat jeder hochschulreife Bewerber um einen Studienplatz das verfassungskräftige Recht auf eine Auswahlentscheidung nach sachgerechten Kriterien, die ihm zumindest die Chance auf Verwirklichung seines Studienwunsches belässt.

2. Wenn diese Chance für eine große Gruppe von Bewerbern (allein) durch Einräumung einer Wartezeitquote gewährt wird, darf die für eine Zulassung zum Studium erforderliche Wartezeit die Dauer eines normalen Studiums nicht überschreiten; diese Grenze wird hinsichtlich des Medizinstudiums seit dem Sommersemester 2011 regelmäßig überschritten.

3. Aus der (zumindest teilweisen) Verfassungswidrigkeit des Auswahlverfahrens folgt allerdings kein unmittelbarer Zulassungsanspruch des Bewerbers, sondern eine Verpflichtung des Gesetzgebers zur Korrektur.

Tenor

Das Verfahren wird dem Bundesverfassungsgericht gemäß Art. 100 Abs. 1 GG, § 80 Abs. 1 BVerfGG zur Entscheidung über folgende Frage vorgelegt:

"Sind §§ 31, 32 Hochschulrahmengesetz in der Fassung des Siebten HRG-Änderungsgesetzes vom 28. August 2004 (BGBl. I S. 2298) sowie die Vorschriften zur Ratifizierung und Umsetzung des Staatsvertrages über die Errichtung einer gemeinsamen Einrichtung für Hochschulzulassung -

Baden-Württemberg: § 1 Gesetz zu dem Staatsvertrag über die Errichtung einer gemeinsamen Einrichtung für Hochschulzulassung vom 10. November 2009 (GBl. S. 663); §§ 1, 2, 2a Gesetz über die Zulassung zum Hochschulstudium in Baden-Württemberg, zuletzt geändert durch Gesetz vom 21. Dezember 2011 (GBl. S. 565, 568),

Bayern: Zustimmungsgesetz zum Staatsvertrag über die Errichtung einer gemeinsamen Einrichtung für Hochschulzulassung vom 22. April 2009 (GVBl. S. 186); Art. 7, 11 Gesetz über die Hochschulzulassung in Bayern, zuletzt geändert durch Gesetz vom 23. Februar 2011 (GVBl. S. 102),

Berlin: § 1 Gesetz zu dem Staatsvertrag über die Errichtung einer gemeinsamen Einrichtung für Hochschulzulassung vom 29. Oktober 2008 (GVBl. S. 310); §§ 8, 11 Berliner Hochschulzulassungsgesetz, zuletzt geändert durch Gesetz vom 20. Mai 2011 (GVBl. S. 194),

Brandenburg: § 1 Gesetz zu dem Staatsvertrag vom 5. Juni 2008 über die Errichtung einer gemeinsamen Einrichtung für Hochschulzulassung vom 3. Dezember 2008 (GVBl. I S. 310),

Bremen: Art. 1 Gesetz zu dem Staatsvertrag über die Errichtung einer gemeinsamen Einrichtung für Hochschulzulassung vom 16. Dezember 2008 (BremGBl. 2009, S. 15); §§ 3, 7 Bremisches Hochschulzulassungsgesetz, zuletzt geändert durch Gesetz vom 13. Dezember 2011 (BremGBl. 2012, S. 24),

Hamburg: Art. 1, 3, 4 Gesetz zum Staatsvertrag über die Errichtung einer gemeinsamen Einrichtung für Hochschulzulassung vom 17. Februar 2009 (HmbGVBl. 2009, S. 36), zuletzt geändert durch Gesetz vom 6. März 2012 (HmbGVBl. S. 132),

Hessen: §§ 1, 4, 7 Gesetz zum Staatsvertrag über die Errichtung einer gemeinsamen Einrichtung für Hochschulzulassung, zuletzt geändert durch Gesetz vom 21. November 2011 (GVBl. I S. 679),

Mecklenburg-Vorpommern: Art. 1 Gesetz zum Staatsvertrag über die Errichtung einer gemeinsamen Einrichtung für Hochschulzulassung sowie zur Änderung des Hochschulzulassungsgesetzes vom 11. März 2010 (GVBl. M-V, S. 164); §§ 4 und 6 Gesetz über die Zulassung zum Hochschulstudium in Mecklenburg-Vorpommern, zuletzt geändert durch Gesetz vom 16. Dezember 2010 (GVBl. M-V, S. 730, 758),

Niedersachsen: Ziffer (1) Gesetz zum Staatsvertrag über die Errichtung einer gemeinsamen Einrichtung für Hochschulzulassung vom 17. Februar 2010; §§ 8, 9 Niedersächsisches Hochschulzulassungsgesetz, zuletzt geändert durch Gesetz vom 29. Juni 2011 (Nds. GBl. S. 202),

Nordrhein-Westfalen: § 1 Gesetz zur Ratifizierung des Staatsvertrages über die Errichtung einer gemeinsamen Einrichtung für Hochschulzulassung vom 18. November 2008 (GVBl. NRW S. 710); §§ 2, 6 Hochschulzulassungsgesetz NRW, zuletzt geändert durch Gesetz vom 1. März 2011 (GVBl. NRW S. 165),

Rheinland-Pfalz: §§ 1, 4 Gesetz zu dem Staatsvertrag über die Errichtung einer gemeinsamen Einrichtung für Hochschulzulassung, zuletzt geändert durch Gesetz vom 20. Dezember 2011 (GVBl. S. 455),

Saarland: §§ 1, 3, 4 Gesetz Nr. 1666 zur Ratifizierung des Staatsvertrages über die Errichtung einer gemeinsamen Einrichtung für Hochschulzulassung vom 9. Dezember 2008 (ABl. S. 331),

Sachsen: Art. 1 Gesetz zum Staatsvertrag über die Errichtung einer gemeinsamen Einrichtung für Hochschulzulassung vom 16. April 2009 (SächsGVBl. S. 155); §§ 1, 3 Sächsisches Hochschulzulassungsgesetz, zuletzt geändert durch Gesetz vom 11. April 2011 (SächsGVBl. S. 115),

Sachsen-Anhalt: §§ 1 (Ratifizierung), 3a und 12 Hochschulzulassungsgesetz Sachsen-Anhalt, zuletzt geändert durch Gesetz vom 21. Dezember 2011 (GVBl. LSA S. 876),

Schleswig-Holstein: Art. 1 Gesetz zur Zustimmung zum Staatsvertrag über die Errichtung einer gemeinsamen Einrichtung für Hochschulzulassung vom 27. Juni 2008 (GVBl. S. 304), §§ 1, 3, 4 Zustimmungs- und Ausführungsgesetz zu dem Staatsvertrag über die Errichtung einer gemeinsamen Einrichtung für Hochschulzulassung, zuletzt geändert durch Gesetz vom 19. Juni 2009 (GVBl. S. 331),

Thüringen: § 1 Thüringer Gesetz zu dem Staatsvertrag über die Errichtung einer gemeinsamen Einrichtung für Hochschulzulassung vom 16. Dezember 2008 (GVBl. S. 20), §§ 9, 11 Thüringer Hochschulzulassungsgesetz, zuletzt geändert durch Gesetz vom 23. Mai 2011 (GVBl. S. 87) -

mit dem Grundgesetz vereinbar, soweit sie für den Studiengang Humanmedizin ein Vergabeverfahren vorsehen, bei dem - nach Abzug einiger Vorabquoten - 20% der Studienplätze allein nach dem Grad der Qualifikation, 60% der Studienplätze maßgeblich nach dem Grad der Qualifikation und 20% der Studienplätze nach Wartezeit vergeben werden und bei dem die für eine Zulassung in der Wartezeitquote erforderliche Anzahl an Wartesemestern regelmäßig die Dauer eines normalen Studiums übersteigt?"

Das Verfahren wird bis zur Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts ausgesetzt.

Gründe

I. Sachverhalt

Die Klägerin begehrt die Zulassung zum Studium der Humanmedizin.

Die Erstsemester-Studienplätze dieses Studiengangs werden teilweise von der Beklagten vergeben. Als Funktionsnachfolgerin der Zentralstelle für die Vergabe von Studienplätzen (ZVS) vergibt die Beklagte die Studienplätze der sog. "Vorabquoten" (Zweitstudienbewerber, Härtefälle etc.) sowie die Studienplätze der "Abiturbestenquote" und der "Wartezeitquote" (jeweils rund 20% der nach Abzug der Vorabquoten verbleibenden Studienplätze). Die übrigen Studienplätze (rund 60% der nach Abzug der Vorabquoten verbleibenden Studienplätze) werden von den Hochschulen selbst vergeben, die sich dabei allerdings in großem Umfang der Beklagten als Verwaltungshelferin bedienen.

1. Entwicklung des Vergabeverfahrens und der Auswahlgrenzen

Das zentrale Vergabeverfahren, in dem derzeit die Studienplätze der Studiengänge Human-, Zahn- und Tiermedizin sowie Pharmazie vergeben werden, wurde im Laufe der Zeit mehrfach grundlegenden Änderungen unterzogen. So wurden die Studienplätze nach der Errichtung der ZVS im Mai 1973 zunächst vor allem nach dem Grad der Qualifikation der Bewerber (GdQ), d. h. im Regelfall der Abiturnote, und nach Wartezeit vergeben. Nachdem sich die Auswahlgrenzen im Laufe der siebziger Jahre massiv verschärft hatten, wurde diese Verteilung zunächst durch eine Óbergangsregelung abgelöst, bei welcher unter anderem ein "leistungsgesteuertes Losverfahren" zum Einsatz kam. Ab dem Wintersemester 1986/87 wurde als wesentliches Auswahlkriterium der Test für medizinische Studiengänge (TMS) herangezogen, der jedoch Ende der neunziger Jahre (vorläufig) abgeschafft wurde. Auf der Grundlage des Vierten Gesetzes zur Änderung des Hochschulrahmengesetzes vom 20. August 1998 und des Vergabestaatsvertrages der Länder vom 24. Juni 1999 wurde zum Wintersemester 2000/01 ein neues System eingeführt. Nunmehr wurden die Studienplätze nur noch zu einem Teil von der ZVS vergeben; die übrigen Plätze wurden im "Auswahlverfahren der Hochschulen" (AdH) von diesen selbst vergeben. Dabei legten die Hochschulen unterschiedliche Auswahlkriterien an; (auch) im Auswahlverfahren der Hochschulen spielte indes, wie im Staatsvertrag vorgesehen, stets der Grad der Qualifikation eine wesentliche Rolle. Die Zusammensetzung der Hauptquoten änderte sich in den folgenden Jahren mehrfach. Waren ab dem Wintersemester 2000/01 noch 80 % der nach Abzug der Vorabquoten verbleibenden Studienplätze von der ZVS (55% GdQ, 25% Wartezeitquote) und 20% im Auswahlverfahren der Hochschulen vergeben worden, so änderte sich die Zusammensetzung zum Wintersemester 2002/03 auf 76% von der ZVS zu verteilende Studienplätze (51% GdQ, 25% Wartezeit) und 24% Studienplätze für das Auswahlverfahren der Hochschulen. Zum Wintersemester 2005/06 wurde das Verfahren abermals geändert: Die Zusammensetzung der Quoten lag nunmehr bei 40% von der ZVS zu verteilender Studienplätze (20% GdQ, 20% Wartezeit) und 60% für das Auswahlverfahren der Hochschulen. Eine zusätzliche Verschiebung zugunsten der Hochschulauswahl wurde zugleich dadurch bewirkt, dass in den beiden von der ZVS verwalteten Hauptquoten das Nachrückverfahren abgeschafft wurde mit der Folge, dass Studienplätze, die nach einer ersten Vergabe in der "Abiturbestenquote" oder in der Wartezeitquote unbesetzt blieben, ebenfalls im Auswahlverfahren der Hochschulen vergeben wurden. Erstmals zum Wintersemester 2010/11 übernahm die neu gegründete Beklagte die Funktion der ZVS, ohne dass sich beim Verteilungsverfahren wesentliche Änderungen ergeben hätten.

Das zentrale Vergabeverfahren ist somit in den letzten zwölf Jahren einerseits durch eine zunehmende Bedeutung der Auswahl durch die Hochschulen, andererseits durch eine schrittweise Verringerung des Anteils der Zulassungen nach dem Kriterium Wartezeit gekennzeichnet. Die tatsächliche Entwicklung der Studienplatz- und Bewerberzahlen sowie der Zulassungen und Auswahlgrenzen in der Wartezeitquote dokumentiert - bezogen auf den Studiengang Humanmedizin - die folgende Tabelle:

Vergabeverfahren Studienplätze Bewerber (insgesamt) Zulassungen Wartezeit Einschreibungen Wartezeit (absolut / vH zu Sp.2) Erforderl.

Wartezeit

WS 99/00

SS 00

WS 00/01

SS01

WS 01/02

SS 02

WS 02/03

SS 03

WS 03/04

SS 04

WS 04/05

SS 05

WS 05/06

SS 06

WS 06/07

SS 07

WS 07/08

SS 08

WS 08/09

SS 09

WS 09/10

SS10

WS 10/11

SS 11

WS 11/12 7.614

2.960

7.791

2.821

8.126

2.455

8.311

2.230

8.332

1.531

8.450

1.529

8.413

1.541

8.492

1.555

8.377

1.530

8.447

1.494

8.566

1.536

8.634

1.524

8.819 20.843

10.914

19.871

9.627

19.720

9.656

23.659

12.736

28.707

15.669

33.935

15.149

37.376

13.922

33.575

12.769

35.053

13.073

35.403

12.764

37.347

16.329

40.419

17.632

44.043 3.783

1.874

2.674

1.225

2.556

982

2.582

910

2.389

672

2.582

507

1.993

402

2.342

449

2.237

380

1.833

358

1.905

348

1.928

364

1911 2.392

1.109

1.623

671

1.655

554

1.741

465

1.728

326

1.805

299

1.473

248

1.913

318

1.777

239

1.487

229

1.519

231

1.565

268

1.531 31,4

37,5

20.8

23,8

20,4

22,6

20,9

20,9

20,7

21,3

21,4

19,6

17,5

16,1

22,5

20,5

21,2

15,6

17,6

15,3

17,7

15,0

18,1

17,6

17,4 4

10

10

11

10

12

12

13

12

Der Tabelle lässt sich entnehmen, dass die Zahl der im Studienjahr zu verteilenden Studienplätze zwischen 1999/2000 (10.574 Plätze) und 2010/11 (10.158 Plätze) leicht zurückgegangen ist. Die Zahl der Bewerber ist zwischen 1999 und 2011 - bezogen auf das Wintersemester - von 20.843 auf 44.043, also um 111,31% angewachsen. Die Zahl der Zulassungen in der Wartezeitquote ging von 3.783 auf 1.911, also um 48,48% zurück. Erkennbar ist auch, dass die Zahl der Einschreibungen in der Wartezeitquote stets deutlich hinter der (eine "Óberbuchung" beinhaltenden) Zahl der Zulassungen zurückgeblieben ist, ein Teil der ausgewählten Bewerber die Zulassung also nicht angenommen hat. Dass der in der Tabelle ausgewiesene Anteil der Zulassungen in der Wartezeitquote jeweils hinter dem nominell zur Verfügung stehenden Anteil zurückbleibt (für das Wintersemester 2011/12 zum Beispiel 17,4% bei einer Wartezeithauptquote von 20%), beruht aber in erster Linie darauf, dass sich die Angabe auf die Gesamtzahl der Studienplätze einschließlich der Vorabquoten bezieht; in Bezug auf die in den drei Hauptquoten insgesamt vergebenen Studienplätze wird der vorgesehene Anteil von 20% wohl näherungsweise erreicht. Die für eine Zulassung in dieser Quote erforderliche Wartezeit ("Auswahlgrenze") stieg kontinuierlich von 4 auf 13 (Sommersemester) bzw. 12 (Wintersemester) Halbjahre an. Dabei bekam allerdings stets nicht jeder Bewerber, der die entsprechende Anzahl von Wartehalbjahren aufwies, einen Studienplatz. Unter den Bewerbern mit der erforderlichen Anzahl musste vielmehr eine Auswahl getroffen werden, bei der wiederum der Grad der Qualifikation, also im Wesentlichen die Abiturnote, Auswahlkriterium war. So bekamen zum Wintersemester 2011/12 nur diejenigen Bewerber mit zwölf Wartehalbjahren einen Studienplatz, die mindestens die Durchschnittsnote 2,7 hatten.

Auch die Auswahlgrenze für die Zulassung nach dem Grad der Qualifikation ("Abiturbestenquote") hat sich in dem dargestellten Zeitraum zunehmend verschärft. Dabei ist zu beachten, dass die Auswahl in der Abiturbestenquote wegen mangelnder Vergleichbarkeit der Abiturnoten der verschiedenen Bundesländer nach Landeslisten erfolgt, sodass ein Bewerber nur mit Bewerbern konkurriert, die in "seinem Bundesland" die Hochschulzugangsberechtigung erworben haben, und sich für jedes Bundesland eine eigene Auswahlgrenze ergibt. Lag die für eine Auswahl in dieser Quote erforderliche Abiturnote im Auswahlverfahren für das Wintersemester 1999/2000 noch bei - je nach Bundesland - 1,6 bis 2,2, so war für die Zulassung zum Wintersemester 2011/12 eine Abiturdurchschnittsnote von 1,0 (neun Bundesländer), 1,1 (fünf Bundesländer) oder 1,2 (zwei Bundesländer) erforderlich. Eine schwächere Durchschnittsnote als 1,5 hat seit dem Zulassungsverfahren zum Wintersemester 2006/07 nicht mehr zu einer Zulassung in der Abiturbestenquote geführt (Ausnahme: Sommersemester 2007 und 2008 - Auswahlgrenze für Abiturienten aus Schleswig-Holstein jeweils 1,6). Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf die von der Beklagten übersandte Óbersicht verwiesen (Beiakte 3, Antwort zu Fragen d), e)).

Im "Auswahlverfahren der Hochschulen" kommen verschiedene Auswahlkriterien zur Anwendung. Die Hochschulen dürfen die Studienplätze hier gemäß Art. 10 Abs. 1 Nr. 3 des Staatsvertrages über die Errichtung einer gemeinsamen Einrichtung für Hochschulzulassung vom 5. Juni 2008 nach dem Grad der Qualifikation, nach gewichteten Einzelnoten, nach dem Ergebnis eines fachspezifischen Studierfähigkeitstests, nach einer bereits vorhandenen Berufsausbildung oder -tätigkeit der Bewerber, nach einem Auswahlgespräch oder auf Grund einer Kombination von Kriterien der vorgenannten Art auswählen. Dabei muss allerdings dem Grad der Qualifikation "maßgeblicher Einfluss" gegeben werden (Art. 10 Abs. 1 Nr. 3 S. 2 des Staatsvertrages). Teilweise führen die Hochschulen überdies ein Vorauswahlverfahren durch und lassen lediglich solche Bewerber an ihrem Auswahlverfahren teilnehmen, welche die betreffende Hochschule mit einer gewissen Ortspräferenz gewählt haben und/oder gewisse Anforderungen an den Grad der Qualifikation erfüllen. Im Einzelnen wurden zum Wintersemester 2011/12 folgende Auswahlkriterien angewandt und folgende Auswahlgrenzen bei der (ungewichteten) Durchschnittsnote erreicht:

Hochschule Vorauswahl AdH

(Ortspräf.= Ortspräferenz) Auswahlkriterien AdH

(FSJ = Freiwilliges Soziales Jahr, AuswGespräch=Auswahlgespräch) Abiturnote schwächster

Bewerber (WS 11/12)

Aachen 1.-3.Ortspräf. Ø-Note 1,5

Berlin 1.Ortspräf. Ø-Note, Einzelnoten, AuswGespräch 1,3

Bochum (-) Ø-Note, Test 1,8

Bonn (-) Ø-Note 1,4

Dresden 1.Ortspr.,Ø-Note AuswGespräch 1,9

Duisburg-Essen 1.Ortspräf.,Ø-Note Ø-Note, AuswGespräch 1,6

Düsseldorf (-) Ø-Note 1,4

Erlangen-Nürnb. (-) Ø-Note, Test, Berufsausbildung 1,8

Frankfurt/Main 1.-2.Ortspräf.,Ø-Note Ø-Note, Krankenpflegedienst 1,5

Freiburg 1.-2.Ortspräf. Ø-Note, Test, Berufsausbildung, FSJ, Wettbewerb 2,0

Gießen (-) Ø-Note, Einzelnoten, Berufsausbildg. 1,9

Göttingen 1.Ortspräf. Ø-Note, Berufsausbildung,

praktische Tätigkeiten 1,9

Greifswald 1.Ortspräf.,Ø-Note Ø-Note, Einzelnoten, Beruf, AuswGespräch 2,4

Halle-Wittenberg 1.-3.Ortspräf. Ø-Note, Einzelnoten 1,7

Hamburg 1.Ortspräf. Ø-Note, AuswGespräch, Test 1,9

Hannover 1.Ortspräf., Ø-Note Ø-Note, AuswGespräch 1,7

Heidelberg 1.Ortspräf., Ø-Note Ø-Note, Test, Berufsausbildung, FSJ,Wettbewerbe 2,3

Heidelberg-Mannheim 1.-2.Ortspräf., Ø-Note Ø-Note, Test, Berufsausbildung, FSJ, Wettbewerbe 2,2

Jena 1.-2.Ortspräf., Ø-Note Ø-Note, Berufsausbildung, Einzelnoten 1,5

Kiel (-) Ø-Note, Einzelnoten 1,5

Köln (-) Ø-Note 1,4

Leipzig 1.Ortspräf. Ø-Note, Test, Berufsausbildung 1,8

Lübeck 1.Ortspräf. Ø-Note, Berufsausbildung, Test, AuswGespräch 2,0

Magdeburg Ortspräf., Ø-Note Ø-Note 1,5

Mainz 1.-3.Ortspräf. Ø-Note, Test, Berufsausbildung 2,4

Marburg (-) Ø-Note 1,5

München (-) Ø-Note, Berufsausbildung 1,4

Münster 1.Ortspräf. Ø-Note 1,0

Regensburg (-) Ø-Note, Berufsausbildung 1,2

Rostock 1.-3.Ortspräf., Ø-Note Ø-Note, Einzelnoten, AuswGespräch 2,1

Saarbrücken (-) Ø-Note 1,5

Tübingen 1.Ortspräf. Ø-Note, Test, Berufsausbildung,

Wettbewerbe 1,9

Ulm Ø-Note Ø-Note, Berufsausbildg.,Test, außerschulische Leistungen, prakt.Tätigk. 2,0

Würzburg Ø-Note Ø-Note, Berufsausbildg., Einzelnoten 1,6

Die vorstehende Tabelle zeigt zunächst, dass die Studienbewerber hinsichtlich der Beteiligung an den Auswahlverfahren der Hochschulen von vornherein stark eingeschränkt sind. Abgesehen davon, dass jeder Bewerber sich ohnehin maximal an sechs Hochschulen im Auswahlverfahren der Hochschulen bewerben kann (§ 3 Abs. 3 S. 4 VergabeVO), ist eine Vielzahl von Wahlkombinationen schon dadurch ausgeschlossen, dass knapp zwei Drittel der Hochschulen nur Bewerber an ihrem Auswahlverfahren beteiligen, welche die betreffende Hochschule mit der Ortspräferenz 1 (zwölf Hochschulen) bzw. 1 oder 2 (vier Hochschulen) bzw. 1, 2 oder 3 (vier Hochschulen) benannt haben.

Zu konstatieren ist im Óbrigen auch beim "Auswahlverfahren der Hochschulen" eine kontinuierliche Verschärfung der Anforderungen an die auch in dieser Auswahlhauptquote sehr bedeutsame Durchschnittsnote. So lag etwa die (ungewichtete) Abiturdurchschnittsnote des schwächsten erfolgreichen Bewerbers für eine Zulassung an der Charité Universitätsmedizin Berlin im Sommersemester 2008 noch bei 2,0. Im Auswahlverfahren zum Wintersemester 2011/12 war hier eine Durchschnittsnote von 1,3 erforderlich. Die Westfälische Wilhelms-Universität Münster hatte im Auswahlverfahren der Hochschulen zum Wintersemester 2001/02 noch Bewerber mit Durchschnittsnoten von bis zu 2,0 zugelassen; zum Wintersemester 2011/12 wurden im Münsteraner Auswahlverfahren ausschließlich Bewerber mit der Durchschnittsnote 1,0 zugelassen. Eine Durchschnittsnote von 2,1 oder schwächer genügte (bei Erfüllung weiterer besonderer Auswahlkriterien) zum Wintersemester 2011/12 lediglich im Auswahlverfahren der Hochschulen in Greifswald (2,4), Heidelberg (2,3), Heidelberg-Mannheim (2,2), Mainz (2,4) und Rostock (2,1) und damit an fünf von 34 Hochschulen. Jede dieser fünf Hochschulen führte eine an die Ortspräferenz geknüpfte Vorauswahl durch. Eine Zulassung mit der Durchschnittsnote 2,5 (oder schwächer) war auch im Auswahlverfahren der Hochschulen zum Wintersemester 2011/12 nicht möglich. Landesquoten bzw. -listen werden im Auswahlverfahren der Hochschulen nicht gebildet. Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf die von der Beklagten übersandte Óbersicht verwiesen (Beiakte 3, Antwort zu Fragen f) und g)).

Die mittlere Abiturnote der erfolgreichen Abiturienten bewegte sich in den letzten Jahren im Bereich von 2,5. Dabei lagen das Bundesland mit der höchsten mittleren Abiturnote und das Bundesland mit der niedrigsten mittleren Abiturnote jeweils um 0,35 bis 0,4 Punkte auseinander. Das Land mit der besten mittleren Abiturnote war jeweils der Freistaat Thüringen mit Notenmitteln von 2,33 in den Jahren 2006 und 2007, 2,32 im Jahre 2008 und 2,30 in den Jahren 2009 und 2010. Das Land mit der schwächsten mittleren Abiturnote war jeweils das Land Niedersachsen mit mittleren Abiturnoten von 2,71 in den Jahren 2006 und 2007, 2,69 im Jahre 2008, 2,65 im Jahre 2009 und 2,62 im Jahre 2010. Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf die vom ständigen Sekretariat der Kultusministerkonferenz übersandten Aufstellungen (Bl. 54 ff. der Gerichtsakte) sowie auf die folgende Tabelle Bezug genommen:

Mittlere Abiturnote 2006 Mittlere Abiturnote 2007 Mittlere Abiturnote 2008 Mittlere Abiturnote 2009 Mittlere Abiturnote 2010

Baden-Württemberg 2,38 2,40 2,40 2,39 2,44

Bayern 2,43 2,43 2,41 2,42 2,40

Berlin 2,68 2,57 2,54 2,51 2,48

Brandenburg 2,48 2,47 2,42 2,39 2,40

Bremen 2,49 2,47 2,45 2,45 2,45

Hamburg 2,57 2,56 2,53 2,50 2,49

Hessen 2,49 2,47 2,46 2,45 2,44

Mecklenburg-Vorp. 2,40 2,40 2,37 2,35 2,43

Niedersachsen 2,71 2,71 2,69 2,65 2,62

Nordrhein-Westfalen 2,66 2,64 2,63 2,59 2,56

Rheinland-Pfalz 2,63 2,63 2,62 2,61 2,60

Saarland 2,51 2,51 2,50 2,49 2,46

Sachsen 2,44 2,46 2,44 2,48 2,45

Sachsen-Anhalt 2,41 2,46 2,53 2,52 2,52

Schleswig-Holstein 2,63 2,62 2,60 2,58 2,60

Thüringen 2,33 2,33 2,32 2,30 2,30

Erwähnenswert erscheint schließlich im vorliegenden Zusammenhang, dass die Kultusverwaltung auch für die Zukunft von hohen Studienanfängerzahlen ausgeht. Nach der derzeitigen Prognose für die Jahre 2012 bis 2025 wird die Zahl der Studienanfänger, die in den letzten zehn Jahren bedeutend angestiegen ist, im Jahre 2013 mit 489.200 Studienanfängern einen vorläufigen Höchststand erreichen und danach kontinuierlich sinken. Sie sinkt allerdings mit einer relativ moderaten Rate, weil sinkende Geburtenraten durch höhere Óbergangsquoten auf das Gymnasium und die Gesamtschule teilweise aufgefangen werden. Die Studienanfängerzahl wird sich daher auch im Jahre 2025 noch auf dem Niveau des Jahres 2009 bewegen (vgl. zu den Einzelheiten die "Vorausberechnung der Studienanfängerzahlen 2012-2025 - Fortschreibung - (Stand 24.01.2012)", abrufbar auf der Homepage des Sekretariats der Kultusministerkonferenz: www.kmk.org).

2. Ausgangsverfahren

Die im Januar 1987 geborene Klägerin erwarb im Juni 2006 in Nordrhein-Westfalen ihr Abitur mit der Note 3,2. Sie absolvierte sodann eine Ausbildung zur Medizinischtechnischen Laborassistentin und nahm anschließend eine entsprechende Berufstätigkeit auf. Am 25. Mai 2011 bewarb die Klägerin sich (zum wiederholten Male) bei der Beklagten um die Zulassung zum Studium der Humanmedizin im ersten Fachsemester zum Wintersemester 2011/12. Sie beantragte die Beteiligung an der Auswahl in der Wartezeitquote und im Auswahlverfahren der Hochschulen. Sonderanträge stellte sie nicht. Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf die Bewerbungsakte der Klägerin (Beiakte 1) Bezug genommen.

Mit Bescheid vom 12. August 2011 lehnte die Beklagte den Zulassungsantrag der Klägerin mit der Begründung ab, sie habe mit zehn Wartehalbjahren die maßgebliche Auswahlgrenze verfehlt. Die Auswahlgrenze in der Wartezeitquote habe bei zwölf Wartehalbjahren gelegen.

Die Klägerin hat am 5. September 2011 die vorliegende Klage erhoben, mit der sie die Zulassung zum Medizinstudium begehrt und zu deren Begründung sie ausführt: Das von der Beklagten durchgeführte Auswahlverfahren sei verfassungswidrig, da es zu überlangen Wartezeiten führe. Der Anteil der nach Wartezeit vergebenen Studienplätze sei kontinuierlich reduziert worden. Bereits mit der zum Sommersemester 2011 erforderlichen Mindestwartezeit von 13 Halbjahren sei die Regelstudienzeit des Studiengangs Humanmedizin und damit die Grenze des Zumutbaren überschritten worden. Verfassungswidrig sei das Auswahlverfahren im Óbrigen auch deshalb, weil die von ihr erworbene einschlägige Berufsausbildung bei der Auswahlentscheidung keine Rolle spiele. Die Gleichbehandlung mit Bewerbern, die keine auf das Medizinstudium hinführende Ausbildung aufwiesen, sei nicht vertretbar. Aus der Verfassungswidrigkeit der das Auswahlsystem regelnden Vorschriften folge ein unmittelbarer Zulassungsanspruch. Angesichts der geringen Zahl der Kläger mit entsprechendem Vortrag könnten diese zusätzlich zugelassen werden, ohne die Funktionsfähigkeit der Hochschulen zu gefährden.

Die Klägerin beantragt,

die Beklagte unter Aufhebung des ablehnenden Bescheides vom 12. August 2011 zu verpflichten, sie nach den Rechtsverhältnissen des Wintersemesters 2011/2012 zum Studium der Medizin entsprechend ihrem Antrag zuzulassen.

Die Beklagte beantragt,

die Klage abzuweisen.

Die Beklagte tritt der Klage entgegen und erklärt, sie halte das bestehende Auswahlsystem für verfassungsgemäß. Es lägen keine unzumutbar langen Wartezeiten vor. Denn die Klägerin habe die Möglichkeit, weitere Wartezeit anzusammeln und damit weiterhin eine Zulassungschance in der Zukunft. Mehr sei verfassungsrechtlich nicht geboten, da auch das Grundgesetz dem Bewerber keinen Studienplatz garantiere. Eine Unzumutbarkeit könne sich allenfalls aufgrund individueller Umstände ergeben, nicht aber generell und allein aufgrund der Óberschreitung einer bestimmten Zahl von Wartesemestern. Im Óbrigen habe sich die Situation seit den maßgeblichen Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts insoweit geändert als heute die Prognosekraft der Abiturnote für den Studienerfolg außer Frage stehe. Auch das Studienangebot habe sich inzwischen verändert. So würden zahlreiche Studiengänge angeboten, die dem Medizinstudium verwandt seien; der Bewerber habe insoweit also Ausweichmöglichkeiten. Die veränderte Hochschullandschaft mit stärker variierenden Studiengängen und -schwerpunkten erfordere eine mehr auf die jeweilige Hochschule zugeschnittene und von dieser beeinflusste Auswahl der Studierenden. Diese Erkenntnis habe auch den gesetzgeberischen Entscheidungen der jüngeren Vergangenheit zugrunde gelegen. Die Gesamtentwicklung sei als ein gesellschaftlicher Wandel zu betrachten, der auch Auswirkungen auf die Verfassung und ihre Auslegung habe. Schließlich könne sich selbst bei unterstellter Verfassungswidrigkeit kein unmittelbarer Zulassungsanspruch ergeben, zumal der im Auswahlverfahren der Hochschulen zur Zulassung anstehende "Konkurrent", der durch eine entsprechende Zulassung verdrängt würde, seinerseits bereits ein "Anwartschaftsrecht" auf Zulassung habe. Das Verwaltungsgericht verletze seine Bindung an Gesetz und Recht, wenn es seine Vorstellung eines gerechten Zulassungssystems an die Stelle des gesetzlich vorgesehenen rücke. Der Gesetzgeber habe klar zum Ausdruck gebracht, dass er dem Leistungsprinzip auf Basis der Abiturnote Vorrang einräumen wolle.

In mehreren Parallelverfahren hat die Kammer die Beklagte auf entsprechende Anträge hin mit Beschlüssen vom 28. und 29. September 2011 - 6 L 940/11 u. a. - (bei juris abrufbar) im Wege der einstweiligen Anordnung verpflichtet, die jeweiligen Kläger vorläufig zum Studium zuzulassen. Das Oberverwaltungsgericht für das Land Nordrhein-Westfalen hat diese Entscheidungen mit Beschlüssen vom 8. November 2011 - 13 B 1209/11 u. a. - (NJW 2012, 1096 ff.) geändert und die Anträge auf Erlass einer einstweiligen Anordnung abgelehnt. Zur Begründung hat das Oberverwaltungsgericht ausgeführt, ob die zum Wintersemester 2011/12 in der Wartezeitquote erreichte Auswahlgrenze zu einer verfassungsrechtlich unzulässigen Minimierung der Zulassungschancen geführt habe, sei "ungewiss". Jedenfalls entstehe selbst bei unzumutbar langer Wartezeit des Studienbewerbers kein unmittelbarer Anspruch auf Zulassung zum gewünschten Studium. Eine Änderung der Regeln über die Verteilung von Studienplätzen sei nämlich dem Gesetzgeber vorbehalten. Die anschließend erhobene Verfassungsbeschwerde eines der Kläger hat das Bundesverfassungsgericht wegen Unzulässigkeit nicht zur Entscheidung angenommen (Beschluss vom 21. Dezember 2011 - 1 BvR 3049/11 -).

Zum Sommersemester 2012 hat die Klägerin erneut keinen Studienplatz erhalten. Die Auswahlgrenze lag nunmehr (wieder) bei 13 Wartehalbjahren. Unter den Bewerbern mit 13 Wartehalbjahren konnten dabei lediglich diejenigen mit mindestens der Abiturnote 2,8 zugelassen werden.

II. Vorlageerwägungen

Die Kammer sieht sich gemäß Art. 100 Abs. 1 GG, § 80 Abs. 1 BVerfGG zur Vorlage an das Bundesverfassungsgericht verpflichtet, weil sie die im Tenor genannten Vorschriften für teilweise verfassungswidrig hält (dazu nachfolgend 1.), eine verfassungskonforme Auslegung nicht in Betracht kommt (dazu nachfolgend 2.) und die Entscheidung über das Klageverfahren von der Gültigkeit dieser Vorschriften abhängt (dazu nachfolgend 3.). Auch die sonstigen prozessualen Voraussetzungen einer Vorlage sind gegeben (dazu nachfolgend 4.).

1. Verfassungswidrigkeit der in Rede stehenden Vorschriften

Die Vorschriften des Bundes und der Länder, welche die Zulassung zum Medizinstudium regeln, sind nach Auffassung der Kammer mit dem Grundgesetz nicht vereinbar, soweit sie für diesen Studiengang ein Vergabeverfahren vorsehen, bei dem (nach Abzug der Vorabquoten) 80% der Studienplätze allein oder im Wesentlichen nach dem Grad der Qualifikation (und damit ganz überwiegend nach der Abiturnote) und 20% der Studienplätze nach - inzwischen häufig mehr als sechsjähriger - Wartezeit vergeben werden.

a) Rechtliche Vorgaben für die Zulassung zum Medizinstudium

Das oben (unter I.1.) beschriebene System der Studienplatzvergabe für das Medizinstudium beruht auf einer Reihe von Rechtsvorschriften unterschiedlichen Charakters:

Auf der Ebene des Bundesrechts finden sich die einschlägigen Regelungen in den §§ 27 ff. Hochschulrahmengesetz (HRG) in der Fassung des Siebten HRG-Änderungsgesetzes vom 28. August 2004 (BGBl. I S. 2298). Dabei ist das Auswahlverfahren selbst insbesondere in den §§ 31, 32 HRG normiert. § 32 Abs. 3 HRG regelt für den nach Abzug der Vorabquoten verbleibenden Teil der Studienplätze, dass diese zu einem Fünftel nach dem Grad der Qualifikation, zu einem Fünftel nach Wartezeit und zu drei Fünfteln im "Auswahlverfahren der Hochschulen" vergeben werden. Für das Auswahlverfahren der Hochschulen bestimmt § 32 Abs. 3 Nr. 3 S. 2 HRG, dass die Auswahl nach dem Grad der Qualifikation, nach gewichteten Einzelnoten, nach dem Ergebnis eines fachspezifischen Studierfähigkeitstests, nach einer bereits vorhandenen Berufsausbildung oder -tätigkeit der Bewerber, nach einem Auswahlgespräch oder auf Grund einer Kombination von Kriterien der vorgenannten Art erfolgt. § 32 Abs. 3 Nr. 3 S. 3 HRG statuiert die Vorgabe, dass dem Grad der Qualifikation - also im Regelfall der Abiturnote - "ein maßgeblicher Einfluss gegeben werden" muss. § 32 Abs. 3 Nr. 3 S. 4 HRG schließlich räumt den Hochschulen das Recht der Vorauswahl ein und billigt dabei ausdrücklich auch das Kriterium "Ortspräferenz".

Vgl. zur 7. HRG-Novelle nur Koch, Regelungen der Länder zum Hochschulzugang nach der Novelle des Hochschulzulassungsrechts im HRG, RdJB 2005, 374 ff.

Auf Länderebene finden sich die entsprechenden Regelungen in dem Staatsvertrag über die Errichtung einer gemeinsamen Einrichtung für Hochschulzulassung vom 5. Juni 2008 (im Folgenden: Staatsvertrag 2008), der mittels der im Beschlusstenor genannten Landesgesetze in allen Bundesländern ratifiziert worden ist. Insbesondere werden in Art. 10 des Staatsvertrages 2008 die vorstehend beschriebenen Regelungen des § 32 Abs. 3 HRG betreffend die drei Hauptquoten und die Einzelheiten des "Auswahlverfahrens der Hochschulen" größtenteils wortgleich übernommen - einschließlich der Vorgabe, dass im Auswahlverfahren der Hochschulen dem "Grad der Qualifikation ein maßgeblicher Einfluss gegeben werden" muss.

Eine Reihe von Ländern hat über die bloße Ratifizierung des Staatsvertrages hinaus formellgesetzliche Vorschriften über die Hochschulzulassung (auch) in den dem zentralen Vergabeverfahren unterworfenen Studiengängen geschaffen. Diese Vorschriften, die zum Teil die Regelungen des Staatsvertrages 2008 wiederholen, zum Teil aber auch weitergehende Vorgaben - namentlich über die in den Auswahlsatzungen der Hochschulen zulässigen Auswahlregelungen - enthalten, ergänzen das Gesamtsystem und sind daher im Tenor des vorliegenden Beschlusses mit aufgeführt. So regeln § 2a Hochschulzulassungsgesetz Baden-Württemberg, Art. 7 Bayerisches Hochschulzulassungsgesetz, § 8 Berliner Hochschulzulassungsgesetz, § 4 Hochschulzulassungsgesetz Mecklenburg-Vorpommern und § 11 Thüringer Hochschulzulassungsgesetz, dass die Hochschulen in ihren Auswahlverfahren mindestens zwei der in Betracht kommenden Auswahlkriterien heranziehen müssen und machen teilweise weitere Vorgaben zur Gestaltung der Auswahl.

Zur Konkretisierung der im Staatsvertrag 2008 vorgesehenen Vergaberegelungen und zur näheren Bestimmung des Verwaltungsverfahrens haben die Länder auf der Grundlage des Art. 12 Staatsvertrag 2008 Rechtsverordnungen erlassen, die entsprechend der Vorgabe des Art. 12 Abs. 2 Staatsvertrag 2008 weitgehend übereinstimmen. Eine den übereinstimmenden Bestand enthaltende Fassung der "Vergabeverordnung" ist auf der Homepage der Beklagten (www.hochschulstart.de) abrufbar. Für den vorliegenden Beschluss sind die Vergabeverordnungen von untergeordneter Bedeutung, weil die aus Sicht der Kammer zur Verfassungswidrigkeit des Vergabesystems insgesamt führenden Defizite bereits auf der formellgesetzlichen Regelungsebene bestehen, namentlich bei der Festlegung der drei Hauptquoten und bei den Vorgaben für die Verteilung im Auswahlverfahren der Hochschulen.

Die Hochschulen schließlich, die den Studiengang Humanmedizin anbieten, haben jeweils eine Satzung erlassen, in der die in ihrem Auswahlverfahren angewandten Kriterien festgelegt sind.

b) Verfassungsrechtlicher Prüfungsmaßstab

Gemäß Art. 12 Abs. 1 GG haben alle Deutschen das Recht, Beruf, Arbeitsplatz und Ausbildungsstätte frei zu wählen; die Berufsausübung kann durch Gesetz oder aufgrund eines Gesetzes geregelt werden. Nach der insoweit maßgeblichen Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts geht der Gehalt des Grundrechts aus Art. 12 Abs. 1 GG über den eines reinen Freiheitsrechts, also eines Abwehrrechts gegen staatliche Eingriffe hinaus. Die Kerngedanken dieser Rechtsprechung, die ihren Ausgangspunkt in der Entscheidung "Numerus clausus I" vom 18. Juli 1972 hat,

BVerfG, Urteil vom 18. Juli 1972 - 1 BvL 32/70 u.a. -, BVerfGE 33, 303 ff., vgl. dazu nur Häberle, Das Bundesverfassungsgericht im Leistungsstaat, DÖV 1972, 729 ff.; von Mutius, Grundrechte als Teilhaberechte - Zu den verfassungsrechtlichen Aspekten des "numerus clausus", VerwArch. 64 (1973), 183 ff.; Menger, Zu ungelösten Rechtsproblemen des Hochschulzugangs nach der Numerusclausus-Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts, VerwArch. 67 (1976), 419 ff.,

hat das Bundesverfassungsgericht selbst wie folgt beschrieben:

"Aus dem in Art. 12 Abs. 1 Grundgesetz (GG) gewährleisteten Recht auf freie Wahl des Berufs und der Ausbildungsstätte in Verbindung mit dem allgemeinen Gleichheitssatz und dem Sozialstaatsprinzip folgt ein verfassungsmäßig gewährleistetes Recht des die subjektiven Zulassungsvoraussetzungen erfüllenden ("hochschulreifen") Staatsbürgers auf Zulassung zum Hochschulstudium seiner Wahl. Dieses Recht steht unter dem Vorbehalt des Möglichen im Sinne dessen, was der Einzelne vernünftigerweise von der Gesellschaft beanspruchen kann; es ist auf gesetzlicher Grundlage regelbar und - unter der Voraussetzung erschöpfender Nutzung aller Ausbildungskapazitäten, die verfassungsrechtlich vorrangig vor Maßnahmen der Bewerberauswahl ist - einschränkbar. Werden infolge eines Bewerberüberhanges Zulassungsbeschränkungen und eine Auswahl zwischen den Bewerbern unerlässlich, darf bei den notwendigen Regelungen und Entscheidungen nicht außer acht bleiben, dass jede Auswahl zwischen hochschulreifen Bewerbern eine Ungleichbehandlung prinzipiell Gleichberechtigter in der Verteilung von Lebenschancen darstellt und dass sich ein absoluter Numerus Clausus, der zum Ausschluss eines erheblichen Teils hochschulreifer Bewerber vom Studium ihrer Wahl führt, am Rande des verfassungsrechtlich Hinnehmbaren bewegt. Bei Zulassungsbeschränkungen haben sich daher die Verantwortlichen in steter Orientierung am Gerechtigkeitsgedanken um eine auch für die Benachteiligten zumutbare Auswahl nach sachgerechten Kriterien mit einer Chance für jeden Zulassungsberechtigten zu bemühen."

So BVerfG, Urteil vom 8. Februar 1977 - 1 BvF 1/76 u.a. -, BVerfGE 43, 291, 313 f. ("Numerus clausus II").

In einer Reihe weiterer Entscheidungen, die im Zeitraum zwischen 1974 und 1992 ergangen sind, hat das Bundesverfassungsgericht seine Rechtsprechung weiter ausgeformt, wobei zumeist der Aspekt der erschöpfenden Ausnutzung der Ausbildungskapazität im Vordergrund stand.

Beschluss vom 3. April 1974 - 1 BvR 282/73 -, BVerfGE 37, 104 (Bonus/Malus-Regelung), Beschluss vom 7. Mai 1974 - 2 BvL 17/73 -, BVerfGE 37, 191 (Gerichtszuständigkeit), Beschluss vom 9. April 1975 - 1 BvR 344/73 -, BVerfGE 39, 258 (Kapazitätsausnutzung), Beschluss vom 9. April 1975 - 1 BvR 344/74 u.a. -, BVerfGE 39, 276 (Kapazitätsausnutzung/Rechtsschutz), Beschluss vom 6. November 1975 - 1 BvR 358/75 -, BVerfGE 40, 352 (Kapazitätsausnutzung), Urteil vom 7. April 1976 - 2 BvH 1/75 -, BVerfGE 42, 103 (Staatsvertrag), Urteil vom 13. Oktober 1976 - 1 BvR 135/75 -, BVerfGE 43, 34 (Quereinstieg), Urteil vom 13. Oktober 1976 - 1 BvR 92/76 u.a. -, BVerfGE 43, 47 (Altparker), Urteil vom 8. Februar 1977 - 1 BvF 1/76 u.a. -, BVerfGE 43, 291 (Numerus clausus II), Beschluss vom 22. Juni 1977 - 1 BvL 23/75 -, BVerfGE 45, 393 (Parallelstudium), Beschluss vom 3. Juni 1980 - 1 BvR 967/78 -, BVerfGE 54, 173 (Kapazität/Lehrdeputat), Beschluss vom 3. November 1981 - 1 BvR 632/80 u.a.-, BVerfGE 59, 1 (Altwarter), Beschluss vom 21. Oktober 1981 - 1 BvR 802/78 u.a. -, BVerfGE 59, 172 (Teilstudienplatz), Beschluss vom 3. November 1981 - 1 BvR 900/78 -, BVerfGE 62, 117 (Zweitstudium), Beschluss vom 8. Februar 1984 - 1 BvR 580/83 -, BVerfGE 66, 155 (Kapazitätsreduzierung), Beschluss vom 22. Oktober 1991 - 1 BvR 393/85 -, BVerfGE 85, 36 (Kapazitätsberechnung), Beschluss vom 9. März 1992 - 1 BvR 413/85 -, juris (Kapazität/Kontrolldichte).

In den letzten zwanzig Jahren hat das Bundesverfassungsgericht sich - soweit ersichtlich - nur noch sporadisch mit Fragen der Hochschulzulassung beschäftigt und dies durchweg in Form von Kammer- und Nichtannahmeentscheidungen.

Vgl. Kammerbeschluss vom 10. März 1999 - 1 BvL 27/97 -, NVwZ-RR 1999, 481 (Neuordnung Berliner Hochschulmedizin); Nichtannahmebeschluss vom 18. Februar 2002 - 1 BvR 13/02 -, juris (neues Vergabeverfahren), Kammerbeschluss vom 31. März 2004 - 1 BvR 356/04 -, juris (Kapazität/Eilrechtsschutz), Nichtannahmebeschluss vom 21. Juli 2005 - 1 BvR 584/05 -, juris (Kapazität/Rechtsschutz).

Nach der in den zitierten Entscheidungen entwickelten Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts folgt aus Art. 12 Abs. 1 GG in Verbindung mit Art. 3 Abs. 1 GG und dem Sozialstaatsprinzip ein Teilhaberecht des die subjektiven Voraussetzungen erfüllenden Bewerbers auf Zulassung zum Hochschulstudium seiner Wahl. Ein absoluter Numerus clausus für Studienanfänger ist als gravierender Grundrechtseingriff zu werten. Verfassungsmäßig ist er nur, wenn er in den Grenzen des unbedingt Erforderlichen unter erschöpfender Nutzung der vorhandenen, mit öffentlichen Mitteln geschaffenen Ausbildungskapazitäten angeordnet wird und wenn Auswahl und Verteilung nach sachgerechten Kriterien mit einer Chance für jeden an sich hochschulreifen Bewerber erfolgen. Bei der gebotenen Strukturierung dieser Grundrechtswirkungen lassen sich drei Fragenkreise unterscheiden:

(1) Ob und inwieweit das Grundrecht Züge eines "originären" bzw. "absoluten" Teilhaberechts trägt und dem Bewerber damit etwa auch einen Anspruch auf Ausbau oder Erhaltung von Studienplatzkapazitäten verschafft, wird seit der Entscheidung "Numerus clausus I", in welcher eine solche Komponente erwogen worden ist, kontrovers diskutiert. Weitgehende Einigkeit besteht indessen darüber, dass ein entsprechender Anspruch allenfalls bei evidenter Verletzung des (möglicherweise gegebenen) Verfassungsauftrags zur Schaffung ausreichender Studienplatzkapazitäten bestehen könnte, worauf auch das Bundesverfassungsgericht selbst in einer späteren Entscheidung noch einmal hingewiesen hat.

BVerfG, Beschluss vom 10. März 1999 - 1 BvL 27/97 -, NVwZ-RR 1999, 481; vgl. zur Diskussion nur Kämmerer, in: von Münch/Kunig (Hrsg.), GG, Kommentar, 6. Aufl. 2012, Art. 12 Rdnr. 36 f., 39; Scholz, in: Maunz/Dürig/Herzog/ Scholz, GG, Kommentar, Stand 2011, Art. 12 Rdnr. 71, 443 ff.; Wieland, in: Dreier (Hrsg.), GG, Kommentar, 2. Aufl. 2004, Art. 12 Rdnr. 172 ff.; Breuer, in: Isensee/Kirchhof (Hrsg.), HdbStR, Bd. VIII, 3. Aufl. 2010, § 170 Rdnr. 105 ff.; Deutsch, in: Erbguth u.a. (Hrsg.), Planung, Festschrift für W. Hoppe, 2000, S. 813 ff.; Möller, Rahmenbedingungen der Hochschulzulassung, Verfassungs- und europarechtliche Vorgaben für die Einführung weiterer Zulassungskriterien im Hochschulzulassungsrecht, 2001, S. 80 ff. m.w.N.; s. auch BVerwG, Urteil vom 29. April 2009 - 6 C 16.08 -, BVerwGE 134, 1 (8): kein Anspruch auf Kostenfreiheit.

Eine solche evidente Verletzung ist derzeit - nicht zuletzt wegen der gerade bei der Schaffung von Medizinstudienplätzen anfallenden erheblichen Kosten - weder für die Kammer ersichtlich, noch wird sie von dem Kläger ernsthaft reklamiert. Der Frage eines etwaigen verfassungskräftigen Auftrags zur Schaffung weiterer Studienplätze ist daher hier nicht weiter nachzugehen.

(2) Ebenfalls ohne Bedeutung für das vorliegende Verfahren ist das aus dem Grundrecht folgende Gebot erschöpfender Kapazitätsausnutzung. Denn das vorliegende Verfahren ist auf eine Zulassung innerhalb der festgesetzten Kapazität gerichtet. Die mangelhafte Ausschöpfung der Kapazität kann in einem Verfahren gegen die Beklagte im Óbrigen auch nicht gerügt werden, weil diese an die von der Hochschule und der Kultusverwaltung des jeweiligen Bundeslandes festgesetzte Zulassungszahl gebunden ist.

Vgl. zum Kapazitätsrecht nur (aus jüngerer Zeit) BVerwG, Urteil vom 23. März 2011 - 6 CN 3.10 -, BVerwGE 139, 210; Brehm/Zimmerling, Die Entwicklung des Hochschulzulassungsrechts seit 1996, NVwZ 2008, 1303 ff.; dies., Rechtsstaatliche Aspekte des Kapazitätsprozesses, DÖV 2009, 239 ff.; dies., Hochschulkapazitätsrecht, 2003/2011; Schemmer, Óberbuchung und Schaffung weiterer Studienplatzkapazitäten, DVBl. 2011, 1338 ff.; Maier, Zur überobligatorischen Vergabe von Studienplätzen durch staatliche Hochschulen, DVBl. 2012, 615 ff.; kritisch zum Kapazitätserschöpfungsgebot Steinberg/Müller, Art.12 GG, Numerus Clausus und die neue Hochschule, NVwZ 2006, 1113 ff,; Ackermann, Das heutige Kapazitätsrecht - Bremse der Weiterentwicklung der Hochschulen?, RdJB 2007, 354 ff.

(3) Neben den beiden vorgenannten Aspekten der Schaffung und der vollständigen Ausnutzung von Studienplatzkapazitäten beinhaltet das in Rede stehende Grundrecht - und dies ist das für den vorliegenden Rechtsstreit maßgebliche Element - einen Anspruch auf gleichberechtigte Teilhabe an den staatlich geschaffenen Ausbildungskapazitäten. Auch diesem "derivativen" bzw. "relativen" Teilhaberecht kommt insbesondere dann Bedeutung zu, wenn wegen eines Bewerberüberhangs nicht alle Interessenten einen Studienplatz erhalten können, so dass sich ein "absoluter Numerus clausus" ergibt. In diesem Fall können zwar naturgemäß nicht alle Bewerber ihre Zulassung erzwingen. Jeder Bewerber, der die Zulassungsvoraussetzungen erfüllt, hat aber das Recht auf eine Auswahlentscheidung, die nach sachgerechten Kriterien erfolgt und ihm eine Zulassungschance verschafft. In erster Linie kommt hier der Gleichheitssatz des Art. 3 Abs. 1 GG zum Tragen, der bei der Verteilung staatlicher Ressourcen stets eine Differenzierung nach sachlichen Kriterien gebietet. Das Bundesverfassungsgericht hat im Zusammenhang mit der Hochschulzulassung von einer "krassen Ungleichbehandlung zwischen zugelassenen und abgewiesenen Bewerbern in der Verteilung von Lebenschancen" gesprochen.

Beschluss vom 3. November 1981 - 1 BvR 632/80 u.a. -, BVerfGE 59, 1 (31).

Im Schrifttum wird zum Teil angedeutet, dass es insoweit des Rückgriffs auf Art. 12 Abs. 1 GG gar nicht bedürfte, weil sich die verfassungsrechtlichen Maßstäbe bereits aus Art. 3 GG ergäben.

So etwa Murswiek, in: Isensee/Kirchhof (Hrsg.), HdbStR, Bd. IX, 3. Aufl. 2011, § 192 Rdnr. 85; Manssen, in: v. Mangold/Klein/Stark, GG, Kommentar, 5. Aufl. 2005, Art. 12 I Rdnr. 18; Ossenbühl, Die Interpretation der Grundrechte in der Rechtsprechung des BVerfG, NJW 1976, 2100 (2104); den Gleichheitsaspekt betonend auch VGH Baden-Württ., Beschluss vom 24. Januar 2012 - 9 S 3310/11 -, juris; Scholz, in: Maunz/Dürig/Herzog/Scholz, GG, Kommentar, Stand: 2011, Art. 12 Rdnr. 156; Wieland, in: Dreier (Hrsg.), GG, Kommentar, 2. Aufl. 2004, Art. 12 Rdnr. 168; Ruffert, in: Epping/Hillgruber (Hrsg.), GG, Kommentar, 2009, Art. 12 Rdnr. 25; Möller, Rahmenbedingungen der Hochschulzulassung, 2001, S. 91 ff., 131 ff.

Das Bundesverfassungsgericht hat allerdings insoweit eine bedeutsame Verbindung hergestellt, als es den "absoluten Numerus clausus" als eine objektive Beschränkung des Berufszugangs einordnet, die nur unter strengen Voraussetzungen gerechtfertigt werden kann, was auch auf die schwerpunktmäßig dem Gleichheitssatz zuzuordnenden Anforderungen an die Gestaltung des Auswahlsystems durchschlagen muss. Handelt es sich nämlich um eine objektive Zulassungsschranke, so sind besonders hohe Anforderungen an die sachliche Rechtfertigung der Vergaberegelungen zu stellen. Insoweit nimmt die Numerus clausus-Judikatur bereits die neuere Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts zum Gleichheitssatz ("neue Formel") vorweg. Demnach verwehrt Art. 3 Abs. 1 GG dem Gesetzgeber nicht jede Differenzierung; Differenzierungen bedürfen jedoch stets der Rechtfertigung durch Sachgründe, die dem Differenzierungsziel und dem Ausmaß der Ungleichbehandlung angemessen sind. Hinsichtlich der verfassungsrechtlichen Anforderungen an den die Ungleichbehandlung tragenden Sachgrund ergeben sich aus dem allgemeinen Gleichheitssatz somit je nach Regelungsgegenstand und Differenzierungsmerkmalen unterschiedliche Grenzen für den Gesetzgeber, die von gelockerten, auf das Willkürverbot beschränkten Bindungen bis hin zu strengen Verhältnismäßigkeitserfordernissen reichen können. Eine strengere Bindung des Gesetzgebers kann sich dabei insbesondere auch aus den jeweils (mit) betroffenen Freiheitsrechten ergeben.

Vgl. zuletzt BVerfG, Beschluss vom 7. Februar 2012 - 1 BvR 14/07 -, juris (Rdnr. 40 ff.), mit weiteren Nachweisen.

Die empfindlichen Auswirkungen, welche der Numerus clausus auf die Realisierung der freien Wahl von Beruf und Ausbildungsstätte hat, schränken somit den Gestaltungsspielraum des Gesetzgebers deutlich ein. Gefordert ist nicht nur eine willkürfreie Vergabe der Studienplätze, sondern eine Bewerberauswahl, die weiter gehenden Anforderungen genügt. Geboten ist zunächst, dass das Vergabesystem und die Auswahlkriterien - entsprechend der "Wesentlichkeitsformel" - durch den Gesetzgeber selbst geregelt werden, also nicht (vollständig) der untergesetzlichen Normierung überlassen bleiben.

Vgl. BVerfG, Urteil vom 18. Juli 1972 - 1 BvL 32/70 u.a. -, BVerfGE 33, 303 (341 ff.), Beschlüsse vom 27. Januar 1976 - 1 BvR 2325/73 -, BVerfGE 41, 251 (265 f.), und vom 22. Juni 1977 - 1 BvL 23/75 -, BVerfGE 45, 393 (399); VGH Baden-Württ., Urteil vom 29. Oktober 2009 - 9 S 1611/09 -, juris (Rdnr. 29); Möller, Rahmenbedingungen der Hochschulzulassung, 2001, S.101 ff.

Die in Betracht kommenden Auswahlkriterien selbst sind dabei zwar nicht verfassungsrechtlich determiniert, sondern durch den Gesetzgeber zu bestimmen, dem insoweit ein Gestaltungsspielraum zukommt.

Vgl. BVerfG, Urteil vom 8. Februar 1977 - 1 BvF 1/76 u.a. -, BVerfGE 43, 291 (321); Scholz, in: Maunz/Dürig/Herzog/ Scholz, GG, Kommentar, Stand: 2011, Art. 12 Rdnr. 457, 464 ff.

Dieser Gestaltungsspielraum ist aber von Verfassungs wegen begrenzt. Denn die Bewerberauswahl insgesamt hat nach objektiv sachgerechten und individuell zumutbaren Kriterien mit einer Chance für jeden "hochschulreifen" Bewerber zu erfolgen; dabei ist der prinzipielle Ausschluss ganzer Gruppen geeigneter Bewerber durch starre und durch eigenes Zutun nicht mehr korrigierbare Grenzziehungen mit unvertretbar hohen Schwellen zu vermeiden und für ausreichende Ausweichmöglichkeiten Sorge zu tragen.

Vgl. BVerfG, Urteile vom 18. Juli 1972 - 1 BvL 32/70 u.a. -, BVerfGE 33, 303 (337 f.), und vom 8. Februar 1977 - 1 BvF 1/76 u.a. -, BVerfGE 43, 291 (316 f.).

Von Beginn an hat das Bundesverfassungsgericht dabei hervorgehoben, dass die Mehrgleisigkeit der Auswahl im Hinblick auf ein für viele Bewerber chancenoffenes Auswahlsystem zielführend sein, die Chancenoffenheit des Gesamtsystems also durch eine sachgerechte Kombination verschiedener Auswahlkriterien hergestellt werden könne. Schließe ein Auswahlkriterium eine wesentliche Gruppe von Bewerbern von vornherein von der Zulassung zum Studium aus, so bedürfe es eines Ausgleichs in Form (zumindest) eines anderen Kriteriums, das die Chancenoffenheit insgesamt gewährleiste. Namentlich eine Auswahl der Bewerber, die bevorzugt nach dem durch die Durchschnittsnote des Schulabschlusses bestimmten Grad der Eignung vorgenommen werde, sei so lange verfassungsrechtlich vertretbar, wie durch eine kumulative Anwendung des Leistungs- und des Wartezeitprinzips die nachteiligen Auswirkungen dieser Auswahlkriterien einigermaßen ausgeglichen würden, was unter anderem zur Bedingung habe, dass die Anforderungen an Durchschnittsnoten und Wartezeiten ein erträgliches Maß nicht überschritten.

Vgl. BVerfG, Urteile vom 18. Juli 1972 - 1 BvL 32/70 u.a. -, BVerfGE 33, 303 (348 ff.), und vom 8. Februar 1977 - 1 BvF 1/76 u.a. -, BVerfGE 43, 291 (317); siehe auch Scholz, in: Maunz/Dürig/Herzog/Scholz, GG, Kommentar, Stand: 2011, Art. 12 Rdnr. 476; Mahrenholz, in: Avenarius u.a. (Hrsg.), Festschrift für Erwin Stein, 1983, S. 199 ff.; Forsthoff, Die Auswahl bei der Hochschulzulassung, DÖV 1984, 331 (336 f.).

Die vorstehend skizzierten Grundsätze der verfassungsgerichtlichen Rechtsprechung sind nach Auffassung der Kammer auch heute noch Maßstab der verfassungsrechtlichen Prüfung. In Rechtsprechung und Literatur sind sie weitgehend akzeptiert.

Vgl. nur (aus der jüngeren Rechtsprechung) BVerwG, Urteile vom 29. April 2009 - 6 C 16.08 -, BVerwGE 134, 1 (7 f.), und vom 23. März 2011 - 6 CN 3.10 -, BVerwGE 139, 210 (220 ff.); BayVerfGH, Entscheidung vom 4. Mai 2007 - Vf.9-VII-06 -, juris (Rdnr. 64 ff.); BayVGH, Beschlüsse vom 21. September 2011 - 7 CE 11.10660 -, juris, und vom 2. Februar 2012 - 7 CE 11.3019 -, juris; VGH Baden-Württ., Beschluss vom 12. Juni 2009 - NC 9 S 1329/09 -, NVwZ-RR 2009, 884 f.; OVG NRW, Beschlüsse vom 8. November 2011 - 13 B 1212/11 -, NJW 2012, 1096 ff., und vom 1. Februar 2012 - 13 A 2214/11 -, juris; OVG Saarl., Beschluss vom 18. September 2009 - 2 B 431/09 -, juris, und Urteil vom 2. Februar 2012 - 2 C 300/11 -, juris; aus der Literatur etwa Scholz, in: Maunz/Dürig/Herzog/Scholz, GG, Kommentar, Stand: 2011, Art. 12 Rdnr. 453 ff.; Kämmerer, in: v. Münch/Kunig, GG, Kommentar, 6. Aufl. 2012, Art. 12 Rdnr. 36 f.; Mann, in: Sachs (Hrsg.), GG, Kommentar, 6. Aufl. 2011, Rdnr. 160 ff.; Hömig, in: ders. (Hrsg.): GG, Kommentar, 9. Aufl. 2010, Art. 12 Rdnr. 21; Nolte, in: Stern/Becker (Hrsg.), Grundrechte-Kommentar, 2010, Art. 12 Rdnr. 68 ff.; Breuer, in: Isensee/Kirchhof (Hrsg.), HdbStR, Bd. VIII, 3. Aufl. 2010, § 170 Rdnr. 105 ff.; Reich, HRG, Kommentar, 10. Aufl. 2007, § 32 Rdnr. 17; Lindner, in: Hartmer/Detmer (Hrsg.), Hochschulrecht, 2. Aufl. 2010, Kap. XI Rdnr. 105 (einschl. Fußn. 209), 111; Bahro/Berlin, Das Hochschulzulassungsrecht in der BRD, 4. Aufl. 2003, Einleitung S. 32, 37 ff. und Art. 14 StV Rdnr. 1; Möller, Rahmenbedingungen der Hochschulzulassung, 2001, S. 89 ff.; Hammer/Nagel, Die Öffnung der Hochschulen als Verfassungsproblem, NJW 1977, 1257 ff.; Forsthoff, Die Auswahl bei der Hochschulzulassung, DÖV 1984, 331; Hauck, Neues Recht zur Studienplatzvergabe, NVwZ 1986, 348 ff.; Hauck-Scholz/Brauhardt, Verfassungsrechtliche Aspekte des neuen Studienplatzvergaberechts, WissR 2008, 307 ff.; im Ansatz wohl auch Hailbronner, Verfassungsrechtliche Fragen des Hochschulzugangs, WissR 1996, 1 ff.; ders., Hochschulzugang, zentrale Studienplatzvergabe und Hochschulauswahlverfahren, WissR 2002, 209 ff.

Und auch das Bundesverfassungsgericht selbst hat noch in den oben zitierten Beschlüssen vom 18. Februar 2002 (1 BvR 13/02) und vom 21. Juli 2005 (1 BvR 584/05) auf seine ständige Rechtsprechung zum Numerus clausus Bezug genommen. Dem erstgenannten Beschluss lag bereits ein Verfahren zugrunde, in dem die Verfassungswidrigkeit des neuen Auswahlsystems, bei dem ein Teil der Studienplätze von den Hochschulen vergeben wird und die Wartezeitquote entsprechend verringert ist, geltend gemacht worden war. Das Bundesverfassungsgericht nahm die Verfassungsbeschwerde wegen fehlender Erschöpfung des Rechtswegs nicht zur Entscheidung an und führte aus:

"Es muss daher im Hauptsacheverfahren vorab geklärt werden, ob die [...] festgelegte Wartezeitquote von 25 vom Hundert als zu gering anzusehen ist. Hierbei werden die Verwaltungsgerichte die bekannten verfassungsrechtlichen Vorgaben (vgl. BVerfGE 33, 303; 43, 291; 59, 1) zu beachten haben."

c) Vereinbarkeit des geltenden Rechts mit den aufgezeigten Maßstäben

Das derzeitige Zulassungsregime für den Studiengang Humanmedizin wird den aufgezeigten verfassungsrechtlichen Vorgaben insgesamt nicht (mehr) gerecht. Zwar begegnet keines der in den drei Hauptquoten angewandten Auswahlkriterien für sich genommen durchgreifenden Bedenken (dazu nachfolgend (1)). Festzustellen ist jedoch, dass die Auswahl sowohl in der "Abiturbestenquote" als auch im "Auswahlverfahren der Hochschulen" derart auf das Kriterium "Durchschnittsnote der Hochschulzugangsberechtigung" zugespitzt ist, dass eine sehr große Gruppe potentieller Bewerber von vornherein von jeglicher Zulassungschance ausgeschlossen ist (dazu nachfolgend (2)). Dies führt nach Auffassung der Kammer zwar nicht per se zur Verfassungswidrigkeit des Auswahlsystems, aber zur Notwendigkeit eines Korrektivs, das für eine größere Zahl von Bewerbern die Chancenoffenheit wahrt (dazu nachfolgend (3)). Dieses Korrektiv kann nach geltendem Vergaberecht nur die Wartezeitquote sein, die ihre Funktion als verfassungsmäßig gebotener Ausgleich aber wegen unzumutbar langer Wartezeiten inzwischen nicht mehr erfüllt (dazu nachfolgend (4)).

(1) Die einzelnen Auswahlkriterien, die bei der Zulassung zum Medizinstudium im Rahmen der drei Hauptquoten Anwendung finden, hält die Kammer jeweils für sich genommen für "sachgerecht". Sowohl die Durchschnittsnote der Hochschulzugangsberechtigung und die Wartezeit als auch die von den Hochschulen zum Teil herangezogenen zusätzlichen Kriterien - wie etwa das Ergebnis des "Medizinertests" oder eines Auswahlgesprächs, eine abgeschlossene einschlägige Berufsausbildung oder die besondere Berücksichtigung bestimmter Einzelnoten der Hochschulzugangsberechtigung - sind Kriterien, die in einem sachlichen Zusammenhang mit der Studien- und Berufswahl sowie mit der Notwendigkeit einer effizienten Verwendung staatlicher Ressourcen stehen und aus Sicht der Kammer grundsätzlich verwendet werden können. Auch soweit in diesen Auswahlkriterien das "Leistungsprinzip" zum Ausdruck kommt, wie insbesondere bei dem Kriterium Durchschnittsnote, handelt es sich grundsätzlich um eine vor dem Gleichheitssatz gerechtfertigte Unterscheidung. Denn das Leistungsprinzip knüpft an die individuelle Qualifikation des Studienbewerbers an, die für das (erfolgreiche) Absolvieren eines Studiums von großer Bedeutung ist.

Vgl. BVerfG, Urteil vom 8. Februar 1977 - 1 BvF 1/76 u.a. -, BVerfGE 43, 291 (317 f.); Scholz, in: Maunz/Dürig/Herzog/ Scholz, GG, Kommentar, Stand: 2011, Art. 12 Rdnr. 465; Möller, Rahmenbedingungen der Hochschulzulassung, 2001, S. 132 ff.; Forsthoff, Die Auswahl bei der Hochschulzulassung, DÖV 1984, 331 (334 ff.).

(2) Festzustellen ist indessen, dass nicht nur in der eigentlichen Abiturbestenquote, sondern auch in der dem "Auswahlverfahren der Hochschulen" vorbehaltenen Auswahlquote der Durchschnittsnote der Hochschulzugangsberechtigung, also im Regelfall der Abiturnote, eine überragende Bedeutung zukommt, welche einen großen Teil der Bewerber von vornherein von jeglicher Zulassungschance in diesen beiden Hauptquoten ausschließt.

In der von der Beklagten verwalteten eigentlichen Abiturbestenquote werden inzwischen allerdings nur noch 20% der (nach Abzug der Vorabquoten verbliebenen) Studienplätze vergeben. Die Auswahlgrenzen in dieser Auswahlquote sind in den letzten zwölf Jahren kontinuierlich angestiegen. Zum Wintersemester 2011/12 war für eine Zulassung zum Studium in der Abiturbestenquote - je nach Bundesland des Bewerbers - eine Abiturdurchschnittsnote von 1,0 (neun Bundesländer), 1,1 (fünf Bundesländer) oder 1,2 (zwei Bundesländer) erforderlich. Da der Anteil der Abiturienten mit der Note 1,0 oder 1,1 in der Regel bei maximal 2 bis 3% eines Jahrgangs liegt (vgl. die von der Kammer herangezogenen Aufstellungen des Sekretariats der KMK zu den Abiturnoten der Jahre 2006 bis 2010, GA Bl. 54 ff.), haben die weitaus meisten Abiturienten in dieser Auswahlhauptquote keinerlei Zulassungschance.

Auch im "Auswahlverfahren der Hochschulen", in dem inzwischen 60% - aufgrund der ein Nachrückverfahren in der Abiturbesten- und der Wartezeitquote ausschließenden Regelung des Art. 10 Abs. 4 Staatsvertrag 2008, § 6 Abs. 6 S. 2 VergabeVO de facto wohl mehr als 60% - der (nach Abzug der Vorabquoten verbliebenen) Studienplätze vergeben werden, spielt die Durchschnittsnote indes eine überragende Rolle. So schließen zwölf von 34 Hochschulen (Dresden, Duisburg/Essen, Frankfurt am Main, Greifswald, Hannover, Heidelberg, Heidelberg/Mannheim, Jena, Magdeburg, Rostock, Ulm, Würzburg) schon im Rahmen einer vollständig oder teilweise an der Abiturnote orientierten Vorauswahl Bewerber von ihrem Auswahlverfahren aus. Im eigentlichen Auswahlverfahren ist an acht von 34 Hochschulen die ungewichtete Abiturnote alleiniges Auswahlkriterium (Aachen, Bonn, Düsseldorf, Köln, Magdeburg, Marburg, Münster, Saarbrücken). An zwei weiteren Hochschulen (Halle/Wittenberg und Kiel) wird ebenfalls allein anhand des Zeugnisses der Hochschulzugangsberechtigung ausgewählt, allerdings unter besonderer Gewichtung der Noten in bestimmten studienspezifischen Fächern.

An den übrigen Hochschulen treten weitere Auswahlkriterien neben die (gewichtete oder ungewichtete) Abiturnote, wie etwa eine einschlägige Berufsausbildung, das Ergebnis eines Auswahlgesprächs oder dasjenige des Medizinertests. Auch bei diesen Hochschulen steht die Abiturnote indessen jeweils stark im Vordergrund. Dies entspricht der gesetzlichen Forderung an die Hochschulen, dem "Grad der Qualifikation" bei der Ausgestaltung ihres Auswahlverfahrens "maßgeblichen Einfluss" zu geben (§ 32 Abs. 3 S. 2 HRG; Art. 10 Abs. 1 Nr. 3 S. 2 Staatsvertrag 2008). Vor dem Hintergrund dieser Vorgabe ist die Möglichkeit, den Rangplatz durch weitere Kriterien zu verbessern, teilweise äußerst gering mit der Folge, dass die Abiturdurchschnittsnote nahezu das alleinige Zulassungskriterium darstellt. Dies gilt zum Beispiel für die LMU München, bei der sich die Abiturnote (durch eine einschlägige Berufsausbildung) lediglich um 0,1 Punkte "verbessern" lässt.

All dies führt dazu, dass auch im Auswahlverfahren der Hochschulen praktisch ausschließlich Bewerber mit guten Abiturnoten zum Zuge kommen können. So lagen die Auswahlgrenzen bei den acht Hochschulen, die in ihrem Auswahlverfahren allein nach der Abiturnote auswählen, zum Wintersemester 2011/12 je nach Hochschule zwischen 1,0 (Münster) und 1,5 (Saarbrücken). In diesem Bereich lag im Óbrigen auch die Abiturnote des jeweils schwächsten ausgewählten Bewerbers an sechs weiteren Hochschulen. An insgesamt 15 Hochschulen lag die Abiturnote des schwächsten ausgewählten Bewerbers zwischen 1,6 und 2,0. Eine schwächere Durchschnittsnote als 2,0 eröffnete allenfalls (nämlich bei Erfüllung weiterer Auswahlkriterien) eine Zulassungschance an fünf von 34 Hochschulen, nämlich in Greifswald (2,4), Heidelberg (2,3), Heidelberg/Mannheim (2,2), Mainz (2,4) und Rostock (2,1). Eine Zulassung mit der Durchschnittsnote 2,5 (oder schwächer) war im Auswahlverfahren der Hochschulen zum Wintersemester 2011/12 an keiner Hochschule möglich.

Vor dem Hintergrund der Tatsache, dass die durchschnittliche Abiturnote in den Jahren 2006 bis 2010 stets je nach Bundesland zwischen etwa 2,3 (Thüringen) und etwa 2,7 (Niedersachsen) lag und dabei rund die Hälfte aller erfolgreichen Abiturienten in Deutschland eine Abiturnote von 2,5 oder schwächer erzielte (Aufstellungen des Sekretariats der KMK, GA Bl. 54 ff.), lässt sich konstatieren, dass die Möglichkeit, mit einer durchschnittlichen Abiturnote einen Medizinstudienplatz zu erhalten, auch im Auswahlverfahren der Hochschulen zum Wintersemester 2011/12 praktisch nicht gegeben war. Dass vielmehr - im Gegenteil - eine weit überdurchschnittliche Abiturnote notwendig war, um eine ernsthafte Zulassungschance zu haben, lässt sich am Beispiel der Abiturergebnisse in Nordrhein-Westfalen in den Jahren 2009 und 2010 aufzeigen: Abiturnoten zwischen 1,0 und 1,5 erzielten hier insgesamt rund 8% der (erfolgreichen) Abiturienten. Abiturnoten zwischen 1,0 und 2,0 erzielten rund 23% der (erfolgreichen) Abiturienten. Abiturnoten zwischen 1,0 und 2,4 schließlich erzielten rund 40% der (erfolgreichen) Abiturienten (alle Angaben nach der zitierten Aufstellung der KMK, GA Bl. 54 ff.). Nach den oben wiedergegebenen Vergabeergebnissen zum Wintersemester 2011/12 hätten also rund 60% der nordrheinwestfälischen Abiturienten auch im Auswahlverfahren der Hochschulen keinerlei Zulassungschance gehabt. Weitere rund 17% der nordrheinwestfälischen Abiturienten hätten in dieser Quote zum Wintersemester 2011/12 allenfalls eine Chance an den fünf oben genannten Hochschulen mit Auswahlgrenzen jenseits von 2,0 gehabt. Zu berücksichtigen ist hier allerdings, dass ein Bewerber sich maximal an sechs Hochschulen im Auswahlverfahren der Hochschulen bewerben kann. Dabei gerade diejenigen Hochschulen auszuwählen, die im anstehenden Vergabeverfahren auch Bewerbern ohne Spitzenabitur eine Zulassungschance bieten, ist schwer zu realisieren. Selbst wenn ein Bewerber bei seiner Auswahl - etwa aufgrund früherer Vergabeergebnisse - ahnt, dass er bei den genannten fünf Hochschulen am ehesten eine Zulassungschance hat, kann er zudem nicht an der Auswahl aller fünf Hochschulen teilnehmen. Denn jede der fünf Hochschulen führt ein Vorauswahlverfahren durch und schließt solche Bewerber aus, die ihren Studienort nicht mit erster (Greifswald, Heidelberg) bzw. erster oder zweiter (Heidelberg-Mannheim) bzw. erster, zweiter oder dritter (Mainz, Rostock) Ortspräferenz benennen. Damit konnte ein Bewerber der genannten Gruppe (Abiturnote 2,1 bis 2,4) sich maximal an drei der fünf genannten Hochschulen bewerben. Seine Zulassungschance zu verwirklichen, war für einen Bewerber aus dieser Gruppe, auch wenn er die an der jeweiligen Hochschule gefragten Zusatzkriterien erfüllte, nach alledem in erster Linie Glückssache.

Vgl. zu diesen Folgen der Verfahrensvorschriften im AdH auch Hauck-Scholz/Brauhardt, Verfassungsrechtliche Aspekte des neuen Studienplatzvergaberechts, WissR 2008, 307 (314 f.): "... führt zu einer massiven Einschränkung der Zulassungschancen für den Studienbewerber"; kritisch zum Kriterium "Ortspräferenz" auch Selbmann/Kiebs, Rechtsprobleme des neuen Auswahlverfahrens der Hochschule, DÖV 2006, 816 (818).

Sich den Bonus für das Auswahlverfahren der einzelnen Hochschule - etwa durch die Absolvierung einer Berufsausbildung zum Krankenpfleger, Laborassistenten etc. - zu "verdienen", verlangt unter diesen Umständen von Bewerbern ohne Spitzennote ein sehr hohes Maß an Motivation, Einsatzbereitschaft und Zuversicht.

Die vorstehend aufgezeigten statistischen und rechnerischen Zusammenhänge sind im Óbrigen durchaus nicht nur abstrakter Natur. Die beschließende Kammer, die in jedem Jahr über eine Vielzahl von Klagen und Anträgen auf Zulassung zum Studium innerhalb der festgesetzten Kapazität zu entscheiden hat, hat es inzwischen regelmäßig auch mit Studienbewerbern zu tun, die trotz guter Abiturnoten keinen Studienplatz erhalten haben. So sind beispielsweise die Antragstellerinnen der zum Sommersemester 2012 anhängig gemachten Eilverfahren 6 L 317/12 und 6 L 420/12 jeweils mit der Abiturnote 1,8 im Vergabeverfahren gescheitert, obwohl sie sich in allen Hauptquoten und für eine große Zahl von Studienorten beworben haben.

Vgl. die Beschlüsse der Kammer vom 27. April 2012 - 6 L 317/12 - und vom 23. April 2012 - 6 L 420/12 -, abrufbar unter www.nrwe.de.

Zusammenfassend lässt sich feststellen, dass rund drei Viertel der erfolgreichen Abiturienten nach den Vergabeergebnissen des Wintersemesters 2011/12 selbst mit Zusatzkriterien einzelner Auswahlverfahren praktisch keinerlei ernsthafte Zulassungschance in der Abiturbestenquote oder im Auswahlverfahren der Hochschulen hatten; mehr als die Hälfte der Abiturienten hatte in den beiden genannten Hauptquoten nicht einmal eine theoretische Chance. Das Auswahlsystem lässt sich somit leicht überspitzt dahingehend beschreiben, dass "die Abiturnotenquote faktisch fast 80% beträgt".

So Breuer, in: Isensee/Kirchhof (Hrsg.), HdbStR, Bd. VIII, 3. Aufl. 2010, § 170 Rdnr. 110; nahezu wortgleich Brehm/Zimmerling, Die Entwicklung des Hochschulzulassungsrechts seit 1996, NVwZ 2008, 1303 (1304).

Dabei handelt es sich auch nicht etwa um ein in zeitlicher Hinsicht punktuelles Phänomen, das allein im Wintersemester 2011/12 aufgetreten ist. Die Auswahlgrenzen im Vergabeverfahren zum Sommersemester 2011 und zum Sommersemester 2012 sind denen des streitgegenständlichen Wintersemesters vergleichbar gewesen. Insgesamt zeigt sich, wenn man die Auswahlgrenzen der letzten zwölf Jahre betrachtet (Aufstellungen der Beklagten, BA 3), eine kontinuierliche Entwicklung hin zu dem jetzigen Zustand. Sofern die Prognose der Kultusministerkonferenz hinsichtlich der Studienanfängerzahlen bis 2025 zutrifft, ist auch nicht mit einer wesentlichen Entspannung in überschaubarer Zukunft zu rechnen. Denn wenn selbst im Jahre 2025 die Zahl der Studienanfänger noch in etwa diejenige des Jahres 2009 erreicht - so die Prognose (siehe oben unter I. 1.) -, dann ist auf absehbare Zeit ein Sinken der Auswahlgrenzen nicht zu erwarten.

(3) Die aufgezeigte starke Fixierung der beiden vorstehend erörterten Hauptquoten auf das Auswahlkriterium "Durchschnittsnote" führt nach Auffassung der Kammer zwar nicht per se zur Verfassungswidrigkeit des derzeitigen Auswahlsystems, sie macht aber aus verfassungsrechtlicher Sicht ein Korrektiv notwendig, das die Chancenoffenheit für eine größere Zahl von Bewerbern wahrt.

Denn insoweit stellt sich das vom Bundesverfassungsgericht herausgestellte Problem einer Ungleichbehandlung grundsätzlich gleichberechtigter, nämlich hochschulreifer Bewerber, die vor allem dann, wenn der Unterschied zwischen dem Bewerber mit Zulassungschance und dem Bewerber ohne Zulassungschance auf wenige Zehntelpunkte bei der Abiturnote beschränkt ist, nicht ohne Weiteres mit sachlichen Gründen von hinreichender Tragfähigkeit gerechtfertigt werden kann. Das Bundesverfassungsgericht hat in diesem Zusammenhang darauf hingewiesen, dass es problematisch ist, die Auswahlentscheidung stark auf ein einzelnes Auswahlkriterium zu konzentrieren und dass dies auch für das Kriterium "Durchschnittsnote" gilt. Schon in der Entscheidung "Numerus clausus I" heißt es:

"[Es wäre] jedenfalls bei der derzeitigen Regelung der Hochschulreife nicht gerechtfertigt, die Zulassung ausschließlich nach dem auf Abiturnoten fußenden Leistungsprinzip vorzunehmen. Dieses kann sich bei der Auswahlentscheidung chancenerhöhend auswirken, indem beispielsweise die Zulassungsquote nach dem Leistungsprinzip höher bemessen wird, als nach dem Jahrgangsprinzip [...]. Eine ausnahmslose Anwendung des Leistungsprinzips würde aber bei Erschöpfung der Gesamtkapazität chancenausschließend wirken, nämlich dazu führen, dass ein Teil der hochschulreifen Bewerber von vornherein und auf Dauer vom Studium ihrer Wahl ausgeschlossen bliebe. Ein solches Ergebnis, bei dem die Zulassung oder Ablehnung von einem auf mehrere Stellen hinter dem Komma berechneten und je nach Bewerberzahl und Ausbildungskapazität schwankenden Notendurchschnitt abhängen würde, bezeichnet die Westdeutsche Rektorenkonferenz [...] zu Recht als offensichtlich unsachlich."

So BVerfG, Urteil vom 18. Juli 1972 - 1 BvL 32/70 u.a. -, BVerfGE 33, 303 (350); vgl. zur Tauglichkeit der Abiturnote als Auswahlkriterium auch Beschluss vom 3. April 1974 - 1 BvR 282/73 -, BVerfGE 37, 104 ff. ("Bonus/Malus").

In seinem Urteil vom 8. Februar 1977 ("Numerus Clausus II") hat das Bundesverfassungsgericht an diese Óberlegungen angeknüpft und festgestellt:

"Bei der Würdigung des gegenwärtigen Auswahlsystems wurde es als sachgerecht beurteilt, die Auswahl bevorzugt nach dem Grad der Eignung vorzunehmen. Als bislang praktisch unvermeidlich wurde es dabei bezeichnet, den Grad der Eignung nach der Durchschnittsnote des Schulabschlusses zu bestimmen. Doch wurde mit zunehmender Deutlichkeit auf die damit verbundenen Bedenken hingewiesen und demgemäß die Anwendung der derzeitigen Auswahlkriterien als "problematisch" gewertet [...]. Trotz dieser Bedenken war eine verfassungsrechtliche Billigung solange vertretbar, wie durch eine kumulative Anwendung des Leistungsprinzips und des Wartezeitprinzips die nachteiligen Auswirkungen verschiedener Auswahlkriterien einigermaßen ausgeglichen wurden und zudem die Zahl der zulassungsbeschränkten Studiengänge noch gering war. Denn bei einer Kumulation wirkt die notenabhängige Anwendung des Leistungsprinzips nicht chancenausschließend sondern lediglich chancenerhöhend in dem Sinne, dass von der Leistungsliste zwar die sofortige Zulassung ohne zeitliche Verzögerung abhängt, dass jedoch die zunächst abgewiesenen Bewerber über die Wartezeit eine Zulassungschance behalten. Diese Wirkung hat aber zur Bedingung, dass die Anforderungen an Durchschnittsnoten und Wartezeit ein erträgliches Maß nicht überschreiten; bei höheren Grenzwerten setzt das Funktionieren eines solchen Systems [...] zumindest eine Tendenz zum Abbau von Zulassungsbeschränkungen als vorübergehender Mangelerscheinung voraus, von der das Numerus Clausus-Urteil aufgrund der damaligen Angaben noch ausgehen konnte [...]. Unter diesen Voraussetzungen erfüllt ein solches System weitgehend die Forderung nach Chancenoffenheit, da es praktisch allen Bewerbern eine hohe Zulassungschance lässt. Demgemäß genügt bei vertretbaren Grenzwerten eine durch eine Härteklausel ergänzte Auswahl nach Durchschnittsnoten und Wartezeit nach wie vor den verfassungsrechtlichen Anforderungen, namentlich dann, wenn sie durch die in § 32 Abs. 3 HRG vorgesehenen Modifizierungen (Gewichtung von Leistungen, die über die Eignung besonderen Aufschluss geben; Gleichbehandlung geringfügig abweichender Qualifikationsgrade; rangverbessernde Berücksichtigung beruflicher Tätigkeiten und Ausbildungen) verbessert wird. [...]"

So BVerfG, Urteil vom 8. Februar 1977 - 1 BvF 1/76 u.a. -, BVerfGE 43, 291 (317 ff.).

Der Senat sah die Wartezeitquote seinerzeit also als einen bei hohem Bewerberüberhang und demzufolge engen Auswahlgrenzen notwendigen Ausgleich zu der übrigen, am Leistungsprinzip orientierten Auswahl an. Gerade die Mehrgleisigkeit des Auswahlsystems wurde - wie oben unter II. 1. b) (3) bereits erwähnt - unter diesen Umständen als im Hinblick auf ein für viele Bewerber chancenoffenes Auswahlsystem zielführend angesehen. Auch in Rechtsprechung und Literatur wird infolge dieser Óberlegungen des Bundesverfassungsgerichts darauf hingewiesen, dass es auf die Chancenoffenheit des Gesamtsystems ankomme, die gerade durch eine sachgerechte Kombination verschiedener Auswahlkriterien hergestellt werden könne. Schließt ein Auswahlkriterium eine wesentliche Gruppe von Bewerbern von vornherein von der Zulassung aus, so bedarf es eines Ausgleichs in Form (zumindest) eines anderen Kriteriums, das die Chancenoffenheit insgesamt zu gewährleisten vermag.

Vgl. etwa BayVerfGH, Entscheidung vom 4. Mai 2007 - Vf. 9-VII-06 -, juris; VGH Baden-Württ., Beschluss vom 12. Juni 2009 - NC 9 S 1329/09 -, NVwZ-RR 2009, 884 f.; Scholz, in: Maunz/Dürig/Herzog/Scholz, GG, Kommentar, Stand: 2011, Art. 12 Rdnr. 476; Mann, in: Sachs (Hrsg.), GG, Kommentar, 5. Aufl. 2010, Art. 12 Rdnr. 173; Mahrenholz, in: Avenarius u.a. (Hrsg.), Festschrift für Erwin Stein, 1983, S. 199 ff.; Forsthoff, Die Auswahl bei der Hochschulzulassung, DÖV 1984, 331 (334 ff.); Hailbronner, Hochschulzugang, zentrale Studienplatzvergabe und Hochschulauswahlverfahren, WissR 2002, 209 (212 f.); Hauck-Scholz/Brauhardt, Verfassungsrechtliche Aspekte des neuen Studienplatzvergaberechts, WissR 2008, 306 (320 f.).

In konsequenter Fortführung dieser Óberlegungen sind die Verwaltungsgerichte bei der Einführung und sukzessiven Stärkung des "Auswahlverfahrens der Hochschulen" als dritter Hauptquote davon ausgegangen, dass die Auswahlsatzung einer einzelnen Hochschule oder auch die Auswahlregelungen der Hochschulen eines einzelnen Bundeslandes nicht - etwa wegen der Verengung auf die Abiturnote als einziges Auswahlkriterium - verfassungswidrig sind, solange die Chancenoffenheit des Gesamtsystems durch die anderen Hauptquoten, aber auch die Auswahlsatzungen anderer Hochschulen gewährleistet ist. Insoweit wird eine bundesweite Gesamtbetrachtung der Auswahlverfahren in allen Quoten für erforderlich gehalten.

Vgl. nur BayVGH, Beschlüsse vom 23. März 2006 - 7 CE 06.10164 u.a. -, juris; HessVGH, Beschluss vom 22. März 2006 - 8 MM 3780/05.W5 u.a. -, juris; VG Berlin, Gerichtsbescheid vom 24. Juni 2008 - 3 A 758/07 -, juris; VG Frankfurt/Main, Beschluss vom 3. März 2006 - 3 FM 2887/05.W -, juris (Rdnr. 27); VG Köln, Beschluss vom 9. Februar 2006 - 6 L 1791/05 -, n.v.; VG Münster, Beschluss vom 20. Januar 2006 - 9 L 1071/05 -, juris; VG Gelsenkirchen, Urteil vom 27. Mai 2003 - 6z K 4720/02 -, juris.

Die Kammer ist der Óberzeugung, dass das Zusammenspiel der beiden bislang erörterten Hauptquoten - Abiturbestenquote und Auswahlverfahren der Hochschulen - in ihrer derzeitigen Gestalt den Anforderungen an ein hinreichend chancenoffenes Gesamtsystem nicht (mehr) genügt und dass es daher nach wie vor eines Ausgleichs bedarf. Allerdings kommt die Einführung des Auswahlverfahrens der Hochschulen als dritter Hauptquote und die damit wegen der in gewissem Umfang autonomen Entscheidung der Hochschulen verbundene Vielfalt der in das Gesamtsystem integrierten Auswahlkriterien der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts, namentlich der Forderung nach Mehrgleisigkeit des Auswahlsystems, grundsätzlich entgegen, ist also aus verfassungsrechtlicher Sicht im Prinzip positiv zu bewerten. Denn je mehr verschiedene Auswahlkriterien angewandt werden, desto größer wird die Bandbreite der Bewerber, die über das eine oder andere Kriterium eine Chance haben. Die wichtige Funktion, die dem Auswahlverfahren der Hochschulen insoweit im Hinblick auf die Chancenoffenheit des Gesamtsystems zukommt, war im Óbrigen auch dem Gesetzgeber der Siebten HRG-Novelle bewusst, wie sich aus der folgenden Passage der Gesetzesmaterialien ersehen lässt:

"Nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts reicht eine Vergabe der Studienplätze allein nach den auf Bundesebene angewandten Kriterien Abiturdurchschnittsnote und Wartezeit bei sehr großem Bewerberüberhang nicht aus. In diesen Fällen käme es zu Grenznoten im 1er-Bereich und zu Wartezeiten, die länger sind als die Regelstudienzeit des betreffenden Studiengangs. Bewerber mit 2er-Abitur, die sich derartig lange Wartezeiten nicht leisten können, wären damit dauerhaft von dem betreffenden Studiengang ausgeschlossen. [...] Ein Verzicht auf das Besondere Auswahlverfahren ist daher nur möglich, wenn die für Fälle eines großen Bewerberüberhangs notwendige Chancenvermehrung in dem neuen Auswahlverfahren nach § 32 HRG erfolgt. Dies geschieht zum einen durch die Anwendung des obligatorischen Auswahlkriteriums Durchschnittsnote für den größten Teil der Studienplätze auf der Hochschulebene. Dadurch haben Bewerber ohne 1er-Abitur und lange Wartezeit die Chance, durch die Wahl eines weniger nachgefragten Standortes ihre Zulassungschancen zu verbessern, da die Grenznoten für die Bewerberauswahl dort deutlich günstiger sein werden als an den überdurchschnittlich nachgefragten Standorten. Zum anderen werden die Hochschulen die ihnen im Rahmen des Hochschulauswahlverfahrens gebotenen Möglichkeiten, neben Abiturdurchschnittsnote und Wartezeit weitere Auswahlkriterien anwenden zu können, in weit größerem Maße nutzen als dies bisher der Fall war. Zudem haben die Landesgesetzgeber die Möglichkeit, hier erforderliche Vorgaben zur Gewährleistung hinreichender Bewerbungschancen zu treffen."

Beschlussempfehlung des Ausschusses für Bildung, Forschung und Technikfolgenabschätzung, Bundestags-Drucks. 15/3475 vom 30. Juni 2004, Seite 8; s. auch Hailbronner, Hochschulzugang, zentrale Studienplatzvergabe und Hochschulauswahlverfahren, WissR 2002, 209 (211).

Der in der Vielfalt an Auswahlkriterien liegende Vorteil des "Auswahlverfahrens der Hochschulen" wird indessen zu einem nicht unerheblichen Teil bereits durch die Detailregelungen für die Bewerbung in dieser Quote entwertet. Kann der Bewerber sich nämlich im "Auswahlverfahren der Hochschulen" von vornherein nur bei maximal sechs Hochschulen bewerben und ist zudem die Zahl der denkbaren Wahlkombinationen wegen der massiven Beschränkung, denen die Bewerbung insbesondere über das Vorauswahlkriterium "Ortspräferenz" unterliegt, stark reduziert, so stellt sich die Vielfalt der Auswahlkriterien für den Bewerber als ein eher theoretischer Vorteil dar, von dem er realiter nur bedingt zu profitieren vermag. Vor allem aber ändern auch die differenzierten Zusatzkriterien des Auswahlverfahrens der Hochschulen - wie oben dargelegt - nichts daran, dass eine große Gruppe von Bewerbern allein wegen der hohen Anforderungen an die Durchschnittsnote auch in dieser Hauptquote ohne Zulassungschance bleibt. Die in der zitierten Beschlussempfehlung geäußerte Erwartung des Ausschusses, im "Auswahlverfahren der Hochschulen" würden auch Abiturienten mit "2er-Abitur" zum Zuge kommen, entspricht im Wesentlichen nicht (mehr) den Tatsachen.

Eine solch massive Konzentration auf das Auswahlkriterium "Durchschnittsnote" erfordert - wie bereits mehrfach, insbesondere auch in den wiedergegebenen Entscheidungspassagen, dargelegt - ein Korrektiv, das für eine größere Zahl von Bewerbern die Chancenoffenheit wahrt. Die entsprechenden Óberlegungen des Bundesverfassungsgerichts hält die Kammer nach wie vor für zutreffend.

Daran ändert entgegen der Auffassung der Beklagten auch der Umstand nichts, dass die Eignung der Abiturnote als valider Indikator für einen Studienerfolg heute wohl weniger umstritten ist als in den siebziger Jahren.

Eingehend dazu Gentsch, Richtig ausgewählt? Eine Evaluation neuer Verfahren der Studierendenauswahl in den Fächern Medizin und Pharmazie an der Goethe-Universität, Berlin 2009, mit weiteren Nachweisen zum Meinungsstand.

Bezweifelt wird zum Teil bereits, dass der "Studienerfolg" - also Dauer, Bestehensquote und Abschlussnoten des Studiums, die in einer gewissen Korrelation zu den Abiturnoten der Studierenden stehen - alleiniger Maßstab für die auf den Beruf des Arztes hinführende Auswahlentscheidung sein sollte bzw. darf.

Kritisch etwa Mahrenholz, in: Avenarius u. a. (Hrsg.), Festschrift für Erwin Stein, 1983, S. 203 ff.; vgl. zu alternativen Maßstäben auch Gentsch, a.a.O., S. 25 ff.

Die Kammer ist allerdings der Auffassung, dass sich mit der Validität der Abiturnote als Indikator für den Studienerfolg durchaus die Heranziehung dieses Auswahlkriteriums als "sachgerecht" begründen lässt. Denn gerade bei der Bereitstellung von Medizinstudienplätzen, die - wie die Beklagte zu Recht hervorhebt - für den Staat einen massiven Kostenaufwand bedeutet, erscheint es vertretbar, dass die Frage, ob der Bewerber das Studium voraussichtlich erfolgreich und in überschaubarer Zeit beenden wird, wesentliche Bedeutung bei der Vergabe der Studienplätze hat. Für die Abiturnote als die Eignung des Bewerbers indizierendes Auswahlkriterium dürfte auch sprechen, dass sie die Leistung des Bewerbers in einer gewissen Fächerbreite und über einen längeren Zeitraum bewertet und damit wohl auch über die Allgemeinbildung sowie die generelle Leistungsfähigkeit und -bereitschaft des Bewerbers Aufschluss geben kann. Zudem vermittelt - auch darauf hat die Beklagte zutreffend hingewiesen - Art. 5 Abs. 3 GG den Hochschulen grundsätzlich ein Recht auf "akademische Selbstverwaltung". Dass die Hochschulen das Auswahlkriterium "Durchschnittsnote" offenbar zum Teil bevorzugen, vermittelt diesem Kriterium daher in gewissem Umfang zusätzliche Rechtfertigung. Die Kraft dieses Arguments ist freilich begrenzt, weil die starke Betonung des Kriteriums "Durchschnittsnote" gesetzlich vorgegeben ist und weil die neueren Steuerungsmodelle - leistungsorientierte Mittelzuwendungen, Zielvereinbarungen etc. - die Finanzierung der einzelnen Hochschule zum Teil gerade von der Studiendauer sowie den Abschlussquoten und -noten abhängig machen, so dass das Kriterium "Durchschnittsnote", das gerade zu diesen Parametern in einer Beziehung steht, sich den Hochschulen unabhängig von ihrer akademischen Vorliebe aufdrängen dürfte. Für die Abiturnote als Auswahlkriterium spricht schließlich, dass auch alle anderen Auswahlkriterien für sich allein genommen wohl mindestens ebenso großen Einwänden in Bezug auf ihre Validität, Objektivität und/oder Zuverlässigkeit ausgesetzt sind.

Vgl. auch dazu Gentsch, a.a.O., mit weiteren Nachweisen.

Dass die Durchschnittsnote ein grundsätzlich sachgerechtes und zulässiges Auswahlkriterium ist, entspricht im Óbrigen auch der ganz überwiegenden Auffassung in Rechtsprechung und Literatur.

Vgl. nur BayVGH, Beschlüsse vom 23. März 2006 - 7 CE 06.10164 u.a. -, juris; OVG NRW, Beschluss vom 7. März 2006 - 13 B 174/06 -, juris; Scholz, in: Maunz/Dürig/Herzog/ Scholz, GG, Kommentar, Stand: 2011, Art. 12 Rdnr. 465 f.; Kämmerer, in: von Münch/Kunig (Hrsg.), GG, Kommentar, 6. Aufl. 2012, Art. 12 Rdnr. 37; Selbmann/Kiebs, Rechtsprobleme des neuen Auswahlverfahrens der Hochschule, DÖV 2006, 816 (817); kritisch demgegenüber Hailbronner, Verfassungsrechtliche Fragen des Hochschulzugangs, WissR 1996, 1 (24 f.).

Aus denselben Gründen ist es aus Sicht der beschließenden Kammer auch nicht von vornherein zu beanstanden, wenn der Abiturnote bei der Hochschulzulassung ein überwiegendes Gewicht zukommt, etwa indem die ganz oder teilweise an dieses Kriterium anknüpfenden Quoten deutlich mehr als 50% der zu vergebenden Studienplätze umfassen. Dem entsprechend hat die Kammer es in der Vergangenheit für vertretbar gehalten, dem ganz wesentlich an die Durchschnittsnote anknüpfenden Leistungsprinzip bei der Vergabe der Studienplätze einen Vorrang einzuräumen, wie es bei den derzeitigen Hauptquoten im Ergebnis geschieht. Die Kammer hat die seit dem Wintersemester 2000/01, also seit der Einführung des "Auswahlverfahrens der Hochschulen" angewandten Zulassungsregelungen einschließlich der Quotenaufteilung bislang ebenso wenig beanstandet wie andere damit befasste Verwaltungsgerichte.

Vgl. aus der Kammerrechtsprechung nur Urteil vom 27. Mai 2003 - 6 K 4839/02 -, Gerichtsbescheid vom 15. Mai 2006 - 6 K 3036/05 -, Urteil vom 12. Dezember 2008 - 6 K 4872/08 - und Beschluss vom 7. Oktober 2010 - 6 L 917/10 -, juris.

Zugunsten des geltenden, um das "Auswahlverfahren der Hochschulen" erweiterten Vergabesystems insgesamt lässt sich im Óbrigen auch anführen, dass es starre Grenzziehungen vermeidet. Denn anders als bei dem der Entscheidung "Numerus clausus II" zugrunde liegenden, nur aus Abiturbestenquote und Wartezeitquote bestehenden System, lässt sich heute in der Tat keine klare Grenze feststellen. Vielmehr ergeben sich je nach dem, in welchen Quoten und für welche Hochschulen sich ein Bewerber bewirbt und welche Zusatzkriterien er erfüllt, unterschiedliche Grenzen.

Trotz alledem bleibt die Durchschnittsnote aber ein problematisches Auswahlkriterium, das nach einem Korrektiv verlangt. Denn es besteht weitgehend Einigkeit, dass Abiturnoten für die Einschätzung der Qualifikation eines Bewerbers nur bedingt zuverlässig und dass sie untereinander nur eingeschränkt vergleichbar sind.

Schon die Vergleichbarkeit zwischen den Ländern ist nicht gegeben. Dies lässt sich etwa an der oben (unter I. 1.) abgedruckten Tabelle ersehen. Die Tabelle zeigt, wie bereits angesprochen, dass etwa die Abiturienten des Freistaats Thüringen in den Jahren 2006 bis 2010 durchgehend eine im Mittel um rund 0,35 bis 0,40 Punkte bessere Abiturnote erzielt haben als diejenigen des Landes Niedersachsen. Dies dürfte auf Unterschiede im Schulsystem oder im allgemeinen Benotungsniveau zurückzuführen sein. Dass die Thüringer Abiturienten hingegen generell qualifizierter sind als diejenigen aus Niedersachsen und insoweit regelmäßig auch ein signifikant unterschiedlicher Studienerfolg beider Gruppen zu erwarten ist, ist für die Kammer nicht ersichtlich und von der Beklagten auch nicht behauptet worden. Dass die Abiturnoten der Länder untereinander nicht vergleichbar sind, entspricht im Óbrigen auch der Einschätzung der Länder selbst, die in Art. 10 Abs. 1 Nr. 1 des Staatsvertrags 2008 für die Abiturbestenquote (erneut) vereinbart haben: "Solange die Vergleichbarkeit im Verhältnis der Länder untereinander nicht gewährleistet ist, werden für die Auswahl der Studienbewerberinnen und -bewerber Landesquoten gebildet".

Während die Unterschiede zwischen den Ländern bei der Abiturbestenquote durch Landesquoten ausgeglichen werden, wird im Auswahlverfahren der Hochschulen indes nicht nach Landesquoten verteilt, die Bewerber konkurrieren vielmehr insgesamt miteinander. Die Beklagte hat durchaus nachvollziehbar aufgezeigt, dass die Bildung von Länderquoten in den Auswahlverfahren der Hochschulen auf erhebliche Schwierigkeiten stößt, weil "die hiermit verbundenen Rundungs- und Verteilungsprobleme [...] organisatorisch nicht abzubilden" seien. Dies ändert aber nichts daran, dass die überragende Bedeutung, welche der Abiturnote im Auswahlverfahren der Hochschulen zukommt, aus Sicht des Gleichheitssatzes prekär ist, wenn Abiturienten unterschiedlicher Herkunft unmittelbar mit einander konkurrieren. Dass es bei der Abiturbestenquote wegen der fehlenden Vergleichbarkeit der Schulsysteme und des Abiturnotenniveaus verschiedener Länder geboten sein soll Landesquoten zu bilden, während im Auswahlverfahren der Hochschulen, selbst wenn einziges Auswahlkriterium die Abiturnote ist, alle Bewerber unmittelbar miteinander konkurrieren, lässt sich aus Sicht der Kammer schwerlich begründen und stellt vor dem Hintergrund der Forderung nach einem objektiv sachgerechten Auswahlverfahren ein erhebliches Problem dar, das sich wiederum anhand der genannten Zahlen illustrieren lässt: Während ein durchschnittlicher Abiturient der Jahrgänge 2006 bis 2010 aus Thüringen im Vergabeverfahren zum Wintersemester 2011/12 eine (geringfügige) Zulassungschance hatte, war ein durchschnittlicher Abiturient derselben Jahrgänge aus Niedersachsen oder Nordrhein-Westfalen von jeder Zulassungschance ausgeschlossen.

Vgl. zum Verzicht auf Landesquoten im AdH auch BayVGH, Beschlüsse vom 23. März 2006 - 7 CE 06.10164 u.a. -, juris.

Das Problem der Vergleichbarkeit von Abiturnoten besteht indessen nicht allein zwischen den Ländern. Es entspricht vielmehr praktisch einhelliger Ansicht und im Óbrigen auch der allgemeinen Lebenserfahrung, dass Abiturnoten wegen der Divergenzen des Schulniveaus und der schulischen Notengebung sowie wegen der "persönlichen, sozialen und situativen Bedingtheiten schulischer Leistungen" (Breuer) nur eingeschränkt miteinander vergleichbar sind. So kann das Abiturergebnis etwa von der Schulform und der Benotungskultur der jeweiligen Lehrerschaft abhängen. Auch die in der Oberstufe angebotenen und gewählten Kurse und Lehrkräfte spielen regelmäßig eine erhebliche Rolle. Relevant für die Gesamtnote ist auch, ob die Begabungen und Interessen eines Schülers sich auf einzelne Bereiche - beispielsweise auf die Naturwissenschaften - konzentrieren oder er bereits zu Schulzeiten ein breites Spektrum von Wissensfeldern abzudecken vermag. Die persönliche Reife des Schülers bei Eintritt in die Oberstufe dürfte ebenfalls nicht zu vernachlässigende Bedeutung haben und lässt zudem die Frage der Vergleichbarkeit von Abiturienten des zwölfjährigen und solchen des dreizehnjährigen Schulsystems aufscheinen. Auch in zeitlicher Hinsicht sind Abiturnoten wohl nicht unbegrenzt vergleichbar. Denn das Notenniveau scheint sich im Laufe der Zeit kontinuierlich zu besseren Abiturnoten hin zu verschieben, wie sich ansatzweise wohl sogar anhand der Aufstellung über die Abiturnoten 2006 bis 2010 (GA Bl. 54 ff.) ersehen lässt.

Vgl. zu alledem nur Breuer, in: Isensee/Kirchhof (Hrsg.), HdbStR, Bd. VIII, 3. Aufl. 2010, § 170 Rdnr. 111; Reich, HRG, Kommentar, 10. Aufl. 2007, § 32 Rdnr. 11; Hauck-Scholz/Brauhardt, Verfassungsrechtliche Aspekte des neuen Studienplatzvergaberechts, WissR 2008, 307 (329 f.); ebenso auch Gentsch, a.a.O., die trotz grundsätzlicher Befürwortung von fehlender Objektivität und Zuverlässigkeit des Auswahlkriteriums Abiturnote spricht (S. 37 ff. mit weiteren Nachweisen); siehe auch VG München, (auf Beschwerden geänderte) Beschlüsse vom 19. Dezember 2005 - M 3 E L 05.20578 u.a. -, juris.

Auch der Wissenschaftsrat hat im Jahre 2004 auf diese Probleme hingewiesen und erklärt, er halte die Praxis, einen erheblichen Teil der Studienplätze nach der Durchschnittsnote des Schulabschlusses zu vergeben, für "bedenklich", weil "zur Genüge bekannt" sei, dass gleiche Notenniveaus nicht auf eine tatsächliche Gleichheit der zugrunde liegenden Leistungen und Qualifikationsniveaus schließen ließen, sondern dass "teilweise erhebliche Differenzen zwischen einzelnen Bundesländern und auch zwischen einzelnen Schulen und sogar Klassen derselben Bundesländer feststellbar" seien; diese Differenzen würden sich "auf absehbare Zeit auch nicht ausgleichen lassen". Die Mathematisierung der Noten im Rahmen der Studienplatzvergabe erwecke zwar den Anschein einer großen Messgenauigkeit mit Blick auf Leistungsunterschiede, dürfte jedoch in der Realität kaum Bestand haben.

Wissenschaftsrat, Empfehlungen zur Reform des Hochschulzugangs, Drs. 5920/04 vom 30. Januar 2004, S. 28 ff., abrufbar auf www.wissenschaftsrat.de; in Bezug genommen auch in Bundestags-Drucksache 15/3475, S. 6.

Auf diese Bedenken hat das Bundesverfassungsgericht bereits in seiner Numerus clausus-Rechtsprechung hingewiesen und überdies auch auf die negativen Folgen aufmerksam gemacht, die eine Verabsolutierung der Abiturnoten bei der Studienzulassung auf das Verhalten von Schülern, Eltern und Lehrern und auf die Funktionsfähigkeit der Schule als einer Bildungseinrichtung, die nicht allein eine Auswahl unter den Studienbewerbern ermöglichen soll, sondern einer größeren Zahl von Bildungs- und Erziehungszielen verpflichtet ist (vgl z. B. die Aufzählung in Art. 1 f. Bayerisches Gesetz über das Erziehungs- und Unterrichtswesen; § 2 Schulgesetz NRW), hat.

Vgl. BVerfG, Urteil vom 18. Juli 1972 - 1 BvL 32/70 u.a. -, BVerfGE 33, 303 (350); Beschluss vom 3. April 1974 - 1 BvR 282/73 -, BVerfGE 37, 104 (114 ff.); eindringlich zu den zuletzt genannten Aspekten Mahrenholz, in: Avenarius u.a. (Hrsg.), Festschrift für Erwin Stein, 1983, S. 203 ff.

Die geschilderten Bedenken gegen das Kriterium "Durchschnittsnote" lassen sich entgegen der Auffassung der Beklagten auch nicht mit einem Hinweis auf die veränderte Hochschullandschaft bzw. auf ein gewandeltes Rechts- und Verfassungsverständnis im Bereich des Hochschulrechts ausräumen. Im Schrifttum findet sich allerdings in der Tat der Hinweis, dass es vor dem Hintergrund von gestärkter Hochschulautonomie, Flexibilisierung, Wettbewerb und geforderter Schwerpunktbildung heute nicht mehr um ein Recht auf Zuteilung eines Studienplatzes in einem einheitlichen Hochschulsystem gehe, sondern um die Chance, nach gleicher Eignung und Befähigung einen bestimmten Studiengang an der gewünschten Hochschule in einem differenzierten Hochschulsystem absolvieren zu können. Chancengleichheit und Offenheit des Ausbildungsangebots seien durch die Möglichkeit, sich für jeden Studiengang nach den individuellen Fähigkeiten und Voraussetzungen bewerben zu können, tendentiell besser gewährleistet. Nicht jeder erfolgreiche Abiturient sei eben - wie das Bundesverfassungsgericht in seiner Numerus clausus-Rechtsprechung angenommen habe - in der Weise "hochschulreif", dass er für jeden Studiengang an jeder Hochschule geeignet sei.

Vgl. Hailbronner, Hochschulzugang, zentrale Studienplatzvergabe und Hochschulauswahlverfahren, WissR 2002, 209 ff.; Steinberg/Müller, Art. 12, Numerus Clausus und die neue Hochschule, NVwZ 2006, 1113 ff.

Nach Auffassung der Kammer lassen sich diese Óberlegungen indes im vorliegenden Zusammenhang nicht fruchtbar machen. Zwar ließe sich mit ihnen möglicherweise ein Auswahlsystem rechtfertigen, in dem eine noch größere Bandbreite an Auswahlkriterien verwendet wird und in dem tatsächlich die einzelne Hochschule über die Eignung eines Bewerbers und die Kriterien zu ihrer Ermittlung entscheidet. Die Bedenken gegen ein Auswahlsystem, das eben nicht vorrangig von differenzierten Eignungskriterien geprägt ist, sondern in erster Linie von einer (den Hochschulen gesetzlich vorgegebenen) Zuspitzung auf die Abiturnote und damit auf ein Auswahlkriterium, das wegen mangelnder Zuverlässigkeit und Vergleichbarkeit in sich problematisch ist, lassen sich mit einem Hinweis auf den "Paradigmenwechsel" im Bereich der Hochschul- und Bildungspolitik jedoch nicht ausräumen.

Auch die Frage, ob jeder Abiturient für jeden Studiengang per se geeignet ist, lässt sich durchaus diskutieren. Insoweit mag man in der Tat hinterfragen können, ob jeder Abiturient eine realistische Chance auf Zulassung zu jedem Studium haben muss. Dass aber drei Viertel der Abiturienten für das Medizinstudium von vornherein ungeeignet sein sollen, lässt sich aus Sicht der Kammer nicht ernsthaft annehmen.

Ähnliches gilt im Óbrigen für die Einschätzung, der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts zum "Numerus clausus" lägen ein "zeitbedingtes Grundrechtsverständnis" und eine "zeitgeistige Dogmatik" zugrunde, die heute überholt seien.

So Steinberg/Müller, Art. 12, Numerus Clausus und die neue Hochschule, NVwZ 2006, 1113; ähnlich Ackermann, Das heutige Kapazitätsrecht, RdJB 2007, 354 (360 f.).

Man mag diese These in Bezug auf den vom Bundesverfassungsgericht erwogenen Verfassungsauftrag zur Erweiterung der Studienplatzkapazität (oben II. 1. b) (1)) und auch in Bezug auf die angenommene Pflicht zu einer vollständigen Kapazitätsausschöpfung (oben II. 1. b) (2)) diskutieren können. Die verfassungskräftige, vor allem aus dem Gleichheitssatz resultierende Forderung jedoch, die vorhandenen Studienplätze nach sachgerechten Kriterien zu vergeben und die Zuspitzung auf ein einziges, seinerseits nicht restlos zuverlässiges und gerechtes Auswahlkriterium zu vermeiden, lässt sich aus Sicht der Kammer nicht durch den Hinweis auf ein veränderten Verfassungsverständnis oder einen gewandelten Zeitgeist relativieren.

Nach Auffassung der Kammer bleibt es nach alledem dabei, dass sich durch die Erkenntnisse über einen Zusammenhang zwischen Abiturnote und "Studienerfolg" und vor dem Hintergrund des Rechts der Hochschulen auf "akademische Selbstverwaltung" zwar durchaus eine teilweise und sogar eine überwiegende Orientierung an der Durchschnittsnote als Auswahlkriterium bei der Studienzulassung rechtfertigen lässt, vor allem weil auch alle anderen Auswahlkriterien - für sich allein genommen - Einwänden in Bezug auf ihre Validität, Objektivität und/oder Zuverlässigkeit ausgesetzt sind. Wegen der dargelegten Probleme hält die Kammer aber die Forderung des Bundesverfassungsgerichts nach einem mehrgleisigen Auswahlsystem, in dem die Nachteile des Kriteriums "Durchschnittsnote" durch ein anderes Auswahlkriterium, das einer größeren Zahl von Abiturienten eine realistische Zulassungschance verschafft, nach wie vor für aktuell und geltendes (Verfassungs-) Recht.

(4) Nach Lage der Dinge kann im derzeitigen Auswahlsystem nur die Auswahlmöglichkeit in der Wartezeitquote die Funktion eines solchen Korrektivs erfüllen. Nach den oben wiedergegebenen Ausführungen des Bundesverfassungsgerichts müssen die Anforderungen an die Wartezeit sich aber auf ein noch zumutbares Maß beschränken. Nur in diesem Fall vermag die Auswahlmöglichkeit in der Wartezeitquote die Zuspitzung auf die Durchschnittsnote in den anderen Hauptquoten auszugleichen. Nach Auffassung der Kammer ist die Grenze der Zumutbarkeit inzwischen überschritten, weil die erforderliche Wartezeit regelmäßig die Dauer eines normalen Studiums übersteigt und in Zukunft aller Voraussicht nach noch weiter anwachsen wird.

Dass die für eine Zulassung erforderliche Zahl an Wartesemestern auf ein zumutbares Maß begrenzt sein muss, wenn die Wartezeitquote die Funktion eines verfassungsmäßig gebotenen Ausgleichs erfüllen soll, liegt auf der Hand. Denn die Wartezeitquote muss dann - wie dargelegt - einer größeren Zahl von Abiturienten eine realistische Zulassungschance verschaffen. Dazu kann es nicht ausreichen, dass für Bewerber ohne Spitzennote "irgendwann", also möglicherweise erst nach Jahrzehnten eine Zulassung möglich ist. Der Hinweis der Beklagten auf die Aussage des Oberverwaltungsgerichts für das Land Nordrhein-Westfalen, der zufolge eine Grundrechtsverletzung erst dann anzunehmen sei, wenn sich die Benachteiligung nicht mehr ausgleichen ließe und der Studienbewerber endgültig keinen Studienplatz erhielte,

OVG NRW, Beschluss vom 8. November 2011 - 13 B 1212/11 -, NJW 2012, 1096 (1097); kritisch zum zugehörigen "Hängebeschluss" Mengden, ZJS 2011, 566 (569),

geht fehl. Denn das Oberverwaltungsgericht dürfte hier nicht gemeint haben, dass die Wartezeitquote unabhängig von der Entwicklung der Auswahlgrenzen die Chancenoffenheit des Gesamtsystems in hinreichender Weise herstellt. Die genannte Passage dient vielmehr der Begründung der Annahme, dass der einzelne Studienbewerber auch bei höheren Auswahlgrenzen regelmäßig keinen unmittelbaren Zulassungsanspruch hat. Dass auch aus Sicht des Oberverwaltungsgerichts die Wartezeitquote ihre Funktion als Korrektiv verlieren kann, wenn die Auswahlgrenze zu stark ansteigt, lässt sich etwa an der Feststellung des Senats in derselben Entscheidung ersehen, ob die Auswahlgrenzen, die sich in der Wartezeitquote zum Wintersemester 2011/12 für das Medizinstudium ergeben hätten, "zu einer verfassungsrechtlich unzulässigen Minimierung der Zulassungschancen" führten, sei "ungewiss".

Erneut ist in diesem Zusammenhang im Óbrigen auf die Feststellung des Bundesverfassungsgerichts aus dem Jahre 2002 hinzuweisen, es werde zu überprüfen sein, "ob die festgelegte Wartezeitquote von [damals] 25 vom Hundert als zu gering anzusehen" sei. Auch diese Passage impliziert, dass die Wartezeitquote nur unter bestimmten Bedingungen geeignet ist, die Verfassungsmäßigkeit des Gesamtsystems herzustellen.

Beschluss vom 18. Februar 2002 - 1 BvR 13/02 -, juris.

So unzweifelhaft die Forderung nach einer "Zumutbarkeit" der Wartezeit nach alledem ist, so schwierig ist es, die Grenze des Zumutbaren zu bestimmen. Die Auffassung des Oberverwaltungsgerichts für das Land Nordrhein-Westfalen, auf die Frage, welche Dauer der Wartezeit bei Studiengängen mit einem absoluten Numerus clausus noch als zumutbar und verfassungsrechtlich hinnehmbar angesehen werden könne, gebe es "keine eindeutige Antwort",

OVG NRW, Beschlüsse vom 16. Juni 2011 - 13 C 45/11 -, juris, und vom 8. November 2011 - 13 B 1212/11 -, NJW 2012, 1096 (1097),

teilt insoweit auch die Kammer. Objektive Maßstäbe, anhand derer sich eine zwingende Grenze zwischen der noch zumutbaren und der nicht mehr zumutbaren Wartezeit exakt bestimmen ließe, sind nicht ersichtlich. Allerdings muss es, wie gesagt, eine solche Grenze geben, wenn die Funktion der Wartezeitquote als chancenwahrendes Korrektiv bei sehr hohen Grenzwerten nicht mehr als erfüllt angesehen werden kann.

Die Kammer orientiert sich auch bei dieser Frage an der verfassungsgerichtlichen Rechtsprechung und geht davon aus, dass die Funktion der Wartezeitquote, einer größeren Zahl von Abiturienten eine realistische Zulassungschance zu verschaffen, jedenfalls dann nicht mehr erfüllt ist, wenn die Wartezeit regelmäßig die Dauer eines normalen Studiums übersteigt. Auch diese Grenze ist zwar nicht zwingend begründbar, die Kammer hält sie aber für plausibel und sachgerecht. Insoweit ist zunächst nochmals daran zu erinnern, dass es nicht etwa darum geht, Bewerbern, deren fehlende Studieneignung mehr oder weniger feststeht, eine "letzte Chance" zu verschaffen. Verfassungskräftig ist vielmehr die Notwendigkeit, vor dem Hintergrund insbesondere des Gleichheitssatzes einen Ausgleich dafür zu schaffen, dass der eine Bewerber (mit deutlich überdurchschnittlicher Abiturnote) zum Studium zugelassen werden kann, während der andere Bewerber (auch derjenige mit schon leicht überdurchschnittlicher Abiturnote) selbst mit Zusatzkriterien keine Zulassung erhält, ohne dass die Geeignetheit des einen und die Ungeeignetheit des anderen Bewerbers - jedenfalls im Grenzbereich - durch ein hinreichend zuverlässiges Kriterium eindeutig festzustellen wäre. Insofern stellt sich die Frage, welche Wartezeit einer solchen Ungleichbehandlung angemessen ist und welche Wartezeit der zweite Bewerber regelmäßig hinzunehmen bereit und in der Lage ist. Die Kammer hält die Dauer eines normalen Studiums insoweit für die äußerste Grenze.

Das Bundesverfassungsgericht hat zu dieser Frage ausgeführt:

"Die genannten tatsächlichen Voraussetzungen sind in den harten Numerusclausus-Fächern [...] nicht mehr gegeben. Hier hängt die Zulassung von ständig gestiegenen Anforderungen ab und erfordert inzwischen Durchschnittsnoten bis zu 1,7 und Wartezeiten bis zu sechs Jahren (bei Bewerbern mit ungünstigeren Durchschnittsnoten jeweils ein Jahr länger). Auch bei diesen Fächern mag es zwar nicht ungerecht sein, dass Bewerber mit sehr guten Noten und langen Wartezeiten eine Zulassung erhalten. Für die Vielzahl der Abgewiesenen hingegen, unter denen sich zahlreiche Bewerber befinden, die für den angestrebten Beruf mindestens ebenso und mitunter sogar besser geeignet sind als die Zugelassenen, ist es weder sachgerecht noch zumutbar, wenn auf der Schnittstelle zwischen 1,7 und 1,8 darüber entschieden werden soll, wer sofort studieren kann oder aber bis zu sieben Jahren auf eine Zulassung zum Studium seiner Wahl warten muss.

Führt eine steigende Óberfüllung zu überhöhten Leistungsanforderungen und unzumutbaren Wartezeiten, dann haben diese quantitativen Veränderungen zugleich eine qualitative Auswirkung. Óberlange Wartezeiten, deren Dauer der Einzelne durch eigenes Zutun nicht beeinflussen kann und die sogar die Zeit eines normalen Studiums erreichen oder übersteigen, können namentlich von Bewerbern aus sozial schwächeren Kreisen nicht durchgehalten werden und verlieren für diese ihre chancenausgleichende Funktion. Für einen großen Teil der nach der Leistungsliste abgewiesenen Bewerber - das sind gegenwärtig beim Medizinstudium nahezu 90% - bestimmt daher die Dauer der Wartezeit nicht mehr allein darüber, wann sie das angestrebte Studium aufnehmen können, sondern ob ihnen das überhaupt noch möglich ist, wobei durch die Einbeziehung weiterer Fächer in den Numerus Clausus zugleich die Ausweichmöglichkeiten schwinden. Zudem verschieben lange Wartezeiten die endgültige Berufsentscheidung in einer sowohl persönlich wie pädagogisch und volkswirtschaftlich unvertretbaren Weise in eine höhere Altersstufe und belasten die ohnehin begrenzten Ausbildungskapazitäten in und außerhalb der Hochschule doppelt, wobei die bisherige Nutzung der Wartezeit durch ein diese Zeit milderndes Parkstudium den Numerus Clausus auf Nachbarfächer zum Nachteil anderer unmittelbar interessierter Bewerber überwälzt. Soweit die chancenausgleichende Funktion der Wartezeit entfällt, verwandelt sich zugleich die zunächst nur chancenerhöhend gedachte Auswahl nach Durchschnittsnoten aus einer bloßen sofortigen Zulassung zu einer endgültigen chancenausschließenden Selektionsentscheidung. Für eine solche definitive Entscheidung über die Verteilung von Lebenschancen sind aber überhohe Durchschnittsnoten schon deshalb ungeeignet, weil ihr Prognosewert für Studienerfolg und Berufserfolg ungesichert ist und weil sie wegen der Subjektivität der Notengebung und der Gleichbehandlung ganz verschiedenartiger Hochschulzugangsberechtigungen nicht vergleichbar sind. Davon abgesehen stünden sie als Zulassungsvoraussetzungen außer Verhältnis zu den Erfordernissen des angestrebten Berufs. Zahlreichen geeigneten Bewerbern - selbst solchen mit guten Noten oder besonderen fachspezifischen Begabungen - lassen sie nicht einmal die Chance, ihre Zulassungsaussichten durch eigenes studienbezogenes und berufsbezogenes Zutun zu verbessern. Hinzu kommen schädliche Nebenwirkungen dieses Zulassungssystems, die bei der verfassungsrechtlichen Gesamtwürdigung nicht außer acht bleiben dürfen. Nicht nur kann es Spitzenschüler dazu verleiten, entgegen ihren Neigungen und Fähigkeiten verknappte Prestigefächer mit guten Verdienstaussichten vorzuziehen; vor allem übt der Funktionswandel der Schulnoten in ausschlaggebende Elemente der Studienzulassung - entgegen den in den Länderverfassungen normierten Erziehungszielen - schädliche Einflüsse auf Schülerverhalten und Schülermentalität sowie auf das gesamte Schulsystem aus [...]."

So BVerfG, Urteil vom 8. Februar 1977 - 1 BvF 1/76 u.a. -, BVerfGE 43, 291 (319 ff.) - "Numerus clausus II".

Auf diese Grundsätze haben verschiedene Gerichte in den vergangenen Jahren im Zusammenhang mit der Entwicklung der Auswahlgrenzen rekurriert und sind davon ausgegangen, dass die Wartezeitzulassung ihre chancenwahrende Funktion erfüllt, solange sie unterhalb der in der Entscheidung "Numerus clausus II" für unzumutbar gehaltenen Dauer von sechs bis sieben Jahren bzw. unterhalb der Regelstudienzeit bleibt.

Vgl. etwa BayVerfGH, Entscheidung vom 4. Mai 2007 - Vf.9-VII-06 -, juris (dort Rdnr. 64); BayVGH, Beschlüsse vom 21. und 23. März 2006 - 7 CE 06.10164 u.a -, juris (dort Rdnr. 26 ff.); OVG Saarl., Beschluss vom 27. Januar 2009 - 3 B 454/08 -, NVwZ-RR 2009, 418; VG Gießen, Beschluss vom 12. Februar 2007 - 3 GM 3979/06.W6 -, juris; VG Köln, Beschluss vom 9. Februar 2006 - 6 L 1727/05 -, n.v.; in der Tendenz auch OVG NRW, Beschlüsse vom 16. Juni 2011 - 13 C 45/11 u. a. -, juris, und vom 8. November 2011 - 13 B 1212/11 -, NJW 2012, 1096 ff.

Die beschließende Kammer hat sich in der Vergangenheit ebenfalls an dieser Einschätzung des Bundesverfassungsgerichts orientiert und das Auswahlsystem insgesamt für verfassungsgemäß gehalten, solange die Auswahlgrenze in der Wartezeitquote die Dauer eines normalen Studiums nicht überschritt.

Vgl. aus der Rechtsprechung der Kammer: Urteil vom 27. Mai 2003 - 6 K 4839/02 -, Gerichtsbescheid vom 15. Mai 2006 - 6 K 3036/05 -, Urteil vom 12. Dezember 2008 - 6 K 4872/08 - und Beschluss vom 7. Oktober 2010 - 6 L 917/10 -, juris; letzterer mit dem Hinweis, die Kammer halte die Entwicklung der Wartezeit für sehr problematisch.

Auch in der Literatur werden im Óbrigen auf der Grundlage der Entscheidung "Numerus clausus II" allenfalls Wartezeiten von vier oder fünf Jahren für verfassungsrechtlich vertretbar gehalten.

Vgl. Breuer, in: Isensee/Kirchhof (Hrsg.), HdbStR, Bd. VIII, 3. Aufl. 2010, § 170 Rdnr. 111; Bode, in: Dallinger/Bode/ Dellian, Hochschulrahmengesetz, Kommentar, 1978, § 32 Rdnr. 46; Hauck, in: Denninger (Hrsg.), Hochschulrahmengesetz, Kommentar, 1984, § 33 Rdnr. 5; Bahro/Berlin, Das Hochschulzulassungsrecht in der BRD, 4. Aufl. 2003, Art. 13 StV Rdnr. 15; Hauck-Scholz/Brauhardt, Verfassungsrechtliche Aspekte des neuen Studienplatzvergaberechts, WissR 2008, 307 (321); Mengden, Entscheidungsanmerkung, ZJS 2011, 566 (569).

Inzwischen ist, nachdem die Auswahlgrenze hinsichtlich aller medizinischer Studiengänge in den vergangenen Jahren kontinuierlich angestiegen ist, in Bezug auf die Wartezeitquote ein Zustand erreicht, der demjenigen, welcher der Entscheidung "Numerus clausus II" im Jahre 1977 zugrunde lag, mehr oder weniger gleich kommt. Die Auswahlgrenze in den beiden vor allem am Leistungsprinzip orientierten Auswahlhauptquoten lässt sich zwar nicht auf einen generellen Wert bestimmen; das Notenniveau derjenigen, die zumindest im Auswahlverfahren der Hochschulen (bei Erfüllung von Zusatzkriterien) eine ernsthafte Zulassungschance haben, liegt aber nicht wesentlich unter dem in der Entscheidung erwähnten Wert von 1,8. Die erforderliche Wartezeit für einen Humanmedizinstudienplatz belief sich zum Wintersemester 2011/12 auf mindestens sechs Jahre. Innerhalb der Gruppe der Bewerber mit "nur" zwölf Halbjahren kamen überdies lediglich diejenigen zum Zuge, die eine Abiturnote von mindestens 2,7 vorzuweisen hatten. In den Vergabeverfahren zu den Sommersemestern 2011 und 2012 waren mindestens 13 Halbjahre erforderlich, wobei auch diese Wartezeit nur einem Teil der Bewerber zur Zulassung verhalf. Der Kläger des Ausgangsverfahrens wird frühestens zum Wintersemester 2012/13 und damit nach sieben Jahren einen Studienplatz erhalten. Verschärfend kommt hinzu, dass die Wartezeiten in den vergangenen Jahren kontinuierlich angestiegen sind. Ein Bewerber, der vor sieben Jahren seine Hochschulzugangsberechtigung erworben hat, hat sich in seiner Lebensplanung also nicht auf eine Wartezeit von sieben Jahren einstellen können. Vor sieben Jahren, also im Jahre 2005, betrug z. B. die Wartezeit für einen Humanmedizinstudienplatz noch vier Jahre. Die auf eine Zulassung in der Wartezeitquote Wartenden mussten also in den vergangenen Jahren beobachten, wie ihnen die Auswahlgrenze in der Wartezeitquote regelmäßig "enteilt".

Anschaulich zu den tatsächlichen Folgen für den einzelnen Bewerber: Schlüter, "Ein Platz muss kommen", in: Süddeutsche Zeitung Nr. 251 vom 31. Oktober 2011, S. 33.

Auch für die Zukunft muss angesichts der Entwicklung in den vergangenen zwölf Jahren und der Prognose über Studienanfängerzahlen bis 2025 - siehe dazu bereits oben unter I. 1. und II. 1. c) (2) - mit weiter steigenden Wartezeiten gerechnet werden, zumal beispielsweise der besonders starke Abiturjahrgang 2013 selbst die heutige Auswahlgrenze von sieben Jahren erst im Jahre 2020 erreichen wird.

Mancher Punkt innerhalb der oben wiedergegebenen Argumentation der Entscheidung "Numerus clausus II" mag heute in anderem Licht erscheinen als im Entscheidungsjahr (1977). Dass die Óberlegungen des Bundesverfassungsgerichts insgesamt nicht mehr tragfähig wären, lässt sich aus Sicht der Kammer aber nicht feststellen.

Die vom Ersten Senat seinerzeit hervorgehobene Gefahr einer sozialen Selektion etwa dürfte im Jahre 1977 nicht wahrscheinlicher gewesen sein als heute. Die Arbeitslosenquoten der siebziger Jahre lagen unter denen der Gegenwart. Dass es einem Bewerber heute eher möglich ist, einen Arbeitsplatz zu erlangen, um während der Wartezeit seinen Lebensunterhalt bestreiten zu können, ist vor diesem Hintergrund wenig wahrscheinlich. Die soziale Selektion dürfte aber auch darin zu erblicken sein, dass es einem finanziell besser ausgestatteten Abiturienten leichter möglich sein dürfte, die Wartezeit (auch) mit Auslandsaufenthalten und studienvorbereitenden Kursen sinnvoll zu nutzen. Nur den mit entsprechenden Geldmitteln ausgestatteten Studienbewerbern dürfte ferner der inzwischen nicht mehr ganz seltene Weg offen stehen, das Medizinstudium teilweise oder auch vollständig an einer studiengebührenpflichtigen Hochschule im Ausland zu absolvieren, etwa an der deutschsprachigen Semmelweis-Universität in Budapest gegen Studiengebühren von (laut Angaben unter http://www.semmelweismedizinstudium.org) derzeit 5.900,- bis 6.500,- EUR pro Semester. Die Möglichkeit schließlich, die Zulassungschancen durch Klagen und Anträge auf Zulassung außerhalb der festgesetzten Kapazität zu vergrößern, dürfte ebenfalls von den finanziellen Mitteln des Studieninteressierten abhängen, zumal sich die Hochschulen in derartigen Verfahren in zunehmendem Maße durch Rechtsanwälte vertreten lassen.

Dass es "pädagogisch und volkswirtschaftlich" von Nachteil ist, wenn das Einstiegsalter in das Studium und damit auch das spätere Einstiegsalter in den Beruf für die Wartezeitbewerber immer weiter erhöht wird, dürfte heute wie damals gelten. Im bildungspolitischen Diskurs der Gegenwart wird jedenfalls stets auf die Bedeutung hingewiesen, welche einem möglichst frühzeitigen Studienabschluss gerade in Bezug auf den Berufseinstieg und nicht zuletzt mit Blick auf Absolventen anderer europäischer Länder zukomme. Bahro/Berlin sprechen unter Hinweis auf die grundlegenden Änderungen auf dem Arbeitsmarkt schon bei Wartezeiten von drei Jahren von selektiven Wirkungen bei der Realisierung von Studienabsichten.

Vgl. Bahro/Berlin, Das Hochschulzulassungsrecht in der BRD, 4. Aufl. 2003, Art. 13 StV Rdnr. 15.

Das vom Bundesverfassungsgericht des Weiteren angeführte Argument, durch das Park- oder Ausweichstudium langjähriger "Warter" würden zusätzlich Hochschulkapazitäten gebunden, greift heute zwar nicht mehr ohne Weiteres, weil Halbjahre, in denen der Bewerber an einer deutschen Hochschule eingeschrieben ist, nicht als Wartehalbjahre gelten (Art. 10 Abs. 1 S. 1 Nr. 2 Staatsvertrag 2008, § 14 Abs. 6 VergabeVO). Großes Gewicht dürfte dieses Argument indes schon im Jahre 1977 nicht gehabt haben, weil eine entsprechende, ein Park- und Ausweichstudium ausschließende Regelung zum Zeitpunkt der Entscheidung "Numerus clausus II" bereits im novellierten Hochschulrahmengesetz enthalten war, die Problematik also eine auslaufende war. Die parallele Problematik, dass die wartenden Bewerber in Ausbildungsberufe drängen und damit die vorhandenen Ausbildungskapazitäten außerhalb der Hochschulen belasten, dürfte angesichts des Auslaufens der Möglichkeit eines Parkstudiums heute eher noch stärker bestehen. Auch die oben bereits zitierte Beschlussempfehlung des Ausschusses im Rahmen der Siebten HRG-Novelle spricht in diesem Zusammenhang von einer "Doppelbelastung des Ausbildungssystems".

Bundestags-Drucksache 15/3475 vom 30. Juni 2004, S. 12.

Zu berücksichtigen ist ferner, dass nach dem Urteil "Numerus clausus II" bei hohen Auswahlgrenzen "zumindest eine Tendenz zum Abbau von Zulassungsbeschränkungen als vorübergehender Mangelerscheinung" erforderlich sein soll. Insoweit ist nochmals darauf hinzuweisen, dass es sich bei dem in den letzten Jahren zu verzeichnenden Anstieg der Wartezeit nicht etwa um ein durch die aktuellen Entwicklungen hervorgerufenes, erkennbar vorübergehendes Phänomen handelt. Die Folgen der doppelten Abiturjahrgänge und der Wehrpflichtabschaffung werden sich auf die Dauer der Wartezeit jedenfalls erst auswirken, wenn die davon konkret betroffenen Bewerber mit ihrer Wartezeit in den Bereich der Auswahlgrenzen gelangen. Eine Tendenz zum Abbau des somit nicht nur vorübergehenden Engpasses vermag die Kammer nur bedingt zu erkennen. Zwar wurden und werden im Rahmen der Zusammenarbeit von Bund, Ländern und Hochschulen (v. a. "Hochschulpakt 2020") in anerkennenswerter Weise die Voraussetzungen für die Bereitstellung zusätzlicher Studienplätze geschaffen. Konkrete Bemühungen, gerade dem Problem des Studienplatzmangels im Fach Medizin und der steigenden Wartezeiten zu begegnen, sind aber wohl nur begrenzt vorhanden. Das Konzept des Hochschulpakts 2020 etwa scheint die Medizinstudiengänge zunächst eher ausgeklammert zu haben. Denn im Gegensatz zu den sog. MINT-Fächern wird das Studienfach Medizin in den Verwaltungsvereinbarungen zum Hochschulpakt 2020 nicht erwähnt. Zudem deutet die vereinbarte pauschale Kostenerstattung für die Schaffung zusätzlicher Studienplätze, die von Kosten eines Studiums in Höhe von 22.000,- EUR (erste Programmphase) bzw. 26.000,- EUR (zweite Programmphase) ausgeht, darauf hin, dass das Medizinstudium ausgeklammert bleiben sollte.

So auch CHE-Arbeitspapier Nr. 118 "Zwei Jahre Hochschulpakt 2020 (1. Phase) - eine Halbzeitbilanz" (April 2009), S. 102, abrufbar auf www.che.de.

Inzwischen sind zwar die Bemühungen in gewissem Umfang auch auf das Medizinstudium ausgeweitet worden. So sollen zum Beispiel in Nordrhein-Westfalen zwischen 2011 und 2015 insgesamt 935 zusätzliche Medizinstudienplätze geschaffen und dabei auch mit Mitteln aus dem Hochschulpakt finanziert werden.

So die entsprechende Pressemitteilung des Ministeriums für Innovation, Wissenschaft und Forschung des Landes Nordrhein-Westfalen vom 5. Mai 2011.

Mit diesen Studienplätzen soll aber - ausweislich der entsprechenden Verlautbarungen der Wissenschaftsverwaltung - in erster Linie die zusätzliche Nachfrage befriedigt werden, die sich in den kommenden Jahren wegen doppelter Abiturjahrgänge und anderer Umstände ergeben wird. Dass mit den geplanten Maßnahmen auch der bereits seit Jahren bestehende Engpass, welcher sich in der kontinuierlich ansteigenden Auswahlgrenze der Wartezeitquote manifestiert, verringert werden wird, erscheint hingegen fraglich, wenngleich ein gewisser Teil der zusätzlichen Studienplätze natürlich in der Wartezeitquote wird vergeben werden können. Ein Anspruch auf Schaffung zusätzlicher (kostenaufwändiger) Medizinstudienplatzkapazitäten dürfte zwar, wie oben bereits ausgeführt (unter II. 1. b) (1)), nach wie vor nicht bestehen. Denn auch der grundrechtliche Anspruch ist auf dasjenige beschränkt, was der Einzelne (vor dem Hintergrund überschuldeter öffentlicher Haushalte) berechtigterweise von der Gesellschaft erwarten kann. Aus Sicht der Numerus clausus-Rechtsprechung bleibt aber zu konstatieren, dass eine Tendenz zum nachhaltigen Abbau von Studienbeschränkungen als vorübergehender Mangelerscheinung derzeit nur bedingt erkennbar ist und dass deshalb der chancenausgleichenden Funktion des Auswahlsystems weiterhin besonderer Wert beizumessen ist.

Soweit die Beklagte darauf hinweist, dass - anders als im Zeitpunkt der Numerus clausus-Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts - heute eine Vielzahl von medizinischen und medizinnahen Studiengängen angeboten werde, vermag dies im vorliegenden Zusammenhang kaum zu überzeugen. Abgesehen davon, dass auch diese Studiengänge häufig zulassungsbeschränkt sind,

vgl. zur massiven Zunahme (örtlicher) Zulassungsbeschränkungen jüngst Maier, Zur überobligatorischen Vergabe von Studienplätzen durch staatliche Hochschulen, DVBl. 2012, 615 (616),

geht es bei dem grundgesetzlichen Teilhaberecht um die Zulassung zu dem von dem Bewerber gewählten Studium, also vorliegend dem der Humanmedizin. Vor allem aber ist Bezugspunkt aller Óberlegungen, wie das Bundesverfassungsgericht verdeutlicht hat, das Recht der freien Berufswahl. Insoweit kann nicht unberücksichtigt bleiben, dass - infolge der vom Gesetzgeber in Form der Approbationsvorschriften gesetzten Zugangsschranke - nur das Medizinstudium zum Beruf des Arztes führt und dass zwischen diesem Beruf und allen anderen medizinischen und medizinnahen Berufen ein ganz erheblicher Unterschied besteht, der sich gerade auch in der sehr hohen Bewerberzahl für das Medizinstudium niederschlägt.

Wenn man - mit dem Bundesverfassungsgericht - die Grenze des Erträglichen dann erreicht sieht, wenn die Wartezeit "die Zeit eines normalen Studiums erreicht oder überschreitet", so muss man im Óbrigen konstatieren, dass die Dauer eines normalen Studiums in den vergangenen Jahrzehnten abgenommen haben dürfte. So ist ausweislich der im Internet-Angebot des Bundesministeriums für Bildung und Forschung abrufbaren Zahlen die durchschnittliche Studiendauer - bei Einbeziehung aller Universitäts- und Fachhochschulstudiengänge - allein zwischen 1997 und 2010 von 12,5 Hochschulsemester (10,9 Fachsemester) auf 10,7 Hochschulsemester (8,8 Fachsemester) gesunken.

Vgl. die Tabelle 2.5.80 "Studiendauer bei bestandener Prüfung nach Prüfungsgruppen und Geschlecht", abrufbar unter www.datenportal.bmbf.de.

Auch dies spricht dafür, dass die Grenze des im Sinne der Verfassungsrechtsprechung Erträglichen heute jedenfalls nicht höher anzusiedeln ist als in der Entscheidung "Numerus clausus II". Die Kammer neigt im Óbrigen in diesem Zusammenhang zu der Auffassung, dass es eher nicht sachgerecht sein dürfte, sich hinsichtlich der Grenze der zumutbaren Wartezeit an der Regelstudienzeit des jeweils betroffenen Studiengangs zu orientieren. Dass dem Bewerber um einen Studienplatz der Humanmedizin (Regelstudienzeit gemäß Approbationsordnung sechs Jahre und drei Monate) eine längere Wartezeit zugemutet werden kann als etwa dem Bewerber um einen Tier- oder Zahnmedizinstudienplatz (Regelstudienzeit gemäß Approbationsordnungen jeweils fünf Jahre und sechs Monate), dürfte sich nämlich kaum begründen lassen. Erheblich für die vorliegende Entscheidung ist dies allerdings nicht, weil mit der in Rede stehenden Mindestwartezeit von dreizehn und mehr Semestern die Regelstudienzeit aller medizinischen Studiengänge überschritten ist. Festzuhalten bleibt, dass die Dauer eines "normalen", also durchschnittlichen Studiums bei einer Wartezeit von sechs bis sieben Jahren deutlich überschritten ist.

Soweit das Bundesverfassungsgericht schließlich für die verfassungsrechtliche Bewertung auch darauf abgestellt hat, ob der Bewerber die Wartezeit "durch eigenes Zutun beeinflussen" kann, ist festzustellen, dass dies inzwischen nicht mehr der Fall ist. Die von dem Oberverwaltungsgericht für das Land Nordrhein-Westfalen in diesem Zusammenhang genannten Möglichkeiten des § 14 Abs. 3 und 4 VergabeVO,

vgl. Beschlüsse vom 11. Januar 2001 - 13 B 1727/00 -, n.v., vom 7. März 2006 - 13 B 174/06 -, juris, und vom 3. März 2009 - 13 B 80/09 -, juris; kritisch zur erstgenannten Entscheidung Bahro/Berlin, Das Hochschulzulassungsrecht in der BRD, 4. Aufl. 2003, Art. 13 Rdnr. 14 f.,

lassen sich nach Auffassung der Kammer insoweit wohl kaum heranziehen. Die Verkürzung der Wartezeit durch Nachteilsausgleich gemäß § 14 Abs. 3 VergabeVO steht nur demjenigen Studienbewerber offen, der aufgrund von "nicht selbst zu vertretenden Gründen" daran gehindert gewesen ist, die Hochschulzugangsberechtigung zu einem früheren Zeitpunkt zu erwerben. Durch "eigenes Zutun" kann ein Studienbewerber die Voraussetzungen für diesen Nachteilsausgleich also gerade nicht schaffen. Die in § 14 Abs. 4 VergabeVO enthaltene Privilegierung des zweiten Bildungsweges betrifft nur eine bestimmte Gruppe von Studienbewerbern, nicht aber den Regelfall desjenigen, der seine Hochschulzugangsberechtigung unmittelbar erworben hat. Im Óbrigen handelt es sich um auslaufendes Recht; von der Privilegierung profitieren nur noch solche Bewerber, die die Hochschulzugangsberechtigung vor dem 16. Juli 2007 erworben haben. Die früher vorhandene Möglichkeit, die Wartezeit durch Erwerb eines berufsqualifizierenden Abschlusses nach Erwerb der Hochschulzugangsberechtigung zu verkürzen, ist bereits vor einigen Jahren ausgelaufen. Insgesamt sind Möglichkeiten, die Wartezeit durch eigenes Zutun zu verkürzen, nicht mehr erkennbar.

Óberhaupt ist das Verhalten des einzelnen Bewerbers in der Wartezeitquote inzwischen irrelevant geworden, was die Zweifel an der sachgerechten Gestaltung der Wartezeitauswahl als chancenwahrendes Korrektiv eher verstärkt. Insbesondere zählen nicht mehr nur solche Halbjahre, in denen sich der Bewerber für einen Studienplatz beworben hat, als Wartehalbjahre, sondern jedes Halbjahr, das seit dem Erwerb der Hochschulzugangsberechtigung vergangen ist (Art. 10 Abs. 1 S. 1 Nr. 2 Staatsvertrag 2008). Damit werden diejenigen Bewerber, die sich nach dem Abitur jahrelang ununterbrochen um einen Medizinstudienplatz beworben haben, und diejenigen Bewerber, denen erst nach längerer Zeit, unter Umständen nach Jahrzehnten, der Gedanke an ein Medizinstudium gekommen ist, gleich behandelt, obwohl die Wartezeit beide Gruppen von Bewerbern erkennbar unterschiedlich belastet, weil die Angehörigen der zweiten Gruppe die Wartezeit gar nicht als solche empfunden haben. Für die Kammer stellt sich hier trotz des damit verbundenen organisatorischen Mehraufwands die Frage, ob es nicht ein legislatorischer Schritt in Richtung eines gerechteren Gesamtsystems gewesen wäre, wenn nur die Bewerbungssemester als Wartehalbjahre gelten würden. Hätte man die Zulassung in der Wartezeitquote durch eine solche Regelung auf diejenigen Bewerber konzentriert, die sich jahrelang konsequent um einen Medizinstudienplatz bemüht und dadurch zugleich eine starke Motivation demonstriert haben, so wäre im Óbrigen möglicherweise auch die von den Hochschulen mitunter beklagte höhere Studienabbruch- und Misserfolgsquote der über das Kriterium Wartezeit ausgewählten Bewerber geringer, zumal diese Bewerber sich in der Wartezeit typischerweise (zumindest auch) mit studienvorbereitenden Tätigkeiten beschäftigen. Der Gesetzgeber mag sich insoweit vor dem Hintergrund der verfassungsgerichtlichen Rechtsprechung gerade an der Óberlegung orientiert haben, dass die Wartezeitquote eine voraussetzungslose Ausweichquote für den in den beiden anderen Hauptquoten chancenlosen "Rest" des Bewerberfeldes sein soll. Wenn dieser "Rest" drei Viertel der Bewerber umfasst und ein entsprechendes Missverhältnis zwischen der Bewerberzahl und der Anzahl zu vergebender Studienplätze in dieser Quote entsteht, stellt sich aus Sicht der Kammer aber die Frage, ob nicht zwischen "echten Wartern" und "Gelegenheitsbewerbern" differenziert werden müsste, wenn man die Funktion der Wartezeitquote als chancenwahrendes Korrektiv aufrecht erhalten will.

Der Einschätzung, dass eine Wartezeit von mehr als sechs Jahren die Grenze des Zumutbaren überschreitet, lässt sich schließlich - entgegen der Auffassung der Beklagten - auch nicht der Hinweis des Bundesverfassungsgerichts entgegenhalten, seine Grundsätze über das Recht eines jeden hochschulreifen Bewerbers auf Zulassung zum Studium seien nicht so zu verstehen, dass jedem Bewerber eine Zulassung zum Studium "garantiert" werden müsse, die Einräumung von Chancen schließe "schon begrifflich das Risiko eines Fehlschlags ein".

So BVerfG, Urteil vom 8. Februar 1977 - 1 BvF 1/76 u.a. -, BVerfGE 43, 291 (316), und Beschluss vom 3. November 1981 - 1 BvR 632/80 -, BVerfGE 59, 1 (25).

Denn im Kontext der oben (unter II. 1. b)) beschriebenen Grundsätze der verfassungsgerichtlichen Rechtsprechung kann diese Klarstellung nur dahin verstanden werden, dass nicht jeder Bewerber eine sofortige Zulassung verlangen kann. Möglicherweise hat das Bundesverfassungsgericht auch andeuten wollen, dass es Bewerber gibt, denen trotz allgemeiner Hochschulreife keine zumutbare Zulassungschance offen stehen muss. Óberdies lassen sich die in Rede stehenden Passagen der Verfassungsrechtsprechung wohl auch als Argument gegen die Annahme eines verfassungsunmittelbaren Zulassungsanspruchs (dazu näher unten II. 3. b) (1)) heranziehen.

So OVG NRW, Beschlüsse vom 8. November 2011 - 13 B 1212/11 u.a. -, NJW 2012, 1096, und vom 1. Februar 2012 - 13 A 2214/11 -, juris.

Dass aber rund drei Viertel der potentiellen Bewerber in zwei der Auswahlhauptquoten praktisch ohne Auswahlchance sind und in der dritten Hauptquote erst nach mehr als sechs Jahren und unter Umständen zwölf oder mehr "Fehlschlägen" die Möglichkeit einer Studienzulassung in Reichweite gerät, kann nach Auffassung der Kammer mit den vom Bundesverfassungsgericht aufgestellten Grundsätzen nicht in Einklang gebracht werden.

Insgesamt ist die Kammer der Auffassung, dass die Wartezeitquote ihre Funktion als Korrektiv, das einer größeren Zahl von Abiturienten eine zumutbare Zulassungschance verschafft, inzwischen nicht mehr erfüllt und deshalb das Auswahlsystem insgesamt das aus Art. 12 Abs. 1 GG in Verbindung mit dem Gleichheitssatz und dem Sozialstaatsprinzip abgeleitete derivative Teilhaberecht der Bewerber verletzt.

2. Keine Möglichkeit der verfassungskonformen Auslegung und der Beschränkung auf das untergesetzliche Regelwerk

Der Verfassungsverstoß kann auch nicht durch eine verfassungskonforme Auslegung der betreffenden Vorschriften vermieden (dazu nachfolgend a)) oder durch eine Beschränkung auf das untergesetzliche Regelwerk eingegrenzt (dazu nachfolgend b)) werden.

a) Zwar geht die verfassungskonforme Auslegung im Interesse der Normerhaltung der Nichtigerklärung und auch der Vorlage nach Art. 100 Abs. 1 GG grundsätzlich vor. Die Möglichkeit, eine Vorschrift verfassungskonform auszulegen, findet ihre Grenzen jedoch dort, wo sie mit dem Wortlaut der Norm und dem klar erkennbaren Willen des Gesetzes in Widerspruch treten würde. Im Wege der verfassungskonformen Auslegung darf einem nach Wortlaut und Sinn eindeutigen Gesetz nicht ein entgegengesetzter Sinn verliehen, der normative Gehalt der auszulegenden Vorschrift nicht grundlegend neu bestimmt und das gesetzgeberische Ziel nicht in einem wesentlichen Punkt verfehlt werden. Die verfassungskonforme Auslegung darf mit anderen Worten also nicht zu einer "Gesetzeskorrektur" führen.

Vgl. nur BVerfG, Urteil vom 4. Mai 2011 - 2 BvR 2333/08 -, BVerfGE 128, 326 (400), und Beschluss vom 27. März 2012 - 2 BvR 2258/09 -, juris (Rdnr. 73), mit weiteren Nachweisen; Dollinger, in: Umbach/Clemens/Dollinger (Hrsg.), BVerfGG, Kommentar, 2. Aufl. 2005, § 80 Rdnr. 55 f.; Benda/Klein, Verfassungsprozessrecht, 3. Aufl. 2012, Rdnr. 1411 ff.; Rüthers/Fischer/Birk, Rechtstheorie, 6. Aufl. 2011, § 22 Rdnr. 763 ff.

Auf der Hand liegt vor dem Hintergrund dieser Grundsätze, dass sich die Bestimmung der verschiedenen Auswahlhauptquoten und ihre prozentuale Zusammensetzung nicht im Wege verfassungskonformer Auslegung ändern lassen. Die Regelungen sind insoweit auf allen Ebenen eindeutig. Dies gilt namentlich für die Reduzierung der Wartezeitquote auf 20%, die eine bewusste Entscheidung des Gesetzgebers darstellt. Dasselbe gilt für die - im vorliegenden Kontext bedeutsame - Bestimmung, dass (auch) im Auswahlverfahren der Hochschulen dem "Grad der Qualifikation" ein maßgeblicher Einfluss zukommen muss; auch dies ist auf bundesgesetzlicher und staatsvertraglicher Ebene explizit festgeschrieben. Die verfahrensmäßigen Erschwernisse, die die Bewerbung des Studierwilligen von vornherein auf einen Teil der zu vergebenden Studienplätze beschränken, sind ebenfalls bereits auf der Ebene des formellen Bundes- und Landesrechts vorgesehen, indem den Hochschulen die Durchführung eines Vorauswahlverfahrens ausdrücklich freigestellt und auch die Anwendung des Vorauswahlkriteriums "Ortspräferenz" gesetzlich gutgeheißen wird.

Denkbarer Aufhänger einer verfassungskonformen Auslegung wäre damit allenfalls die in § 32 Abs. 2 S. 1 Nr. 1 HRG, Art. 9 Abs. 1 Nr. 1, Abs. 3 Staatsvertrag 2008 und § 6 Abs. 2 S. 1 i. V. m. § 15 VergabeVO vorgesehene Vorabquote für Härtefälle. Nach diesen Vorschriften sind von der Gesamtzahl der festgesetzten Zulassungszahlen (bis zu) zwei Prozent für Fälle außergewöhnlicher Härte abzuziehen. Die Studienplätze der Härtefallquote werden gemäß § 15 S. 1 VergabeVO auf Antrag an Bewerberinnen und Bewerber vergeben, für die es eine außergewöhnliche Härte bedeuten würde, wenn sie für den genannten Studiengang keine Zulassung erhielten. Eine außergewöhnliche Härte liegt vor, wenn in der eigenen Person liegende besondere soziale oder familiäre Gründe die sofortige Aufnahme des Studiums oder einen sofortigen Studienortwechsel zwingend erfordern (Art. 9 Abs. 3 Staatsvertrag 2008, § 15 S. 2 VergabeVO). Die Rangfolge wird durch den Grad der außergewöhnlichen Härte bestimmt (§ 15 S. 3 VergabeVO). Die Verfassungswidrigkeit des Vergabesystems ließe sich möglicherweise vermeiden, wenn Studienplatzbewerber, die unzumutbar lange auf einen Studienplatz gewartet haben, einen Studienplatz in der Härtefallquote erhalten könnten.

Vgl. zu einem solchen Ansatz BVerfG, Urteil vom 8. Februar 1977 - 1 BvF 1/76 u.a. -, BVerfGE 43, 291 (375 ff.); BVerwG, Beschluss vom 19. Mai 1983 - 7 B 224/81 -, NVwZ 1984, 587 ff.

Im Ergebnis würde aber auch dies die Grenzen verfassungskonformer Auslegung überschreiten: Denn die Gesetz- und Verordnungsgeber haben die Härtefallzulassung ausdrücklich auf "in der Person des Bewerbers liegende" Härtegründe, und zwar insbesondere solche "sozialer oder familiärer" Art, beschränkt. Insofern lässt sich eine Härte zwar im Einzelfall annehmen, wenn der Bewerber aufgrund seiner Lebensumstände durch die überlange Wartezeit in besonderer Weise getroffen wird (was bei der Klägerin des Ausgangsverfahrens nicht der Fall ist). Der bloße Umstand, dass ein Bewerber sechs oder noch mehr Jahre lang auf einen Studienplatz gewartet hat, kann hingegen keine "Härte" im Sinne des Gesetzes darstellen. Denn die auf eine derartige Dauer angestiegene Wartezeit ist kein in der Person des Bewerbers liegendes, sondern ein allgemeines, in der Konsequenz des Auswahlsystems liegendes Problem. Dieses Problem trifft als solches auch nicht nur einzelne Bewerber, sondern eine große Zahl Wartender. So hat die Beklagte in den Verfahren einiger Parallelkläger auf Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes vorgetragen, dass zum Wintersemester 2011/12 insgesamt 511 Bewerber mit zwölf Halbjahren Wartezeit keinen Studienplatz erhalten hätten (Beschwerdebegründung der Beklagten, z. B. Gerichtsakte VG 6 L 940/11 - OVG 13 B 1209/11, Bl. 560).

Zu berücksichtigen ist insoweit auch, dass es sich bei der Härtefallvorschrift systematisch um eine Ausnahmeregelung handelt, wie im Gesetzeswortlaut durch die Formulierung "besondere Härte" noch einmal betont wird. Insofern hält die Kammer ihre Rechtsprechung und diejenige des Oberverwaltungsgerichts für das Land Nordrhein-Westfalen, denen zufolge der Härtetatbestand eng auszulegen ist, nach wie vor für zutreffend.

Vgl. nur OVG NRW, Beschlüsse vom 17. Mai 2010 - 13 B 504/10 - und vom 27. Mai 2011 - 13 B 523/11 -, VG Gelsenkirchen, Beschluss vom 30. November 2011 - 6 L 968/11 - und Gerichtsbescheid vom 23. Januar 2012 - 6 K 3856/11 -, alle vier Entscheidungen bei juris veröffentlicht.

Hinzu kommt, dass die Härtefallquote auf maximal zwei Prozent begrenzt ist. Für die Beseitigung des hier angenommenen Verfassungsverstoßes darf es aber nicht darauf ankommen, ob nach Berücksichtigung anderer Härtefallbewerber noch Plätze in dieser Quote unbesetzt geblieben sind. Eine verfassungskonforme Auslegung dahingehend, dass die Quote bei Bedarf auf mehr als zwei Prozent der Studienplätze erweitert wird, hält die Kammer für ausgeschlossen. Denn die verschiedenen Auswahlquoten sind durch den Gesetzgeber nicht nur in differenzierter Weise austariert, sondern darüber hinaus auch verschiedenen Rechtsträgern zur Verteilung überantwortet worden. Insoweit stößt eine verfassungskonforme Erweiterung des Härtefallbegriffs unter Auflösung des vorhandenen Zweiprozentlimits auf systematische und praktische Probleme und läuft dem Willen des Gesetzgebers erkennbar zuwider.

Ergänzend weist die Kammer darauf hin, dass Studienplätze der Härtefallquote, die nicht vergeben werden, weil die Zahl der anerkannten Härtefälle bei unter zwei Prozent der festgesetzten Zulassungszahlen liegt, als zusätzliche Studienplätze in der Wartezeitquote verteilt werden (§ 6 Abs. 6 S. 1 VergabeVO). Würde man den langjährig Wartenden nun Studienplätze aus der Härtefallquote zusprechen, könnte sich also die Zahl der in der Wartezeitquote de facto zu vergebenden Studienplätze weiter verringern. Insgesamt wäre damit wenig gewonnen.

b) Im Interesse der Geltungserhaltung gesetzlicher Vorschriften wäre es wohl auch geboten, die Verfassungswidrigkeit auf das untergesetzliche Recht, also die Vergabeverordnungen und/oder die Auswahlsatzungen der Hochschulen zu beschränken, wenn eine entsprechende Auslegung der formellgesetzlichen Vorschriften möglich wäre. Dies ist aber nicht der Fall. Denn die für das vorliegende Verfahren maßgeblichen Vorgaben, namentlich die Definition der Hauptquoten und ihre prozentuale Zusammensetzung, die Vorgaben für das Auswahlverfahren und das Vorauswahlverfahren der Hochschulen und die hierbei anzulegenden Kriterien, sind - wie bereits aufgezeigt (oben unter II. 1. a) und II. 2. a)) - auf der Ebene der formellen Gesetze festgeschrieben.

Dies gilt insbesondere für die Vergabeverordnungen. Hinsichtlich der Auswahlhauptquoten und ihrer Zusammensetzung ist hier praktisch nichts geregelt, was nicht bereits im Staatsvertrag 2008 festgeschrieben ist. Die Verordnungen regeln vielmehr lediglich Einzelheiten des (zentralen) Vergabeverfahrens, insbesondere solche des Verwaltungsverfahrens, selbständig. Auch soweit Inhalte des formellen Gesetzesrechts in den Vergabeverordnungen wiederholt werden, wie etwa die prozentualen Anteile der einzelnen Quoten, kann sich das Gericht nicht darauf beschränken, die Verordnung als verfassungswidrig zu verwerfen. Denn da es sich um lediglich wiederholende Regelungen handelt, muss die Beurteilung als verfassungswidrig zwangsläufig auf die gesetzliche Grundlage - hier also vor allem die Ratifizierungsgesetze zum Staatsvertrag 2008 und die Hochschulzulassungsgesetze der Länder - durchschlagen. In einem solchen Fall kann das Gericht sich nicht darauf beschränken, die streitentscheidenden untergesetzlichen Rechtsnormen unangewendet zu lassen. Erstreckt sich das Verdikt der Verfassungswidrigkeit nämlich zwangsläufig auf das übergeordnete formelle Gesetzesrecht, so ist dieses für den Streit (mittelbar) entscheidungserheblich.

Vgl. BVerfG, Beschlüsse vom 14. Juli 1981 - 1 BvL 24/78 -, BVerfGE 58, 137 (143 f.), und vom 12. Februar 2003 - 2 BvL 3/00 -, BVerfGE 107, 218 (232); Hillgruber/Goos, Verfassungsprozessrecht, 3. Aufl. 2011, Rdnr. 584b.

Die Verfassungswidrigkeit des Auswahlsystems insgesamt beruht auch nicht etwa allein auf den Auswahlsatzungen der Hochschulen. Zwar könnten die Hochschulen den Verfassungsverstoß möglicherweise verhindern, indem sie ihre Auswahlentscheidung weniger auf die Durchschnittsnote der Hochschulzulassungsberechtigung konzentrieren als dies heute der Fall ist. Unabhängig von der Frage, in welchem Umfang dies überhaupt mit § 32 Abs. 3 HRG, Art. 10 Abs. 1 S. 2 Staatsvertrag 2008 und den Hochschulzulassungsgesetzen der Länder vereinbar wäre, ist aber festzustellen, dass die Verfassungswidrigkeit niemals durch eine Auswahlsatzung allein hervorgerufen wird. Selbst die Auswahlsatzung der Westfälischen Wilhelms-Universität Münster, auf deren Grundlage zum Wintersemester 2011/12 ausschließlich Abiturienten mit der Abiturnote 1,0 ausgewählt worden sind, würde wohl nicht ohne Weiteres zur Verfassungswidrigkeit des Auswahlsystems insgesamt führen, wenn sich in ausreichender Zahl Hochschulen fänden, bei denen ein größerer Kreis von Bewerbern - zumindest bei Erfüllung weiterer Kriterien - eine Zulassungschance hätte. Um die Chancenoffenheit des Auswahlsystems insgesamt zu gewährleisten, hätten somit zumindest die Landesgesetzgeber in Erfüllung ihrer Verpflichtung, die für die Grundrechtsausübung wesentlichen Regelungen selbst zu treffen (siehe oben unter II. 1. b) (3)), hinreichende Vorgaben machen müssen.

3. Entscheidungserheblichkeit

Auch die für eine Vorlage nach Art. 100 Abs. 1 GG, § 80 Abs. 1 und 2 BVerfGG erforderliche Entscheidungserheblichkeit ist gegeben; die Verfassungsmäßigkeit der in Rede stehenden Vorschriften (dazu nachfolgend a)) und ihre Verfassungswidrigkeit (dazu nachfolgend b)) führen zu unterschiedlichen Ergebnissen.

a) Ergebnis bei Verfassungsmäßigkeit der in Rede stehenden Vorschriften

Hält man die in Rede stehenden Vorschriften für verfassungskonform und wendet sie auf den vorliegenden Sachverhalt an, so hat die Klägerin keinen Anspruch auf Zulassung zum Studium; die Klage ist zulässig - zur Frage des richtigen Klagegegners näher unten II. 4. a) -, aber unbegründet und daher abzuweisen.

In der Abiturbestenquote (§§ 11 ff. VergabeVO) hat die Klägerin sich gar nicht beworben. Mit ihrer Abiturnote (3,2) würde sie im Óbrigen die für eine Auswahl in dieser Quote zum Wintersemester 2011/12 maßgebliche Auswahlgrenze nicht erreichen. Diese lag für Bewerber mit in Nordrhein-Westfalen erworbener Hochschulzugangsberechtigung bei 1,1. In der Wartezeitquote (§ 14 VergabeVO) erreicht die Klägerin mit der von ihr bis zum Wintersemester 2011/12 angesammelten Wartezeit von zehn Halbjahren ebenfalls nicht die Auswahlgrenze. Diese lag bei zwölf Wartehalbjahren. Individuelle Umstände, die einen Härtefall (15 VergabeVO) begründen könnten, sind weder vorgetragen noch ersichtlich.

Ob die Klägerin im "Auswahlverfahren der Hochschulen" hätte zugelassen werden müssen, ist nicht Gegenstand des vorliegenden Verfahrens, da ein entsprechender Anspruch nicht gegen die Beklagte geltend gemacht werden kann. Es liegt allerdings angesichts der oben geschilderten Auswahlkriterien und Vergabeergebnisse auf der Hand, dass die Klägerin auch in dieser Auswahlhauptquote die Auswahlgrenzen nicht erreicht.

b) Ergebnis bei Verfassungswidrigkeit der in Rede stehenden Vorschriften

Sind die im Beschlusstenor genannten Vorschriften nicht mit dem Grundgesetz vereinbar, so ergibt sich ein anderes Ergebnis.

(1) Dies liegt auf der Hand, wenn man, wie die Kammer in ihren Beschlüssen vom 28. und 29. September 2011 betreffend die Eilanträge einiger Parallelkläger (6 L 940/11 u. a.), die Auffassung vertritt, dass sich, wenn ein absoluter Numerus clausus mit einem nicht hinreichend chancenoffenen Auswahlsystem verbunden ist, für denjenigen, der von einer unzumutbar langen Wartezeit betroffen ist, ein unmittelbarer, grundrechtlicher Anspruch auf Zulassung zu dem gewünschten Studium ergibt, weil das Recht auf freie Wahl des Berufs und der Ausbildungsstätte gegenüber einem solchen unzulässigen Eingriff unmittelbar zum Tragen kommen muss.

Ebenso auch VG München, (im Beschwerdeverfahren geänderte) Beschlüsse vom 19. Dezember 2005 - M 3 E L 05.20578 u.a. -, juris.

Der Verpflichtungsklage wäre dann stattzugeben (zur Frage des richtigen Klagegegners näher unten 4. a)).

Die Kammer schließt sich allerdings nach nochmaliger Óberprüfung und nicht zuletzt zur Wahrung der Rechtseinheitlichkeit nunmehr der Auffassung des Oberverwaltungsgerichts für das Land Nordrhein-Westfalen an, welches einen unmittelbaren Zulassungsanspruch auch bei (teilweiser) Verfassungswidrigkeit des Vergabesystems verneint und erklärt hat, dass aus einem entsprechenden Verfassungsverstoß lediglich eine Pflicht des Gesetzgebers resultiere, das Auswahlsystem zu ändern.

OVG NRW, Beschlüsse vom 8. November 2011 - 13 B 1212/11 u.a. -, NJW 2012, 1096, und vom 1. Februar 2012 - 13 A 2214/11 -, juris; ebenso BayVGH, Beschluss vom 21. September 2011 - 7 CE 11.10660 -, juris, der allerdings die Fragen des Hochschulausbaus und der Auswahl innerhalb der Kapazität nicht sauber trennt, und VG Sigmaringen, Beschluss vom 4. Februar 2011 - 6 K 2737/10 -, juris, sowie Mengden, Entscheidungsanmerkung [zu OVG NRW, Beschluss vom 6. Oktober 2011], ZJS 2011, 566 (570 f.).

Allerdings lassen sich für einen solchen verfassungsunmittelbaren Anspruch auf Zulassung durchaus Gründe anführen. Dass etwa der vom Bundesverfassungsgericht angenommene grundrechtliche Anspruch auf erschöpfende Kapazitätsnutzung im Falle freigebliebener Kapazitäten zu einem Anspruch auf Zulassung zum Studium erstarkt, ist unbestritten. Eben dieser grundrechtliche Anspruch ist die materiellrechtliche Grundlage des sog. Kapazitätsrechtsstreits, in welchem - mangels einfachgesetzlicher Rechtsgrundlage - unmittelbar aus dem verfassungskräftigen Teilhaberecht um die Zulassung zum Studium gestritten wird. In diesem Zusammenhang hat das Bundesverfassungsgericht im Óbrigen mehrfach betont, dass zu den wesentlichen Bestandteilen eines verfassungsmäßigen Rechts gerade seine Durchsetzbarkeit gehört, was sich ebenfalls für einen Zulassungsanspruch ins Feld führen lässt.

Vgl. BVerfG, Beschlüsse vom 9. April 1975 - 1 BvR 344/74 -, BVerfGE 39, 276 ff., und vom 21. Oktober 1981 - 1 BvR 802/78 -, BVerfGE 59, 172 (215); s. auch VG München, Beschluss vom 19. Dezember 2005 - M 3 E L 05.20578 -, juris.

Dennoch sprechen vorliegend gewichtigere Gründe gegen einen verfassungsunmittelbaren Anspruch auf Zulassung zum Hochschulstudium. Während nämlich bei dem Anspruch auf erschöpfende Kapazitätsausnutzung der freiheitsrechtliche Charakter des Grundrechts im Vordergrund steht und sich ein Verstoß ohne Beeinträchtigung anderer zur Zulassung anstehender Bewerber verwirklichen lässt, geht es im vorliegenden Zusammenhang um die Frage einer sachgerechten Auswahl unter den Bewerbern innerhalb der Kapazität. Hier steht - wie oben dargelegt - die gleichheitsrechtliche Seite des Grundrechts stark im Vordergrund, und jede Entscheidung zu Gunsten eines Bewerbers wirkt sich zu Lasten eines anderen Bewerbers aus. Zudem ist die Entwicklung brauchbarer Alternativen angesichts der Komplexität der Problematik mit erheblichen Schwierigkeiten verbunden. Aus diesen Gründen richtet sich die verfassungskräftige Pflicht, ein Auswahlsystem zu verwenden, das jedem hochschulreifen und damit grundsätzlich gleichberechtigt zu berücksichtigenden Bewerber die realistische Chance auf eine Zulassung verschafft, naturgemäß zunächst an den Gesetz- und den Verordnungsgeber. Diesen bleibt trotz der verschärften Anforderungen, die sich vorliegend aus dem Zusammenhang mit dem Freiheitsrecht des Art. 12 Abs. 1 GG ergeben, ein erheblicher Gestaltungsspielraum, in dessen Rahmen sie ein insgesamt sachgerechtes und hinreichend chancenoffenes Auswahlsystem zu entwickeln haben. Insofern dürfte die von der Kammer angenommene Verfassungswidrigkeit des derzeitigen Systems wohl in der Tat (nur) zu einer Verpflichtung des Gesetzgebers führen, entsprechende Korrekturen am Auswahlsystem vorzunehmen.

Vgl. OVG NRW, Beschlüsse vom 16. Juni 2011 - 13 C 45/11 u. a. -, juris (Rdnr. 20), und vom 8. November 2011 - 13 B 1212/11 u.a. -, NJW 2012, 1096.

Auch das Bundesverfassungsgericht hat im Óbrigen im vorliegenden Zusammenhang mehrfach die Pflicht der Gesetzgebers betont, ein verfassungsmäßiges Auswahlsystem zu schaffen und zu erhalten, indem er die tatsächliche Entwicklung des Vergabeverfahrens beobachtet und das Verteilungsverfahren gegebenenfalls nachbessert.

Vgl. etwa BVerfG, Urteil vom 8. Februar 1977 - 1 BvF 1/76 u.a. -, BVerfGE 43, 291 (321); zur Nachbesserungspflicht auch BayVGH, Beschluss vom 23. März 2006 - 7 CE 06.10164 -, juris (Rdnr. 31); Möller, Rahmenbedingungen der Hochschulzulassung, 2001, S. 88 f.

Auch wenn der Gesetzgeber dieser Pflicht in der Vergangenheit nicht (hinreichend) nachgekommen ist, wie von der Kammer angenommen, ist es dem Gericht wohl verwehrt, durch die Annahme eines unmittelbaren Zulassungsanspruchs eine Verschiebung zwischen den Bewerbergruppen herbeizuführen.

(2) Auch wenn man einen verfassungsunmittelbaren Zulassungsanspruch verneint und lediglich eine Verpflichtung des Gesetzgebers zur Korrektur des Auswahlsystems annimmt, ergibt sich jedoch im Falle der Verfassungswidrigkeit ein anderes Ergebnis als im Falle der Verfassungsmäßigkeit der in Rede stehenden Vorschriften. Muss der Gesetzgeber nämlich die Studienplatzvergabe zur Wahrung der Chancenoffenheit des Auswahlsystems neu regeln oder jedenfalls nachbessern, so hält die Aussetzung des Verfahrens zum Zwecke der Normenkontrolle gemäß Art. 100 Abs. 1 GG der Klägerin die Chance offen, eine für sie günstigere Regelung durch den Gesetzgeber zu erreichen. Diese Konsequenz des Normenkontrollverfahrens genügt nach ständiger Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts, um eine Entscheidungserheblichkeit im Sinne von Art. 100 Abs. 1 GG, § 80 BVerfGG anzunehmen.

Vgl. nur BVerfG, Urteile vom 19. Oktober 1982 - 1 BvL 39/80 -, BVerfGE 61, 138 (146), und vom 27. Juni 1991 - 2 BvL 3/89 -, BVerfGE 84, 233 (237); Beschlüsse vom 10. Februar 1987 - 1 BvL 18/81 -, BVerfGE 74, 182 (195), 31. Januar 1996 - 2 BvL 39/93 u. a. -, BVerfGE 93, 386 (395), vom 8. Juni 2004 - 2 BvL 5/00 -, BVerfGE 110, 412 (429 f.), vom 17. April 2008 - 2 BvL 4/05 -, BVerfGE 121, 108 (115), vom 11. November 2008 - 1 BvL 3/05 u. a. -, BVerfGE 122, 151 (173); Lechner/Zuck, BVerfGG, Kommentar, 6. Aufl. 2011, § 80 Rdnr. 38; Müller-Terpitz, in Schmidt-Bleibtreu/Klein, GG, Kommentar, 11. Aufl. 2008, Art. 100 Rdnr. 21; Dollinger, in: Umbach/Clemens/Dollinger (Hrsg.): BVerfGG, 2. Aufl. 2005, § 80 Rdnr. 66; Benda/ Klein, Verfassungsprozessrecht, 3. Aufl. 2012, Rdnr. 843 ff.; Hillgruber/Goos, Verfassungsprozessrecht, 3. Aufl. 2011, Rdnr. 603.

Die Entscheidungserheblichkeit ist nach dieser Rechtsprechung bereits dann zu bejahen, wenn der Gesetzgeber den Verfassungsverstoß auf verschiedene Weise heilen kann und eine der dem Gesetzgeber möglichen Entscheidungsvarianten den - bis dahin weiter ausgesetzten - Prozess in Richtung einer für den betroffenen Grundrechtsträger günstigen Weise beeinflussen kann.

So BVerfG, Beschluss vom 17. April 2008 - 2 BvL 4/05 -, BVerfGE 121, 108 (115 f.); dem Obersatz nach noch etwas großzügiger BVerfG, Urteil vom 27. Juni 1991 - 2 BvL 3/89 -, BVerfGE 84, 233 (237).

Die vorgenannte Rechtsprechung ist vom Bundesverfassungsgericht in erster Linie für Gleichheitsverstöße entwickelt worden, genauer gesagt für gesetzliche Normen, die dem Kläger des Ausgangsverfahrens eine Leistung gleichheitswidrig vorenthalten. Hier besteht typischerweise das Problem, dass der Kläger bei Gültigkeit der Norm die Leistung nicht beanspruchen kann, dass aber auch bei Nichtigkeit bzw. Verfassungswidrigkeit der Norm eine gesetzliche Grundlage für die Leistung zu Gunsten des Klägers nicht besteht, so dass es an der Entscheidungserheblichkeit der Frage der Verfassungskonformität zu fehlen scheint. Das Bundesverfassungsgericht akzeptiert bei einer solchen Sachlage, dass das Instanzgericht das Verfahren aussetzt und vorlegt, um dem Kläger die Chance zu geben, von einer gesetzgeberischen "Reparatur" zu profitieren.

Vgl. Benda/Klein, Verfassungsprozessrecht, 3. Aufl. 2012, Rdnr. 844.

Nach Auffassung der Kammer sind diese (überzeugenden) Grundsätze vorliegend heranzuziehen. Denn auch der Verstoß gegen das aus Art. 12 Abs. 1 GG in Verbindung mit Art. 3 GG resultierende derivative Teilhaberecht des hochschulreifen Bewerbers auf eine chancenoffene Auswahlentscheidung nach sachgerechten Kriterien ist, wie oben unter II. 1. b) (3) bereits näher dargelegt, vorrangig ein Gleichheitsverstoß und auch hier stellt sich, wie vorstehend unter II. 3. b) (1) aufgezeigt, das Problem, dass die Umsetzung des entsprechenden verfassungskräftigen Gebots dem Gesetzgeber obliegt. Der einzelne Studienbewerber hat daher keine Möglichkeit, die Zulassung durch eine verwaltungsgerichtliche Klage unmittelbar auf verfassungsrechtlicher Grundlage zu erzwingen. Will er die Óberprüfung der Verfassungskonformität der Auswahlregelungen und damit mittelbar die Realisierung seines Teilhaberechts erreichen, bleibt ihm nur der Weg einer Klage auf Zulassung zum Studium - verbunden mit der Anregung, eine Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts gemäß Art. 100 GG herbeizuführen.

Dass die Klägerin des Ausgangsverfahrens von einer entsprechenden Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts und einem daran anschließenden Tätigwerden des Gesetzgebers unter keinen Umständen profitieren würde, lässt sich nicht feststellen. Der Gesetzgeber hat zwar erkennbar verschiedene Entscheidungsvarianten, unter denen er zur Behebung des Verfassungsverstoßes wählen kann. Dass aber keine der denkbaren Änderungen der Klägerin eine verbesserte Chance auf Auswahl verschaffen würde, lässt sich nicht feststellen. Grundsätzlich vorstellbar wären z. B. eine generelle oder eine bei Óberschreiten einer gewissen Auswahlgrenze eintretende Erhöhung des Anteils der in der Wartezeitquote zu verteilenden Studienplätze, eine Verpflichtung der Hochschulen, die Auswahlkriterien ihrer Auswahlsatzungen in einer Weise zu verändern, die mehr als einem Viertel der Abiturienten realistische Auswahlchancen bietet, und diverse andere Varianten, die an der einen oder anderen Auswahlquote ansetzen. Welche Auswahlkriterien und welche Kombination von Kriterien mit den verfassungsrechtlichen Anforderungen vereinbar wären, hat die Kammer (derzeit) nicht zu entscheiden. Für den vorliegenden Zusammenhang genügt die Feststellung, dass beispielsweise eine Erhöhung der Wartezeitquote und die damit zwangsläufig verbundene Reduzierung der Auswahlgrenze in dieser Quote der Klägerin die Chance auf eine frühere Zulassung verschaffen würde.

Die Kammer verkennt nicht, dass es angesichts der fortgeschrittenen Wartezeit der Klägerin denkbar ist, dass sie in absehbarer Zeit ohnehin einen Studienplatz erhält und das Normenkontrollverfahren und ein etwaiges Gesetzgebungsverfahren bis zu diesem Zeitpunkt noch nicht abgeschlossen sein werden. Nach den Vergabeergebnissen der letzten Jahre ist mit einer Zulassung allerdings wohl frühestens zum Wintersemester 2013/14 zu rechnen, bei weiter steigenden Auswahlgrenzen eventuell auch erst später. Die Kammer hält sich jedenfalls nicht für berechtigt, mit Blick auf diese zeitlichen Erwägungen von einer Vorlage abzusehen, zumal sich letztlich weder der Zeitpunkt der Zulassung der Klägerin nach dem bisherigen Recht, noch der Ablauf des Normenkontroll- und eines möglichen Gesetzgebungsverfahrens zuverlässig prognostizieren lässt. Naheliegend ist im Óbrigen die Annahme, dass die Kammer auf absehbare Zeit in jedem Bewerbungsverfahren Klagen und Anträge zu entscheiden haben wird, bei denen sich die vorstehend ausgebreiteten Probleme stellen.

4. Prozessuales

a) Soweit die Beklagte erklärt, sie sei für das Verfahren der "falsche Klagegegner" (Schriftsatz vom 25. April 2012 in 6 K 3959/11 u. a. = Beiakte 4 des vorliegenden Verfahrens, dort unter II.1), vermag die Kammer ihr nicht zu folgen. Streitgegenstand des Verfahrens ist ein Anspruch auf Zulassung zum Studium der Humanmedizin innerhalb der festgesetzten Kapazität und innerhalb der von der Beklagten in eigenem Namen vergebenen Auswahlhauptquoten. Dieser Anspruch kann nur gegen die Beklagte bestehen, gegen welche die Klage folglich zu richten war und ist. Dass bei der für das Verfahren notwendigen Óberprüfung der Verfassungsmäßigkeit der die Studienplatzvergabe regelnden Vorschriften zwangsläufig auch das "Auswahlverfahren der Hochschulen" mit in den Blick zu nehmen ist, weil sich nur bei einer Betrachtung des Gesamtsystems dessen Verfassungskonformität beurteilen lässt, ändert nichts daran, dass das Ausgangsverfahren (nur) gegen die Beklagte geführt werden kann.

Soweit das Oberverwaltungsgericht für das Land Nordrhein-Westfalen in seinen die Eilverfahren einiger Parallelkläger betreffenden Beschlüssen vom 8. November 2011 (13 B 1209/11 u. a.) ausgeführt hat, dass der Antrag gegen die einzelne Hochschule hätte gerichtet werden müssen, beruht dies ersichtlich auf dem Umstand, dass das beschließende Gericht im Eilverfahren den Klägern einen bestimmten Studienplatz vorläufig zugesprochen hat, der eigentlich im Auswahlverfahren der Hochschulen vergeben worden wäre, und dass zum Zeitpunkt der (erstinstanzlichen) Eilentscheidung das Vergabeverfahren der Beklagten beendet war, das Auswahlverfahren der Hochschulen aber noch lief. Für diesen Fall mag man bezweifeln können, dass eine einstweilige Anordnung auf Zuteilung des Studienplatzes gerade gegen die Beklagte möglich ist, wenngleich die Kammer dies - einen verfassungsunmittelbaren Zulassungsanspruch unterstellt - im Interesse effektiver Rechtsschutzgewährung für geboten hielte. Auf das vorliegende Hauptsacheverfahren sind die Erwägungen des Oberverwaltungsgerichts jedenfalls nicht ansatzweise übertragbar. Denn hier steht nicht die (unmittelbare) Vergabe eines Studienplatzes aus der dem Auswahlverfahren der Hochschulen vorbehaltenen Quote im Raum, sondern entweder - bei Verfassungskonformität der Vorschriften - der Versuch der Realisierung eines Zulassungsanspruchs in einer der von der Beklagten verwalteten Auswahlquoten oder - bei Verfassungswidrigkeit - eine Verpflichtung des Gesetzgebers, das Gesamtsystem zu korrigieren. Ob der Klägerin nach einer entsprechenden Änderung ein Studienplatz aus einer von der Beklagten verwalteten Auswahlquote oder ein solcher aus dem Auswahlverfahren der Hochschulen zustehen könnte, lässt sich angesichts der Vielzahl denkbarer Gestaltungsmöglichkeiten des Gesetzgebers nicht prognostizieren.

b) Den Verfahrensbeteiligten ist in hinreichendem Umfang rechtliches Gehör zu der Vorlageentscheidung gewährt worden. Denn die Einleitung eines entsprechenden Zwischenverfahrens ist in der mündlichen Verhandlung erörtert worden. Dass eine konkrete Normenkontrolle zu erwägen sein würde, war im Óbrigen von Beginn an für alle Beteiligten erkennbar, weil im vorliegenden Verfahren, wie auch in den einschlägigen Parallelverfahren, allein die Verfassungswidrigkeit des Vergaberechts geltend gemacht worden ist und weil auch die Kammer sich in ihren einige Parallelverfahren betreffenden Eilbeschlüssen vom 28. und 29. September 2011 (6 L 940/11 u. a.) bereits ausführlich mit der Verfassungsmäßigkeit sowie mit der Vorlagepflicht nach Art. 100 GG auseinander gesetzt hat. Die Prozessbevollmächtigten der Klägerin waren an mehreren dieser Eilverfahren beteiligt.

Eine Beiladung der 34 Hochschulen, die den Studiengang Medizin anbieten, hat die Kammer nach Lage der Dinge nicht für geboten gehalten. Wie oben bereits ausgeführt worden ist, beruht die Annahme der Verfassungswidrigkeit nicht auf dem konkreten Inhalt einzelner Hochschulsatzungen über die Auswahl im jeweiligen "Auswahlverfahren der Hochschule". Die Kammer hält vielmehr bereits die formellgesetzlichen Regelungen über die Studienplatzvergabe für verfassungsrechtlich defizitär. Dass eine etwaige Verwerfung der Vorschriften durch das Bundesverfassungsgericht und die dann anstehende Neuregelung die Hochschulen und ihre Mitglieder in ihren Rechten, etwa der Wissenschaftsfreiheit, tangieren würden, liegt auf der Hand. In ähnlicher Weise sind auch zahlreiche Studienbewerber (mittelbar) betroffen, deren Auswahlchancen sich in Zukunft verbessern oder verschlechtern könnten. Dies ändert aber nichts daran, dass es im vorliegenden Verfahren derzeit allein um die Verfassungsmäßigkeit des Gesamtsystems geht, über welche die grundgesetzlich vorgesehene Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts einzuholen ist. Auch zur Sachverhaltsaufklärung war eine Beteiligung der Hochschulen nicht erforderlich. Die für die vorliegende Entscheidung maßgeblichen Tatsachen hat die Kammer im Wesentlichen durch Einholung entsprechender Auskünfte der Beklagten und des Sekretariats der Kultusministerkonferenz sowie aus frei - etwa im Internet - zugänglichen Quellen ermitteln können.