Hessisches LAG, Urteil vom 01.06.2012 - 14 SaGa 124/12
Fundstelle
openJur 2012, 70267
  • Rkr:
Tenor

Die Berufung des Verfügungsklägers gegen das Urteil des Arbeitsgerichts Wetzlar vom 29. November 2011 – 1 Ga 6/11– wird auf Kosten des Verfügungsklägers zurückgewiesen.

Tatbestand

Die Parteien streiten im Einstweiligen Verfügungsverfahren darüber, ob die Beklagte berechtigt ist, den Kläger regelmäßig mehr als 40 Stunden verteilt auf sieben aufeinander folgende Tage im Unternehmen zu beschäftigen.

Die Verfügungsbeklagte (künftig: Beklagte) ist ein Unternehmen der metallverarbeitenden Industrie. Der Verfügungskläger (künftig: Kläger) ist bei ihr aufgrund schriftlichen Arbeitsvertrags vom 7. März 2002 seit dem 18. März 2002 als Anlagenführer beschäftigt.

Ziff. 5 des Arbeitsvertrags regelt:

„Ihre wöchentliche Arbeitszeit beträgt 40 Stunden. Ihre Verteilung auf die einzelnen Wochentage sowie Beginn und Ende der täglichen Arbeitszeit richten sich nach den betrieblichen Regelungen. Sie sind verpflichtet, Mehr- und Überstunden bzw. Nacht-, Schicht- und Sonntagsarbeit im gesetzlich zulässigen Umfang zu leisten.“

Wegen des Inhalts des Arbeitsvertrags im Übrigen wird auf die zur Akte gereichte Abschrift (Bl. 8-14 dA.) verwiesen.

Unter dem 1. September 2005 schlossen die Betriebspartner bei der Beklagten eine Betriebsvereinbarung (Bl. 49, 50 dA.) ab, durch die zunächst befristet in der Produktion eine betriebliche Sieben- Tage- Woche dergestalt eingeführt wurde, dass die Arbeitnehmer in Teams ihre Arbeitsleistung an sechs Tagen in Schichten mit einer Arbeitszeit von 8 Stunden ableisten und sodann zwei Tage frei haben. Durch Betriebsvereinbarung vom 28. November 2005 (Bl. 51 dA.) wurde die Sieben-Tage- Woche verlängert. Der Kläger selbst war in der Zeit vom 12. September 2005 bis zum 11. November 2006 im Rahmen dieses Schichtsystems eingesetzt, arbeitete also sechs Tage im Schichtsystem und hatte dann zwei Tage frei. Im Jahresdurchschnitt errechnet sich hierbei eine Wochenarbeitszeit von 42 Stunden.

In seiner Sitzung vom 9. Oktober 2009 stimmte der Betriebsrat unter dem Top „7-Tage-Woche Trommelanlage“ der Wiedereinführung der Sieben– Tage– Woche zu (vgl. Bl. 48 dA.).

Die Sieben-Tage-Woche wurde zwar in der Folgezeit zu bestimmten Zeiten, etwa während der Sommerferien und um die Weihnachtszeit, gelegentlich ausgesetzt, grundsätzlich wird bei der Beklagten in der Produktion aber – auch aktuell – entsprechend gearbeitet. Der Kläger wurde, ebenso wie einige andere Arbeitnehmer, nach dem 11. November 2006 zunächst nicht mehr im Rahmen der Sieben- Tage - Woche eingesetzt, sondern arbeitete grundsätzlich nur von Montag bis Freitag im Schichtbetrieb. Allerdings war vereinbart, dass die aus der Sieben-Tage-Woche herausgenommenen Arbeitnehmer vertretungsweise auch samstags und sonntags eingesetzt werden können, was auch – auch in Bezug auf den Kläger – praktiziert wurde. In der Zeit vom 4. – bis zum 28. August 2011 war der Kläger arbeitsunfähig erkrankt, ausweislich eines ärztlichen Attest vom 9. September 2011 (Bl. 35 d.A.) wegen eines Burn-Out-Syndroms. Das Attest bestätigt weiterhin, dass eine Mehrbelastung des Klägers sowohl zeitlich als auch inhaltlich zur normalen Arbeitszeit aus medizinischen Gründen nicht angezeigt sei.

Ab dem 29. August 2011 unternahm der Kläger einen Arbeitsversuch. An diesem Tag teilte der Werksleiter der Beklagten dem Kläger mit, dass er ab sofort ebenfalls in der Sieben-Tage Woche, also an sechs aufeinander folgenden Tagen jeweils acht Stunden arbeiten müsse und händigte ihm einen entsprechenden Dienstplan aus.

Der Kläger hat die Ansicht vertreten, die Beklagte sei nach der arbeitsvertraglichen Regelung nicht berechtigt, ihm regelmäßig an sieben aufeinander folgenden Tagen mehr als 40 Stunden Arbeit zuzuweisen. Die entsprechende Anordnung sei offenkundig rechtswidrig. Ihm stehe auch ein Verfügungsgrund zur Seite, weil ihm für den Fall, dass er der Anordnung nicht Folge leiste, die außerordentliche Kündigung drohe. Er hat zudem behauptet, er fühle sich bereits nach Ableistung von 40 Arbeitsstunden erschöpft und ausgebrannt und benötige Erholung, was er auch eidesstattlich versichert hat.

Der Kläger hat unter dem 16. September 2011 einen Antrag auf Erlass einer Einstweiligen Verfügung eingereicht. Wegen des Inhalts der Eidesstattlichen Versicherung vom 15. September 2011 wird auf Bl. 6,7 dA. Bezug genommen.

Er hat beantragt,

die Verfügungsbeklagte vorläufig bis zum Abschluss des Hauptsacheverfahrens zu verpflichten, den Verfügungskläger regelmäßig nicht mehr als 40 Stunden verteilt auf 7 aufeinander folgende Tage im Unternehmen gemäß den betrieblichen Regelungen zu beschäftigen.

Hilfsweise hat er beantragt:

Festzustellen, dass er vorläufig bis zum Abschluss des Hauptsacheverfahrens nicht verpflichtet ist, seine Arbeitsleistung regelmäßig an mehr als 40 Stunden verteilt auf 7 aufeinander folgende Tage zu erbringen.

Das Arbeitsgericht Wetzlar hat ohne mündliche Verhandlung mit Beschluss vom 19. September 2011 – 1 Ga 6/11 – die begehrte Einstweilige Verfügung antragsgemäß erlassen (Bl. 40 d.A). Sie wurde dem Klägervertreter am 21. September 2011 zugestellt. Hiergegen hat die Beklagte unter dem 28. September 2011, bei Gericht eingegangen am 29. September 2011, Widerspruch eingelegt.

Der Kläger hat beantragt,

die einstweilige Verfügung des Arbeitsgerichts Wetzlar vom 19. September 2011 – Aktenzeichen 1 Ga 6/11 – aufrechtzuerhalten.

Die Beklagte hat beantragt,

die einstweilige Verfügung des Arbeitsgerichts Wetzlar vom 19. September 2011 – Aktenzeichen 1 Ga 6/11 – aufzuheben und den Antrag zurückzuweisen.

Die Beklagte hat die Ansicht vertreten, der Kläger habe eine falsche Eidesstattliche Versicherung abgegeben, bereits deshalb sei die erlassene Einstweilige Verfügung aufzuheben. Die Schichteinteilung stelle keine Vertragsänderung dar und sei im Hinblick auf die vorliegenden Betriebsvereinbarungen betriebsverfassungsgemäß.

Wegen des weiteren erstinstanzlichen Vorbringens der Parteien, des vom Arbeitsgericht festgestellten Sachverhalts und des arbeitsgerichtlichen Verfahrens wird ergänzend auf den Tatbestand der angefochtenen Entscheidung (S. 2 - 6 des Urteils, Bl. 69 – 73 dA.) Bezug genommen.

Das Arbeitsgericht Wetzlar hat nach mündlicher Verhandlung mit Urteil vom 29. November 2011 – 1 Ga 6/11 – die Einstweilige Verfügung vom 19. September 2011 aufgehoben und den Antrag zurückgewiesen (Bl. 68 - 78 dA.).

Zur Begründung hat es im Wesentlichen ausgeführt, die erlassene Einstweilige Verfügung sei aufzuheben, weil die Anordnung der Beklagten an den Kläger nicht offensichtlich unwirksam sei und der deshalb erforderliche besondere Verfügungsgrund nicht vorliege. Dies gelte vor allem vor dem Hintergrund, dass der Kläger gem. Ziff. 5 Absatz 3 des Arbeitsvertrags die Verpflichtung zu Mehr- und Überstunden, Nacht-, Schicht- und Sonntagsarbeit eingegangen sei. Außerdem sei nicht ausgeschlossen, dass dadurch, dass der Kläger im Zeitraum vom 12. September 2005 bis zum 11. November 2006 in der Sieben-Trage-Woche eingesetzt war, eine Vertragsänderung eingetreten sei und der Kläger schon deshalb nicht beanspruchen könne, nicht mehr als 40 Stunden in der Woche eingesetzt zu werden.

Gegen das ihm am 6. Januar 2012 zugestellte Urteil hat der Kläger am 6. Februar 2012 per Telefax Berufung eingelegt und diese mit am 6. März 2012 per Telefax eingegangener Berufungsbegründungsschrift begründet.

Der Kläger rügt, seine Beschäftigung in der Sieben-Tage-Woche sei nicht wegen Ziff. 5 Absatz 3 des Arbeitsvertrags vertragsgemäß. Hiernach schulde er zwar Überstunden, eine Erhörung der Regelarbeitszeit könne hierauf aber nicht gestützt werden. Es müsse vielmehr zwischen Mehr- und Überstunden einerseits und Regelarbeitszeit andererseits genau unterschieden werden. In der Anordnung der Beklagten liege aber gerade nicht die Zuweisung von Mehrarbeit, sondern die Erhöhung der Regelarbeitszeit.

Der Kläger beantragt,

das Urteil des Arbeitsgerichts Wetzlar vom 29. November 2011 – 1 Ga 6/11 – abzuändern und die Einstweilige Verfügung des Arbeitsgerichts Wetzlar vom 19. September 2012 – 1 Ga 6/11 – aufrechtzuerhalten, mit der Maßgabe, dass es sich beim Hauptsacheverfahren um das Verfahren 14 Sa 438/12 handelt.

Die Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Sie verteidigt die angefochtene Entscheidung unter Wiederholung und Vertiefung ihres erstinstanzlichen Vorbringens. Dabei vertritt sie die Ansicht, die Beschäftigung des Klägers im Rahmen der Sieben-Tage-Woche sei nicht offensichtlich unzulässig, sondern vertragsgemäß. Unabhängig davon liege auch kein Verfügungsgrund vor, insbesondere sei nicht ersichtlich, dass der Gesundheitszustand des Klägers gefährdet werde, wenn ihm zugemutet werde, bis zum Abschluss des Hauptsacheverfahrens entsprechend dem Schichtplan tätig zu werden.

In dem vor dem Arbeitsgericht Gießen eingeleiteten Hauptsacheverfahren ist der Kläger mit seinen mit dem hiesigen Verfahren identischen Anträgen unterlegen. Der Kläger hat gegen das Urteil des Arbeitsgerichts Gießen vom 28. Februar 2012 (7 Ca 274/11) vor der erkennenden Kammer Berufung eingelegt (14 Sa 438/12). Terminierung ist hier noch nicht erfolgt.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Berufungsvorbringens wird auf den vorgetragenen Inhalt der Berufungsschriftsätze und den Inhalt der Sitzungsniederschrift vom 1. Juni 2012 (Bl. 130 dA.) verwiesen.

Gründe

I.

Die Berufung des Klägers ist statthaft, §§ 8 Abs. 2, 64 Abs. 2b) ArbGG, 511 ZPO. Sie ist auch im Übrigen zulässig, insbesondere form- und fristgerecht eingelegt und begründet worden, §§ 66 Abs.1, 64 Abs. 6 ArbGG, 517, 519, 520 Abs. 1 und 3 ZPO.

II.

Die Berufung hat jedoch keinen Erfolg. Das Arbeitsgericht hat die zunächst erlassene Einstweilige Verfügung vom 19. September 2011 zu Recht aufgehoben. Zwar kann gem. §§ 68 Abs. 2 ArbGG, 916ff., 935, 949 ZPO auch im Rahmen des arbeitsgerichtlichen Verfahrens der Erlass einer Einstweiligen Verfügung begehrt werden.Der allein zu bescheidende Hauptantrag ist jedoch bereits unzulässig.

1. Der Hauptantrag ist mangels ausreichender Bestimmtheit gem. §253 Abs. 2 Nr. 2 ZPO unzulässig. Der Kläger begehrt mit dem Antrag in der Sache die Verpflichtung der Beklagten zu einem Unterlassen,nämlich dem, ihm regelmäßig mehr als 40 Stunden Arbeit an sieben aufeinander folgenden Tagen zuzuweisen. Ein auf Unterlassen gerichteter Antrag auf Erlass einer Einstweiligen Verfügung ist grundsätzlich als Unterfall der Leistungsverfügung zulässig (vgl. etwa LAG Hessen 24.1.2012 – 19 SaGa 1480/11-Juris).

a) Das Bestimmtheitserfordernis einer auf Unterlassen gerichteten Klage ist aber nur erfüllt, wenn das zu unterlassende Verhalten so konkret bezeichnet wird, dass der Beklagte sein Risiko erkennen und sein Prozessverhalten darauf einrichten kann und der dem Antrag stattgebende Titel eindeutig ist. Der Unterlassungsantrag darf deshalb nicht derart undeutlich gefasst sein, dass sein Streitgegenstand und der Umfang der Prüfungs- und Entscheidungsbefugnis des Gerichts nicht mehr klar umrissen sind,der Beklagte sich deshalb nicht erschöpfend verteidigen kann und im Ergebnis dem Vollstreckungsgericht die Entscheidung darüber überlassen bleibt, was dem Beklagten verboten ist (LAG Köln 18.01.2012 – 9 Ta 407/11 – Juris). Die Problematik ausreichender Bestimmtheit ist bei Unterlassungsklagen parallel zu der Frage der Vollstreckbarkeit des jeweils geschaffenen Titels nach § 890 ZPO zu beantworten. Sowohl hinsichtlich des Antrags nach § 253 Abs. 2 Nr. 2 ZPO als auch bezogen auf § 890 Abs. 1 ZPO muss der Beklagte/Schuldner erkennen können, welche Leistung er zu erbringen hat (vgl. LAG Hessen 16. 5. 2003 – 16 Ta 158/03- Juris; ArbG Darmstadt vom 14.10.2005 – 2 Ga 6/05 -n.v.). Er muss aus rechtsstaatlichen Gründen absehen können,wann eine Vollstreckungshandlung, die ja auf die Beugung des rechtsfeindlichen Willens gerichtet ist, droht.

Welche Anforderungen dabei an die Konkretisierung des Streitgegenstandes im Unterlassungsantrag zu stellen sind, ist auch abhängig von den Besonderheiten des anzuwendenden materiellen Rechts und den Umständen des Einzelfalls (LAG Köln 18.01.2012– 9 Ta 407/11 – Juris).

b) Vorliegend begehrt der Kläger, dass die Beklagte es unterlässt, ihn „regelmäßig“ mehr als 40 Stunden an sieben aufeinander folgenden Tagen zu beschäftigen. Der Antrag kann dabei nicht dahingehend ausgelegt werden, dass dem Begriff „regelmäßig“ keine Bedeutung zukommen soll und es sich hierbei nur um ein überflüssiges Füllwort handelt. Der Kläger will mit der Einschränkung „regelmäßig“ vielmehr zum Ausdruck bringen, dass er sich nicht dagegen wehrt, im Rahmen der Anordnung von Überstunden auch mehr als 40 Stunden von montags bis freitags beschäftigt zu werden, sondern nur dagegen, dass die Beklagte ihn mit einer Regelarbeitszeit von 40 Stunden beschäftigt. Dementsprechend hat er seinen Antrag trotz des gerichtlichen Hinweises auf die fehlende Bestimmtheit des Antrags in der gestellten Form sowohl vor als auch in der mündlichen Verhandlung nicht geändert.

c) Dem so gefassten Antrag ist nicht mit hinreichender Bestimmtheit zu entnehmen, welche Anordnung die Beklagte unterlassen soll. Es ist unklar, wann eine Zuweisung von Arbeit über eine Arbeitszeit über 40 Stunden in der Woche hinaus regelmäßig erfolgt. Der Streitgegenstand ist damit nicht ausreichend klar umrissen. Dies gilt gerade nach den konkreten Umständen des zu entscheidenden Falls. Der Kläger ist unstreitig verpflichtet, Überstunden und Mehrarbeit zu leisten und darf nach der ausdrücklich getroffenen Vereinbarung vertretungsweise auch samstags und sonntags eingesetzt werden. Nach der Fassung des Antrags kann hier die Beklagte bei entsprechender Tenorierung nicht erkennen, ob sie etwa ab dem zweiten, dritten oder vierten Samstag bzw. Sonntag, an dem sie den Kläger über die von montags bis freitags hinaus abgeleisteten 40 Arbeitsstunden zur Arbeitsleistung auffordert, gegen ihre Unterlassungsverpflichtungen verstößt.

d) Der Kammer ist es auch verwehrt, eine Anordnung nach § 938ZPO zu treffen, in dem der Beklagten etwa die Anordnung von mehr als 40 Stunden Arbeitszeit an sieben aufeinander folgenden Tagen untersagt wird. Eine solche Tenorierung ginge über das zu bescheidende Unterlassungsbegehren hinaus. Unabhängig davon, dass im Hinblick auf die arbeitsvertragliche Verpflichtung zur Ableistung von Überstunden ein entsprechender Anspruch nicht bestünde, gilt § 308 Abs. 1 ZPO auch im Rahmen des § 938 Abs. 1ZPO.

2. Seinen ursprünglich angekündigten Hilfsantrag hat der Kläger bereits in der ersten Instanz nicht weiterverfolgt, sondern lediglich die Aufrechterhaltung der ursprünglich entsprechend dem Hauptantrag erlassenen Einstweiligen Verfügung begehrt.Dementsprechend hat sich auch weder das erstinstanzliche Urteil,das ausdrücklich „den Verfügungsantrag“ zurückweist noch die Berufungsbegründung zu diesem Antrag verhalten.

III.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 97 Abs. 1 ZPO, da die Berufung des Klägers erfolglos bleibt.

IV.

Gegen dieses Urteil ist kein Rechtsmittel gegeben, § 72 Abs. 4ArbGG.