Brandenburgisches OLG, Beschluss vom 21.06.2012 - 15 UF 314/11
Fundstelle
openJur 2012, 69923
  • Rkr:
Tenor

Auf die Beschwerde der Antragsgegnerin wird der Beschluss des Amtsgerichts – Familiengerichts – Potsdam vom 17. Oktober 2011 – 45 F 232/11 – teilweise abgeändert.

Die Anordnung, dass der Umgang der Eltern mit den Minderjährigen J… und H… O… im Wechselmodell stattfindet, wird unter Zurückweisung der hierauf gerichteten Anregung des Vaters aufgehoben.

Im Übrigen [Regelung des Ferien- und Feiertagsumgangs] verbleibt es bei der angefochtenen Entscheidung.

Von den Kosten des Verfahrens beider Instanzen tragen die beteiligten Eltern jeweils 50% der Gerichtskosten sowie ihre eigenen außergerichtlichen Kosten.

Der Wert des Beschwerdeverfahrens wird auf 3.000,- € festgesetzt.

Die Rechtsbeschwerde wird zugelassen.

Gründe

I.

Die beteiligten Eltern waren miteinander verheiratet. Aus ihrer Ehe sind insgesamt fünf Kinder, darunter auch die Söhne J… und H… hervorgegangen. Nach Trennung der Eltern im Februar 2007 kam es zwischen ihnen wiederholt zu Meinungsverschiedenheiten über den Umgang und das Sorgerecht, die Gegenstand mehrerer familiengerichtlicher Verfahren waren. Anlässlich eines solchen, vor dem Amtsgerichts Potsdam - 45 F 99/09 – geführten, Verfahrens trafen die Eltern einvernehmlich eine Bestimmung, die unter anderem beinhaltete, dass die Söhne J… und H… sich jeweils wöchentlich wechselnd im Haushalt der Mutter und im Haushalt des Vaters aufhalten sollten.

Ende April 2011 teilte die Mutter dem Vater mit, sie habe sich dazu entschlossen, dass der Aufenthalt der gemeinsamen Söhne fortan bei ihr sei und der Vater sie nur noch in jeder zweiten Woche von Donnerstag bis Sonntag zu sich nehmen könne. Diesen Entschluss setzte die Mutter danach gegen den Willen des Vaters um.

Der Vater hat beim Familiengericht beantragt, den Umgang der Eltern mit J… und H… dergestalt zu regeln, dass die Söhne sich eine Woche jeweils im Wechsel bei ihm und eine Woche bei der Mutter aufhalten. Überdies hat er die Regelung seines Umgangs mit den Söhnen in der Ferienzeit und an Feiertagen beantragt.

Das Familiengericht ist mit dem angefochtenen Beschluss dem Antrag des Vaters gefolgt und hat folgendes angeordnet:

„Der Umgang findet im sogenannten Wechselmodell statt, so dass der Antragsteller in jeder geraden Kalenderwoche in der Zeit von sonntags 17:00 Uhr bis zum jeweils darauf folgenden Sonntag 17:00 Uhr Umgang hat und die Antragsgegnerin in den ungeraden Kalenderwochen jeweils zu den gleichen Tagen und Uhrzeiten.“

Darüber hinaus hat es eine Regelung über den Umgang des Vaters mit J… und H… für die Zeit der Schulferien und Feiertage getroffen.

Die Mutter hat gegen diese Entscheidung Beschwerde erhoben, soweit mit ihr eine Umgangsregelung getroffen worden ist, die den wechselnden wöchentlichen Aufenthalt der gemeinsamen Söhne J… und H… bei ihr und dem Vater beinhaltet. Sie ist der Ansicht, dass sich das „Wechselmodell“ nicht bewährt habe und nicht dem Kindeswohl entspreche.

Der Senat hat die beteiligten Eltern, den Verfahrensbeistand und den Vertreter des zuständigen Jugendamtes persönlich angehört. Hinsichtlich des Anhörungsergebnisses wird auf den Inhalt der Sitzungsniederschrift vom 24.05.2012 Bezug genommen.

II.

Die gem. § 58 Abs. 1 FamFG statthafte und auch im Übrigen zulässige Beschwerde der Mutter hat aus Rechtsgründen in der Sache Erfolg.

Die Umgangsregelung des Familiengerichts ist unzulässig, soweit mit ihr ein wöchentlicher Wechsel des Aufenthalts der gemeinsamen Kinder J… und H… jeweils bei ihrem Vater und bei ihrer Mutter angeordnet worden ist. Die Anordnung des paritätischen Aufenthalts eines Kindes bei getrennt lebenden Eltern überschreitet die Umgangsregelungsbefugnis, die dem Familiengericht gem. § 1684 Abs. 3 BGB eingeräumt ist. Der Streit der Eltern über die Fortsetzung bzw. Begründung eines „Wechselmodells“ betrifft zwar die persönlichen Kontakte jedes Elternteils mit dem Kind, geht jedoch über die Regelung gelegentlicher Kontakte des Umgangsberechtigten, wie sie dem gesetzlichen Leitbild des § 1684 Abs. 3 BGB zu Grunde liegt, hinaus. Er betrifft das Recht der Eltern, den Aufenthalt ihres Kindes zu bestimmen, und ist damit vom Umgangsrecht zu unterscheiden.

Die Frage, ob die paritätische Betreuung eines Kindes durch Eltern, die voneinander getrennt leben, als Umgangsregelung oder als Ausübung des Aufenthaltsbestimmungsrechts verstanden werden muss, wird allerdings in Literatur und Rechtsprechung nicht einheitlich beantwortet.

Nach einer Ansicht dient das Umgangsrecht des Kindes mit seinen Eltern in erster Linie dem Kindeswohl, sodass auch eine Betreuungsregelung mit gleichen Anteilen beider Eltern als Umgangsregelung verstanden werden könne, wenn diese Regelung dem Kindeswohl entspreche (KG, B. v. 28.02.2012 - 18 UF 184/09 -, Zit. nach juris; FamRZ 2008, 634; Gutjahr, FPR 2006, 301).

Nach anderer Auffassung liegt der gerichtlichen Umgangsregelungsbefugnis gem. § 1684 Abs. 3 BGB das Modell eines überwiegenden Aufenthalts des Kindes beim betreuenden Elternteil zu Grunde (Residenzmodell). Nach der Intention des Gesetzgebers diene der Umgang des Kindes mit dem nichtbetreuenden Elternteil der Aufrechterhaltung persönlicher Beziehungen und könne schon deshalb quantitativ nicht den Umfang einer gleichberechtigten oder gar überwiegenden Betreuung erreichen. Die tatsächliche Ausgestaltung des Umgangs könne allenfalls zu einer zeitlichen Beschränkung der überwiegenden Betreuung eines Elternteils führen, nicht aber zur Beseitigung des Betreuungsschwerpunktes bei diesem Elternteil oder gar zur Verlagerung des Betreuungsschwerpunktes auf den Umgangsberechtigten; der Umfang des Umgangs könne die Ausübung des Aufenthaltsbestimmungsrechts nicht konterkarieren (Staudinger/Coester, BGB (2009), § 1671, Rn. 23 u. 261; MüKo-BGB/Hennemann, 6. Aufl., § 1671, Rn. 91; Heilmann, NJW 2012, 16).

Der Senat folgt der zuletzt genannten Ansicht.

Der Umgang zwischen Eltern und ihrem Kind ist eine grundlegende Basis für die Eltern-Kind-Beziehung und damit neben dem Sorgerecht ein wesentlicher Bestandteil des von Art. 6 Abs. 2 S. 1 GG geschützten Elternrechts. Das Umgangsrecht soll dem Umgangsberechtigten, der nicht mit dem Kind zusammenlebt, ermöglichen, sich von dem körperlichen und geistigen Befinden des Kindes und seiner Entwicklung durch Augenschein und gegenseitige Aussprache fortlaufend zu überzeugen, die verwandtschaftlichen Beziehungen zu dem Kind aufrechtzuerhalten, einer Entfremdung vorzubeugen sowie dem gegenseitigen Liebesbedürfnis Rechnung zu tragen. Dem entspricht es, dass der Gesetzgeber den Eltern in § 1684 Abs. 1 BGB das Recht auf Umgang mit ihrem Kind eingeräumt hat, unabhängig davon, ob ihnen das Sorgerecht für das Kind zusteht, denn gerade für einen nicht sorgeberechtigten Elternteil ist das Umgangsrecht die wesentliche Grundlage dafür, sein Elternrecht aus Art. 6 Abs. 2 Satz 1 GG überhaupt ausüben zu können (BVerfG, FamRZ 2008, 845; BGH, FamRZ 1975, 103; 1984, 778; 1999, 651).

Das Elternrecht auf Umgang mit dem Kind besteht jedoch nicht unbeschränkt. Neben dem Kindeswohl als maßgeblichem Kriterium findet es auch eine Beschränkung in dem Elternrecht des anderen Elternteils.

Der rechtlichen Ausgestaltung des Umgangsrechts liegt das Leitbild des Residenzmodells zu Grunde, wonach sich das Kind die überwiegende Zeit bei dem betreuenden Elternteil aufhält und die Umgangszeiten des anderen Elternteils hinter dieser Betreuungszeit zurückbleiben. Diesem Leitbild entsprechen auch die an den gewöhnlichen Aufenthalt des Kindes beim betreuenden Elternteil anknüpfenden rechtlichen Regelungen über die unterschiedlichen Entscheidungskompetenzen des betreuenden und des umgangesberechtigten Elternteils in §§ 1687 f. BGB, über das Vertretungsrecht in § 1629 Abs. 2 S. 2 BGB und über die Art der Unterhaltsgewährung in § 1606 Abs. 3 BGB (Staudinger/Coester, BGB (2009), § 1671, Rn. 23; Kaiser, FPR 2008, 143). Somit kollidiert das Umgangsrecht mit der elterlichen Befugnis, den Aufenthalt zu bestimmen. Es beschränkt diese Befugnis, kann aber nicht an deren Stelle treten. Das Umgangsrecht findet deshalb seine Grenze, wo seine Ausübung zur Veränderung des Lebensmittelpunktes des Kindes abweichend von der Bestimmung des bzw. der Sorgeberechtigten führen würde. Das Recht zur Entscheidung, wo sich das Kind gewöhnlich aufhält, ist kein Ausfluss des Umgangsrechts, sondern ein Teil des elterlichen Sorgerechts. Ist der umgangsberechtigte Elternteil – wie hier - mitsorgeberechtigt, kann kein Elternteil eine zuvor einvernehmlich getroffene Aufenthaltsbestimmung einseitig abändern. Auch die Vereinbarung mitsorgeberechtigter Eltern über ein Wechselmodell, dessen Grundlage es ist, dass sich das Kind weder bei dem einen noch bei dem anderen Elternteil überwiegend aufhält, geht über eine bloße Umgangsregelung hinaus. Sie stellt sich als Ausübung des Aufenthaltsbestimmungsrechts dar, an die jeder Elternteil bis zur wirksamen Abänderung dieser Bestimmung gebunden ist.

Können die Eltern sich nicht über eine anderweitige Bestimmung des Aufenthalts einigen, steht es ihnen frei, die Übertragung dieses Teils der elterlichen Sorge gem. § 1671 Abs. 2 BGB auf sich zu beantragen, wobei das Familiengericht lediglich das Recht zur Bestimmung des Aufenthalts auf einen der Eltern übertragen könnte (OLG Düsseldorf, ZKJ 2011, 256). Die Anordnung eines Wechselmodells wäre dem Familiengericht auch im Wege der Sorgerechtsentscheidung versagt, weil es gem. § 1671 Abs. 2 BGB zwar das Recht zur Aufenthaltsbestimmung einem Elternteil übertragen kann, nicht jedoch dazu befugt ist, dieses Recht anstelle der Eltern auszuüben (BVerfG, FamRZ 2003, 511; OLG Düsseldorf, ZKJ 2011, 256).

Dann aber ist es dem Familiengericht insgesamt aus Rechtsgründen versagt, eine Regelung - sei es im Wege der Umgangs- oder der Sorgerechtsgestaltung - zu treffen, mit der es das Wechselmodell anordnet.

Die insoweit angefochtene Entscheidung des Familiengerichts, mit der das Wechselmodell angeordnet worden ist, war deshalb aus Rechtsgründen aufzuheben. Selbst wenn eine andere Regelung der tatsächlichen Betreuung als das Wechselmodell dem Kindeswohl besser entsprechen würde, wäre für eine solche Regelung kein Raum, weil sie im Ergebnis auf eine unzulässige Änderung der von den Eltern ursprünglich getroffenen Aufenthaltsbestimmung hinauslaufen würde. Nur zur Klarstellung weist der Senat deshalb darauf hin, dass die Mutter an diese Aufenthaltsbestimmung gebunden ist, solange sich die Eltern nicht einvernehmlich anders verständigen oder ihr in einem noch zu führenden Sorgerechtsverfahren das Aufenthaltsbestimmungsrecht übertragen worden ist.

Der Senat hat gem. § 68 Abs. 3 S. 2 FamFG von der Anhörung der beteiligten Minderjährigen abgesehen. Sowohl J… als auch H… sind bereits vom Familiengericht in erster Instanz angehört worden und haben sich zum Verfahrensgegenstand geäußert. Von ihrer erneuten Anhörung sind keine zusätzlichen Erkenntnisse zu erwarten, zumal die Beschwerdeentscheidung ausschließlich auf der Beurteilung rechtlicher Fragen beruht und es auf den Kindeswillen oder die Interessen der Söhne der beteiligten Eltern nicht entscheidend ankommt.

Der Senat lässt nach § 70 Abs. 1, 2 FamFG die Rechtsbeschwerde zu, da dies angesichts der von dieser Entscheidung abweichenden Rechtsprechung des Kammergerichts zur Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung erforderlich ist. Die Rechtssache hat auch grundsätzliche Bedeutung, weil von einer Vielzahl gleichartiger Fälle auszugehen ist.

Die Kostenentscheidung ergibt sich aus § 81 Abs. 1 FamFG; die Wertfestsetzung folgt aus §§ 40 Abs. 1; 45 Abs. 1, Ziff. 2, Abs. 2 FamGKG.