OLG München, Schlussurteil vom 01.12.2011 - 23 U 2660/11
Fundstelle
openJur 2012, 120034
  • Rkr:
Tenor

I. Auf die Berufung der Klägerin wird das Endurteil des Landgerichts München II vom 16.06.2011 samt des zugrundeliegenden Verfahrens aufgehoben.

II. Der Rechtsstreit wird zur weiteren Verhandlung und Entscheidung an das Landgericht München II zurückverwiesen.

III. Die Klägerin trägt die Kosten des Berufungsverfahrens. Die Entscheidung über die Kosten der ersten Instanz bleibt dem Landgericht München II vorbehalten.

IV. Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.

Die Klägerin kann die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des aus diesem Urteil vollstreckbaren Betrages abwenden, wenn nicht die Beklagten vor der Vollstreckung Sicherheit in Höhe von 110 % des zu vollstreckenden Betrages leisten.

V. Die Revision wird nicht zugelassen.

Gründe

I. Die Klägerin macht Schadensersatzansprüche gegen die Beklagten geltend, da diese kollusiv zur wirtschaftlichen Schädigung der Klägerin zusammengewirkt hätten.

Das Landgericht, auf dessen tatsächliche Feststellungen nach § 540 ZPO Bezug genommen wird, hat die Klage als unzulässig abgewiesen. Die Klägerin sei mangels eines gesetzlichen Vertreters nicht prozessfähig.

Dagegen wendet sich die Klägerin mit ihrer Berufung. Sie behauptet, der Klägervertreter sei mit Beschluss der Gesellschafterversammlung vom 28.06.2011 zum Geschäftsführer der Klägerin bestellt worden. Außerdem ist die Klägerin der Ansicht, das Landgericht hätte die mündliche Verhandlung wiedereröffnen müssen. Auch sei der erstinstanzliche Richter befangen gewesen. Die Klägerin beantragt daher, das Endurteil des Landgerichts einschließlich des Verfahrens aufzuheben und den Rechtsstreit an das Landgericht München II zurückzuverweisen, hilfsweise das Endurteil des Landgerichts einschließlich des Verfahrens aufzuheben und die Beklagten zu verurteilen, samtverbindlich an die Klägerin Euro 100.000,-- zuzüglich Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit 23.05.2007 zu bezahlen.

Die Beklagten verteidigen das angegriffene Urteil und beantragen, die Berufung zurückzuweisen.

Auf die zwischen den Parteien gewechselten Schriftsätze wird ergänzend Bezug genommen.

II. Auf die zulässige Berufung war gemäß § 538 Abs. 2 Satz 1 Nr. 3 ZPO das erstinstanzliche Endurteil, das die Klage als unzulässig abgewiesen hat, aufzuheben und die Sache entsprechend dem Antrag der Klägerin an das Landgericht zurückzuverweisen.

1. Die Klage ist nunmehr zulässig.

Die Klägerin ist seit der Bestellung des Klägervertreters als Geschäftsführer in der Gesellschafterversammlung vom 28.06.2011 wirksam gesetzlich vertreten und damit prozessfähig i.S. des § 52 ZPO:

9Die Prozessfähigkeit ist in jeder Lage des Verfahrens von Amts wegen zu prüfen und ggf. im Wege des Freibeweises zu klären (BGH NJW-RR 2011, 284; BGH NJW 2000, S. 289, 290). Der Senat ist davon überzeugt, dass der Klägervertreter wirksam zum Geschäftsführer bestellt wurde. Der Klägervertreter hat einen Handelsregisterauszug vom 26.07.2011 als Anlage K 17 zur Berufungsbegründung vorgelegt. Aus diesem ergibt sich, dass der Klägervertreter am 22.07.2011 als Geschäftsführer der Klägerin ins Handelsregister eingetragen wurde. Die Beklagte zu 2) hat die Geschäftsführerbestellung vom 28.06.2011 nur mit Nichtwissen bestritten. Die Beklagten zu 3) und 4) haben bestritten, dass die Klägerin "nunmehr ordnungsgemäß gesetzlich vertreten sei". Konkrete Anhaltspunkte dafür, weshalb die Geschäftsführerbestellung vom 28.06.2011 unwirksam und die Handelsregistereintragung unrichtig sein sollte, wurden von den Beklagten nicht vorgetragen und sind für den Senat nicht ersichtlich.

2. Maßgeblicher Zeitpunkt für die Prozessfähigkeit ist die letzte mündliche Verhandlung in der Tatsacheninstanz. Dabei besteht für eine ursprünglich prozessunfähige Partei die Möglichkeit, die bisherige Prozessführung rückwirkend zu genehmigen (Weth in: Musielak, ZPO, Kommentar, 8. Auflage 2011, § 56 Rz. 10; Hüßtege in: Thomas/Putzo, ZPO, 32. Auflage 2011, § 51 Rz. 17; BGH NJW 1999, S. 3263; BGH NJW 1970, S. 1683, 1684). Vorliegend hat der Klägervertreter im Schriftsatz vom 08.08.2011 (S. 4, Bl. 330 der Akten) sämtliche bislang für die Klägerin abgegebenen Prozesserklärungen und Prozesshandlungen ausdrücklich genehmigt.

11III. Die Kostenentscheidung folgt aus einer entsprechenden Anwendung von § 97 Abs. 2 ZPO. Trotz Zurückverweisung der Sache an das Landgericht kann der Senat die Kosten des vorliegenden Berufungsverfahrens der Klägerin auferlegen, da feststeht, dass die insoweit verursachten Kosten - unabhängig vom Ausgang des Rechtsstreits - von der Klägerin zu tragen sind (vgl. BGH NJW 1997, S. 1007, 1008).

1. Die Berufung des Klägers hat aufgrund der erst nach Erlass des erstinstanzlichen Urteils durchgeführten Geschäftsführerbestellung Erfolg. § 97 Abs. 2 ZPO bringt einen allgemeinen Grundsatz zum Ausdruck und ist der entsprechenden Anwendung fähig (BGH NJW 1997, S. 1007, 1008 BGH NJW 1960, S. 766, 768). § 97 Abs. 2 ZPO gilt entsprechend, wenn eine Partei erst im höheren Rechtszug infolge eines erst hier eingetretenen Umstandes obsiegt, der nicht dem Bereich der Gegenpartei, sondern ihrem Bereich zuzurechnen ist und den die Partei bereits während des früheren Rechtszugs hätte schaffen bzw. erwirken können (Wolst in: Musielak, a.a.O., § 98 Rz. 11; BGH NJW 1960, S. 766, 768). Unter anderem kommt eine entsprechende Anwendung in Betracht, wenn sich der Kläger erst nach dem erstinstanzlichen Verfahren die Prozessführungsbefugnis beschafft (BGH NJW-RR 1992, S. 431, 432).

Entsprechend liegt der Fall auch hier. Es lag ausschließlich im Verantwortungsbereich der Klägerin, für ihre Prozessfähigkeit durch wirksame Bestellung eines Geschäftsführers zu sorgen. Dies wäre auch in erster Instanz, jedenfalls zum 04.05.2011 möglich gewesen. Insbesondere hat der Klägervertreter in der mündlichen Verhandlung vom 04.04.2011 selbst erklärt, die Bestellung eines Geschäftsführers sei ohne Probleme möglich (Bl. 147 der Akten).

2. Eine Anwendung des § 97 Abs. 2 ZPO scheidet dann aus, wenn sicher feststeht, dass das Rechtsmittel auch ohne das neue Vorbringen erfolgreich gewesen wäre (BGH WM 2005, S. 948, 949 f; Wolst in: Musielak, a.a.O., § 97 Rz. 8). Nach einer anderen, insbesondere in der Literatur vertretenen Ansicht kommt umgekehrt § 97 Abs. 2 ZPO nur zur Anwendung, wenn sicher feststeht, dass das Rechtsmittel ohne das neue Vorbringen erfolglos gewesen wäre (so z.B. Hüßtege in: Thomas/Putzo, a.a.O., § 97 Rz. 10). Auf diesen Streit kommt es vorliegend nicht an. Verfahrens- oder materielle Fehler des Landgerichts, die ebenfalls zu einer Aufhebung des Urteils führen würden, liegen nicht vor, ohne das neue Vorbringen wäre die Berufung somit erfolglos geblieben:

a) Zum Zeitpunkt, der im Verfahren nach §128 Abs. 2 ZPO dem Schluss der letzten mündlichen Verhandlung entsprach, am 30.05.2011, war die Klägerin nicht prozessfähig.

Der frühere Geschäftsführer Wolfgang K. hatte bereits vor Klageerhebung wirksam sein Amt als Geschäftsführer der Klägerin mit Schreiben vom 16.07.2010 (Anlage B 1) niedergelegt. Eine Niederlegung des Geschäftsführeramts ist möglich durch - wie hier - einseitige, an alle Gesellschafter der GmbH gerichtete Willenserklärung (Kleindiek in: Lutter/Hommelhoff, GmbHG, 17. Auflage 2009, § 38 Rz. 47). Eine GmbH, deren einziger Geschäftsführer sein Amt niedergelegt hat, ist nicht prozessfähig (BGH WM 2010, S. 2362, 2363). Irrelevant ist dabei, dass Wolfgang K. bis 22.07.2011 als Geschäftsführer im Handelsregister eingetragen war. Eintragungspflichtig nach § 39 Abs. 1 GmbHG, aber nicht eingetragen war das Erlöschen des Geschäftsführeramts. § 15 Abs. 1 und 3 HGB wirken zugunsten, nicht aber zulasten der am Rechtsverkehr beteiligten Dritten und in keinem Fall zugunsten desjenigen, der die Eintragung veranlassen müsste (Hopt in: Baumbach/Hopt, Handelsgesetzbuch, 34. Auflage 2010, § 15 Rz. 6 und 22; Ammon/Ries in: Röhricht/Graf von Westphalen, HGB, 3. Auflage 2008, § 15 Rz. 20 und 44). § 15 Abs. 2 Satz 1 HGB wiederum erfasst nur den Fall, dass eine Tatsache zutreffend eingetragen und bekanntgemacht wurde, nicht aber den Fall, dass das Handelsregister unrichtig ist (Ammon/Ries, a.a.O., § 15 Rz. 23).

Die Bestellung des Klägervertreters zum Geschäftsführer in der Gesellschafterversammlung vom 04.05.2011 war unwirksam. Insoweit haben die Beklagten vorgetragen, im Rahmen der Anfechtungsklage sei zwischenzeitlich die Nichtigkeit des Beschlusses durch Anerkenntnisurteil festgestellt worden. Dies hat die Klägerin nicht bestritten.

b) Das Landgericht war nicht nach § 156 Abs. 2 Nr. 1 ZPO verpflichtet, die mündliche Verhandlung wiederzueröffnen. Eine Pflicht zu Wiedereröffnung kommt in Betracht, wenn das Landgericht erst in der mündlichen Verhandlung auf die fehlende Prozessfähigkeit hinweist und anschließend der Partei weder eine Schriftsatzfrist nach § 139 Abs. 5 ZPO, § 296 a Satz 2 ZPO gewährt noch ins mündliche Verfahren übergeht (BGH, WM 2006, S. 2328 f; BGH WM 2009, S. 1327, 1328; BGH WM 2010, S. 2362, 2364). Vorliegend ist das Landgericht aber ins schriftliche Verfahren übergegangen. Dass die Fristen insoweit zu kurz bemessen waren, ist nicht ersichtlich. Insbesondere war es dem Klägervertreter möglich, schon zum 04.05.2011 eine Gesellschafterversammlung einzuberufen. Ein Grund, weshalb der Klägervertreter diese Tatsache nicht bis 30.05.2011 dem Landgericht mitgeteilt hat, ist nicht vorgetragen. Eine Wiedereröffnung der mündlichen Verhandlung, um die Vorlage eines Handelsregisterauszugs zu ermöglichen, war nicht erforderlich: Die Wirksamkeit der Bestellung zum Geschäftsführer hängt nicht von der Eintragung ins Handelsregister ab (Kleindiek in: Lutter/Hommelhoff, a.a.O., § 39 Rz. 1 m.w.N).

Die Wiedereröffnung der mündlichen Verhandlung nach § 156 Abs. 1 ZPO sowie eine Aussetzung nach § 148 ZPO lag daher im pflichtgemäßen Ermessen des Landgerichts (vgl. Reichold in: Thomas/Putzo, a.a.O., § 156 Rz. 9 und § 148 Rz. 2). Anhaltspunkte für eine fehlerhafte Ausübung liegen nicht vor.

c) Entgegen der Ansicht der Klägerin liegt auch kein Verstoß gegen § 56 Abs. 2 ZPO vor. Für eine einstweilige Zulassung i.S. des § 56 Abs. 2 Satz 1 ZPO bestand mangels "Gefahr für die Partei" kein Anlass. Zudem hat das Landgericht der Klägerin durch den Übergang ins schriftliche Verfahren tatsächlich Gelegenheit zur Herstellung der Prozessfähigkeit gegeben.

d) Nach der Rechtsprechung des BGH ist über das Befangenheitsgesuch, zu dem der Klägervertreter in der heutigen Sitzung klargestellt hat, dass es aufrecht erhalten wird, inzident zu entscheiden (BGH NJW-RR 2007, S. 411). Der erstinstanzliche Richter war jedoch nicht nach § 42 Abs. 2 ZPO befangen. Verfahrensfehler des Landgerichts liegen nicht vor (s.o.). Sonstige Gründe für eine Befangenheit sind nicht ersichtlich. Der Befangenheitsantrag vom 15.06.2011 wurde auch noch vor Erlass des Urteils mit Beschluss vom gleichen Tag (Bl. 280 der Akte), zurückgewiesen. Der als befangen abgelehnte Richter war daher nach § 47 ZPO nicht gehindert, am 16.06.2011 das Endurteil zu erlassen.

IV. Die Voraussetzungen für eine Nichterhebung der Gerichtskosten erster Instanz nach § 21 GKG liegen nicht vor, da eine unrichtige Sachbehandlung durch das Landgericht zu verneinen ist (siehe oben III. 2.).

V. Der für die Zurückverweisung an das Landgericht nach § 538 Abs. 2 Satz 1 Nr. 3 ZPO erforderliche Antrag wurde von der Klägerin gestellt. Zudem ist die Sache derzeit nicht ohne weitere Verhandlung entscheidungsreif. Das Landgericht hat bislang keinerlei Feststellungen zur Sache getroffen. Eine sofortige Abweisung als unzulässig oder unbegründet ist nicht möglich.

VI. Die prozessualen Nebenentscheidungen beruhen auf §§ 708 Nr. 10, 711 ZPO und § 543 Abs. 2 ZPO.