Hessischer VGH, Beschluss vom 25.05.2012 - 5 B 443/12
Fundstelle
openJur 2012, 68894
  • Rkr:
Tenor

Die Beschwerde des Antragstellers gegen den Beschluss des Verwaltungsgerichts Kassel vom 3. Februar 2012 - 6 L 1631/10.KS -wird zurückgewiesen.

Der Antragsteller hat die Kosten des Beschwerdeverfahrens zu tragen.

Der Wert des Streitgegenstandes wird auch für das Beschwerdeverfahren auf 423,44 € festgesetzt.

Gründe

Mit seiner Beschwerde verfolgt der Antragsteller seinen in erster Instanz erfolglos gebliebenen Antrag auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung seines Widerspruchs gegen die Heranziehung zu einer Vorausleistung auf den Ergänzungsbeitrag für Erneuerungs-und Erweiterungsmaßnahmen am Kanalnetz und den Kläranlagen der Antragsgegnerin für seine Grundstücke Gemarkung Wehrda, Flur …, Flurstücke …/1, …/2, …/3 und …/1 vom 8. November 2010, weiter. Die Beschwerde ist zulässig, aber nicht begründet. Der Senat hat unter Berücksichtigung der im Beschwerdeverfahren allein zu prüfenden Beschwerdegründe des Antragstellers (§ 146 Abs. 4 Satz 6Verwaltungsgerichtsordnung - VwGO -) keine ernstlichen Zweifel an der Rechtmäßigkeit des Heranziehungsbescheids, die es nach der im einstweiligen Rechtsschutzverfahren nach § 80 Abs. 5 VwGOentsprechend anzuwendenden Vorschrift des 80 Abs. 4 Satz 3 VwGOrechtfertigen, die aufschiebende Wirkung des Widerspruchs anzuordnen.

Das Verwaltungsgericht hat zur Begründung seiner Entscheidung ausgeführt, nach der im Rahmen der gebotenen summarischen Überprüfung im Eilverfahren sei die Heranziehung des Antragstellers zu einer Vorausleistung auf einen Ergänzungsbeitrag nach § 11HessKAG in Verbindung mit § 10 Abs. 2 der Entwässerungssatzung (EWS) der Antragsgegnerin nicht zu beanstanden. Die Erweiterungs-und Erneuerungsmaßnahmen am Netz und den Kläranlagen nach der EKVO2006 bis 2011 seien nach § 11 HessKAG beitragsfähig, denn es handele sich nicht um bloße Unterhaltungs- und Instandsetzungsmaßnahmen, die aus Benutzungsgebühren nach § 10HessKAG zu finanzieren wären. Zu Recht habe die Antragsgegnerin auch in den Ortsteilen Holzheim und Kruspis Vorausleistungen nicht auf Schaffensbeiträge, sondern auf Ergänzungsbeiträge erhoben, denn diese Ortsteile hätten bereits in den 1980-iger Jahren Vollkanalisation durch Anschluss an die zentrale Kläranlage in Neukirchen erhalten. In die den Vorausleistungsbescheiden zu Grunde liegende Beitragskalkulation seien auch die Flächen der fünf Ortsteile des Unteren Haunetals einbezogen worden.Satzungsrechtliche Einwände gegen den Vollgeschossmaßstab für unbebaute Grundstücke im unbeplanten Innenbereich seien unbegründet. Soweit im Übrigen gerügt werde, in der Satzung sei nicht berücksichtigt, dass öffentliche-rechtliche Baubeschränkungen die Ausnutzbarkeit des Grundstückes einschränken könnten, könne der Antragsteller damit bereits deshalb nicht durchdringen, da seine Grundstücke keine derartigen Besonderheiten aufwiesen.

Die dagegen im Beschwerdeverfahren erhobenen Einwendungen des Bevollmächtigten des Antragstellers wecken bei dem Senat keine Zweifel an der Rechtmäßigkeit der Heranziehung. Dies gilt zunächst für das vom Bevollmächtigten des Antragstellers vorgetragene Argument, die Anlieger in den Ortsteilen Holzheim und Kruspis hätten mit den durchgeführten Maßnahmen erstmalig eine Vollkanalisation erhalten. Zu Recht weist der Bevollmächtigte des Antragstellers allerdings darauf hin, dass es sich bei der Umstellung auf eine Vollkanalisation auch unter Einbeziehung der bislang betriebenen Teilkanalisation um eine Schaffung (einer öffentlichen Einrichtung im Sinne von § 11 Abs. 1 HessKAG) handelt.So hat der Senat in seinem Urteil vom 14. April 2005 - 5 UE 1368/04-, ESVGH 55, 225 = HSGZ 2005, 265, ausgeführt, dass durch die Herstellung der Vollkanalisation auch dann, wenn Rohrleitungen einer bislang betriebenen Teilkanalisation erhalten bleiben und in das neue Vollkanalisationsnetz integriert werden, eine neue und andere Einrichtung entsteht, die, was ihr Funktionieren und den vermittelten Vorteil angeht, mit der früheren Teilkanalisationseinrichtung nicht vergleichbar ist. Nach den dem Senat vorliegenden Unterlagen sind die Ortsteile Holzheim und Kruspis in den Jahren 1986 und 1987 über Regenüberläufe und entsprechende Verbindungssammler an die Kläranlage Neukirchen angeschlossen worden. Die an diese Überläufe beziehungsweise Verbindungssammler angeschlossenen Kanalsysteme der Ortslagen bestanden aus bruchstückhaft vorhandenen alten Leitungen und aus zu diesem Zeitpunkt neu hergestellten Teilstrecken. Danach ist zu diesem Zeitpunkt eine neue, andere Einrichtung - Vollkanalisation -in den Ortsteilen Holzheim und Kruspis entstanden, die ihre Funktion der Grundstücksentwässerung in einer von einer Teilkanalisation abweichenden Art erfüllt und den angeschlossenen Grundstückseigentümern einen anders gearteten Vorteil vermittelt.Dementsprechend erfüllen die in den Ortsteilen Holzheim und Kruspis durchgeführten Maßnahmen nach den im Eilverfahren vorliegenden Erkenntnissen - wovon das Verwaltungsgericht zutreffend ausgeht -nicht den Beitragstatbestand der Schaffung. Soweit die Antragsgegnerin in diesem Zusammenhang in Förderanträgen oder gegenüber sonstigen Dritten eine andere Terminologie verwendet haben sollte, ändert dies nichts an der rechtlichen Beurteilung der tatsächlichen Verhältnisse. Sollten allerdings im Zuge dieser Maßnahmen einzelne Grundstückseigentümer oder einzelne Straßenzüge erstmalig an dieses bereits vorhandene Vollkanalisationssystem angeschlossen werden, entstünde für diese Grundstückseigentümer ein Schaffensbeitrag.

Entgegen der Auffassung des Bevollmächtigten des Antragstellers ist auch der für die von der Antragsgegnerin in das Bauprogramm EKVO 2006 bis 2011 einbezogenen Erneuerungs- und Erweiterungsmaßnahmen an den Sammelleitungen in die Beitragskalkulation eingestellte Aufwand beitragsfähig. Von einer beitragsfähigen Erneuerung einer leitungsgebundenen Einrichtung sind die Maßnahmen der laufenden Unterhaltung und Instandsetzung zu unterscheiden, die nicht über Beiträge umgelegt werden können,sondern in den gebührenfähigen Aufwand bei der Kalkulation der Benutzungsgebühren Eingang finden. In Bezug auf das Leitungsnetz hat der Senat für die Annahme einer beitragsfähigen Erneuerung, die reine Unterhaltungsmaßnahmen überschreitet, in früheren Jahren das Kriterium entwickelt, dass der erneuerte Anteil des Netzes 50 % des vorhandenen Leitungsbestandes übersteigen müsse (vgl. Urteil vom 21. Januar 1987 - 5 UE 999/85 -, HSGZ 1988, 367, und vom 28.September 1988 - 5 UE 1228/84 -, HSGZ 1989, 303). Allerdings darf dieses Kriterium nicht schematisch gehandhabt werden. Deshalb hat der Senat in späteren Entscheidungen seine Rechtsprechung präzisiert. Bei einer aus der Erneuerung zentraler Einrichtungsteile und der Ersetzung von Teilen des Netzes zusammengesetzten Baumaßnahme kommt es für die Erhebung eines auch auf die Maßnahmen am Leitungsnetz bezogenen Erneuerungsbeitrags nicht darauf an, dass gerade beim Netz ein Ersetzungsumfang von mehr als der Hälfte des vorhandenen Bestandes erreicht wird.Vielmehr ergibt sich der für eine beitragsfähige Erneuerung erforderliche Investitionsumfang in diesen Fällen schon daraus,dass im Vollzug einer die gesamte Einrichtung erfassenden Neuordnungsplanung sowohl zentrale Einrichtungsteile als auch Teile des Netzes erneuert werden (vgl. zuletzt: Senatsurteil vom 17.November 2011 - 5 A 3140/09 -, HSGZ 2009, 154 [157]). Das Bauprogramm EKVO 2006 bis 2011 fasst Erneuerungs- und Erweiterungsmaßnahmen an der Kläranlage Wehrda und Erneuerungs- und Erweiterungsmaßnahmen am Leitungsnetz in unterschiedlichen Ortsteilen zusammen, so dass angesichts des Investitionsumfangs der Gesamtmaßnahme die Anforderungen an die Beitragsfähigkeit des in die Kalkulation eingestellten Aufwandes erfüllt sind.

Soweit der Bevollmächtigte des Antragstellers eine Verletzung des Gleichheitsgrundsatzes rügt, weil sich der Nutzungsfaktor in beplanten Gebieten nach der Zahl der im Bebauungsplan festgesetzten Vollgeschoss richte, während für den Nutzungsfaktor im unbeplanten Innenbereich bei bebauten Grundstücken auf die Höchstzahl der tatsächlich vorhandenen Vollgeschosse abgestellt und bei unbebauten Grundstücken auf die Höchstzahl der in ihrer unmittelbaren Umgebung vorhandenen Geschosse abgestellt werde, folgt dem der Senat nicht.§ 14 Abs. 1 der Entwässerungssatzung der Antragsgegnerin bestimmt den Nutzungsfaktor im unbeplanten Innenbereich bei bebauten Grundstücken nach der Höchstzahl der zulässigenVollgeschosse, so dass diese Rüge also bereits nach dem Wortlaut der Regelung in tatsächlicher Hinsicht nicht durchgreift.Unabhängig davon hat der Senat in seinem Urteil vom 17. November 2011 (- 5 A 3140/09 -, a.a.O.) zu einer Satzungsregelung Stellung genommen, nach der für Grundstücke im unbeplanten Innenbereich zur Bestimmung des Nutzungsfaktors auf die Höchstzahl der tatsächlich vorhandenen Vollgeschosse abgestellt wird, und eine solche Regelung entgegen den vereinzelten in Rechtsprechung und Literatur geäußerten Bedenken für mit dem Gleichheitssatz des Art. 3 Abs. 1GG vereinbar angesehen.

Soweit der Bevollmächtigte des Antragstellers schließlich Zweifel an der Rechtmäßigkeit des Vorausleistungsbescheides äußert,weil das Grundstück nur eingeschränkt bebaubar sei, die Antragsgegnerin diesen Verminderungszwang aber nicht berücksichtigt habe, folgt auch dem der Senat nicht. Bestehen öffentlich-rechtliche Baubeschränkungen, die die Verwirklichung einer bestimmten Geschosszahl verhindern, darf - ohne dass dies im Beitragsmaßstab geregelt ist oder geregelt zu werden braucht - als "zulässige" Geschosszahl nur die Geschosszahl angesetzt werden, die unter Berücksichtigung der Baubeschränkungen verwirklicht werden darf. Beim Vollgeschossmaßstab - wie hier -haben Baubeschränkungen demnach nur Bedeutung, wenn sie bewirken,dass die baurechtlich zugelassene Zahl der Vollgeschosse nicht realisiert werden kann (VGH Baden-Württemberg, Urteil vom 26.Oktober 2011 - 2 S 1294/11 -, KStZ 2012, 53 [55], mit Hinweis auf die Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts). Dass die Grundstücke des Antragstellers in der Bebaubarkeit in einer solchen Weise eingeschränkt sind, hat weder sein Bevollmächtigter vorgetragen noch ist eine solche Beschränkung nach den dem Senat vorliegenden Unterlagen ersichtlich.

Nach allem war die Beschwerde des Antragstellers mit der Kostenfolge aus § 154 Abs. 2 VwGO zurückzuweisen. Die Entscheidung über den Wert des Streitgegenstandes beruht auf §§ 52 Abs. 3, 47,53 Abs. 2 Nr. 2 Gerichtskostengesetz - GKG -.

Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 152 Abs. 1 VwGO, § 68 Abs.1 Satz 5 in Verbindung mit § 66 Abs. 3 Satz 3 GKG).