OLG München, Urteil vom 20.03.2008 - 6 U 4058/03
Fundstelle
openJur 2012, 90464
  • Rkr:
Tenor

I. Auf die Berufung der Beklagten wird das Endurteil des Landgerichts München I vom 11.06.2003 in der Fassung des Beschlusses vom 04.07.2003 aufgehoben und die Klage abgewiesen.

II. Die Klägerin trägt die Kosten des Rechtsstreits einschließlich der Kosten der Revision.

III. Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.

Die Klägerin kann die Zwangsvollstreckung der Beklagten durch Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des vollstreckbaren Betrags abwenden, wenn nicht die Beklagten vor Vollstreckung Sicherheit in Höhe von 110 % des zu vollstreckenden Betrags leisten.

IV. Die Revision zum Bundesgerichtshof wird zugelassen.

Gründe

I.

Die Klägerin nimmt die Beklagten wegen Patentverletzung in Anspruch.

Die Klägerin ist allein verfügungsberechtigte Inhaberin des Europäischen Patents EP 0 313 345 B1, dessen deutscher Teil das Aktenzeichen DE 38 87 076 T2 trägt. Das Klagepatent wurde am 20.10.1988 unter Inanspruchnahme einer japanischen Priorität vom 04.06.1988 angemeldet und die Erteilung am 12.01.1994 veröffentlicht (Anlage K 1).

Die Erfindung betrifft eine mehrstufige Kettenradanordnung für ein Fahrrad und insbesondere eine mehrstufige Kettenradanordnung für ein Fahrrad, die mindestens ein Kettenrad mit einem größeren Durchmesser und mindestens ein Kettenrad mit einem kleineren Durchmesser umfasst und an einer Kurbel oder einer Hinternabe des Fahrrads befestigt ist, um zum Gangwechsel am Fahrrad eine Antriebskette zu versetzen.

Anspruch 1 des Klagepatents lautet in der als Anlage K 2 vorgelegten deutschen Übersetzung wie folgt:

Mehrstufige Kettenradanordnung für ein Fahrrad, enthaltend mindestens ein Kettenrad (1) mit einem größeren Durchmesser, mindestens ein Kettenrad (2) mit einem kleineren Durchmesser und eine Antriebskette (3), wobei das Kettenrad (1) oder jedes der Kettenräder (1) mit einem größeren Durchmesser an seinem Außenumfang eine gegebene Anzahl an Zähnen aufweist, die in Abständen voneinander angeordnet sind, die dem Lochabstand der Kette (3) entsprechen, sowie das Kettenrad (2) oder jedes der Kettenräder (2) mit einem kleineren Durchmesser an seinem Außenumfang Zähne aufweist, deren Anzahl kleiner als die Anzahl der Zähne des Kettenrads (1) mit einem größeren Durchmesser ist und die in Abständen voneinander angeordnet sind, die dem Lochabstand der Kette (3) entsprechen, und wobei die Kettenräder (1) und (2) derart angeordnet sind, dass die Mitte (O2) zwischen einem Paar benachbarter Zähne des Kettenrads (1) mit einem größeren Durchmesser sich auf einer Tangente befindet, die sich von der Mitte (O1) zwischen einem Paar benachbarter Zähne des Kettenrads mit einem kleineren Durchmesser aus entlang des Laufwegs der Antriebskette (3) im Eingriff mit dem Kettenrad (2) mit einem kleineren Durchmesser erstreckt, wenn die Kette (3) von dort in Eingriff mit dem Kettenrad (1) mit einem größeren Durchmesser versetzt wird, wobei die Entfernung zwischen den genannten Mitten (O1, O2) mindestens im Wesentlichen ein ganzzahliges Vielfaches des Lochabstandes der Kette ist, dadurch gekennzeichnet, dass das genannte Kettenrad (1) mit einem größeren Durchmesser an seiner Innenoberfläche mit einer Kettenführungsoberfläche (4) versehen ist, die dem Kettenrad (2) mit einem kleineren Durchmesser zugewandt ist, und auf dem Kettenrad (1) mit einen größeren Durchmesser an einer Position, die im Laufweg zwischen den genannten Mitten (O1, O2) zwischen benachbarten Zähnen der Kettenräder, wo die Kette mit dem Kettenrad (1) mit einem größeren Durchmesser in Kontakt kommt, wobei die Kettenführungsoberfläche (4) eine derartige Gestalt und Größe aufweist, dass sie eine ganze Gliedplatte eines Gliedes der Kette aufnimmt und bewirkt, dass das Glied in Richtung auf das Kettenrad (1) mit einem größeren Durchmesser vorgespannt wird, wenn die Kette das Kettenrad mit einem kleineren Durchmesser verlässt und beginnt, mit einem Zahn des Kettenrads (1) mit einem größeren Durchmesser in Eingriff zu kommen, wobei dieser Zahn der Zahn hinter der Mitte (O2) zwischen benachbarten Zähnen des Kettenrads mit einem größeren Durchmesser in der Antriebsdrehrichtung ist.

Der Unteranspruch 5 lautet:

Mehrstufige Kettenradanordnung für ein Fahrrad nach Anspruch 1, worin der Kettenführungsabschnitt (4) an der Innenoberfläche des Kettenrads (1) mit einem größeren Durchmesser, die dem Kettenrad (2) mit einem kleineren Durchmesser zugewandt ist, als Ausnehmung ausgebildet ist, so dass diese Ausnehmung an einer Seite der Mitte zwischen den genannten benachbarten Zähnen an dem Kettenrad mit einem größeren Durchmesser bis zu einem solchen Ausmaß tief ausgebildet ist, dass eine Gelenkplatte an der Außenseite der Kette (3) nicht auf einem Zahn aufsitzt, der hinter der genannten Mitte in der Antriebsdrehrichtung des genannten Kettenrads angeordnet ist.

Der Unteranspruch 6 lautet:

Mehrstufige Kettenradanordnung für ein Fahrrad nach Anspruch 1, worin der Führungsabschnitt (4) aus einem Ausschnitt gebildet ist.

Bezüglich eines Teilausschnitts der Figur 1 wird auf Seite 12 der landgerichtlichen Entscheidung verwiesen.

Aufgabe der Erfindung ist es, eine mehrstufige Kettenradanordnung für ein Fahrrad bereit zustellen, bei der die in der Patentschrift genannten Probleme der herkömmlichen beispielhaften Ausführungsform gelöst werden, wobei die Mitte zwischen einem Paar benachbarter Zähne des Kettenrads mit einem kleineren Durchmesser und die Mitte zwischen einem Paar benachbarter Zähne des Kettenrads mit einem größeren Durchmesser sich auf der Tangente befinden, die sich entlang eines Laufwegs der Kette erstreckt, wenn diese Kette vom Kettenrad mit dem kleineren Durchmesser zum Kettenrad mit dem größeren Durchmesser versetzt wird, wobei die Entfernung zwischen den Mitten ein ganzzahliges Vielfaches des Lochabstandes der Kette ist, so dass die Kette immer glatt vom erstgenannten Kettenrad bis zum letztgenannten Kettenrad versetzt werden kann.

Zur Lösung dieser Aufgabe wird erfindungsgemäß eine mehrstufige Kettenradanordnung für ein Fahrrad mit bestimmten Merkmalen bereitgestellt, wie sie auf Seite 4 der Anlage K 2 dargestellt ist.

Bezüglich der dem Patentanspruch 1 zu entnehmenden Merkmalsanalyse wird auf die Seiten 09 – 11 der Revisionsentscheidung verwiesen.

Die Beklagten zu 1) und 3) vertreiben in der Bundesrepublik Deutschland unter der Typenbezeichnung "Powerglide" Kettenradanordnungen (Kassetten) mit den Bezeichnungen ... 5.0 und ... 7.0 (angegriffene Ausführungsformen). Der Beklagte zu 2) ist Geschäftsführer der Beklagten zu 1).

Die Parteien streiten darüber, ob die angegriffenen Ausführungsformen von den Merkmalen f, f1, f2, f3 und h1 wortsinngemäß bzw. bezüglich des Merkmals h1 auch äquivalent Gebrauch machen.

Bezüglich des klägerischen Vortrages zur Frage der Patentverletzung in erster Instanz wird auf die Seiten 16 f. der landgerichtlichen Entscheidung verwiesen.

Die Klägerin beantragte:

I. Den Beklagten wird bei Meidung von Ordnungsgeld von DM 5,– bis DM 500.000,–, ersatzweise Ordnungshaft bis zu 6 Monaten, diese zu vollziehen im Falle der Beklagten zu 1) an dem Beklagten zu 2) oder Ordnungshaft untersagt,

mehrstufige Kettenradanordnungen für ein Fahrrad in der Bundesrepublik Deutschland herzustellen, anzubieten, in den Verkehr zu bringen oder zu gebrauchen oder zu den genannten Zwecken einzuführen oder zu besitzen, welche folgende Merkmale aufweisen:

a. zumindest ein Kettenrad mit größerem Durchmesser;

b. zumindest ein Kettenrad mit kleinerem Durchmesser;

c. eine Antriebskette;

d. das oder jedes der Kettenräder mit größerem Durchmesser weisen an ihrem Außenumfang eine gegebene Anzahl von Zähnen auf,

(1) die in Abständen voneinander angeordnet sind, die der Teilung der Antriebskette entsprechen,

e. das oder jedes der Kettenräder mit kleinerem Durchmesser weisen an ihrem Außenumfang Zähne auf,

(1) die Anzahl der Zähne ist kleiner als die Anzahl der Zähne des Kettenrades mit größerem Durchmesser und

(2) die Zähne weisen einen Abstand voneinander auf, der der Teilung der Kette entspricht, und

f. wobei diese Kettenräder so angeordnet sind, dass die Mitte (O2) zwischen einem Paar benachbarter Zähne des Kettenrads mit größerem Durchmesser sich auf einer Tangente befindet, die sich von Mitte (O1) zwischen einem Paar von benachbarten Zähnen dieses kleineren Kettenrades erstreckt,

(1) wobei sich diese Tangente entlang des Laufwegs der Antriebskette im Eingriff mit dem Kettenrad mit kleinerem Durchmesser erstreckt, wenn diese Kette von dort in Eingriff mit diesem Kettenrad mit größerem Durchmesser geschaltet wird, und

(2) wobei die Entfernung zwischen diesen Mitten (O1, O2) mindestens im Wesentlichen ein ganzzahliges Vielfaches der Teilung der Kette ist,

g. das größere Kettenrad ist mit einer Kettenführungsfläche versehen,

(1) die an der inneren Oberfläche dieses Kettenrades dem Kettenrad mit kleinerem Durchmesser zugewandt angeordnet ist, und

(2) sich an einer Position auf dem größeren Kettenrad befindet, welche im Laufweg zwischen diesen Mitten (O1, O2) zwischen den benachbarten Zähnen der Kettenräder liegt, wo die Kette mit dem Kettenrad mit größerem Durchmesser in Kontakt kommt,

h. wobei diese Kettenführungsfläche eine derartige Gestalt und Größe aufweist,

(1) dass sie eine ganze Gliedplatte eines Gliedes der Kette aufnimmt, und

hilfsweise

dass sie die am Kettenrand anliegenden Teile der Gliedplatte der Kette aufnimmt, und

(2) bewirkt, dass das Glied in Richtung auf das Kettenrad mit größerem Durchmesser vorgespannt wird, wenn die Kette das Kettenrad mit kleinerem Durchmesser verlässt und beginnt, mit einem Zahn des Kettenrades mit größerem Durchmesser in Eingriff zu kommen,

(3) wobei dieser Zahn der Zahn hinter der Mitte (O2) zwischen benachbarten Zähnen des Kettenrades mit größerem Durchmesser in der Antriebsdrehrichtung ist.

insbesondere wenn

drei Zähne einer großen Anzahl von Zähnen auf dem Kettenrad mit einem größeren Durchmesser, einschließlich eines ersten Zahns, der hinter der Mitte zwischen dem genannten Paar benachbarter Zähne in der Antriebsdrehrichtung des Kettenrades mit größerem Durchmesser angeordnet ist, Gangwechselzähne sind, die mit der Kette in Eingriff gebracht werden können, wenn sie von dem Kettenrad mit einem kleineren Durchmesser auf das benachbarte Kettenrad mit einem größeren Durchmesser versetzt werden, wobei die restlichen Zähne solche sind, die mit der Kette schwer in Eingriff bringbar sind,

insbesondere wenn

der genannte erste Zahn, ein hierzu benachbarter und in der Antriebsdrehrichtung des Kettenrades hinter dem ersten Zahn angeordneter zweiter Zahn und ein dritter Zahn, der dem zweiten Zahn benachbart ist, und in der Antriebsdrehrichtung des Kettenrades hinter dem zweiten Zahn angeordnet ist, jeweils als Gangwechselzähne ausgebildet sind und die restlichen Zähne alle Zähne sind, die im Wesentlichen nicht in Eingriff bringbar sind,

insbesondere wenn

der Kettenführungsabschnitt an der Innenoberfläche des Kettenrades mit einem größeren Durchmesser, die dem benachbarten Kettenrad mit einem kleineren Durchmesser zugewandt ist, als Ausnehmung ausgebildet ist, so dass diese Ausnehmung an einer Seite der Mitte zwischen den genannten benachbarten Zähnen an dem Kettenrad mit einem größeren Durchmesser bis zu einem solchen Ausmaß tief ausgebildet ist, dass eine Gelenkplatte an der Außenseite der Kette nicht auf einem Zahn aufsitzt, der hinter der genannten Mitte in der Antriebsdrehrichtung des genannten Kettenrades angeordnet ist.

II. Die Beklagten werden verurteilt, der Klägerin Auskunft über alle Verletzungshandlungen gemäß Ziffer I. zu erteilen und zwar unter Angabe

a. der einzelnen Lieferungen, aufgeschlüsselt nach Liefermengen, Lieferdaten und Lieferpreisen sowie den Namen und Anschriften der Abnehmer,

b. der einzelnen Angebote, aufgeschlüsselt nach Angebotsmengen, Angebotszeiten, Angebotspreisen sowie den Namen und Anschriften der Angebotsempfänger,

c. der betriebenen Werbung, aufgeschlüsselt nach Werbeträgern, deren Auflagehöhe, Verbreitungszeitraum und Verbreitungsgebiet,

d. der Gestehungskosten unter Angabe der einzelnen Kostenfaktoren und des erzielten Gewinns;

Der Umfang der Verletzungshandlungen gemäß Ziffer I. ist anzugeben,

seit dem 12.02.1994 für die Beklagten zu 2) und zu 3),

seit dem 27.10.1997 für die Beklagte zu 1).

Den Beklagten bleibt es vorbehalten, die Namen und Anschriften der nichtgewerblichen Abnehmer und Angebotsempfänger einem unabhängigen, zur Verschwiegenheit verpflichteten Wirtschaftsprüfer mitzuteilen, sofern die Beklagten die Kosten tragen und den beauftragten Wirtschaftsprüfer ermächtigen und verpflichten, der Klägerin auf konkrete Anfrage darüber Auskunft zu geben, ob ein bestimmter Abnehmer in der Auskunft enthalten ist.

III. Es wird festgestellt, dass die Beklagten gesamtverbindlich verpflichtet sind, der Klägerin den Schaden zu ersetzen, der durch die Verletzungshandlungen gemäß Ziffer I. entstanden ist und in Zukunft entstehen wird, und zwar bezüglich der Beklagten zu 1) seit dem 27.10.1997, bezüglich der Beklagten zu 2) und 3) seit dem 12.02.1994.

Die Beklagten beantragten,

die Klage abzuweisen.

Bezüglich des Vortrags der Beklagten zur Verwirklichung der streitigen Merkmale durch die angegriffenen Ausführungsformen in erster Instanz wird auf die Seiten 23 und 24 der landgerichtlichen Entscheidung verwiesen.

Nach Einholung eines Sachverständigengutachtens verurteilte das Landgericht mit Endurteil vom 11.06.2003 die Beklagten nach dem Hilfsantrag.

Hiergegen richtete sich die form- und fristgerechte Berufung der Beklagten.

Unter Darstellung des Klagepatents, dessen Aufgabe und Lösung sowie unter Zugrundelegung der Merkmalsanalyse gemäß Anlage B 21 sowie den Änderungen des Klagepatents in der Zeit zwischen Anmeldung und Erteilung (Berufungsschriftsatz vom 07.08.2003, Seite 12 – Blatt 352 d. A.) bestritten die Beklagten in der Berufungsinstanz, dass die Merkmale f, f1, f2, f3 und h1 wortsinngemäß bzw. äquivalent verwirklicht seien.

Die Beklagten waren der Auffassung, dass bei den angegriffenen Ausführungsformen weder eine Tangente vorliege, noch werde der in der Merkmalsgruppe f exakt bestimmte Abstand zwischen den Punkten O1 und O 2 eingehalten.

Bezüglich des Merkmals h1 waren die Beklagten der Auffassung, dass bei den angegriffenen Ausführungsformen die Führungsfläche nicht die Größe und Gestalt aufweise, wie sie Merkmal h1 verlange. Auch dem Hilfsantrag der Klägerin bezüglich der äquivalenten Verwirklichung des Merkmals h1 habe das Landgericht zu Unrecht entsprochen, denn es fehle bereits an einer Gleichwirkung.

Die Abwandlung sei für den Fachmann auch nicht auffindbar gewesen. Da die Klagepatentschrift den Fachmann gerade lehre, gegenüber vorbekannten Kettenführungsausnehmungen, deren Konturen mit den Umrissen des Kettengliedes überlappten, eine das vollständige Kettenglied aufnehmende Kettenführungsoberfläche vorzusehen, sei nicht erkennbar, wodurch der Fachmann angeregt werden könnte, sich von dieser Lehre wieder abzuwenden. Ferner fehle es an der vom Bundesgerichtshof geforderten Orientierung am Patentanspruch in der Weise, dass der Durchschnittsfachmann die abgewandelte technische Lehre als der patentierten technischen Lehre gleichwertig ansehe.

Hilfsweise erhoben die Beklagten den sog. Formsteineinwand.

Soweit das Landgericht bei seiner Entscheidung dem gerichtlichen Sachverständigen erster Instanz gefolgt sei, seien dessen Feststellungen apodiktisch.

Die Beklagten waren somit der Auffassung, dass das Gutachten des gerichtlichen Sachverständigen erster Instanz eine vollkommen unzureichende Grundlage für die Verurteilung der Beklagten dargestellt habe, weil ein nachvollziehbarer Beleg für die bestrittenen klägerischen Behauptungen einer äquivalenten Patentverletzung der Gerichtsakte nicht entnehmbar gewesen sei.

Die zahlenmäßige Beschränkung der Größe der Führungsfläche im Merkmal h1 sei vom Landgericht nicht ausreichend beachtet worden. Unrichtig seien auch die Ausführungen des Landgerichts zur Auffindbarkeit der angegriffenen Ausführungsformen und zur Gleichwertigkeit bezüglich der Orientierung an den Patentansprüchen.

Der Vertrauensschutz sei vom Landgericht missachtet worden, denn wenn der Patentinhaber überflüssige Merkmale in das Patent aufnehme, müsse die Fachwelt darauf vertrauen können, dass der Schutz entsprechend beschränkt sei.

Auch der Formsteineinwand sei vom Landgericht unzutreffend gewürdigt worden.

Bezüglich der weiteren Angriffe gegen das landgerichtliche Urteil im ersten Berufungsverfahren im Einzelnen wird auf die Ausführungen der Beklagten im Schriftsatz vom 26.01.2004, Seite 24 ff. insgesamt Bezug genommen.

Die Beklagten beantragten:

I. Das Urteil des Landgerichts München I vom 11.06.2003, Az.: 21 O 21210/00 wird aufgehoben.

II. Die Klage wird abgewiesen.

Die Klägerin beantragte:

Die Berufung der Beklagten wird zurückgewiesen.

Unter Verteidigung der angegriffenen Entscheidung und Darstellung des Klagepatents aus ihrer Sicht war die Klägerin der Auffassung, dass die Beklagten mit Ausführungen zum Erteilungsverfahren nicht gehört werden können, da es für die Bestimmung des Schutzbereichs eines Patents grundsätzlich nicht auf Vorgänge im Erteilungsverfahren ankomme, die der Patenterteilung vorausgegangen seien.

Durch den Begriff "mindestens im Wesentlichen" werde dem Fachmann, wie dies in Patentansprüchen häufig der Fall sei, ein Gestaltungsspielraum eingeräumt, innerhalb dessen er den Abstand wählen könne, wobei hier, wie immer, das Gesamtverständnis der Erfindung die maßgeblichen Grenzen bilde. Der Abstand L zwischen den Mitten O1 – O2 bei den angegriffenen Ausführungsformen verwirkliche sowohl nach der Messung der Klägerin als auch nach den Messergebnissen der Beklagten das Merkmal f3 des Klagepatents. Der Begriff "im Wesentlichen" werde in Patentansprüchen regelmäßig verwendet, um deutlich zu machen, dass es nicht auf die exakte Einhaltung der Maßgabe ankomme. Dies sei auch dem für das vorliegende Gebiet einschlägigen Fachmann bekannt. Der Fachmann verstehe das Merkmal f3 somit, seinem Fachwissen und der Erläuterung in der Klagepatentschrift folgend, derart, dass eine Entfernung als patentgemäß anzusehen ist, die aufgrund der breiteren Zahnzwischenräume gegenüber dem ganzzahligen Vielfachen vermindert sei.

Das Merkmal h1 könne nur in Zusammenhang mit dem Merkmal h2 verstanden werden. Zur Erzielung des patentgemäßen Erfolgs komme es jedoch nicht darauf an, dass die Größe der Kettenführungsfläche exakt der Größe einer Gliedplatte entspreche. Soweit die Beklagten sich auf den Begriff der "Überlappung" bezögen, werde dieser im Klagepatent an keiner Stelle verwendet.

Entgegen der Auffassung der Beklagten läge eine Gleichwirkung vor. Die Abwandlung sei für den Fachmann auch auffindbar, denn beim Studium des Klagepatents erkenne der Fachmann, dass es für die Funktion nicht zwingend notwendig sei, die Kettenführungsfläche so auszugestalten, dass sie eine ganze Gliedplatte aufnehme. Die Ausführung der Kettenführungsfläche in einer Weise, dass sie in dem vom Schaltzahn abgewandten Bereich geringfügig kleiner sei als eine ganze Gliedplatte, werde vom Fachmann auch als gleichwertig angesehen.

Das Merkmal h1 sei auch nicht überflüssig. Werde die Kettenführungsfläche als Fläche in der Größe und Form einer ganzen Gliedplatte verwendet, sei die patentgemäße Funktion immer sichergestellt. Der Fachmann erkenne aber, dass er die Kettenführungsfläche in Abweichung von der Definition des Merkmals h1 auch kleiner gestalten könne, wenn er dafür Sorge trage, dass diese Abweichung derart bemessen ist, dass die in der Patentschrift erläuterte und im Merkmal h2 definierte Funktion beibehalten werde.

Bezüglich der Ausführungen der Klägerin im ersten Berufungsverfahren zu dem von den Beklagten erhobenen Formsteineinwand wird auf die Ausführungen in den Schriftsätzen vom 03.11.2003, Seiten 34 ff. und 04.02.2004, Seiten 13 ff. insgesamt Bezug genommen.

Die Klägerin hielt die Angriffe der Beklagten gegen den gerichtlich bestellten Sachverständigen für unbegründet. Das Landgericht habe sich auch in ausreichendem Umfang mit den Feststellungen des gerichtlichen Sachverständigen auseinandergesetzt

Im Übrigen verteidigte die Klägerin die landgerichtliche Entscheidung.

In der mündlichen Verhandlung vom 12.02.2004 (Protokoll Seite 3 – Blatt 582 d. A.) erklärte der Klägervertreter, dass die von ihm auf Anforderung des Gerichts nachgereichten Anlagen K 10 und K 11 nicht den in erster Instanz übergebenen Anlagen K 10 und K 11 entsprächen, sondern neue Ausführungsformen für das Jahr 2003 seien. Die Anlagen K 10 und K 11, die in erster Instanz zu den Akten gegeben worden sein sollten, lägen dem Senat nicht vor.

In Folge dieser Erklärung waren sich die Parteivertreter sodann einig, dass die mit der Anlage K 11 (... 7.0) vorgelegte Kassette dem weiteren Verfahren zugrunde gelegt werden könne. Die Parteien waren sich weiter darüber einig, dass die von der Klageseite in einer schwarzen Schachtel als Anlage K 37 übergebene Kassette eine mit der Klage angegriffene Kassette ... 5.0 sei.

Das Verfahren wurde mit dem Verfahren 6 U 4259/03 lediglich zum Zwecke der gemeinsamen Beweisaufnahme verbunden.

Der Senat hat nach Einholung eines Gutachtens Sachverständigen Prof. Dr. ... die landgerichtliche Entscheidung mit Endurteil vom 12.05.2005 aufgehoben und die Klage abgewiesen, da die angegriffenen Ausführungsformen das Merkmal f1 nicht wortsinngemäß und das Merkmal h1 weder wortsinngemäß noch äquivalent verletzten.

Auf Revision der Klägerin hob der Bundesgerichthof mit Urteil vom 13.02.2007 (im Folgenden RU) die Senatsentscheidung vom 12.05.2005 auf und verwies den Rechtsstreit zu neuer Verhandlung und Entscheidung an das Berufungsgericht zurück.

Zur Begründung führt das Revisionsgericht aus, der Senat habe die Ergebnisse des Sachverständigen ungeprüft übernommen und den Sinngehalt der Patenansprüche nicht ermittelt. Er habe sich darauf beschränkt, die Ausführungen des Sachverständigen wiederzugeben und gegen bestehende Auslegungsgrundsätze verstoßen. Das zu klärende Verständnis des Durchschnittsfachmanns vom Patentanspruch selbst sei unmittelbarer Feststellung entzogen. Hinsichtlich der Merkmale f1, f2 und h1 hat der Bundesgerichthof eine eigene Auslegung vorgenommen.

Im fortgesetzten Berufungsverfahren räumen die Beklagten nunmehr die Verwirklichung der Merkmale f, f1 und f2 ein, halten aber an ihrer Ansicht fest, dass das Merkmal f3 nicht wortsinngemäß und das Merkmal h1 weder wortsinngemäß noch äquivalent verwirklicht seien. Die Klägerin bestimme die Punkte O1 und O2 unzutreffend, so dass die von ihr vorgelegten Messungen zu Merkmal f3 unzutreffend seien. Bei den angegriffenen Ausführungsformen liege ein qualitativ anderer Kettenverlauf vor, bei dem auch ein Schaltruck in Kauf genommen werde. Die Messungen bezögen sich – auch insoweit daher untreffend – nicht auf die einfache Kettenteilung.

Hinsichtlich des Merkmals h1 lägen die Äquivalenzvoraussetzungen nicht vor. Die Klägerin habe insoweit nichts Substantielles vorgetragen. Die Beklagten berufen sich auch weiterhin auf den Formsteineinwand.

Die Beklagten beantragen:

I. Das Urteil des Landgerichts München I vom 11.06.2003, Az.: 21 O 21210/00 wird aufgehoben.

II. Die Klage wird abgewiesen.

Die Klägerin beantragt:

Die Berufung der Beklagten wird zurückgewiesen.

Hinsichtlich des Merkmals f3 hat die Klägerin in Anschluss an die Revisionsentscheidung im Schriftsatz vom 01.08.2007 Messungen an den angegriffenen Ausführungsformen vorgelegt, bezüglich deren Methodik und Darstellung auf die Seiten 8 ff. des genannten Schriftsatzes verwiesen wird.

Bezüglich des Merkmals h1 hat sich die Klägerin nunmehr auf die Geltendmachung einer äquivalenten Verletzung beschränkt (a. a. O. Seiten 12 ff.). Den weiterhin von der Beklagten erhobenen Formsteineinwand hält die Klägerin nach wie vor für unbegründet (a. a. O. Seiten 16 ff.).

Schließlich hat die Klägerin für die Darlegungen zur Verwirklichung der Lehre des Patents durch die angegriffenen Ausführungsformen Sachverständigenbeweis angeboten.

II.

Die zulässige Berufung der Beklagten ist auch begründet.

Die Klage ist zwar zulässig, in der Sache bleibt sie jedoch erfolglos.

Der Klägerin stehen die geltend gemachten Unterlassungs-, Auskunfts- und Schadensersatzfeststellungsansprüche unter keinem rechtlichen Gesichtspunkt zu. Ansprüche ergeben sich insbesondere nicht aus §§ 139, 9 PatG, 242 BGB, Art. 64 EPÜ.

Die von der Klägerin angegriffenen und von den Beklagten vertriebenen Kettenradanordnungen ... Powerglide II 5.0 und ... Powerglide II 7.0 (vgl. die im Termin vom 12.02.2004 bezeichneten Anlagen K 37 und K 11) machen von der Lehre des Klagepatents keinen Gebrauch. Eine Patentverletzung ist damit nicht gegeben.

A

Die Klage ist zulässig.

Die Parteivertreter haben sich darauf geeinigt, dass die mit der Anlage K 11 (... 7.0) vorgelegte Kassette dem Verfahren ebenso zugrunde gelegt werden soll, wie die von der Klageseite als Anlage K 37 übergebene Kassette, bei der es sich um die Kassette ... 5.0 handelt.

Der Senat legt daher auch weiterhin die als Anlagen K 11 und K 37 vorgelegten Kettenradanordnungen als angegriffene Ausführungsformen diesem Verfahren zu Grunde.

B

Die Klage ist unbegründet.

Der Klägerin stehen die geltend gemachten Unterlassungs-, Auskunfts- und Schadensersatzfeststellungsansprüche unter keinem rechtlichen Gesichtspunkt zu. Ansprüche ergeben sich insbesondere nicht aus §§ 139, 9 PatG, 242 BGB, Art 64 EPÜ.

1. Das Klagepatent betrifft eine mehrstufige Kettenradanordnung für ein Fahrrad und insbesondere eine mehrstufige Kettenradanordnung für ein Fahrrad, die mindestens ein Kettenrad mit einem größeren Durchmesser und mindestens ein Kettenrad mit einem kleineren Durchmesser umfasst und an einer Kurbel oder einer Hinternabe des Fahrrads befestigt ist, um zum Gangwechsel am Fahrrad eine Antriebskette zu versetzen.

In der Patentschrift (deutsche Übersetzung gemäß Anlage K 2) wird auf Seite 3 als Aufgabe der Erfindung bezeichnet, eine mehrstufige Kettenradanordnung für ein Fahrrad bereitzustellen, bei der zur Erleichterung des Schaltvorgangs die Mitte zwischen einem Paar benachbarter Zähne des Kettenrads mit einem kleineren Durchmesser und die Mitte zwischen einem Paar benachbarter Zähne des Kettenrads mit einem größeren Durchmesser sich auf der Tangente befinden, die sich entlang eines Laufwegs der Kette erstreckt, wenn diese vom Kettenrad mit dem kleineren Durchmesser zum Kettenrad mit dem größeren Durchmesser versetzt wird, wobei die Entfernung zwischen den Mitten ein ganzzahliges Vielfaches des Lochabstandes der Kette ist, so dass die Kette immer glatt vom erstgenannten Kettenrad bis zum letztgenannten Kettenrad versetzt werden kann.

Zur Lösung dieser Aufgabe wird eine bestimmte Kettenradanordnung vorgeschlagen, wie sie auf Seite 4 der Patentschrift im Einzelnen dargestellt ist.

Bezüglich des in der Patentschrift genannten Stands der Technik wird auf die Seite 1 der Anlage K 2 Bezug genommen.

2. Bei der Bestimmung des Schutzbereiches des Patents ist das Landgericht zutreffend von Art. 69 Abs. 1 EPÜ ausgegangen und hat entsprechend der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs für die Auslegung der Patentansprüche ebenfalls zutreffend darauf abgestellt, dass bei der Frage, wie das Patent zu verstehen ist, von der Sicht des für das jeweils einschlägige Fachgebiet zuständigen Durchschnittsfachmanns auszugehen ist.

Als Durchschnittsfachmann ist im vorliegenden Fall derjenige anzusehen, der in der Regel über eine qualifizierte technische Ausbildung verfügt, die er an einer Technikerschule, einer Berufsakademie, oder häufig an einer Fachhochschule oder an einer technischen Hochschule, Technischen Universität oder Universität absolviert hat.

Diese Feststellung des Senats wurde von den Parteien nicht in Zweifel gezogen und vom Bundesgerichtshof nicht beanstandet.

3. Der Bundesgerichthof fordert im Rahmen der Auslegung nach § 14 PatG bzw. Art. 69 EPÜ, dass sich diese hinsichtlich der einzelnen Merkmale am Zusammenhang des gesamten Anspruchs zu orientieren habe und die Beschreibung und Zeichnungen zur Ermittlung dieses Sinnzusammenhangs heranzuziehen seien (RU Rd. 18 a. A. und 19 a. E). Die Auslegung selbst stelle eine reine Rechtsanwendung dar (RU Rd. 18).

4. Unter Beachtung dieser Auslegungsprämissen kommt der Senat im Rahmen des bei der Verletzungsprüfung anzustellenden Merkmalsvergleichs zu dem Ergebnis, dass der Klägerin der Nachweis der Verwirklichung des Merkmals f3 durch die angegriffenen Ausführungsformen nicht gelungen ist.

a) Merkmalsgruppe f/f1/f2

Die Merkmale lauten nach der Merkmalsgliederung im RU Seite 10:

f) die Kettenräder sind so angeordnet, dass die Mitte (O2) zwischen einem Paar benachbarter Zähne des größeren Kettenrads sich auf einer Tangente befindet,

f1) die sich von der Mitte (O1) zwischen einem Paar benachbarter Zähne des kleineren Kettenrads erstreckt,

f2) die sich entlang des Laufwegs der Antriebskette im Eingriff mit dem kleineren Kettenrad erstreckt, wenn die Kette von dort zum Eingriff in das größere Kettenrad umgeschaltet wird."

aa. Der Bundesgerichtshof hat die Auslegung des Senats auf Grundlage des eingeholten Gutachtens als rechtsfehlerhaft beanstandet und ist in eigener Auslegung des Merkmals zu dem Ergebnis gelangt, dass die Zuordnung der Kettenräder durch die Erstreckung einer als Tangente bezeichneten Geraden und den Abstand zwischen der Mitte O1 zwischen einem Paar benachbarter Zähne des kleineren Kettenrads und der Mitte O2 zwischen einem Paar benachbarter Zähne des größeren Kettenrades bestimmt wird. Die maßgebliche Tangente mit den Punkten O1 und O2 müsse sich gemäß Merkmal f2 entlang des Laufwegs der Antriebskette erstrecken (RU Rd. 22).

Weiterhin gelangt der Bundesgerichtshof zu der Erkenntnis, dass die den tangentialen Kettenablauf im Punkt O1 schneidende Mittellinie zwischen einem Paar benachbarter Zähne des kleineren Kettenrads dabei eine eindeutige Festlegung des (längenbestimmenden) Ausgangspunktes der erfindungsgemäßen Tangente erlaube. Vor diesem Hintergrund bedürfe es aus technischer Sicht und in Übereinstimmung mit dem Anspruchswortlaut keiner weiteren Konkretisierung der Lage der Punkte O1 und O2 (RU Rd. 23).

Da sich die erfindungsgemäße Tangente entlang des (geradlinigen) Laufwegs der Antriebskette erstrecke, ergäben sich diese von selbst aus den Schnittpunkten der Mittellinie zwischen den benachbarten Zähnen mit einer in Übereinstimmung mit dem Kettenverlauf angelegten Geraden. Eine entlang des Laufwegs der Antriebskette angelegte Gerade stelle auch eine Tangente dar, da die Antriebskette beim Gangwechsel stets tangential vom kleineren Kettenrad, über welches sie sich auf dem Wälzkreis bewege, ablaufe (RU Rd. 23).

Von der mathematischen Definition einer Tangente sei nicht auszugehen (RU Rd. 24).

Der Senat ist gemäß § 563 Abs. 2 ZPO an diese Auslegung durch den Bundesgerichtshof gebunden, da es sich insoweit um eine rechtliche Beurteilung des Revisionsgerichts handelt.

bb. Die von den Beklagten vertriebenen Ausführungsformen verwirklichen diese Merkmalsgruppe.

Die Beklagten haben im Schriftsatz vom 03.09.2007 auf Seite 4 unter 1. die Verwirklichung dieser Merkmalsgruppe gemäß § 138 Abs. 3 ZPO in tatsächlicher Hinsicht zugestanden.

Darüber hinaus ist eine Verwirklichung dieser Merkmalsgruppe durch den Senat auch an Hand der von den Beklagten vorgelegten Anlagen B4 und B5 festzustellen. Da der Bundesgerichtshof die Annahme einer mathematischen Tangente durch den Durchschnittsfachmann verneint und im Wesentlichen nur noch eine Gerade durch zwei Punkte verlangt, kann festgestellt werden, dass bei den angegriffenen Ausführungsformen eine so definierte Tangente vorhanden ist.

b) Merkmal f3

Merkmal f3 lautet nach der Merkmalsgliederung im RU Seite 10:

"..wobei der Abstand zwischen den Mittelpunkten (O1, O2) jedenfalls im Wesentlichen ("at least substantially") ein ganzzahliges Vielfaches der Kettenteilung ist;"

aa. Sinngehalt des Merkmals f3

(1) Der Bundesgerichtshof hat dieses Merkmal keiner eigenen Auslegung unterworfen, sondern diese dem Berufungsgericht ausdrücklich aufgegeben (RU Rd. 37).

(2) Anders als beispielsweise in der Merkmalsgruppe h mit dem Merkmal h2, findet sich in der Merkmalsgruppe f kein ausdrücklich funktionsangebendes Merkmal im Anspruch, welches im Rahmen der Ermittlung des Sinngehalts des Merkmals f3 unter Berücksichtigung von dessen Wirkweise im gesamten Anspruch herangezogen werden könnte.

(a) Das Patent führt auf Seite 5 (der deutschen Übersetzung) im zweiten und dritten Absatz aus, dass der in dem Merkmal definierte Abstand auch geringfügig kleiner sein kann und demgemäß die Kette beim Versetzen vom Kettenrad mit dem kleineren Durchmesser auf das Kettenrad mit dem größeren Durchmesser zuverlässig um einen vorbestimmten Betrag in Richtung zur äußeren Oberfläche des Kettenrads mit dem größeren Durchmesser entlang der an der inneren Oberfläche des Kettenrad mit dem größeren Durchmesser gegenüber dem Kettenrad mit dem kleineren Durchmesser vorgesehenen Kettenführungsabschnitt vorgespannt wird.

In die gleiche Richtung führt die Patentbeschreibung auf Seite 11 dritter Absatz. Auch dort wird von der Möglichkeit eines etwas kleineren Abstands gesprochen.

Auf Seite 8 zweiter Absatz wird der Abstand L zwischen den Mitten O1 und O2 im Zusammenhang mit dem Kettenführungsabschnitt angesprochen.

Auf Seite 14 dritter Absatz wird erneut der Begriff der Vorspannung der Kette durch die besonders gelehrte Bauweise beschrieben.

Der technische Sinngehalt des Merkmals f3 stellt sich aus Sicht des Senats daher so dar, dass dieses Merkmal im Zusammenwirken mit der besonderen Bestimmung der Punkte O1 und O2 durch die Gewährleistung einer Vorspannung die Kette leichter in die Kettenführungsfläche des größeren Kettenrads bewegen lässt und damit ein weiteres Funktionsglied in der Aufgabenstellung darstellt, die Schaltqualität zu verbessern. Unbedingte Voraussetzung ist jedoch, dass die im Anspruch weiterhin genannten Voraussetzungen, also insbesondere die bestimmte Lage der Punkte O1 und O2 sowie die besondere Ausgestaltung der Kettenführungsfläche, gegeben sind.

(b) Zur Feststellung, wie der im Merkmal f3 beschriebene Abstand (bezeichnet in Figur 1 als L) festzulegen ist, bedarf es zwingend der Festlegung der Punkte O1 und O2 und sodann der Klärung, wie der Begriff "jedenfalls im Wesentlichen" zu verstehen ist.

(aa.) Die Beklagte will die Punkte O1 und O2 wie in der Figur 1 dargestellt verstanden wissen.

Da weder in den Patentansprüchen, noch in der Beschreibung sich eine bestimmte Lage der Punkte O1 und O2 ergebe, greife der Fachmann auf die Figur 1 zurück. Nur diese Zeichnung gebe eine radiale Lageinformation an, nämlich den Schnittpunkt zwischen der jeweiligen Winkelhalbierenden W1, W2 und einem den jeweiligen Kettenbolzen innen tangierenden Kreis K1 bzw. K2 um die Kettenradachse AX. Auch die in der Figur 1 eingetragene Länge L beziehe sich auf die so definierten Punkte O1 und O2. Unzutreffend gehe die Klägerin hinsichtlich der Lage der Punkte O1 und O2 von der Rollenmitte aus (Schriftsatz vom 03.09.2007 Seite 6 oben).

(bb.) An dieser Auslegung zur Bestimmung der Punkte O1 und O2 sieht sich der Senat schon durch die Auslegung des Bundesgerichtshofs zum Begriff der Tangente im RU, wie er oben zur Merkmalsgruppe f/f1/f2 dargestellt wurde, gehindert.

Zwar hat auch der Bundesgerichthof die Verneinung des mathematischen Begriffs der Tangente u. a. mit der Figur 1 begründet (RU Rd. 24 a. E.) und damit zu erkennen gegeben, dass diese Figur für den Fachmann für das Verständnis der Begrifflichkeiten von besonderer Bedeutung sein kann, das Revisionsgericht hat jedoch, worauf die Klägerin im Termin zur mündlichen Verhandlung zu Recht hingewiesen hat, im Zusammenhang mit den Merkmalen f/f1/f2 bei der Klärung des Begriffs Tangente auch Auslegungskriterien hinsichtlich der Punkte O1 und O2 vorgeben. Da es sich insoweit um rechtliche Beurteilungen handelt, die für das Verständnis des gesamten Patentanspruchs grundlegend sind, ist der Senat auch bei der Auslegung des Merkmals f3 an diese Vorgaben des Revisionsgerichts gemäß § 563 Abs. 2 ZPO gebunden.

Auf Grund der Auslegung des Bundesgerichtshofs unter Rd. 23 des RU ist mit der, auch von der Klägerin im Termin geäußerten, Auffassung des Revisionsgerichts daher davon auszugehen, dass sich die Punkte O1 und O2 eindeutig festlegen lassen, längenbestimmend sind und sich aus den Schnittpunkten der Mittellinie zwischen den benachbarten Zähnen mit einer in Übereinstimmung mit dem Kettenverlauf angelegten Geraden ergeben (RU Rd. 23).

(cc.) Schließlich bedarf es der Klärung, wie der Begriff "im Wesentlichen" zu verstehen ist.

Das Patent selbst gibt in der Beschreibung an, dass auch geringfügig kleinere Abstände als das genaue ganzzahlige Vielfache in Betracht gezogen werden können. Maßgeblich ist aus Sicht des Senats damit lediglich, dass die Zusammenwirkensfunktion dieses Merkmals mit den anderen Merkmalen, welche die verbesserte Schalttechnik bewirken sollen, für den Fachmann noch erkennbar gegeben ist, wobei der Fachmann reine Fertigungstoleranzen von diesem Begriff als selbstverständlich umfasst ansehen wird.

(dd.) Die hier getroffene Auslegung stellt begrifflich keine "Auslegung unter dem Wortlaut" (BGH X ZR 72/05 – Ziehmaschinenzugeinheit) dar, da bei der Auslegung nicht der Wortlaut, sondern der technische Sinngehalt (RU Rd. 18) zu ermitteln ist.

bb. Geht man von dieser Bestimmung des Sinngehalts des Merkmals f3 aus und versteht man mit dem Bundesgerichtshof den Abstand O1 und O2 in der vorbeschriebenen Art und Weise, ist der tatsächliche Vortrag der Klägerin nicht geeignet, eine wortsinngemäße Verwirklichung der angegriffenen Ausführungsformen hinsichtlich des Merkmals f3 zu belegen.

(1) Fertigungstoleranzen

Die Klägerin hat zum Nachweis der Verwirklichung des Merkmals f3 in Anschluss an das RU im Schriftsatz vom 01.08.2007 Messungen vorgelegt, die belegen sollen, dass bei den angegriffenen Ausführungsformen nur geringfügige Abweichungen vom ganzzahligen Vielfachen der Kettenteilung vorhanden sind.

Nach diesen Messungen, ihre Methodik als zutreffend unterstellt, ergeben sich Abweichungen zwar nur im einstelligen Prozentbereich, diese stellen jedoch ausnahmslos Abweichungen über 0,2 mm dar. Nur bis zu diesem Wert ist jedoch nach dem Gutachten vom 17.09.2004, dort Seite 17, noch von einer zulässigen Fertigungs- bzw. Messtoleranz auszugehen. Da es sich insoweit nicht um eine Rechtsfrage handelt, stehen einer Verwertung dieser Aussage des Sachverständigen als vom Senat festzustellende Tatsache nicht die unter Rd. 18 f. des RU beanstandeten Rechtsfehler des Berufungsgerichts entgegen.

(2) Es ist damit zu prüfen, ob die von der Klägerin gemessenen Abweichungen zu Funktionsabweichungen hinsichtlich der Lehre des Klagepatents führen.

(a) Die Klägerin hat im Termin vom 28.02.2008 die Methodik der Messung, die schon im Schriftsatz vom 01.08.2007 auf Seite 8 ff. dargestellt wurde, nochmals erläutert und auf Nachfrage des Gerichts ausgeführt, dass der von ihr angenommene Mittelwert faktisch zur Folge habe, dass als Bezugspunkt der Punkte O1 und O2 die Rollenmitte anzusetzen sei.

(aa.) Diese Festlegung ist jedoch aus Sicht des Senats nicht zwingend.

Der technische Sinngehalt des Merkmals erschöpft sich, wie oben festgestellt, nicht in der bloßen Angabe eines beliebigen Wertes, sondern hat die Bestimmung, mittels einer Vorspannung die Führung der Kette in die Kettenführungsfläche als ein Funktionsmerkmal zu unterstützen.

(bb.) Die Patentschrift spricht auf Seite 11 dritter Absatz davon, dass "... die Rolle am Kettenrad 2 mit dem kleineren Durchmesser an der rückwärtigen Oberfläche eines Zahns vor der Rolle in Antriebsrichtung des Kettenrads 2 anstößt und die Rolle, die sich in Richtung zum Kettenrad 1 mit größerem Durchmesser bewegt und von deren Zahn gefangen wird, an der vorderen Oberfläche des ersten Zahns 11 in Antriebsdrehrichtung des Kettenrads 1 anstößt, wobei, wenn beide Kettenräder 1 und 2 ausgerichtet sind, der Abstand L etwas kleiner als ein ganzzahliges Vielfaches des Lochabstandes der Kette ist".

Dieser Beschreibungsteil ist Beleg dafür, dass die Punkte O1 und O2 im Sinne der Lehre des Patent zwar nicht bestimmt, wohl aber bestimmbar sind. Mit der Aufgabe des streng mathematischen Begriffs der Tangente und der Bestimmung der Punkte O1 und O2 durch den Bundesgerichthof als Kreuzungspunkte der Winkelhalbierenden mit einer nach dem Kettenverlauf angelegten Geraden verlieren die Punkte O1 und O2 zunächst ihre fest bestimmte Zuordnung und sind je nach Ausführungsform variabel. Die technische Lehre des Klagepatents beschränkt sich daher insoweit auf die Angabe eines Verhältnisses der Lage der Punkte zueinander, legt diese aber nur insoweit fest, als sie im Zusammenspiel mit den anderen Merkmalen ihre Funktion noch ausüben können. Weitere Folge ist, dass die im Kettenverlauf angelegte Gerade mangels Zwang zur Tangenteneigenschaft in ihrer Lage variieren kann, denn der Berührpunkt zu den Kettenrädern verändert sich zwangsläufig je nachdem, wo die Berührung an der Oberfläche des Zahns beginnt. Im oberen Extremfall findet am Zahn ein Aufreiten der Kette statt. Im unteren Extremfall liegt der Punkt in der nächstmöglichen Entfernung zur Nutmitte begrenzt durch den Abstand des Rollenumfangs zum Umfang des Stiftdurchmessers.

Dies bedeutet, dass die Punkte O1 und O2 in ihrer Lage auf den Mittellinien, lediglich begrenzt durch die Extrempunkte, variabel sind und für die Feststellung, wann ein ganzzahliges Vielfaches bei einer angegriffenen Ausführungsform mit den nach dem Klagepatent erwünschten technischen Wirkungen vorliegt, im Einzelfall nach der Verhältnisangabe im Anspruchsmerkmal f3 geklärt werden muss.

Die exakte Lage der Punkte O1 und O2 kann auch nicht offen bleiben, denn zum einen würde es dann an einer aussagekräftigen technischen Lehre des Patents fehlen, zum anderen erfordern auch Rechtssicherheitsgesichtspunkte deren genaue Bestimmung.

(b) Entsprechende tatsächliche Darlegungen finden sich im klägerischen Vortrag, insbesondere auch im Schriftsatz vom 01.08.2007, nicht.

(aa.) Die Klägerin geht von einer Messung dahingehend aus, dass sie den Mittelwert zwischen einer Außen- und Innenmessung der Zahnzwischenräume durchgeführt.

Auf Nachfrage des Senats bestätigte die Klägerin im Termin, dass dies im Ergebnis dazu führt, dass die Punkte O1 und O2 – anders als in der Figur 1 dargestellt – auf der Rollenmitte liegen.

Auf weitere Nachfrage des Gerichts, ob diese Lage technisch zwingend sei, erläuterte die Klägerin ihre Messung dahingehend, dass – bezogen auf die angegriffene Ausführungsform – ein funktionsorientierte Betrachtung geboten sei und jedenfalls auf Grund des Umstands, dass die Schaltung bei den angegriffenen Ausführungsformen die Kette ebenfalls leicht vom kleinen auf das große Kettenrad gleiten lasse, von einer Verwirklichung der technischen Lehre auch bei den angegriffenen Ausführungsformen ausgegangen werden müsse.

(bb.) Diese Argumentation vermag den Senat nicht von einer Verwirklichung des Merkmals f3 zu überzeugen.

Die Beklagte beruft sich – unter Bezugnahme auf die Ausführungen des Sachverständigen – auf einen anderen tatsächlichen Kettenverlauf als dieser im Patent beschrieben ist (vgl. Schriftsatz vom 03.09.2007 Seite 7). Ein solch anderer Kettenverlauf ist schon deshalb technisch möglich, weil die Punkte O1 und O2 – wie oben festgestellt – auf der Winkelhalbierenden in ihrer Höhenlage variieren können.

Es ist somit Sache der Klägerin, die zwar nicht bestimmten, aber bestimmbaren Punkte O1 und O2 entsprechend der Verhältnisangabe nach der Lehre des Patents bei den angegriffenen Ausführungsformen zu bestimmen und danach darzulegen, dass sich aus den so bestimmten Punkten bei den angegriffenen Ausführungsformen das im Wesentlichen ganzzahlige Vielfache der Kettenteilung einstellt. Solange die von der Klägerin ermittelten tatsächlichen Abweichungen, seien sie auch nur im einstelligen Prozentbereich, ohne exakte Bestimmung der Lage der Punkte O1 und O2 nach der Lehre des Klagepatents bei den angegriffenen Ausführungsformen gemessen wurden, sind sie nicht aussagekräftig, denn die Messmethode geht in diesem Fall von zwei Punkten – nämlich den Rollenmitten – aus, deren technische Unabdingbarkeit nicht festliegt und die daher eine andere Bestimmungsmethode wie oben beschrieben erfordert.

Der Vortrag de Klägerin, dass auch die Schaltung bei den angegriffenen Ausführungsformen der Beklagten – wenngleich, unbestritten, mit einem Knackgeräusch – die Kette vom kleinen auf das große Kettenrad leichtgängig zu führen vermag, kann eine solche Darlegung nicht ersetzen. Es ist auch nicht Sache der Beklagten, sich insoweit zu entlasten, denn sie kann sich hinsichtlich der Darstellung eines anderen Kettenverlaufs auf die Ausführungen des Sachverständigen berufen, der in der Anlage Z 3 zu seinem Gutachten vom 17.09.2004 anschaulich dargestellt hat, dass bei den angegriffenen Ausführungsformen die Kette über den Schaltzahn 11 – mit der Folge eines unvollständigen Eingriffs in diesen – angehoben wird und die Rolle im Bereich des vorderen Zahnecks anliegt. Damit läge jedenfalls der Punkt O2 keinesfalls in der Rollenmitte, wie von der Klägerin beansprucht.

(cc.) Es bedarf daher insoweit keiner Klärung des Einwands der Beklagten mehr, ob bei der Festlegung des ganzzahligen Vielfachen und der Ermittlung der Abweichungen der angegriffenen Ausführungsformen von einer einfachen Kettenteilung oder einer mehrfachen Kettenteilung auszugehen ist, denn insoweit würden sich zwangsläufig andere – vermutlich höhere – Abweichungsprozentsätze ergeben (vgl. Beklagtenschriftsatz vom 03.09.2007 Seite 16).

(dd.) Folgt man der Auslegung der Beklagten zur Bestimmung der Punkte O1 und O2 nach Figur 1 der Patentschrift, so scheidet eine Verwirklichung des Merkmals f3 schon deshalb aus, weil sich insoweit – nach den unbestrittenen – Messungen der Beklagten (vgl. Beklagtenschriftsatz vom 03.09.2007 Seite 8) wesentlich erhöhte Abweichungen ergäben, die keinesfalls mehr unter den Begriff "im Wesentlichen" subsumiert werden könnten.

(ee.) Weitere Feststellungen sind dem Senat nicht möglich. Die Klägerin hat sich hinsichtlich der Messung auf die Rollenmitte festgelegt, weil sie sich insoweit auf das Funktionsargument beschränkt. Weiterer Sachvortrag zur Bestimmung der Punkte O1 und O2 bei den angegriffenen Ausführungsformen liegt in Folge dieser Argumentation naturgemäß nicht vor.

Da das Merkmal f3 somit nicht wortsinngemäß verwirklicht ist und eine äquivalente Verwirklichung nicht geltend gemacht wurde, ist eine Patentverletzung durch die angegriffenen Ausführungsformen nicht gegeben. Sämtliche von der Klägerin geltend gemachten Ansprüche setzen eine solche voraus. Das landgerichtliche Urteil, das unter Berücksichtigung des Berichtigungsbeschlusses vom 04.07.2003 eine Verurteilung der Beklagten ausgesprochen hat, ist daher aufzuheben und die Klage insgesamt abzuweisen.

C

Die Entscheidung über die Kosten beruht auf § 91 Abs. 1 Satz 1 ZPO. Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit beruht auf §§ 708 Nr. 10, 711 ZPO.

D

Die Revision ist zuzulassen.

1781. Der Senat hat eine Bindungswirkung nach § 563 Abs. 2 ZPO hinsichtlich der Auslegung des Merkmals f3 durch die rechtliche Beurteilung des Bundesgerichthofs zur Merkmalsgruppe f/f1/f2 angenommen.

Sollte diese Bindungswirkung nicht bestehen, wäre eine grundlegend andere Auslegung des Merkmals f3 denkbar. Aus Sicht des Senats bedarf dies einer grundsätzlichen für eine Vielzahl von Verletzungsprozessen relevanten Klärung.

2. Der Bundesgerichtshof hat in mehreren Entscheidungen (grundlegend X ZR 76/04 – Seitenspiegel) die Senatspraxis beanstandet, zum Verständnis des Durchschnittsfachmanns vom Patent bzw. einzelner Merkmale des Patentanspruchs einen Sachverständigen zu befragen. Grundlage für diese Rechtsprechung ist die Ansicht des Bundesgerichtshofs, es handele sich bei der Auslegung um eine reine Rechtsfrage.

Die Hinzuziehung eines Sachverständigen wurde im Wesentlichen darauf beschränkt, objektiv technische Gegebenheiten, das technische Vorverständnis der Sachkundigen, deren Kenntnisse, Fertigkeiten und Erfahrungen und deren methodische Herangehensweise zum Verständnis des Patentanspruchs und der in ihm verwendeten Begriffe zu ermitteln (vgl. Seitenspiegel Leitsatz 2)

Wird das Patent aus der Sicht des Durchschnittsfachmanns ausgelegt, ist es aus Sicht des Senats für die Instanzgerichte aber geboten, dieses Verständnis – das darüber hinaus wegen der Fiktion dieser Figur selbst nur fiktiv sein kann –, auch prozessual durch entsprechenden Sachvortrag in das Verfahren einzuführen.

Nach der überwiegenden Praxis in der Rechtsprechung bestimmen die Verletzungsgerichte – anders als bei dem überwiegend mit technischen Richtern besetzten Bundespatentgericht –, gleich in welcher Instanz, das Verständnis des (fiktiven) Durchschnittsfachmann ohne Hinzuziehung weiteren technischen Sachverstands, obwohl dies nach Kenntnis des Senats – soweit er dies aus Einzelfällen überblicken kann – im Patentnichtigkeitsverfahren vielfach nicht der Fall ist. Ein Grund für diese Differenzierung ist nicht ersichtlich.

Die Praxis in Anschluss an die Seitenspiegelentscheidung hat zum einen gezeigt, dass die Parteien an der bisherigen Praxis festhalten, das Verständnis des Durchschnittsfachmann unter Sachverständigenbeweis zu stellen und im Berufungsverfahren die technische Sachkenntnis des erstinstanzlichen Gerichts zum Verständnis des Durchschnittsfachmanns jedenfalls dann in Zweifel zu ziehen, wenn ohne Sachverständigen entschieden wurde. Zum andern gebietet ein schlüssiger Vortrag zu den Grundlagen des Verständnisses des Durchschnittsfachmanns aus Sicht des Senats faktisch den Vortrag der Ausbildung bzw. des Werdegangs eines fiktiven Fachmanns zum Prioritätszeitpunkt (vgl. zur neuen Vortragungslast Kather in Festschrift für Tilman Schilling, Mai 2007). Die Instanzentscheidungen im Verletzungsverfahren enthalten – wie auch das nunmehr ergangene Urteil – regelmäßig keine Feststellungen zu den tatsächlichen Grundlagen, die den (fiktiven) Durchschnittsfachmann in die Lage versetzen, das eine oder andere Verständnis vom Patent und seinen Ansprüchen zu entwickeln.

Vor diesem Hintergrund ist die Revision zuzulassen. Der Bundesgerichtshof hat sich zur Person des Durchschnittsfachmanns im vorliegenden Fall nicht geäußert. Die Feststellung des Senats hierzu wurde weder beanstandet noch für zutreffend erachtet. Der Bundesgerichthof hat das Patent selbst und – weil im Revisionsverfahren auch nicht möglich – ohne technische Unterstützung durch einen Sachverständigen ausgelegt und dabei insbesondere auch das Verständnis des Durchschnittsfachmanns aus eigener Sachkunde entwickelt.

Es stellt sich somit aus Sicht des Senats für die Instanzgerichte die generelle und für nahezu alle Verletzungsstreitigkeiten grundsätzliche Bedeutung entfaltende Frage, ob das Verständnis des Durchschnittsfachmanns – wie nunmehr vom erkennenden Senat vorgenommen – ohne technische Unterstützung durch ein nicht-technisch besetztes Gericht beurteilt werden kann.

187Dies gilt insbesondere dann, wenn wie im vorliegenden Fall die vom Bundesgerichtshof in der Seitenspiegelentscheidung eingeforderten Grundlagen, die als Beurteilungsgrundlage für dessen Verständnis dienen, von den Parteien nicht vorgetragen wurden und somit die Voraussetzungen, die in der Seitenspiegelentscheidung aufgestellt wurden und auf die die Einholung eines Gutachtens im Verletzungsverfahren beschränkt wurde, anders als im Nichtigkeitsverfahren, vollständig fehlen. Das Patent wird in diesen Fällen zwar aus Sicht des Durchschnittsfachmanns ausgelegt, warum der diese Sicht hat, bleibt aber weitestgehend ungeklärt.

Die langjährige Befassung eines Verletzungsgerichts mit technischen Fragen vermag diese prozessual einzuführende Erkenntnis des Durchschnittsfachmanns aus Sicht des Senats wegen der Vielfalt der technischen Fragestellungen nicht zu ersetzen.