LG Bremen, Beschluss vom 10.05.2012 - 5 T 101/12

Zur Frage der Vereinbarkeit des § 1906 Abs. 1 Nr. 2 BGB mit dem Grundgesetz, soweit die Vorschrift die Untersuchung des Gesundheitszustandes, die Heilbehandlung und ärztliche Eingriffe gegen den natürlichen Willen des Betroffenen zulässt.

(Leitsätze: RAG Dr. von Mickwitz)

Tenor

Das Verfahren wird ausgesetzt.

Das Verfahren wird gemäß Art. 100 Abs. 1 S. 1 GG dem Bundesverfassungsgericht zur Entscheidung über die Frage vorgelegt, ob die Vorschrift des § 1906 Abs. 1 Nr. 2 BGB mit dem Grundgesetz vereinbar ist, soweit sie die Untersuchung des Gesundheitszustandes, die Heilbehandlung und ärztliche Eingriffe gegen den natürlichen Willen des Betroffenen zulässt.

Gründe

I.

Für den Betroffenen, der an einer chronisch verlaufenden Psychose erkrankt ist, ist seit dem 02.03.2007 eine Betreuung gemäß § 1896 BGB eingerichtet. Mit Beschluss vom 13.02.2009 (Bl. 109 f. der Hauptakte) hat das Amtsgericht Bremen – Betreuungsgericht – die bestehende Betreuung verlängert. Zuletzt hat das Amtsgericht Bremen mit Beschluss vom 23.04.2012 (Bl. 212 f. der Hauptakte) einen Betreuerwechsel vorgenommen und die im Rubrum genannte Betreuerin zur neuen Betreuerin bestellt. Die Betreuung umfasst unter anderem die Aufgabenkreise der Sorge für die Gesundheit und der Aufenthaltsbestimmung.

Seit Einrichtung der Betreuung war der Betroffene mehrfach gemäß § 1906 Abs. 1 Nr. 1 und 2 BGB sowie nach §§ 9, 14 BremPsychKG untergebracht. Mit Beschluss vom 20.12.2011 (Bl. 225 f. des Unterbringungsbeihefts) hat das Amtsgericht Bremen auf Antrag des damaligen Betreuers Rechtsanwalt [...] die Unterbringung des Betroffenen zur Heilbehandlung in einer geschlossenen Einrichtung bis längstens zum 17.01.2012 gemäß § 1906 Abs. 1 Nr. 2 BGB genehmigt. Auf Antrag des damaligen Betreuers wurde durch Beschluss vom 17.01.2012 (Bl. 238 f. des Unterbringungsbeihefts) die weitere Unterbringung des Betroffenen bis längstens zum 16.03.2012 genehmigt. Mit Schriftsatz vom 10.02.1012 hat der damalige Betreuer einen Antrag auf Genehmigung der Zwangsmedikation gestellt (Bl. 295 des Unterbringungsbeihefts). Zur Begründung hat der damalige Betreuer ausgeführt, der Betroffene habe keine Krankheitseinsicht und verweigere die zur Behandlung seiner Schizophrenie notwendige Medikation mittels Decentan in einer Dosierung von bis zu 48 mg/täglich. Bei Nichtbehandlung des Betroffenen, der sich in einem psychotischen Zustand befinde, drohe eine weitere Verschlechterung seines Gesundheitszustandes, womit eine erhebliche Gesundheitsgefährdung verbunden mit aggressivem Auftreten einher gehe. Mit Beschluss vom 20.02.2012 hat das Amtsgericht Bremen den Antrag auf Genehmigung der Zwangsmedikation zurückgewiesen (Bl. 296 ff. des Unterbringungsbeihefts). Es hat zur Begründung ausgeführt, eine Rechtsgrundlage für eine Genehmigung einer Zwangsmedikation im Rahmen einer betreuungsrechtlichen Unterbringung bestehe nicht. Bei Beachtung der aktuellen Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts zu den Anforderungen an die Zulässigkeit einer Zwangsbehandlung von Untergebrachten stelle insbesondere § 1906 Abs. 1 Nr. 2 BGB keine ausreichende gesetzliche Grundlage dar. Der Beschwerde des ehemaligen Betreuers vom 24.02.2012 (Bl. 302 f. des Unterbringungsbeihefts) hat das Amtsgericht Bremen nicht abgeholfen; es hat die Akten der vorlegenden Kammer mit Beschluss vom 26.02.2012 zur Entscheidung über die Beschwerde vorgelegt (Bl. 253 f. des Unterbringungsbeihefts). Mit Beschluss vom 16.03.2012 (Bl. 289 ff. des Unterbringungsbeihefts) hat das Amtsgericht Bremen auf Antrag des damaligen Betreuers die weitere Unterbringung des Betroffenen zur Heilbehandlung in einer geschlossenen Einrichtung bis längstens zum 16.06.2012 gemäß § 1906 Abs. 1 Nr. 2 BGB genehmigt. Zwischenzeitlich war der Betroffene wiederholt aus der geschlossenen Einrichtung entwichen. Die neu bestellte Betreuerin hat mit Schriftsatz vom 09.05.2012 erklärt, den vom damaligen Betreuer gestellten Antrag auf Genehmigung der Zwangsmedikation aufrecht zu erhalten (Bl. 380 des Unterbringungsbeihefts).

Der Facharzt für Psychiatrie und Psychotherapie Dr. [...] hat in seiner Stellungnahme vom 21.02.2012 (Bl. 307 f. des Unterbringungsbeihefts) ausgeführt, seit Verlängerung der betreuungsrechtlichen Unterbringung lehne der Betroffene jegliche Medikation ab. In den ersten Wochen sei er dabei freundlich, aber desinteressiert gewesen. Nach Entweichung, Fahndung und Wiederaufnahme gegen seinen Willen sei die wahnhafte Symptomatik stärker handlungsleitend geworden. Der Betroffene sei unruhiger, zeitweise stark bedrohlich und äußere gegenüber einzelnen Mitarbeitern Drohungen bis hin zu Morddrohungen. Gegenwärtig sei wegen der durchgehend vorhandenen Aggressivität über psychopathologische Symptome nicht mehr mit ihm zu reden. Es sei anzunehmen, dass die vorbekannten Motive sich verstärkt hätten. Der Betroffene sei der Meinung, dass ihm ein Chip eingebaut worden sei, der ihn steuere und beeinflusse. Er berichte von Stimmen, die ihn belästigten. Aufgrund der wahnhaften Symptomatik sei es in der Vergangenheit wiederholt zu Bedrohungssituationen und auch zu Handgreiflichkeiten gekommen. Es sei davon auszugehen, dass die wahnhafte Symptomatik unter antipsychotischer Medikation nicht vollständig zu beseitigen sei, eine Medikation jedoch den Einfluss des Wahns auf das Handeln des Betroffenen deutlich soweit mindere, dass er im Sinne einer doppelten Buchführung trotzdem in die Lage versetzt werde, eine gesicherte soziale Existenz zu haben. Ohne Medikation steige unter der wahnhaften Symptomatik der Aggressionsspiegel, so dass nicht nur mit fremdaggressiven Handlungen zu rechnen sei, sondern auch zu befürchten sei, dass er seine Wohnung verliere. Aus psychiatrischer Sicht sei daher im Interesse des Betroffenen eine medikamentöse Behandlung dringend erforderlich. Seine Willensentscheidungen seien gegenwärtig vorwiegend durch die Krankheitssymptome gesteuert und entsprächen nicht einem freien Willen.

Der Facharzt für Psychiatrie und Psychotherapie Dr. [...] hat aufgrund Beschlusses des Amtsgerichts Bremen vom 10.02.2012 (Bl. 304 des Unterbringungsbeihefts) am 12.03.2012 ein fachärztliches Gutachten nach § 321 Abs. 1 FamFG erstattet (Bl. 336 ff. des Unterbringungsbeihefts). Nach seinen Feststellungen leidet der Betroffene unter einer chronisch verlaufenden endogenen Psychose aus dem schizophrenen Formenkreis mit paranoid-halluzinatorischen Formen. Derzeit liege eine akute Exazerbation vor; dabei sei eine ausgeprägte wahnhafte Symptomatik vordergründig und handlungsbestimmend, wodurch es zu fremdaggressiven und in materieller Hinsicht selbstschädigenden Verhaltensweisen komme. Derzeit seien keine suizidalen Tendenzen erkennbar, selbstverletzende Verhaltensweisen bis hin zum Suizid im Krankheitsverlauf akut wahnhafter Psychosen seien aber keinesfalls auszuschließen. Unbehandelt werde die Symptomatik weiter chronifizieren. Die Chronifizierung trage dazu bei, dass das psychosoziale Funktionsniveau des Betroffenen weiter absinke und er immer schlechter rehabilitierbar werde. Bei dem Betroffenen bestehe keinerlei Krankheitseinsicht und keine Behandlungsmotivation zur medizinisch notwendigen konsequenten neuroleptischen Phamakotherapie unter stationären Bedingungen. Bei Nichtdurchführung der medikamentösen Heilbehandlung sei für den Betroffenen mit einem nachhaltigen Schaden für seine Gesundheit zu rechnen. Aus medizinischer Sicht sei die Behandlung des Betroffenen mit antipsychotischen Substanzen auch gegen seinen Willen geboten. Es stehe aus psychiatrischer Sicht fest, dass der Betroffene die Notwendigkeit der Einnahme der neuroleptischen Medikation aufgrund seiner psychotischen Symptomatik nicht einsehen könne und deswegen einwilligungsunfähig sei.

Der Verfahrenspfleger hat mit Schriftsatz vom 08.03.2012 (Bl. 313 des Unterbringungsbeihefts) Stellung genommen und erklärt, eine formelle Ermächtigungsgrundlage für eine Zwangsbehandlung des Betreuten fehle im Betreuungsrecht, so dass eine Zwangsmedikation gegen den Willen des Betroffenen nicht erfolgen könne.

Der Betroffene verweigert weiterhin die medikamentöse Behandlung seiner psychiatrischen Erkrankung. Nach Mitteilungen des Klinikums Bremen-Ost vom 07.05.2012 und der Betreuerin vom 09.05.2012 befindet sich der Betroffene gegenwärtig wieder in der geschlossenen Einrichtung. Ausweislich des Anhörungsvermerks des RAG [...] vom 02.05.2012 (Bl. 379 des Unterbringungsbeihefts) war der Betroffene aufgrund aggressiven Verhaltens zeitweise fixiert.

II.

Aufgrund der vorstehend zitierten ärztlichen Stellungnahmen ist die Kammer davon überzeugt, dass eine Heilbehandlung des Betroffenen durch Vergabe neuroleptischer Medikamente im stationären Rahmen gegen seinen natürlichen Willen dringend erforderlich ist. Ohne eine solche Medikation droht dem Betroffenen nachhaltiger Schaden für seine Gesundheit und seine Teilhabe am sozialen Leben. Der Betroffene ist derzeit krankheitsbedingt nicht in der Lage, der erforderlichen Heilbehandlung zuzustimmen und verfügt zur Überzeugung der Kammer aktuell über keinen freien Willen im Sinne des § 1896 Abs. 1a BGB.

Eine Genehmigung der beantragten Zwangsmedikation im Rahmen der betreuungsrechtlichen Unterbringung unter Aufhebung des Beschlusses vom 20.02.2012 kommt vorliegend allein auf der Grundlage von § 1906 Abs. 1 Nr. 2, Abs. 2 S. 1 BGB in Betracht. Nach § 1906 Abs. 1 Nr. 2 BGB ist eine Unterbringung des Betreuten durch den Betreuer, die mit Freiheitsentziehung verbunden ist, zulässig, solange sie zum Wohl des Betreuten erforderlich ist, weil eine Untersuchung des Gesundheitszustands, eine Heilbehandlung oder ein ärztlicher Eingriff notwendig ist, ohne die Unterbringung des Betreuten nicht durchgeführt werden kann und der Betreute auf Grund einer psychischen Krankheit oder geistigen oder seelischen Behinderung die Notwendigkeit der Unterbringung nicht erkennen oder nicht nach dieser Einsicht handeln kann. Nach Auffassung der Kammer enthält die Vorschrift des § 1906 Abs. 1 Nr. 2 BGB auch eine gesetzliche Ermächtigung zur zwangsweisen Durchsetzung der Behandlung gegen den natürlichen Willen des Betroffenen. Dies entspricht der bisherigen Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs (grundlegend Beschluss vom 01.02.2006 – XII ZB 236/05; ferner Beschluss vom 22.09.2010 – XII ZB 135/10), der sich die vorlegende Kammer insoweit anschließt. Danach umfasst im Rahmen einer genehmigten Unterbringung nach § 1906 Abs. 1 Nr. 2 BGB diese Befugnis ausnahmsweise auch das Recht, erforderlichenfalls einen der ärztlichen Maßnahme entgegenstehenden natürlichen Willen des Betroffenen zu überwinden. Auch wenn § 1906 Abs. 1 Nr. 2 BGB die Zwangsbehandlung nicht ausdrücklich nennt, ergibt sich aus Sinn und Zweck der Norm, dass sie auch die Heilbehandlung unter Überwindung eines entgegenstehenden natürlichen Willen des Betroffenen gestattet. Denn anderenfalls würde der Anwendungsbereich des § 1906 Abs. 1 Nr. 2 BGB von vornherein auf diejenigen Fälle beschränkt, in denen der Betroffene zwar die Notwendigkeit der medizinischen Maßnahme bejaht oder jedenfalls trotz fehlender Behandlungseinsicht keinen entgegenstehenden Willen manifestiert, jedoch nicht die Notwendigkeit der Unterbringung einsieht. Damit aber würde zum einen der tatsächliche Anwendungsbereich des § 1906 Abs. 1 Nr. 2 BGB in einem den Bedürfnissen der Praxis erheblich zuwiderlaufenden Ausmaß eingeschränkt. Zum anderen muss unter Beachtung des Grundrechts auf körperliche Unversehrtheit gemäß Art. 2 Abs. 2 S. 1 GG auch solchen Betroffenen die gebotene medizinische Versorgung zuteil werden können, die krankheitsbedingt nicht die Fähigkeit besitzen, die Notwendigkeit der Behandlung zu erkennen. Die Vorschrift kann deshalb nur sinnvoll dahingehend ausgelegt werden, dass der Betroffene die notwendigen medizinischen Maßnahmen, in die der Betreuer für den Aufgabenkreis der Gesundheitssorge zu seinem Wohl eingewilligt hat und deretwegen der Betroffene untergebracht werden darf, unabhängig von seinem entgegenstehenden natürlichen Willen während der Unterbringung zu dulden hat (vgl. BGH, Beschluss vom 01.02.2006 – XII ZB 236/05, Rn. [24]). Dies entspricht auch dem Willen des Gesetzgebers, der in der Gesetzesbegründung zu § 1906 BGB ausgeführt hat, der Entwurf stelle nicht in Frage, dass „der gesetzliche Vertreter eines Einwilligungsunfähigen grundsätzlich für diesen in eine Untersuchung des Gesundheitszustandes, eine Heilbehandlung oder einen ärztlichen Eingriff einwilligen kann. Nicht einwilligungsfähige Betreute dürfen natürlich auch künftig von solchen Maßnahmen nicht ausgeschlossen werden, da ansonsten ihre gesundheitliche Versorgung und damit letztlich ihr Wohl an ihrer mangelnden Einsichts- oder Urteilsfähigkeit scheitern würde. Aus dem gleichen Grunde werden durch den Entwurf auch Zwangsbehandlungen nicht generell verboten.“ (BT-Drs. 11/4528, S. 71). Diesem Verständnis folgend hat auch die überwiegende tatrichterliche Rechtsprechung in erster und zweiter Instanz in den letzten Jahren die Genehmigung der Zwangsbehandlung von nach Betreuungsrecht untergebrachten Betroffenen stets auf § 1906 Abs. 1 Nr. 2 BGB gestützt. Soweit nach Bekanntwerden der aktuellen Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts zur medizinischen Zwangsbehandlung von Patienten im Maßregelvollzug (Beschlüsse vom 23.03.2011 – 2 BvR 882/09 und vom 12.10.2011 – 2 BvR 633/11) teilweise die abweichende Ansicht vertreten wird, eine formelle Ermächtigungsgrundlage für eine Zwangsbehandlung des Betreuten fehle im Betreuungsrecht (so etwa LG Stuttgart, Beschluss vom 16.02.2012 – 2 T 35/12), folgt dem die Kammer nicht.

III.

Die vorlegende Kammer ist davon überzeugt, dass § 1906 Abs. 1 Nr. 2 BGB insoweit mit dem Grundgesetz nicht vereinbar ist, als die Vorschrift die Untersuchung des Gesundheitszustandes, die Heilbehandlung und ärztliche Eingriffe gegen den natürlichen Willen des Betroffenen zulässt. Die gesetzliche Norm verletzt den Betroffenen in seinem Grundrecht auf körperliche Unversehrtheit gemäß Art. 2 Abs. 2 S. 1 GG in Verbindung mit dem Grundrecht auf effektiven Rechtsschutz aus Art. 19 Abs. 4 GG. Die medizinische Zwangsbehandlung eines Untergebrachten greift in besonders schwerwiegender Weise in dessen Grundrecht auf körperliche Unversehrtheit ein. Die aus dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit sich ergebenden strengen Anforderungen an die Zulässigkeit des Eingriffs sind in § 1906 Abs. 1 Nr. 2, Abs. 2 S. 1 BGB in Verbindung mit §§ 312 ff. FamFG nicht erfüllt.

Zwar regelt § 1906 Abs. 1 Nr. 2 BGB, dass eine Unterbringung zur Heilbehandlung nur dann zulässig ist, wenn der Betroffene krankheitsbedingt die Notwendigkeit der Unterbringung nicht erkennen oder nicht nach dieser Einsicht handeln kann. Ebenfalls enthält die Norm eine Einschränkung der Zulässigkeit dahingehend, dass die Heilbehandlung notwendig sein muss, was logisch die Geeignetheit der Maßnahme voraussetzt. Auch darf die Unterbringung nur „zum Wohl des Betreuten“ erfolgen, was eine Abwägung zwischen dem zu erwartenden Nutzen der Behandlung und den hiermit verbundenen Risiken, mithin eine Angemessenheitsprüfung durch den Rechtsanwender verlangt. Zur Wahrung der Verhältnismäßigkeit ist allerdings weiter unabdingbar, dass die Anordnung und Überwachung einer medikamentösen Zwangsbehandlung durch einen Arzt erfolgt. Ebenfalls gebietet der Verhältnismäßigkeitsgrundsatz, dass der Betroffene ungeachtet seiner Einwilligungsunfähigkeit vor Beginn der Behandlung über deren Inhalt, Zweck und Risiken sowie etwaige Behandlungsalternativen durch einen Arzt informiert wird. § 1906 Abs. 1 Nr. 2 BGB legt jedoch weder einen Arztvorbehalt hinsichtlich der Anordnung und Überwachung der Zwangsbehandlung noch eine Aufklärung des Betroffenen vor Behandlungsbeginn fest. In verfahrensrechtlicher Hinsicht erfordert eine dem Grundrecht auf effektiven Rechtsschutz aus Art. 19 Abs. 4 GG entsprechende Regelung zudem eine konkrete Ankündigung der Zwangsbehandlung, die – außer bei akuten Notfällen – dem Betroffenen die Möglichkeit eröffnet, rechtzeitig Rechtsschutz zu suchen. Die Ankündigung muss dabei in einer Weise konkretisiert sein, die die Wahrung der Verhältnismäßigkeit des Eingriffs sichert und eine hierauf gerichtete gerichtliche Überprüfung ermöglicht. Als Vorwirkung der grundrechtlichen Garantie gerichtlichen Rechtsschutzes ergibt sich ferner die Notwendigkeit, gegen den natürlichen Willen des Betroffenen ergriffene Behandlungsmaßnahmen einschließlich ihres Zwangscharakters, der Durchsetzungsweise, der maßgeblichen Gründe und der Wirkungsüberwachung zu dokumentieren (eingehend dazu die jeweils zum Maßregelvollzug ergangenen Beschlüsse des Bundesverfassungsgerichts vom 23.03.2011 – 2 BvR 882/09 und vom 12.10.2011 – 2 BvR 633/11, auf deren Gründe Bezug genommen wird). Auch wenn in der Praxis die vorgenannten Anforderungen hinsichtlich ärztlicher Beteiligung, Aufklärung und Dokumentation bereits im Hinblick auf die allgemeinen berufs- und zivilrechtlichen Vorgaben häufig erfüllt sein mögen, entspricht § 1906 Abs. 1 Nr. 2 BGB den verfassungsrechtlichen Vorgaben nicht. Denn die Voraussetzungen für die Zulässigkeit des Eingriffs müssen hinreichend klar und bestimmt durch die gesetzliche Ermächtigungsnorm geregelt sein. Gerade bei einem derart schwerwiegenden Grundrechtseingriff wie der Zwangsbehandlung einsichtsunfähiger Personen gewinnt der verfassungsrechtliche Bestimmtheitsgrundsatz besondere Bedeutung. § 1906 Abs. 1 Nr. 2 BGB lässt aber weder für die untergebrachten Betroffenen noch für die zur Normanwendung berufenen Betreuer, Verfahrenspfleger und Entscheidungsträger der Unterbringungseinrichtungen die wesentlichen Voraussetzungen für eine Zwangsbehandlung hinreichend erkennen.

Vor diesem Hintergrund legt die Kammer die Sache dem Bundesverfassungsgericht gemäß Art. 100 Abs. 1 S. 1 GG zur Entscheidung vor (vgl. auch BVerfG, Beschluss vom 15.12.2001 – 2 BvR 2362/11). Die Entscheidung der vorlegenden Kammer über die Beschwerde der Betreuerin hängt von der Gültigkeit des § 1906 Abs. 1 Nr. 2 BGB ab (§ 80 Abs. 2 S. 1 BVerfGG). Die vorlegende Kammer käme im Falle der Gültigkeit des § 1906 Abs. 1 Nr. 2 BGB hinsichtlich der Zulässigkeit einer Zwangsbehandlung gegen den natürlichen Willen des Betroffenen zu einem anderen Ergebnis als im Falle der Ungültigkeit: Im Falle der Gültigkeit wäre der Beschwerde der Betreuerin stattzugeben und unter Aufhebung der erstinstanzlichen Entscheidung die neuroleptische Medikation gegen den natürlichen Willen des Betroffenen nach § 1906 Abs. 2 S. 1 BGB zu genehmigen; im Falle der Ungültigkeit wäre die Beschwerde der Betreuerin zurückzuweisen. Eine andere Rechtsgrundlage, aufgrund derer die vorlegende Kammer die Zwangsmedikation gegen den natürlichen Willen des Betroffenen genehmigen könnte, ist nicht ersichtlich. Insbesondere kommt eine Genehmigung nach § 22 Abs. 4 S. 2 BremPsychKG – ungeachtet der insoweit gleichfalls bestehenden Zweifel an der Vereinbarkeit der gesetzlichen Norm mit dem Grundgesetz – nicht in Betracht, da die Voraussetzungen der §§ 9, 14 BremPsychKG vorliegend nicht erfüllt sind.