Bayerischer VGH, Beschluss vom 23.10.2008 - 10 ZB 07.2665
Fundstelle
openJur 2012, 95328
  • Rkr:
Tenor

I. Die Berufung wird zugelassen, soweit sie sich gegen die Entscheidung des Verwaltungsgerichts München richtet, die Gebührenfestsetzungen im angefochtenen Bescheid des Landratsamts Garmisch-Partenkirchen vom 22. Mai 2006 und im Widerspruchsbescheid der Regierung von Oberbayern vom 8. Dezember 2006 nicht über den in den Nummern II und III des Urteils vom 1. August 2007 erkannten Umfang hinaus aufzuheben.

II. Im Übrigen wird der Antrag auf Zulassung der Berufung abgelehnt.

III. Der Kläger trägt 19/20 der Kosten des Zulassungsverfahrens. Die Entscheidung über das verbleibende 1/20 der Kosten des Zulassungsverfahrens folgt der Kostenentscheidung im Berufungsverfahren.

IV. Der Streitwert für das Zulassungsverfahren wird auf 5.125 Euro festgesetzt; der auf die zugelassene Berufung entfallende Anteil beträgt 125 Euro.

Gründe

I.

Der Kläger meldete im Februar 2006 als Gesamtverantwortlicher verschiedene Versammlungen in M. am 27. und 28. Mai 2006 an. Nach Durchführung von Kooperationsgesprächen erließ das zuständige Landratsamts am 22. Mai 2006 einen Bescheid, mit dem es die Anmeldungen des Klägers unter bestimmten Maßgaben und Auflagen bestätigte. Für den Bescheid wurden eine Gebühr von 150 € und Auslagen von 5,60 € festgesetzt.

Am 27. und 28. Mai 2006 fanden die geplanten Versammlungen statt.

Am 20. Juni 2006 ließ der Kläger gegen den Bescheid des Landratsamts Widerspruch einlegen, der am 8. Dezember 2006 im Wesentlichen als unzulässig zurückwiesen wurde, da sich die Hauptsache zwischenzeitlich erledigt hatte. Für den Widerspruchsbescheid wurde eine Gebühr von 225 € festgesetzt.

Mit seiner Klage vom 15. Januar 2007 begehrte der Kläger die Feststellung der Rechtswidrigkeit aller im Bescheid genannten Auflagen und wandte sich gegen die Gebührenerhebungen im Bescheid und im Widerspruchsbescheid.

Das Verwaltungsgericht München stellte im Urteil vom 1. August 2007 fest, dass die in Nummer I des Urteils genannten Auflagen im Bescheid des Landratsamts vom 22. Mai 2006 rechtswidrig seien und setzte in den Nummern II und III die Gebühren für die angefochtenen Bescheide auf 50 € bzw. 75 € herab. Im Übrigen wies es die Klage ab.

Soweit sich der Kläger dagegen gewandt hatte, dass durch eine Auflage die Route der Demonstration 1 verlegt wurde, verwies das Verwaltungsgericht darauf, dass zum Zeitpunkt des Erlasses des angefochtenen Bescheides ein überwiegendes Interesse an der Verlegung der Route bestanden habe. Anlässlich einer Demonstration im Vorjahr sei es zu ehrverletzenden Äußerungen gegenüber einem Gemeindebürger gekommen. Im maßgeblichen Zeitpunkt sei noch ein Strafverfahren gegen den damaligen Versammlungsleiter anhängig gewesen. Im Hinblick auf das allgemeine Persönlichkeitsrecht des Gemeindebürgers sei die Verlegung der vom Kläger geplanten Route nicht zu beanstanden gewesen. Auch die Festsetzung von Ordnern durch Auflagen begegne keinen rechtlichen Bedenken. Dies sei generell zulässig und bei größeren Veranstaltungen unverzichtbar.

Soweit sich der Kläger gegen die Festsetzung von Kosten für die erlassenen Bescheide wende, habe er nur teilweise Erfolg. Bei versammlungsrechtlichen Auflagen sei ein Gebührenrahmen vorgesehen, wobei sich die Kostenhöhe im Einzelfall nach dem Verwaltungsaufwand richte. Nachdem das Gericht festgestellt habe, dass die Auflagen teilweise rechtswidrig waren, sei im Hinblick auf die verbleibenden Auflagen die im Urteil getroffene Festsetzung der Kostenhöhe angemessen. Eine Aufhebung der Kostenentscheidungen habe nicht erfolgen können, da der Kläger als Anmelder den Erlass der Auflagen veranlasst habe.

Mit seinem Zulassungsantrag begehrt der Kläger, die Berufung insoweit zuzulassen, als das Verwaltungsgericht seine Klage abgewiesen hat. Es bestünden ernstliche Zweifel an der Entscheidung zur Gebührenfestsetzung. Diese verstoße gegen Art. 8 Abs. 1 GG. Insoweit habe die Sache auch grundsätzliche Bedeutung. Zudem weiche das angefochtene Urteil von der Rechtsprechung des Oberverwaltungsgerichts Rheinland-Pfalz im Urteil vom 16. Mai 2006 ab.

Hinsichtlich der Routenänderung bestünden ebenfalls ernstliche Zweifel an der Richtigkeit des Urteils. Das Verwaltungsgericht habe verkannt, dass in dem anlässlich der Demonstration im Vorjahr vorgelesenen Text gerade keine ehrverletzenden Äußerungen enthalten gewesen seien. Der Bericht der Polizei, auf den die angefochtene Auflage gestützt worden sei, sei nachweislich falsch und könne deshalb eine Gefahrenprognose nicht begründen. Zudem sei der im Strafverfahren verdächtigte Demonstrationsteilnehmer freigesprochen worden. Es sei unerheblich, dass diese Tatsache dem Verwaltungsgericht zum Zeitpunkt seiner Entscheidung nicht bekannt gewesen sei.

Hinsichtlich der Auflage, Ordner zu benennen. sei die Auffassung des Verwaltungsgerichts, die Festsetzung von Ordnern sei generell zulässig, falsch. Vielmehr müssten konkrete Umstände erkennbar sein, dass die Durchführung des Aufzuges ohne Ordner zu einer unmittelbaren Gefährdung der Sicherheit und Ordnung führen würde. Vom Verwaltungsgericht München sei aber keine konkrete Gefahr dargetan worden. Bei der streitbefangenen Versammlung habe es sich auch nicht um eine große Versammlung gehandelt. Hinzu komme, dass der Einsatz von Ordnern ein Recht des Versammlungsleiters sei und die Polizei die Verwendung von Ordnern nicht anordnen dürfe. Im Übrigen sei die Demonstration ohnehin von einer die Teilnehmerzahl weit übersteigenden Anzahl von Polizisten im Spalier begleitet worden. Die Demonstration sei friedlich und ohne Zwischenfälle verlaufen. Eigene Ordner seien überflüssig gewesen. Im Hinblick auf ein zu Unrecht eingeleitetes Strafverfahren durch die Polizei wegen der geforderten namentlichen Benennung der Ordner sei davon auszugehen, dass die im Bescheid festgesetzten Auflagen nicht der Abwehr einer Gefahr gedient hätten, sondern der Gängelung und späteren strafrechtlichen Verfolgung der Versammlungsanmelder.

Der Beklagte beantragt die Ablehnung des Antrags. Auf sein Vorbringen im Schriftsatz vom 21. November 2007 wird verwiesen.

Hinsichtlich der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts wird auf die Gerichtsakten sowie die vorgelegten Akten der Verwaltungsbehörden Bezug genommen.

II.

Die Berufung gegen das Urteil des Bayerischen Verwaltungsgerichts München vom 1. August 2007 ist in dem aus dem Tenor ersichtlichen Umfang zuzulassen, weil insoweit die Voraussetzungen des § 124 Abs. 2 Nr. 1 VwGO vorliegen.

Es bestehen ernstliche Zweifel an der Richtigkeit des angefochtenen Urteils, soweit das Verwaltungsgericht die Rechtmäßigkeit der Festsetzung von Kosten für versammlungsrechtliche Bescheide generell bejaht hat und der Auffassung war, die Kostenhöhe richte sich im Einzelfall nach dem Verwaltungsaufwand. Demgegenüber hat das Bundesverfassungsgericht in seinem Urteil vom 25. Oktober 2007 (BayVBl 2008, 497 = NVwZ 2008, 414) entschieden, dass im Hinblick auf den Schutz des Art. 8 GG die bloße Verursachung der Amtshandlung durch Anmeldung oder Durchführung einer Versammlung nicht für eine Gebührenerhebung ausreiche und allenfalls dann eine Gebühr erhoben werden dürfe, wenn sie für eine versammlungsrechtlich begründete Amtshandlung vorgesehen sei, die an die Verursachung einer dem Betroffenen zuzurechnenden konkreten Gefahr für die öffentliche Sicherheit und Ordnung anknüpfe.

Der Antrag auf Zulassung der Berufung war abzulehnen, soweit sich der Kläger gegen die Routenänderung im Bescheid vom 22. Mai 2006 wendet. Art. 8 Abs. 1 GG gewährleistet das Recht, Versammlungen unter freien Himmel zu veranstalten und durchzuführen. Art. 8 GG gewährleistet das Recht, Versammlungen zu veranstalten und durchzuführen. Das Selbstbestimmungsrecht des Veranstalters über Gegenstand, Zeitpunkt und Ort der Versammlung ist beschränkt, soweit seine Ausübung zur Kollision mit Rechtsgütern anderer führt. In einem solchen Fall kann praktische Konkordanz beim Rechtsgüterschutz auch dadurch hergestellt werden, dass die Modalitäten der Versammlungsdurchführung durch Auflagen verändert werden. (vgl. BVerfG vom 2.12.2005, 1 BvQ 35/05, juris Rd.Nr. 27). Insoweit hat das Verwaltungsgericht zu Recht dargelegt, dass im Zeitpunkt des Bescheiderlasses, in dem die erforderliche Gefahrenprognose zu treffen ist, von einer unmittelbaren Gefahr für die öffentliche Sicherheit und einem überwiegenden Interesse des in der G. wohnenden Gemeindebürgers ausgegangen werden konnte, den Aufzug des Klägers nicht über diese Straße ziehen zu lassen. Um den Betroffenen, der von den Versammlungsteilnehmern verdächtigt wird, im Zweiten Weltkrieg an einem Massaker der Wehrmacht in Kemmeno in Griechenland teilgenommen zu haben, obwohl er nach den unwidersprochen gebliebenen Erkenntnissen der Polizei zum Zeitpunkt des Massakers im August 1943 an einem Fahnenjunkerlehrgang in Deutschland teilnahm, vor erneuten Diffamierungen und Einschüchterungen zu schützen, konnte in rechtlich nicht zu beanstandender Weise die streitgegenständliche Auflage verfügt werden. Das Landratsamt konnte sich bei seiner Einschätzung auf Polizeiberichte über die Veranstaltung im Vorjahr stützen. Anlässlich einer Zwischenkundgebung vor dem Wohnhaus wurde damals der Gemeindebürger als Mörder und Kriegsverbrecher beschimpft und entsprechende Texte auf die Straße vor seinem Wohnhaus geschrieben. Nachdem die Veranstalter der Versammlung in den Kooperationsgesprächen auf der Route durch die G. beharrten, lag der Verdacht nahe, dass, auch wenn behauptet wurde, man wolle im Jahr 2006 keine Zwischenstation vor dem Anwesen des betroffenen Gemeindebürgers machen, dennoch beim Vorbeizug an dessen Haus erneut Vorwürfe gegen diesen laut würden, die den Tatbestand der üblen Nachrede oder der Verleumdung erfüllen. Die vom Kläger selbst vorgelegte Abschrift des vor dem Haus des betroffenen Gemeindebürgers im Jahr 2005 gehaltenen Redebeitrags und der Äußerungen der Versammlungsteilnehmer erhärten diesen Verdacht. Insbesondere die Äußerungen der Versammlungsteilnehmer beinhalten nicht eine im Rahmen des Art. 5 GG geschützte Meinungskundgabe, sondern erweisen sich als Straftatbestände. Dass der Strafbefehl gegen den damaligen Versammlungsleiter später aufgehoben und der Angeklagte freigesprochen worden ist, ist ausweislich des Urteils des Amtsgerichts Garmisch-Partenkirchen vom 28. Juni 2006 nur erfolgt, weil der Angeklagte zu dem Zeitpunkt, zu dem sich die Versammlung beim Anwesen des Gemeindebürgers befand, nicht anwesend war und er deshalb ungeachtet seiner bestehenden Garantenpflicht keine Möglichkeit hatte, den Vorfall zu unterbinden. In diesem Zusammenhang weist der Senat darauf hin, dass der Kläger durchaus das Recht hat, im Rahmen einer Versammlung auf Kriegsverbrechen hinzuweisen und darauf hinzuwirken, daran beteiligte Personen einer Bestrafung zuzuführen. Jedoch darf das nicht unter Verletzung des Persönlichkeitsrechts der Betroffenen geschehen. Direkte Angriffe auf die Menschenwürde des Gemeindebürgers, wie sie in den Äußerungen der Versammlungsteilnehmer im Jahr 2005 enthalten sind, sind nach Ansicht des Senats von der Meinungsfreiheit nicht mehr gedeckt. Entgegen der Auffassung des Klägers hat hier das Versammlungsrecht hinter dem Persönlichkeitsrecht des Einzelnen zurückzutreten. Im Übrigen ist das Versammlungsrecht durch die verfügte Auflage nur geringfügig beschränkt worden, denn der Versammlungszweck wurde nicht beeinträchtigt. Durch die Auflage ist lediglich eine unbedeutende örtliche Verlegung erfolgt, die die Versammlung nicht daran hinderte, ihre Meinung kundzutun. Lediglich eine Konfrontation mit dem Gemeindebürger, die zu ehrverletzenden Äußerungen ihm gegenüber hätte führen können, wurde damit unterbunden.

Das Verwaltungsgericht hat im angefochtenen Urteil auch zu Recht keine Bedenken gegen die Verpflichtung des Klägers geäußert, je 25 Versammlungsteilnehmer einen Ordner einzusetzen. Der Kläger selbst ging in seinem Widerspruch vom 14. Juli 2006 davon aus, dass ein Ordner je 50 Teilnehmer angemessen sei. Entgegen seiner Auffassung handelte es sich aber nicht um eine nur „kleine“ Versammlung, denn entsprechend der Anmeldungsliste (Anlage 1 zum Bescheid vom 22.5.2006 sowie Anmeldung der Versammlung durch den Klägerbevollmächtigten vom 11.4.2006) sollten immerhin ca. 300 Teilnehmer bei den Aufzügen mitmarschieren und dann zur Hauptdemonstration am Obermarkt anwesend sein. Bei einer solchen Teilnehmerzahl hält auch der Senat die Verwendung von Ordnern für erforderlich. Wenn der Kläger vorträgt, die Ordner seien deshalb nicht erforderlich gewesen, weil die Demonstration ohnehin von einer großen Anzahl von Polizisten begleitet worden sei, so schließt dies eine Ordnerbestellung nicht aus. Aufgabe der Polizei ist es zwar, die öffentliche Sicherheit aufrechtzuerhalten, soweit von außen auf die Versammlung eingewirkt werden soll oder auch Straftaten, die anlässlich der Versammlung begangen werden, zu verfolgen. Es ist aber nicht Aufgabe der Polizei, für eine ordnungsgemäße Durchführung der Versammlung zu sorgen. Vielmehr liegt dies gemäß § 18 Abs. 1 i.V.m. § 8 Satz 2 VersG im Verantwortungsbereich des Versammlungsleiters, der aber die Versammlung, wenn sie wie hier aus verschiedenen Umzügen besteht, die sich auf unterschiedlichen Routen bewegen, nicht allein überwachen kann. Gerade in einem solchen Fall ist die Bestellung und Einweisung einer ausreichenden Zahl von Ordnern unabdingbar (vgl. BVerfG vom 14.07.2000 1 BvR 1245/00, juris RdNrn. 27 und 28). Die Einschätzung des Landratsamts, dass je 25 Teilnehmer ein Ordner erforderlich ist, hält sich im üblichen Rahmen. Gerade bei Aufzügen, die sich entsprechend in die Länge ziehen, ist diese Ordnerzahl gerechtfertigt. Wenn, wie im vorliegenden Fall, zu der sog. „Demonstration 1“ ca. 100 und zu der sog. „Demonstration 2“ jeweils 100 bzw. 150 Teilnehmer sowie zu der gleichzeitig stattfindenden Fahrrad-Demo ca. 30 Teilnehmer angekündigt wurden und damit für jede einzelne Veranstaltung entsprechend der angefochtenen Auflage vier, sechs und zwei Ordner zu bestellen waren, also insgesamt 12 Ordner bei 300 Versammlungsteilnehmern, erscheint dies verhältnismäßig. Das Landratsamt hat nach Auffassung des Senats seinen Entscheidungsspielraum insoweit nicht überschritten. Soweit in diesem Zusammenhang auf das Vorgehen der Polizei Bezug genommen wurde und der Kläger sich dagegen wendet, dass deshalb ein Strafverfahren gegen einen Beteiligten eingeleitet worden sei, betrifft dies nicht die im Bescheid festgesetzten und vom Verwaltungsgericht überprüften Auflagen des Landratsamts und ist damit nicht Gegenstand dieses Zulassungsverfahrens.

Die Kostenentscheidung bezüglich des abgelehnten Antrags beruht auf § 154 Abs. 2 VwGO. Die Festsetzung des Streitwerts ergibt sich aus § 52 Abs. 2 und 3, § 47 GKG.

Das Urteil des Bayerischen Verwaltungsgerichts München vom 1. August 2007 ist, soweit die Berufung nicht zugelassen wurde, rechtskräftig (§ 124 a Abs. 5 Satz 4 VwGO).