OVG Nordrhein-Westfalen, Urteil vom 15.04.1997 - 6 A 726/94
Fundstelle
openJur 2012, 76421
  • Rkr:
Tenor

Die Berufung wird auf Kosten des Be-klagten zurückgewiesen.

Die Kostenentscheidung ist vorläufig vollstreckbar.

Der Beklagte darf die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung oder Hin-terlegung in Höhe des Vollstreckungs-betrages abwenden, wenn nicht der Kläger vor der Vollstreckung in der-selben Höhe Sicherheit leistet.

Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand

Der am 20. Februar 19 geborene Kläger steht als Polizeivollzugsbeamter im Dienste des Beklagten und wurde seit 19

bei dem Polizeipräsidenten C. zunächst im Posten und Streifendienst, seit 6. Februar 19 im Bezirks und Ermittlungsdienst und seit August 19 aus gesundheitlichen Gründen in der Haussicherung des Landesbehördenhauses (Polizeipräsidium) eingesetzt. Ihm wurde 19 die Eigenschaft eines Beamten auf Lebenszeit verliehen; zum Polizeiobermeister wurde er 19 befördert.

Der Kläger wurde im Juni 19 auf seine Polizeidienstfähigkeit untersucht. Der Polizeiarzt des Polizeipräsidenten C. , Regierungsmedizinaldirektor Dr. med. I. , stellte in seinem Gutachten vom 23. Juni 1. fest, der Kläger leide an einer Störung des Insulinstoffwechsels. Seine Verwendungsfähigkeit sei zur Zeit stark eingeschränkt. Hieraus resultiere eine vorübergehende Polizeidienstunfähigkeit, die sich möglicherweise innerhalb einer angemessenen Frist wieder beseitigen lasse. Daraufhin wies der Polizeipräsident C. den Kläger dem Schutzbereich I zur Verwendung in der Haussicherung zu. Dort wurde der Kläger wechselnd im Früh- und Spätdienst eingesetzt.

Durch Bescheid des Versorgungsamtes L. vom 27. Februar 1. wurde der Kläger als Schwerbehinderter mit einem Grad der Minderung der Erwerbsfähigkeit von 50 % anerkannt. Nach seinen Angaben hat er den Schwerbehindertenausweis nach 5 Jahren nicht mehr verlängern lassen.

Nachdem es bis 1. erneut zu krankheitsbedingten Fehlzeiten des Klägers gekommen war, unterrichtete der Polizeipräsident C. den Kläger mit Schreiben vom 22. März 1. , daß Dr. I. beauftragt worden sei, seine Polizeidienstfähigkeit zu überprüfen. Dr. I. führte in seinem Gutachten vom 21. April 1. unter anderem aus, der Kläger leide seit acht Jahren zunächst an einer Störung des Insulinstoffwechsels, aus der in den letzten drei Jahren ein manifester Diabetes mellitus geworden sei. Nach mehreren stationären Aufenthalten sei es zunächst zu einer deutlichen Besserung des Diabetes gekommen. Als diätetische Maßnahmen nicht mehr ausgereicht hätten, sei der Patient auf ein orales Diabetikum eingestellt worden. Dieses habe nach zwei Jahren keine Wirkung mehr gezeigt. Eine weitere Schulung in der Diabetesklinik in Bad O. habe keine entscheidende Beeinflussung des sich bedrohlich entwickelnden Krankheitsbildes gebracht. Auch eine Versetzung in den Innendienst habe die Stoffwechselstörung nicht günstig beeinflussen können. Da der Kläger einen insulinpflichtigen Diabetes mellitus aufweise, sei aus seiner Sicht eine weitere Verwendung im Polizeidienst kaum vertretbar. Die Erkrankung setze zwingend eine konsequente, diätetisch optimale Ernährung voraus, die unter dem normalen Arbeitsalltag kaum einzuhalten sei. In diesem Zusammenhang scheine auch die Kooperation des Patienten sicherlich nicht immer gegeben zu sein. Ganz besonders auffallend sei die alkoholische Anamnese des Patienten. Es könne nicht davon ausgegangen werden, daß der Kläger sich an die Anweisungen seiner behandelnden Ärzte halte. Unter Berücksichtigung dieser Befunde bestehe Polizeidienstunfähigkeit gemäß § 194 Landesbeamtengesetz (LBG). Darüber hinaus sei der Kläger auch dienstunfähig im Sinne des § 45 LBG. Eine Verwendung im Dienst der allgemeinen und inneren Verwaltung sei ärztlicherseits nicht möglich.

Mit Schreiben vom 28. April 1. zugestellt durch Niederlegung am 3. Mai 1. teilte der Polizeipräsident C. dem Kläger das Ergebnis der ärztlichen Untersuchung und seine Absicht mit, ihn gemäß §§ 45, 47, 50 und 194 LBG vorzeitig in den Ruhestand zu versetzen. Hiergegen erhob der Kläger keine Einwendungen.

Unter dem 15. Juni 1. erklärte sich der Personalrat mit der beabsichtigten Maßnahme einverstanden. Auch der Vertrauensmann der Schwerbehinderten erklärte unter dem 9. Juni 1. , gegen die beabsichtigte Maßnahme bestünden aus der Sicht der Schwerbehindertenvertretung keine Bedenken. Die Hauptfürsorgestelle erhob ebenfalls keine Bedenken.

Mit Bescheid vom 20. Juni 1. versetzte der Polizeipräsident C. den Kläger gemäß §§ 45, 47, 50 und 194 LBG mit Ablauf des 30. September 1. vorzeitig in den Ruhestand. Zur Begründung bezog er sich auf die Ausführungen von Dr. I. in seinem Gutachten vom 21. April 1. . Mit Schreiben vom 9. Juli 1. legte der Kläger Widerspruch ein. Mit Bescheid vom 24. August 1. ordnete der Polizeipräsident C. die sofortige Vollziehung der Verfügung an; hiergegen suchte der Kläger um vorläufigen Rechtsschutz nach. Mit Beschluß vom 31. Oktober 1. 19 L 1366/89 lehnte das Verwaltungsgericht den Antrag des Klägers auf Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung seines Widerspruches ab.

Unter dem 21. September 1. nahm Dr. I. erneut zur Polizeidienstfähigkeit des Klägers Stellung und führte im wesentlichen aus, der Grund dafür, daß der Diabetes mellitus des Klägers unkontrollierbar sei, liege sicherlich darin, daß der Kläger sich u.a. nicht an die Diätvorschriften gehalten habe. Unter dem 11. Januar 1. nahm Dr. I. nochmals zur Polizeidienst- und Dienstfähigkeit des Klägers Stellung, indem er ausführte, der Kläger sei nur mit großen Bedenken im allgemeinen Verwaltungsdienst verwendbar. Prognose sei, insbesondere die Zuckererkrankung werde sich schlecht entwickeln. Eine weitere Dienstausübung sei für den Kläger mit großen Gefahren verbunden. Weiterhin müßten auch die Begleiterscheinungen der Zuckererkrankung, wie zum Beispiel die Veränderung der Arterien im Sinne einer Verkalkung, beachtet werden. Die vorzeitige Zurruhesetzung sehe er als eine gesundheitliche Präventivmaßnahme zum Wohl des Klägers an. Aus seiner Sicht könne er seine Übernahme in den allgemeinen, nichttechnischen Verwaltungsdienst nicht befürworten.

Mit Widerspruchsbescheid vom 26. Januar 1. wies der Regierungspräsident L. den Widerspruch des Klägers zurück. Zur Begründung führte er aus, die vorzeitige Versetzung in den Ruhestand sei rechtmäßig, da der Kläger nach Einschätzung des Polizeiarztes Dr. I. polizeidienstunfähig und allgemein dienstunfähig sei. Wie seine Krankenzeiten in der Vergangenheit belegten, sei eine Verwendung im Polizeivollzugsdienst ohne häufige Unterbrechungen nicht mehr möglich. Seine vorzeitige Versetzung in den Ruhestand sei aber nicht nur aus dienstlichen, sondern auch aus fürsorglichen Gründen zwingend geboten. Da nach Prognose des Polizeiarztes sich seine gesundheitliche Situation schlecht entwickeln werde, sei seine weitere Verwendung, auch im allgemeinen Verwaltungsdienst, mit erheblichen Gefahren für seine Gesundheit verbunden.

Mit seiner Klage hat der Kläger vorgebracht, seine Versetzung in den Ruhestand sei sachlich nicht gerechtfertigt. Das Gutachten von Dr. I. lasse außer acht, daß er bereits seit ca. acht Jahren an dieser Stoffwechselstörung leide und daß er während dieses Zeitraumes seinen dienstlichen Verpflichtungen ohne Beanstandung nachgekommen sei. Der Hinweis von Dr. I. , daß seine Erkrankung zwingend eine konsequente diätetische optimale Ernährung voraussetze, die unter dem normalen Arbeitsalltag kaum einzuhalten sei, sei nicht nachvollziehbar. Sehr viele Menschen litten an dieser Krankheit und nähmen doch in jeder Form am Arbeitsalltag teil. So seien auch beim Polizeipräsidenten C. ca. 50 Diabetiker tätig. Auch diese Beamten fielen ein- oder zweimal im Jahr aus, da sie ihre Blutzuckerwerte einstellen müßten. Auch seine Fehlzeiten seien zunächst darauf zurückzuführen, daß er sich in den letzten beiden Jahren jeweils einer vierwöchigen Kur habe unterziehen müssen, um seine Blutzuckerwerte einstellen zu lassen. Darüber hinaus habe er sich ein Bronchialleiden zugezogen, dessen Behandlung erhebliche Zeit in Anspruch genommen habe. Die Schädigung an den Bronchien sei zwischenzeitlich jedoch ausgeheilt.

Der Kläger hat beantragt,

den Bescheid des Polizeipräsidenten C. vom 20. Juni 1. und den Widerspruchsbescheid des Regierungspräsidenten L. vom 26. Januar 1. aufzuheben.

Der Beklagte hat beantragt,

die Klage abzuweisen.

Zur Begründung hat er auf seine Ausführungen im Widerspruchsbescheid und seinen Sachvortrag im Verfahren 19 L 1366/89 VG L. verwiesen.

Das Verwaltungsgericht hat mit Beschluß vom 21. Dezember 1992 Beweis erhoben zu den Fragen, welche Krankheiten, Gebrechen oder Schwächen der körperlichen Kräfte bei dem Kläger zum Zeitpunkt der Versetzung in den Ruhestand am 30. September 1. bestanden und welche Behinderungen und Einschränkungen sich nach ärztlicher Beurteilung seinerzeit aus den Gesundheitsstörungen für die körperliche Leistungsfähigkeit des Klägers für eine Tätigkeit als Beamter im Dienst der allgemeinen Verwaltung ergaben, durch Einholung eines Sachverständigengutachtens des Regierungsmedizinaldirektors a. D. Dr. med. C. /C. . Der Sachverständige kam in seinem Gutachten vom 3. August 1. zu dem Ergebnis, die im einzelnen festgestellten Erkrankungen bedingten keine Behinderung oder Einschränkungen für die körperliche Leistungsfähigkeit des Klägers bei einer Tätigkeit als Beamter im Dienst der allgemeinen Verwaltung.

Das Verwaltungsgericht hat hiernach der Klage durch das angefochtene Urteil stattgegeben und zur Begründung im wesentlichen ausgeführt, die streitigen Bescheide seien rechtswidrig. Maßgeblicher Zeitpunkt für die Rechtmäßigkeit der vorzeitigen Versetzung des Klägers in den Ruhestand sei der Ablauf des 30. September 1. , da dann die Maßnahme habe wirksam werden sollen. Geregelt sei die Versetzung eines polizeidienstunfähigen Polizeibeamten in den vorzeitigen Ruhestand in §§ 45 Abs. 1, 194 Abs. 1 und 3 LBG. Sei ein Polizeivollzugsbeamter zwar polizeidienstunfähig i.S. des § 194 Abs. 1 LBG, jedoch dienstfähig i.S. des § 45 Abs. 1 LBG, so solle er gemäß § 194 Abs. 3 LBG, falls nicht zwingende dienstliche Gründe entgegenstünden, bei Erfüllung weiterer Voraussetzungen in ein Amt einer anderen Laufbahn versetzt werden. Erst wenn sich die durch § 194 Abs. 3 LBG vorgegebenen Möglichkeiten nicht realisieren ließen, sei der polizeidienstunfähige Polizeivollzugsbeamte in den Ruhestand zu versetzen. Die Kammer teile zwar die Bedenken des Polizeipräsidenten C. hinsichtlich der Polizeidienstfähigkeit des Klägers, die angefochtenen Bescheide seien aber schon deswegen rechtswidrig, weil die in ihnen getroffene Feststellung, der Kläger sei auch für die Versetzung in ein Amt einer anderen Laufbahn gesundheitlich nicht geeignet, nicht zutreffend sei. Aufgrund des Gutachtens des Sachverständigen Dr. C. stehe zur Überzeugung der Kammer fest, daß der Kläger nicht dienstunfähig i.S. des § 45 Abs. 1 LBG sei. Der Polizeiarzt Dr. I. sei in seinen Gutachten vom 21. April 1. , vom 21. September 1. und vom 11. Januar 1. zu der Feststellung gelangt, der Kläger sei nur mit großen Bedenken im allgemeinen Verwaltungsdienst verwendbar. Er habe dies ausschließlich mit der Erkrankung an Diabetes mellitus Typ II begründet; auf die übrigen von ihm diagnostizierten Erkrankungen sei der Polizeiarzt nicht eingegangen, da sie für die Beurteilung der Dienstfähigkeit von untergeordneter Bedeutung seien. Die Einschätzung durch Dr. I. , der Kläger sei wegen der Erkrankung an Diabetes mellitus Typ II allgemein dienstunfähig, halte einer gerichtlichen Überprüfung nicht stand. Die Einschätzung des Gewichts dieser Erkrankung durch den Sachverständigen, daß es sich zu Ende September 1. um einen leichten, mit Diät einstellbaren Diabetes gehandelt habe, werde durch Entlassungsberichte der Kurklinik Dr. W. vom 5. Oktober 1. und vom 11. November 1. sowie durch Berichte der Klinik Haus X. vom 28. November 1. und vom 10. Oktober 1. gestützt. Die Annahme des Polizeiarztes Dr. I. , es liege ein schwerer schlecht einstellbarer Diabetes vor, beruhe nach Auffassung des Sachverständigen zum einen darauf, daß der Kläger zum damaligen Zeitpunkt offenbar selbst Wert auf die Feststellung der "Insulinbedürftigkeit" (z.B. wegen des Erwerbs des Schwerbehindertenausweises) gelegt habe, sowie zum anderen darauf, daß die Berichte des Hausarztes des Klägers, Dr. V. , die der Polizeiarzt seinem Gutachten zugrunde gelegt habe, möglicherweise nicht zutreffend gewesen seien. Eine Überprüfung sei dem Sachverständigen allerdings nicht möglich gewesen, weil der Hausarzt die von ihm erhobenen Leberwerte nicht vorgelegt habe. Ein offener Widerspruch bestehe zwischen einer ärztlichen Bescheinigung von Dr. V. vom 15. Dezember 1. (schwer einstellbarer insulinpflichtiger Diabetes mellitus) und dem kurz zuvor erstellten Bericht der Klinik Haus X. vom 28. November 1. mit der Feststellung, eine medikamentöse Behandlung sei nicht erforderlich. Auch zeige sich am Beispiel der Bescheinigung des Hausarztes vom 26. Juni 1. , daß der Polizeiarzt die Angabe "stärkere Durchblutungsstörungen, ausgelöst durch ein vertebrobasilares Syndrom" als Durchblutungsstörung durch diabetische Gefäßveränderung mißverstanden habe. Der Sachverständige habe seine Feststellung weiterhin auf das Ergebnis der eigenen Untersuchung vom 8. Juli 1. gestützt, die nur einen leichten, diätpflichtigen Diabetes erbracht habe. Der Schluß hieraus auf den Zustand am 30. September 1. sei tragfähig, weil es ganz ungewöhnlich sei, daß ein vorher schlecht einstellbarer, insulinbedürftiger Diabetes nur durch eine Pensionierung in einen nur durch Diät einstellbaren Diabetes übergehe. Auch zu den vom Polizeiarzt befürchteten Folgeerkrankungen des Diabetes sei es nicht gekommen. Nach dem hiernach vom Sachverständigen festgestellten Gewicht der Erkrankung an Diabetes mellitus sei seine Folgerung, der Kläger sei zum 30. September 1. allgemein dienstfähig gewesen, schlüssig.

Mit seiner Berufung bringt der Beklagte im wesentlichen vor, der Sachverständige habe in seinem Gutachten eine Vielzahl von Daten, Laborwerten und Aussagen aus den ihm zur Verfügung stehenden Unterlagen angeführt, die aber das klinische und psychovegetative Bild des Klägers nicht real wiedergäben. Die Dienstfähigkeit des Klägers könne nicht allein an laborchemischen und klinischen Parametern gemessen worden, sondern auch die Vorgeschichte und die Lebensweise des Patienten müsse berücksichtigt werden. Der Kläger sei mit Wirkung vom 15. August 1. (richtig: 1. ) aus gesundheitlichen Gründen in den Innendienst des Schutzbereichs I versetzt worden, weil er nach eigener Bestätigung keinen Außendienst habe versehen können und dies auch durch das polizeiärztliche Gutachten des Dr. I. vom 23. Juni 1. belegt worden sei. Auf Bitten des Klägers sei insbesondere auf die alkoholische Anamnese nur am Rande eingegangen worden, um die diskriminierende Wirkung auf ein Minimum zu reduzieren. Auch nachdem der Kläger im Innendienst eingesetzt worden sei, habe es weiterhin erhebliche Ausfallzeiten gegeben. Selbst eine für ihn speziell in der Kantine des Polizeipräsidenten L. zubereitete Diabetes-Diät sei für ihn nicht akzeptabel gewesen. Zu den im Gutachten von Dr. C. angegebenen Zucker- und Leberwerten dränge sich der Verdacht auf, diese seien so gut ausgefallen, weil der Kläger über Wochen Zeit gehabt habe, sich auf die Untersuchung vorzubereiten, insbesondere nachdem er den ersten Untersuchungstermin abgesagt habe. Zu den Feststellungen von Dr. C. sei im einzelnen zu bemerken:

1. Der Gutachter bestätige eine Zuckererkrankung vom Typ II, zwar gut einstellbar, ambulant fraglich, zeitweise mit mehr oder weniger gutem Erfolg. Auch für eine optimale Einstellung der Blutzuckerwerte sei nach Ansicht des Gutachters eine einwandfreie alkohol- und fettarme, kohlehydratarme Kost erforderlich. Die Einsicht hierzu läge beim Kläger nach seiner Krankenvorgeschichte und seiner Lebensweise nicht vor. Die Zuckerwerte seien zuletzt so schwankend gewesen, daß jährlich eine neue Zuckerbeschulung im Rahmen eines stationären Heilverfahrens erforderlich gewesen sei.

2. Seit 1985 seien Leberwerterhöhungen nachweisbar, die sicherlich im Zusammenhang mit einer alkoholbedingten Fettleber stünden; auch der Gutachter bestätige dies und schließe eine infektiöse Grundlage aus. Der Kläger habe zwar angegeben, er konsumiere nur mäßig Alkohol. Als Diabetiker dürfe er aber überhaupt keinen Alkohol trinken. Die Leberfermente sprächen zudem dafür, daß er in erheblichem Maße Alkohol zu sich genommen habe. Seine Lebensweise habe sich auch seit der vorzeitigen Versetzung in den Ruhestand nicht geändert, wie zwei Trunkenheitsfahrten des Klägers am 19. Mai 1. (2,77 0/00 BAK) und 5. Oktober 1. (2,23 0/00 BAK) erkennen ließen.

3. Durch die ungesunde Lebensführung leide der Kläger an massiven Fettstoffwechselstörungen. Auch hier spiele der Alkohol eine deutliche Rolle.

4. Auch die vegetative Dystonie mit labiler Hypertonie, Migräne und vegetativen Erschöpfungszuständen mit depressiver Begleitsymptomatik werde vom Gutachter bestätigt.

Es sei nicht nachvollziehbar, warum trotz dieser massiven Befunde eine allgemeine Dienstfähigkeit angenommen werde. In diesem Zusammenhang sei eindringlich nochmal darauf hinzuweisen, daß das Gutachten von Dr. C. alkoholbedingte Veränderungen der Persönlichkeit durch die Diagnose "vegetative Dystonie und Erschöpfungszustände" verifiziert habe. Auch die unzähligen Hinweise wie hohe Ausfallzeiten, Hinweise des Dienststellenleiters auf dienstliche Probleme alkoholbedingter Art sowie die im Gutachten von Dr. C. geschilderten Diagnosen wiesen auf den chronischen Alkoholismus des Klägers und seine sich daraus entwickelnden Persönlichkeitsveränderungen hin. Die Ausfallzeiten, die mangelnde Kooperationsbereitschaft des Klägers sowie seine fehlende Einsicht in das Krankheitsbild ließen sich mit einer Tätigkeit auch im allgemeinen nichttechnischen Verwaltungsdienst nicht vereinbaren. Da sich an diesem Zustand über Jahre nichts geändert habe und auch voraussichtlich nichts ändern werde, sei der Kläger allgemein dienstunfähig i.S. von § 45 Abs. 1 LBG.

Der Beklagte beantragt,

das angefochtene Urteil zu ändern und die Klage abzuweisen.

Der Kläger beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Er tritt dem Vorbringen des Beklagten wie folgt entgegen: Die Schlußfolgerung des Sachverständigen, er sei allgemein dienstfähig, sei nachvollziehbar und schlüssig. Der Sachverständige habe zutreffend festgestellt, er habe nur an einem leichten, mit Diät einstellbaren Diabetes gelitten. Es sei zwar richtig, daß er mit Wirkung vom 15. August 1. (richtig: 1. ) in den Innendienst des SB I umgesetzt worden sei; es treffe allerdings nicht zu, daß er bestätigt habe, keinen Außendienst mehr versehen zu können. Es gebe bei ihm keine alkoholischen Probleme. Er habe auch nicht darum gebeten, die alkoholische Anamnese nur "am Rande" zu berühren. Richtig sei, daß er nur mäßig Alkohol konsumiert habe; das dürfe er auch als Diabetiker. Es treffe auch nicht zu, daß seine Leberfermente für Alkoholgebrauch in erheblichem Umfang sprächen; nach den Ausführungen des Sachverständigen lägen diese innerhalb der Norm. Es sei unrichtig, daß die Zucker- und Leberwerte nur deswegen so gut gewesen seien, weil er sich auf die Untersuchung vorbereitet habe. Wegen eines bereits gebuchten Urlaubs habe er einen Untersuchungstermin abgesagt. Die angeführten Trunkenheitsfahrten hätten zwar stattgefunden; sie seien aber darauf zurückzuführen, daß er sich aus persönlichen Gründen an diesen Tagen in einem Ausnahmezustand befunden habe. Diese hätten mit seiner Lebensweise nicht zu tun. Er sei aufgrund seiner Lebensweise nicht mehr darauf angewiesen, Insulin zu spritzen oder ein orales Diabetikum einzunehmen. Auch die übrigen vom Sachverständigen festgestellten gesundheitlichen Störungen seien überwunden oder spielten keine Rolle. Insgesamt könne festgestellt werden, daß er polizeidienstfähig sei, jedenfalls im allgemeinen Verwaltungsdienst beschäftigt werden könne.

Der Senat hat nach mündlicher Verhandlung durch Beweisbeschluß vom 24. Mai 1. den Sachverständigen Dr. C. zu einer ergänzenden Stellungnahme nach Beiziehung der Behandlungsunterlagen von Dr. V. und des Schwerbehindertenvorgangs aufgefordert. In dieser Stellungnahme hat Dr. C. das bisherige Ergebnis seines Gutachtens auch im Hinblick auf das Berufungsvorbringen der Beteiligten weiter begründet.

Die Beteiligten haben schriftsätzlich auf eine weitere mündliche Verhandlung verzichtet.

Wegen des Sach- und Streitstandes im Übringen wird auf den weiteren Inhalt der Gerichtsakte auch des Verfahrens VG L. 19 L 1366/89 sowie der eingereichten Verwaltungsvorgänge (12 Hefte) ergänzend Bezug genommen.

Gründe

Der Senat entscheidet über die Berufung ohne weitere mündliche Verhandlung, auf die die Beteiligten verzichtet haben (§§ 125 Abs. 1 Satz 1, 101 Abs. 2 VwGO).

Die zulässige Berufung des Beklagten ist nicht begründet. Der Bescheid des Polizeipräsidenten C. vom 20. Juni 1. über die Versetzung des Klägers in den Ruhestand und der Widerspruchsbescheid des Regierungspräsidenten L. vom 26. Januar 1. sind rechtswidrig.

Nach § 45 Abs. 1 Satz 1 Landesbeamtengesetz LBG (idF vom 1. Mai 1981, GV NW 234) ist ein Beamter auf Lebenszeit in den Ruhestand zu versetzen, wenn er infolge eines Gebrechens oder wegen Schwäche seiner körperlichen oder geistigen Kräfte zur Erfüllung seiner Dienstpflichten dauernd unfähig (dienstunfähig) ist. Für Polizeivollzugsbeamte gelten gemäß §§ 45 Abs. 2, 194 LBG (dieser hier maßgeblich idF des Gesetzes vom 18. Dezember 1984, GV NW 800) zusätzlich besondere Vorschriften. Nach § 194 Abs. 1 LBG ist ein Polizeivollzugsbeamter dienstunfähig, wenn er den besonderen gesundheitlichen Anforderungen für den Polizeivollzugsdienst nicht mehr genügt und nicht zu erwarten ist, daß er seine volle Verwendungsfähigkeit innerhalb von zwei Jahren wiedererlangt (Polizeidienstunfähigkeit). Vor der Zurruhesetzung eines Polizeivollzugsbeamten wegen Dienstunfähigkeit ist ein Gutachten eines Amtsarztes oder eines beamteten Polizeiarztes einzuholen (Abs. 2). Wird der Polizeivollzugsbeamte polizeidienstunfähig, so soll er, falls nicht zwingende dienstliche Gründe entgegenstehen, in ein Amt einer anderen Laufbahn bei einem der in § 2 LBG bezeichneten Dienstherren versetzt werden, wenn die sonstigen Voraussetzungen des § 28 Abs. 1 und 2 LBG erfüllt sind. Soweit der Polizeivollzugsbeamte für die neue Laufbahn die Befähigung nicht besitzt, hat er die ihm gebotene Gelegenheit wahrzunehmen, die ergänzenden Kenntnisse und Fähigkeiten nach Maßgabe der Rechtsverordnungen zu den §§ 15 und 16 LBG zu erwerben (Abs. 3). Die Sollvorschrift aus § 194 Abs. 3 Satz 1 LBG verpflichtet den Dienstherrn, das Beamtenverhältnis eines polizeidienstunfähig gewordenen Polizeivollzugsbeamten grundsätzlich fortzusetzen und eine Zurruhesetzung wegen Polizeidienstunfähigkeit nur dann vorzunehmen, falls nicht zwingende dienstliche Gründe entgegenstehen oder wenn der Laufbahnwechsel aus einem anderen Grunde als dem der Polizeidienstunfähigkeit scheitert.

Vgl. Bundesverwaltungsgericht (BVerwG), Urteil vom 15. September 1994 2 C 24.92 , Der Öffentliche Dienst (DÖD) 1995, 283.

Ein zwingender entgegenstehender dienstlicher Grund ist der Verlust der allgemeinen Dienstfähigkeit i.S. von § 45 Abs. 1 LBG. Diesen hat der Beklagte bei dem Kläger zu Unrecht angenommen. Der Senat stützt sich bei dieser Feststellung wie schon das angefochtene Urteil entscheidend auf Ergebnis und Begründung des in erster Instanz eingeholten Gutachtens des Sachverständigen Dr. C. vom 3. August 1. ; wegen der Gründe wird auf die zutreffenden einschlägigen Erwägungen des Verwaltungsgerichts, die auch in den Tatbestand aufgenommen worden sind, Bezug genommen (§ 130 b Satz 2 VwGO idF des Gesetzes vom 1. November 1996, BGBl. I 1626).

Das Gutachten ist auch hinsichtlich des maßgeblichen Zeitpunktes aussagekräftig. Die Rechtmäßigkeit der Zurruhesetzung eines Beamten beurteilt sich in zeitlicher Hinsicht danach, ob die zuständige Behörde im Zeitpunkt ihrer letzten Entscheidung annehmen durfte, daß der Betroffene dauernd dienstunfähig ist.

Vgl. BVerwG, u.a. Beschluß vom 25. Oktober 1988 2 B 145.88 , Buchholz, Sammel- und Nachschlagewerk der Rechtsprechung des BVerwG, 232 § 42 BBG Nr. 17; Beschluß vom 18. Juni 1991 2 B 70.91 , Dokumentarische Berichte B 1992, 1; OVG NW, Urteil vom 29. Januar 1993 6 A 3416/91 .

Selbst wenn man als hiernach maßgeblichen Zeitpunkt den Widerspruchsbescheid vom 26. Januar 1. und nicht wie das Verwaltungsgericht den Zeitpunkt der beabsichtigten Wirksamkeit der Zurruhesetzung mit Ablauf des 30. September 1. annimmt, bleiben die Feststellungen des Sachverständigen aussagekräftig, weil der zeitliche Abstand zwischen den beiden Zeitpunkten angesichts der angesprochenen Krankheitsbilder ohnehin nicht nennenswert ist und die Begutachtung erst 1. stattfand.

Auch das Berufungsvorbringen des Beklagten rechtfertigt es nicht, von Ergebnis und Begründung des angefochtenen Urteils abzugehen. Dieses Vorbringen besteht im wesentlichen in einer Kritik an der Vorgehensweise des Sachverständigen, die das klinische und psychovegetative Bild des Klägers nicht real wiedergäbe, und an dem von ihm festgestellten Ergebnis vorhandener allgemeiner Dienstfähigkeit des Klägers. Nach Auffassung des Beklagten ist es nicht nachvollziehbar, warum trotz der von dem Sachverständigen erhobenen massiven Befunde eine allgemeine Dienstfähigkeit angenommen werde. Der Senat sieht durch diese Kritik das Ergebnis des Gutachtens vom 3. August 1. und seine Begründung nicht in Frage gestellt. Inhaltliche und fachliche Mängel des Gutachtens hinsichtlich der von Dr. C. ermittelten Diagnose sind nicht erkennbar und werden auch nicht substantiiert gerügt. Vielmehr beeindruckt die genaue Kenntnis und Auswertung des gesamten vorhandenen Aktenmaterials, insbesondere des vollständigen Inhalts der in der Krankenakte vorhandenen einzelnen Gutachten, Atteste, Stellungnahmen und eigenen Äußerungen des Klägers durch den Sachverständigen. Es ist nicht ersichtlich, daß der Sachverständige bei der Erstellung seiner Diagnose mit insgesamt fünf Einzelpunkten davon nur Nr. 4 (wahrscheinlich zeitweise Raucherbronchitis) auf einen absehbaren Zeitraum beschränkt ein wesentliches Krankheitsbild übersehen hat. Auch diese Einzeldiagnosen und ihre Gewichtung sind aus den vorherigen Feststellungen des Sachverständigen aus den Einzeldiagnosen gewonnene Ergebnis, daß die genannten Erkrankungen keine Behinderung oder Einschränkungen für die körperliche Leistungsfähigkeit für eine Tätigkeit als Beamter im Dienst der allgemeinen Verwaltung bedingten, keinen erkennbaren Fehlschluß. Ein Krankheitsbild aus Diabetes mellitus Typ II, stationär gut einstellbar, ambulant zeitweise nicht so gut, und aus einem zeitweise vermehrten Alkoholgenuß, der sich in zeitweise erhöhten Leberwerten einer alkoholbedingten Fettleber zeigt, aus Fettstoffwechselstörungen, aus vegetativer Dystonie mit zeitweise labiler Hypertonie, Migräne und zeitweisen vegetativen Erschöpfungszuständen und depressiver Begleitsymptomatik zwingt allein nicht dazu, die gesundheitliche Eignung für eine Tätigkeit im Bereich der allgemeinen Verwaltung zu verneinen.

Zudem hat der Sachverständige in seiner ergänzenden Stellungnahme vom 25. Januar 1. ausführlich und einleuchtend dargelegt, daß der Ansatz des Beklagten, trotz festgestellter massiver Befunde sei eine allgemeine Dienstfähigkeit nicht nachvollziehbar angenommen worden, nicht zutrifft. Der Sachverständige hat hinsichtlich sämtlicher festgestellter Krankheitsbefunde im einzelnen dargelegt und begründet, daß es sich nicht um "massive" Befunde, sondern z.B. hinsichtlich des Diabetes mellitus Typ II um eine nur leichte Erkrankung handelt. Er hat weiter festgestellt, entgegen den Ausführungen des Polizeipräsidenten C. im Schriftsatz vom 1. April 1. fänden sich in den vorliegenden Akten auch keine ausreichenden Hinweise für das Vorliegen einer Alkoholkrankheit des Klägers. Diese Feststellung des Sachverständigen stimmt mit den Erkenntnissen des Senats überein. Soweit der Polizeiarzt Dr. I. in seiner Stellungnahme vom 21. April 1. u.a. ausgeführt hat, ganz besonders auffällig sei die alkoholische Anamnese des Klägers, fehlt es an gesicherten Erkenntnissen für diese Feststellung, z.B. durch Laborwerte oder sonstige dienstliche Erkenntnisse. Die vom Beklagten schriftsätzlich erwähnten Hinweise des Dienststellenleiters auf dienstliche Probleme des Klägers alkoholbedingter Art haben sich jedenfalls in den vorgelegten Akten nicht niedergeschlagen.

Die Berufung ist hiernach mit der sich aus § 154 Abs. 2 VwGO ergebenden Kostenfolge zurückzuweisen. Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit beruht auf § 167 VwGO, §§ 708 Nr. 10, 711 ZPO. Die Revision wird nicht zugelassen, weil weder die Voraussetzungen des § 132 Abs. 2 VwGO noch die des § 127 Beamtenrechtsrahmengesetz gegeben sind.