OLG Köln, Urteil vom 29.05.1996 - 13 U 161/95
Fundstelle
openJur 2012, 75336
  • Rkr:

Ob beim Gebrauchtwagenkauf eine atypische Vorbenutzung des Fahrzeugs zu einer Beeinträchtigung und/oder Wertminderung geführt hat und daher einen offenbarungspflichtigen Umstand darstellt, hängt von dem jeweiligen Einzelfall ab. Bei einer nur kurzen Erstnutzung (hier ca. 6 Monate) des Fahrzeugs als Mietwagen, die zudem zum Verkaufszeitpunkt fast 2 Jahre zurückliegt, ist dies jedenfalls nicht der Fall.

Tenor

Auf die Berufung des Beklagten wird das am 18. August 1995 verkündete Urteil des Landgerichts Aachen - 10 O 260/95 - abgeändert und wie folgt neu gefaßt:Die Klage wird abgewiesen. Die Kosten des Rechtsstreits trägt der Kläger. Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.

Gründe

Die zulässige Berufung des Beklagten, die insbesondere form- und

fristgemäß eingelegt und begründet worden ist, hat in der Sache

Erfolg.

Die Klage ist unbegründet.

Der mit der Klage geltend gemachte Anspruch auf Rückzahlung des

Kaufpreises von 41.500,00 DM Zug um Zug gegen Herausgabe des PKW

Kombi vom Typ Daimler Benz 200 TE, amtliches Kennzeichen ...,

steht dem Kläger unter keinem rechtlichen Gesichtspunkt zu.

Da das betreffende Fahrzeug von dem Beklagten mit schriftlichem

Vertrag datierend auf den 26. April 1995 an den Kläger "wie

besichtigt und Probe gefahren unter Ausschluß jeglicher

Gewährleistung" verkauft worden ist, kommen

Gewährleistungsansprüche nur bei arglistigem Verschweigen, dem das

arglistige Vorspiegeln von Eigenschaften oder der Abwesenheit von

Fehlern gleichsteht, in Betracht (vgl. § 476 BGB; Palandt-Putzo,

BGB, 54. Auflage, § 476 Rdnr. 10, 11, m.w.N.).

Ein Verhalten des Beklagten als Verkäufer im Zusammenhang mit

dem Abschluß des Kaufvertrages mit dem Kläger, das diese

Haftungsvoraussetzungen erfüllt, ist indessen nicht gegeben.

Zwar handelt es sich bei dem in Rede stehenden Fahrzeug um ein

in der Zeit vom 03.12.1992 (Zeitpunkt der Erstzulassung) bis zum

24.05.1993 (Zeitpunkt der Stillegung) von der Firma S. AG als

Mietwagen genutztes Auto, das in diesem Zeitraum von ca. 5 Monaten

und 3 Wochen eine Fahrleistung von rund 17.000 km erreichte.

Dennoch brauchte der Beklagte beim Weiterverkauf des Fahrzeugs

diesen - gegenüber dem Normalfall der privaten Vorbenutzung -

atypischen Gebrauch ungefragt nicht zu offenbaren.

Ob eine atypische Vorbenutzung des Fahrzeugs zu einer

Beeinträchtigung und/oder Wertminderung geführt hat und daher einen

offenbarungspflichtigen Umstand darstellt, hängt von dem jeweiligen

Einzelfall ab.

Entscheidend ist dabei auf Kriterien wie z.B. Alter,

Fahrleistung, Art des Motors, Dauer der atypischen Vorbenutzung

abzustellen (vgl. Reinking/Eggert, Der Autokauf, 6. Auflage, Rdnr.

1610).

Bei einer mehrjährigen ununterbrochenen Nutzung als Taxi, einem

langjährigen ununterbrochenen Einsatz als Fahrschulwagen oder auch

als Mietwagen wird beim Verkauf regelmäßig eine Offenlegung der

Vorbenutzung erfolgen müssen (vgl. BGH BB 1977, 61 ff.; OLG

Nürnberg MDR 1985, 672; OLG Köln NJW-RR 1990, 1144;

Reinking/Eggert, a.a.O., Rdnr. 1610, m.w.N.). Denn eine derartige

atypische Vorbenutzung stellt einen die Wertbildung negativ

beeinflussenden Faktor dar und löst in der Regel einen merkantilen

Minderwert des Fahrzeugs aus.

Die besonderen Umstände des vorliegenden Falls führen indessen

zur Verneinung eines merkantilen Minderwertes und damit zur

Verneinung einer Offenbarungspflicht des Beklagten in Hinblick auf

die frühere Mietwagennutzung des verkauften Fahrzeugs. Von

Bedeutung ist insoweit vor allem, daß die Vornutzung als Mietwagen

nur während der ersten sechs Monate nach der Erstzulassung des

Wagens erfolgte, das jetzt relevante Verkaufsgeschäft fast zwei

Jahre nach der Einstellung der Mietwagennutzung stattfand und zudem

von dem Beklagten als dem zweiten Eigentümer des Fahrzeugs, der es

in seiner Besitzzeit ausschließlich privat nutzte, vorgenommen

wurde. Hinzu kommt, daß der Wagen während der ca. 21 Monate

dauernden Besitzzeit des Beklagten etwa 48.000 km gefahren worden

war (Gesamtfahrleistung zur Zeit des Verkaufs an den Kläger: ca.

65.000 km), was einer durchschnittlichen km-Leistung im Jahr von

ca. 27.500 entspricht. Der Kläger mußte angesichts der

Gesamtfahrleistung von ca. 65.000 km seit dem 03.12.1992 mit einer

durchschnittlichen Jahreskilometerleistung von etwa 26.900 km (=

65.000 : 29 x 12) rechnen. Durch diese erkennbar erhöhte

Gesamtfahrleistung - die durchschnittliche Laufleistung bei

Personenkraftwagen pro Jahr lag 1993/94 bei ca. 13.000 km (vgl.

Reinking/Eggert, a.a.O. Rdnr. 1604) - wurde die anfängliche

Mietwagennutzung als negativer Bewertungsfaktor für die

Wertschätzung des Fahrzeugs zum Zeitpunkt des Weiterverkaufs im

April 1995, zumal angesichts der bekannten Robustheit und

Langlebigkeit eines Fahrzeugs vom Typ Daimler-Benz, neutralisiert.

Im übrigen konnte und mußte der Kläger aufgrund der erkennbaren

Gesamtfahrleistung sowie des ihm bekannten Erwerbs aus zweiter Hand

einen eventuell überdurchschnittlichen Verschleiß und erhöhten

Abnutzungsgrad einkalkulieren.

Dem Kläger ist auch nicht der Beweis dafür gelungen, daß er

während des Kaufgesprächs den Beklagten nach dem Erstbesitzer des

Fahrzeugs gefragt und dieser - anstatt die Firma S. AG zu nennen -

ihm darauf geantwortet hätte, er habe den Wagen von einem Patienten

erworben, der Kraftfahrzeugmeister bei Daimler-Benz sei.

Zwar hat die Zeugin E. H. bei ihrer erneuten Vernehmung vor dem

Senat wie schon bei ihrer Aussage vor dem Landgericht die

entsprechende Darlegung ihres Ehemannes, des Klägers, bestätigt.

Die Bekundungen der Zeugin H. sind jedoch in Bezug auf die hier

maßgeblichen Streitpunkte nicht hinreichend zuverlässig und

abgesichert, um die Entscheidung allein auf ihre diesbezüglichen

Angaben zu stützen. Abgesehen davon, daß die Zeugin H. als Ehefrau

des Klägers ein eigenes, persönliches Interesse an einem für diesen

günstigen Prozeßausgang haben kann, ist sie auch in der Sache

selbst keine unbeteiligte Zeugin. Sie war nämlich nicht nur bei dem

in Rede stehenden Verkaufsgespräch zwischen den Parteien anwesend,

sondern sie war es dann selbst, die den gekauften Wagen wegen einer

zwischenzeitlich aufgetretenen Erkrankung des Klägers beim

Beklagten am 05.05.1995 abholte; sie will dann auch schon kurz nach

der Óbergabe des Wagens auf der Fahrt vom Beklagten nach Hause

verdächtige Getriebegeräusche bemerkt und das Fahrzeug am folgenden

Montag der Werkstatt vorgeführt haben. Ungeachtet des

beklagtenseits geäußerten Verdachts, daß der Getriebeschaden durch

unsachgemäße Schaltung des Fahrzeugs nach der Óbergabe an die

Zeugin H. durch diese verursacht worden sei, war die Zeugin in

jedem Fall mit der Angelegenheit weitergehender befaßt und in diese

involviert, als durch ihre bloße Anwesenheit bei dem

Verkaufsgespräch.

Die daraus resultierenden Bedenken, der Zeugin könne - ähnlich

wie einer Partei selbst - die kritische Distanz für eine

verläßliche, objektiv wahrheitsgemäße Geschehensschilderung fehlen,

sind durch das Aussageverhalten der Zeugin H. und den persönlichen

Eindruck, den der Senat bei ihrer Vernehmung im Termin vom 8. Mai

1996 hat gewinnen können, nicht ausgeräumt worden. Die Zeugin H.

wirkte in der Darstellung der maßgeblichen Erklärungen der

Vertragsbeteiligten im Rahmen des Verkaufsgesprächs festgelegt und

zu einer kritischen Infragestellung nicht bereit. Wenngleich der

Senat davon ausgeht, daß die Zeugin subjektiv wahrheitsgemäß die

maßgeblichen Erklärungen wiedergegeben hat, läßt sich nicht sicher

feststellen, daß ihre Angaben auch objektiv der Wahrheit

entsprechen. Der Beklagte hat bei seiner vom Senat gemäß § 448 ZPO

angeordneten und durchgeführten Vernehmung als Partei seine

bisherige Darstellung im Prozeß vom Verlauf des Verkaufsgespräch

wiederholt. Danach will er die Frage, ob er der Estbesitzer sei,

verneint und erklärt haben, daß er den Wagen über einen Patienten,

der Kraftfahrzeugmeister bei Mercedes-Benz sei, gekauft habe. Seine

Schilderung ist vom Aussagegehalt her nicht mehr und nicht weniger

glaubhaft als diejenige der Zeugin H.. Objektivierbare

Anhaltspunkte, die die Bekundung der Zeugin H. stützen, gibt es

nicht. Vielmehr spricht der Inhalt des unstreitig vom Kläger

vorformulierten Vertragstextes dafür, daß der Umstand, daß der

Beklagte das Fahrzeug in zweiter Hand besessen hatte, eine Rolle

gespielt hatte, nicht aber, wer der Erstbesitzer gewesen war. Wenn

dem Kläger tatsächlich - wie von der Zeugin H. geschildert - so

viel daran gelegen gewesen wäre, den Erwerb eines vormals als

Mietwagen genutzten Fahrzeugs auszuschließen, und er deswegen

konkret nach dem Erstbesitzer gefragt hätte, dann hätte es

nahegelegen, die darauf vom Beklagten gemachten Angaben auch in den

Vertragstext aufzunehmen.

Schließlich kommt hinzu, daß die im Streit befindlichen

Erklärungen der Vertragsbeteiligten beim Verkaufsgespräch in Sinn

und Tragweite von der genauen Formulierung, von dem Gebrauch

einzelner Worte abhängen: ob etwa der Beklagte von sich aus oder

auch auf Nachfrage erklärt hat, daß er nicht Erstbesitzer sei,

sondern den Wagen ü b e r einen Patienten, der Kraftfahrzeugmeister

bei Mercedes-Benz sei, erworben habe, oder ob der Beklagte konkret

danach gefragt wurde, w e r Erstbesitzer sei und er darauf

geantwortet habe, er habe den Wagen v o n einem Patienten, der

Kraftfahrzeugmeister bei Mercedes-Benz sei, erworben. Da bei

solchen, nur geringfügigen Unterschieden in Formulierung und

Wortwahl es schon bei der Wahrnehmung des Gesprächsinhalts zu

Fehlvorstellungen und erst recht bei der Wiedergabe aus der

Erinnerung eines Zeugen zu wesentlichen - durchaus unbewußten -

Abweichungen und Verfälschungen kommen kann, ist eine hinreichend

sichere Rekonstruktion des wirklichen Inhalts des Verkaufsgesprächs

zu dem entscheidenden Streitpunkt nicht möglich.

Die nicht gelungene Beweisführung geht zu Lasten des Klägers,

dem als Käufer nicht nur die Darlegungs-, sondern auch die volle

Beweislast dafür obliegt, daß der Beklagte als Verkäufer einen

Fehler arglistig verschwiegen bzw. eine Eigenschaft oder die

Abwesenheit von Fehlern arglistig vorgespiegelt hat (vgl. zur

Beweislastverteilung BGH NJW 1990, 42/43; Palandt-Putzo, a.a.O., §

463 Rdnr. 28, m.w.N.).

Soweit der Kläger schließlich auch behaupten will, der Beklagte

habe zur Zeit es Kaufvertragsabschlusses bereits von dem

Getriebeschaden gewußt, jedenfalls mit seinem Vorhandensein

gerechnet, reicht bereits der diesbezügliche Sachvortrag für die

erforderliche substantiierte Darlegung eines arglistigen

Verschweigens durch den Beklagten nicht aus. Es genügt insoweit

nämlich nicht, daß der Kläger bestreitet, daß der Beklagte, wie

dieser vorgetragen hat, keine Getriebegeräusche gehört habe.

Vielmehr hätte er dartun und unter Beweis stellen müssen, daß dem

Beklagten bereits damals Getriebegeräusche aufgefallen bzw. bekannt

waren. Ebensowenig reicht die Behauptung des Klägers unter

Beweisantritt, der Getriebeschaden habe bereits bei

Fahrzeugübergabe am 05.05.1995 vorgelegen.

Nach alldem kommt auch eine wirksame Anfechtung des

Kaufvertrages durch den Kläger nach § 123 BGB nicht in

Betracht.

Die prozessualen Nebenentscheidungen folgen aus den §§ 91 Abs.

1, 708 Nr. 10, 713 ZPO.

Streitwert des Berufungsverfahrens

und Wert der Beschwer des Klägers: bis 45.000,00 DM.