VGH Baden-Württemberg, Urteil vom 04.07.1996 - 2 S 1478/94
Fundstelle
openJur 2013, 10136
  • Rkr:

1. Sehen die gebührenrechtlichen Vorschriften einer Abfallwirtschaftssatzung für unterschiedliche Gruppen von Benutzern der öffentlichen Abfallentsorgungseinrichtung unterschiedliche Gebührenmaßstäbe vor (hier: personengebundener Haushaltsmaßstab für die Entsorgung des Hausmülls; Gefäßmaßstab für eingesammelte Gewerbeabfälle; Gewichtsmaßstab für selbst angelieferte Gewerbeabfälle), können die darauf beruhenden unterschiedlichen Gebührensätze ermessensfehlerfrei nur in getrennten Gebührenkalkulationen ermittelt werden.

Tatbestand

Die Klägerin betreibt im Gebiet des beklagten Landkreises ein Unternehmen zur Herstellung von Leim und Gelatine. Sie wendet sich gegen mehrere Bescheide, durch die der Beklagte für die Anlieferung von Abfällen auf die Kreismülldeponien in der Zeit vom 2.1.1992 bis 30.4.1993 Benutzungsgebühren erhob.

Der Beklagte betreibt nach § 2 Abs 1 S 1 seiner Abfallwirtschaftssatzung - AWS - vom 8.11.1991, die am 1.1.1992 in Kraft trat, die Entsorgung der in seinem Gebiet angefallenen Abfälle als öffentliche Einrichtung. Er erhebt zur Deckung seines Aufwands für die Abfallentsorgung Benutzungsgebühren (§ 20 S 1 AWS). Die Benutzungsgebühren für das Entsorgen von Hausmüll, Sperrmüll, Garten- und Grünabfällen, Problemabfällen, das Entsorgungssystem "Grüne Tonne" und das Entsorgungssystem "Biomüll" werden nach der Zahl der in einem Haushalt wohnenden Personen bemessen (§ 24 Abs 1 AWS). Bei Selbstanlieferung von Abfällen betragen die Benutzungsgebühren für die vom Beklagten betriebenen Deponien bei vermischtem Gewerbemüll je Tonne 190,-- DM (§ 24 Abs 6 Nr 3.1 AWS) und bei entwässerten Schlämmen mit mindestens 35% Feststoffgehalt je Tonne 160,-- DM (§ 24 Abs 6 Nr 4.2 AWS). Diese Gebührensätze wurden durch die Abfallwirtschaftssatzung vom 16.10.1992, die am 1.1.1993 in Kraft getreten ist, für vermischten Gewerbemüll auf 380,-- DM je Tonne (§ 24 Abs 5 Nr 2.1) und für entwässerte Schlämme mit mindestens 35% Feststoffgehalt auf 190,-- DM (§ 24 Abs 6 Nr 3.2 AWS) angehoben. Nach der 1991 gültigen Abfallwirtschaftssatzung betrugen die Gebühren für vermischten Gewerbemüll 95,-- DM je Tonne und für entwässerte Schlämme mit mindestens 35% Feststoffgehalt 30,-- DM je Tonne.

Die Klägerin lieferte vom 2.1.1992 bis 30.4.1993 aus ihrer Produktion ua insgesamt 1.103,50 t Schlämme mit mindestens 35% Feststoffgehalt und 258,90 t vermischten Gewerbeabfall auf Deponien des Beklagten an. Der Beklagte erhob hierfür durch insgesamt 16 Bescheide, die jeweils einen Abrechnungszeitraum von einen Monat erfassen, Müllgebühren in Höhe von insgesamt 238.944,-- DM (Bescheide vom 19.3.1992, 19.3.1992, 10.4.1992, 8.5.1992, 15.6.1992, 10.7.1992, 10.8.1992, 10.9.1992, 7.10.1992, 4.11.1992, 9.12.1992, 11.1.1993, 3.2.1993, 4.3.1993, 5.4.1993 und 6.5.1993).

Die Klägerin erhob gegen alle Bescheide Widerspruch. Durch Bescheid vom 19.5.1993 wies der Beklagte die Widersprüche zurück. Zur Begründung des Widerspruchsbescheids wurde ausgeführt: Die in der Abfallwirtschaftssatzung festgelegten Gebührensätze für die Selbstanlieferung von Abfällen der von der Klägerin auf die Mülldeponien gelieferten Art seien gültig. Der Kreistag habe bei der Festsetzung dieser Gebührensätze von der Ermächtigung des Landesgesetzgebers in § 2 Abs 1 S 2 AbfG BW Gebrauch gemacht und die Gebührentatbestände so ausgestaltet, daß sich daraus nachhaltige Anreize zur Vermeidung und Verwertung der Abfälle ergäben. Die dem Kreistag vorgelegten Gebührenkalkulationen für die Abfallwirtschaftssatzungen der Jahre 1992 und 1993 schlössen mit Einnahmen und Ausgaben von 89.914.000,-- DM und 125.561.000,-- DM. Eine Kostenüberdeckung liege deshalb nicht vor. Die Gebührensätze für die Selbstanlieferung von Abfällen seien geeignet, das Verhalten der Anlieferer nachhaltig so zu beeinflussen, daß aus Kostengründen Abfälle vermieden, getrennt und vorrangig einer Wiederverwertung zugeführt würden. Es verstoße nicht gegen den Gleichheitsgrundsatz, daß der Kreistag lediglich die Gebührensätze bei der Selbstanlieferung, nicht jedoch im Hausmüllbereich mit Anreizen zur Vermeidung und Verwertung von Abfall ausgestaltet habe.

Am 3.6.1993 hat die Klägerin gegen alle 16 Gebührenbescheide Anfechtungsklage beim Verwaltungsgericht Stuttgart erhoben und beantragt, diese Bescheide sowie den Widerspruchsbescheid aufzuheben. Zur Begründung hat sie vorgetragen: Die Gebührensätze für die Selbstanlieferung des von ihr auf Mülldeponien verbrachten Abfalls, die den angefochtenen Bescheiden zugrunde lägen, seien ungültig. Sie verstießen gegen das Äquivalenzprinzip und das allgemeine Willkürverbot. Die zugrundeliegende Kalkulation genüge weder dem Maßstab der Kostenproportionalität noch dem Maßstab der Leistungsproportionalität. Aus dem Haushaltsplan des Beklagten und dem Wirtschaftsplan 1992 seiner Abfallverwertungsgesellschaft (AVL) ergebe sich, daß die Gebührenbelastung der Selbstanlieferer weit über deren Verursachungsanteil an den Kosten liege. Der weit überwiegende Teil der gebührenfähigen Kosten entfalle auf das Sammeln und Befördern der Abfälle von den Überlassungspflichtigen bis zu den Deponien. Diese Leistungen kämen den Selbstanlieferern jedoch nicht zugute. Demgegenüber zeige die Zusammenstellung der Einnahmen aus Müllgebühren, daß sich das gesamte Gebührenaufkommen zu über 50% aus den Gebühren der Selbstanlieferer zusammensetze. Dies belege, daß die Gebührenbelastung der Selbstanlieferer nicht kostenproportional kalkuliert worden sei. Ihre Gebührenbelastung lasse sich auch nicht leistungsproportional begründen. Obwohl ihnen die Leistung des Einsammelns und Beförderns nicht zugute komme und die für sie erbrachte Deponierungsleistung nicht wesentlich über derjenigen der übrigen Gebührenschuldner liege, bestritten sie mehr als 50% des gesamten Gebührenaufkommens. Dieses Ungleichgewicht zwischen Kostenverursachung und Gebührenbelastung der Selbstanlieferer könne auch nicht mit der Lenkungsfunktion der Gebühren gerechtfertigt werden. § 2 Abs 1 S 2 AbfG BW erlaube zwar, die Anforderungen an die Abfallbesitzer und die Gebührentatbestände so auszugestalten, daß sich daraus nachhaltige Anreize zur Vermeidung und Verwertung ergäben. Diese Vorschrift befreie den Satzungsgeber jedoch nicht von der Einhaltung der allgemeinen Grundsätze des Gebührenrechts. Der Kreistag des Beklagten habe eine lenkende Gebühr ausschließlich und einseitig zu Lasten der Selbstanlieferer eingeführt. Im Hausmüllbereich habe er dagegen auf eine lenkende Gebühr verzichtet, obwohl sie auch hier möglich und praktikabel sei. Dies stelle eine Ungleichbehandlung der verschiedenen Gebührenschuldner dar, die durch sachliche Gründe nicht gerechtfertigt sei.

Der Beklagte ist der Klage entgegengetreten und hat Klageabweisung beantragt. Zur Begründung hat er vorgetragen: Der Kreistag habe die Gebührensätze für Schlämme mit mindestens 35% Feststoffgehalt von 30,-- DM je Tonne (1991) ab 1.1.1992 auf 160,-- DM je Tonne angehoben. Diese Gebührenerhöhung zeige nunmehr Wirkung. Die angelieferte Menge sei um ca 48% zurückgegangen. Maßgeblich für diesen Rückgang sei gewesen, daß der Kreistag erstmals Gebühren festgesetzt habe, die über den Preisen privater Verwerter lägen. Ziel der Gebührenerhöhung ab 1.1.1993 auf 190,-- DM je Tonne sei es gewesen, den Gebührensatz so auszugestalten, daß dieser weiterhin über den Preisen privater Verwerter liege. Auch bei der Klägerin hätten die durch diese Gebührengestaltung erzeugten Vermeidungs- und Verwertungsanreize Wirkung gezeigt. Die Erhöhung des Gebührensatzes für die Anlieferung vermischter Gewerbeabfälle von 95,-- DM je Tonne im Jahre 1991 auf 190,-- DM je Tonne im Jahre 1992 habe dagegen keinerlei Wirkung gezeigt. Vielmehr sei die angelieferte Menge von ca 78.000 Tonnen im Jahre 1991 auf ca 97.000 Tonnen im Jahre 1992 angestiegen. Daher habe der Kreistag diese Gebührensätze ab 1.1.1993 nochmals auf 380,-- DM je Tonne verdoppelt. Der Erfolg dieser Gebührenverdoppelung sei durchgreifend gewesen. Für das Jahr 1993 würden lediglich noch 69.000 Tonnen an vermischten Gewerbeabfällen erwartet. Dies sei im Vergleich zum Jahr 1992 ein Rückgang um fast 30%. Die Qualität der angelieferten Abfälle zeige deutlich, daß der Anteil der verwertbaren Stoffe erheblich zurückgegangen sei. Die Ausgestaltung der Gebührensätze wirke auch nicht erdrosselnd, da die Gewerbebetriebe durch die jetzt erreichte Trennung zum Teil nicht unerheblich Kosten sparten und auch ein Vergleich mit Gebühren anderer Landkreise zeige, daß diese ähnlich hoch oder zum Teil noch höher lägen. Daß die Benutzergruppe der Selbstanlieferer mit einer gewichtsbezogenen Gebühr, der Hausmüllbereich dagegen mit einem personenbezogenen Haushaltstarif belastet würde, verletze das Gleichbehandlungsgebot nicht.

Durch Urteil vom 9.2.1994 hat das Verwaltungsgericht die Klage abgewiesen. In den Entscheidungsgründen heißt es: Die Gebührensätze für die Selbstanlieferung von entwässerten Schlämmen mit mindestens 35% Feststoffgehalt und von vermischten Gewerbeabfällen, die den angefochtenen Bescheiden zugrunde lägen, seien rechtlich nicht zu beanstanden. Dem Kreistag des Beklagten hätten anläßlich der Satzungsbeschlüsse Gebührenbedarfsberechnungen vorgelegen. Aus ihnen ergebe sich, daß das gesamte geschätzte Gebührenaufkommen die nach betriebswirtschaftlichen Grundsätzen ansatzfähigen Kosten der Einrichtung nicht überschreite. Der Beklagte habe nachvollziehbar und überzeugend die Gründe dargelegt, warum er im Bereich der Selbstanlieferung von Abfällen die Gebührenhöhe als Lenkungsinstrument für das gesetzlich legitimierte Ziel der Abfallvermeidung und Abfallverminderung eingesetzt habe. Gleichzeitig hab er nachvollziehbar dargelegt, warum eine entsprechende Lenkung im Hausmüllbereich nicht vorgenommen worden sei. Das Aufkommen an Gewerbe- und Industriemüll sei bis 1992 erheblich gestiegen. Erst nach der Anhebung der Gebührensätze für das Jahr 1993 sei das Aufkommen an Gewerbe- und Industriemüll erstmals zurückgegangen. Im Hausmüllbereich sei dagegen das Müllaufkommen von 1990 bis 1992 gesunken. Die Gesamtmenge von selbst angelieferten Abfällen liege auch deutlich über der Gesamtmenge an Hausmüll. Es treffe deshalb nicht zu, daß die Selbstanlieferer überproportional am gesamten Gebührenaufkommen beteiligt seien. Die Gebührensätze verstießen auch nicht gegen das Übermaßverbot. Der Beklagte habe überzeugend dargelegt, daß die schrittweise Erhöhung der Gebührensätze für die Anlieferung von Schlämmen und von Gewerbeabfällen erforderlich gewesen sei, um in diesen Bereichen Anreize für Abfallvermeidung zu schaffen.

Die Klägerin hat gegen das ihr am 20.4.1994 zugestellte Urteil am 19.5.1994 Berufung eingelegt. Sie trägt ergänzend vor: Die den angefochtenen Bescheiden zugrundeliegenden Gebührensätze für die Selbstanlieferung von Schlämmen und vermischtem Gewerbemüll stünden in keinem angemessenen Verhältnis zur Gegenleistung des Beklagten. Von der gesamten Leistung, die der Beklagte auf dem Gebiet der Abfallbeseitigung erbringe, entfalle auf die Selbstanlieferer ein Anteil von weit unter 50%. Demgegenüber setze sich das gesamte Gebührenaufkommen zu über 50% aus den Gebühren der Selbstanlieferer zusammen. Dieses Mißverhältnis zwischen Leistung und Gegenleistung könne nicht mit dem Hinweis auf den Lenkungscharakter der Gebühr gerechtfertigt werden. Allein die Tatsache, daß die drastische Gebührenerhöhung bei den Selbstanlieferern zu einer Reduzierung des angelieferten Abfalls geführt habe, sei kein Beleg, daß sachgerechte Entsorgungswege beschritten würden. Die Abfallreduzierung könne ihre Ursache auch darin haben, daß auf Grund der drastisch erhöhten Gebühren die Produktion unrentabel und deshalb verringert worden sei. Die Gebührenkalkulation verstoße auch gegen den Grundsatz des Kostendeckungsprinzips. Gehe man davon aus, daß 1991 vor der Erhöhung der Gebührensätze die ansatzfähigen Kosten durch die gesamten Gebühreneinnahmen gedeckt würden, führe die drastische Anhebung der Gebührensätze für die Selbstanlieferer in den Jahren 1992 und 1993 zwangsläufig zu einer Kostenüberdeckung. Auf Grund zahlreicher Meldungen in der Tagespresse stehe fest, daß der Grund für die Erhöhungen der Gebührensätze bei den Selbstanlieferern vor allem in der Mißwirtschaft der Abfallverwertungsgesellschaft des Beklagten und nicht lediglich in dem behaupteten Lenkungsziel zu suchen sei.

Die Klägerin beantragt,

das Urteil des Verwaltungsgerichts Stuttgart vom 9.2.1994 zu ändern, die beiden Gebührenbescheide des Beklagten vom 19.3.1992, die Gebührenbescheide vom 10.4.1992, 8.5.1992, 15.6.1992, 10.7.1992, 10.8.1992, 10.9.1992, 7.10.1992, 4.11.1992, 9.12.1992, 11.1.1993, 3.2.1993, 4.3.1993, 5.4.1993 und vom 6.5.1993 sowie den Widerspruchsbescheid des Beklagten vom 19.5.1993 aufzuheben.

Der Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Er trägt vor: Aus der Gebührenkalkulation der Jahre 1992 und 1993 ergebe sich, daß die Einnahmen und die Ausgaben im Bereich der Abfallentsorgung ausgeglichen seien. Der Kostendeckungsgrundsatz sei deshalb eingehalten. Die Gebühren seien nicht nur aus Lenkungsgründen erhöht worden; vielmehr hätten auch Kostensteigerungen bei den Selbstanlieferern einkalkuliert werden müssen. Es sei unrichtig, daß bei sinkenden Abfallmengen die Kosten, die für die Gebührensätze relevant seien, ebenfalls sinken würden. Auf Grund des hohen Fixkostenanteils in der Abfallwirtschaft stiegen die Kosten je Tonne angelieferten Abfalls bei einer Reduzierung der Gesamtabfallmenge.

Dem Senat liegen ein Heft Akten des Verwaltungsgerichts und ein Heft Akten des Beklagten vor. Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf diese Unterlagen, auf die Schriftsätze der Beteiligten und auf die Sitzungsniederschrift verwiesen.

Gründe

Die Berufung der Klägerin ist zulässig und begründet. Das Verwaltungsgericht hätte der Anfechtungsklage stattgeben und die 16 Abfallgebührenbescheide in der Fassung des Widerspruchsbescheids vom 19.5.1993 aufheben müssen; denn diese Bescheide sind rechtswidrig und verletzen die Klägerin in ihren Rechten (§ 113 Abs 1 S 1 VwGO).

Die angefochtenen Müllgebührenbescheide sind deshalb rechtswidrig, weil sie der erforderlichen satzungsrechtlichen Grundlage entbehren (vgl §§ 2, 9 KAG BW). Für den Anlieferungszeitraum vom 2.1.1992 bis 31.12.1992 ist die vom Kreistag des Beklagten am 8.11.1991 beschlossene Abfallwirtschaftssatzung - AWS 92 - und für den Anlieferungszeitraum vom 1.1.1993 bis 30.4.1993 die am 16.10.1992 beschlossene Abfallwirtschaftssatzung - AWS 93 - maßgebend. Die für die Selbstanlieferung von Abfällen festgesetzten Gebührensätze, die in den angefochtenen Bescheiden zur Anwendung gelangen (§ 24 Abs 6 AWS 92; § 24 Abs 5 AWS 93), sind ungültig; denn der Kreistag des Beklagten hat diese Gebührensätze in den Sitzungen vom 8.11.1991 und vom 16.10.1992 nicht auf der Grundlage einer ordnungsgemäßen Gebührenkalkulation beschlossen.

Die Erhebung von Benutzungsgebühren durch die entsorgungspflichtigen Körperschaften richtet sich gemäß § 8 Abs 2 S 1 AbfG BW - mit bestimmten Maßgaben dieses Gesetzes - grundsätzlich nach dem Kommunalabgabengesetz. Nach § 9 Abs 1 S 1 KAG BW in der hier maßgeblichen Fassung des Änderungsgesetzes vom 15.12.1986 können unter anderem die Landkreise für die Benutzung ihrer öffentlichen Einrichtungen Benutzungsgebühren erheben. Benutzungsgebühren dürfen ebenso wie sonstige Kommunalabgaben nur aufgrund einer Satzung erhoben werden, die mindestens den Kreis der Gebührenschuldner, den Gegenstand, den Maßstab und den Satz der Benutzungsgebühr, sowie die Entstehung und die Fälligkeit der Benutzungsgebühr regelt (§ 2 KAG BW). Über die Höhe des Gebührensatzes hat der Kreistag als zuständiges Rechtssetzungsorgan (§§ 18, 19 LKreisO BW) innerhalb der gesetzlichen Schranken nach pflichtgemäßem Ermessen zu beschließen. Nach ständiger Rechtsprechung des Senats setzt eine sachgerechte Ermessensentscheidung über den Gebührensatz voraus, daß dem Kreistag vor oder bei der maßgeblichen Beschlußfassung über den Gebührensatz eine Gebührenkalkulation unterbreitet wird, die sich dieser zu eigen macht. Ist dem Kreistag vor oder bei Beschlußfassung über den Gebührensatz eine Gebührenkalkulation nicht zur Billigung unterbreitet worden, oder ist die unterbreitete Gebührenkalkulation in einem wesentlichen Punkt mangelhaft, hat dies die Ungültigkeit des Gebührensatzes zur Folge, weil der Kreistag das ihm bei Festsetzung der Gebührensätze eingeräumte Ermessen nicht fehlerfrei ausüben konnte (vgl VGH Bad-Württ, Normenkontroll-Beschl v 7.9.1987 - 2 S 998/86; VGH Bad-Württ, Urt v 16.2.1989 - 2 S 2279/87 -, BWGZ 1990, 58; zuletzt VGH Bad-Württ, Normenkontroll-Beschl v 27.2.1996 - 2 S 1407/94; vgl zur Erforderlichkeit einer Gebührenkalkulation ferner Schmid in Faiss/Faiss/Giebler/Lang/Schmid, Kommunales Wirtschaftsrecht in Baden- Württemberg, 6. Aufl, RdNr 787a ff).

Nach ständiger Rechtsprechung des Senats muß aus der Gebührenkalkulation die kostendeckende Gebührensatzobergrenze der öffentlichen Einrichtung hervorgehen. Diese wird ermittelt, indem alle gebührenfähigen Kosten der öffentlichen Einrichtung auf die potentiellen Benutzer nach Maßgabe des in der Satzung vorgesehenen Gebührenmaßstabs verteilt werden, wobei der voraussichtliche Umfang der Benutzung bzw Leistung geschätzt werden muß. Die Gebührensatzobergrenze ist danach das Ergebnis eines Rechenvorgangs, bei dem die voraussichtlichen gebührenfähigen Gesamtkosten durch die Summe der voraussichtlichen maßstabsbezogenen Benutzungs- bzw Leistungseinheiten geteilt werden (vgl VGH Bad-Württ, Urt v 16.2.1989, aaO; Scholz, BWGZ, 1989, 239, 244). Eine Gebührenkalkulation, aus der die kostendeckende Gebührensatzobergrenze hervorgeht, ist zum einen deshalb erforderlich, weil bei der öffentlichen Einrichtung der Abfallentsorgung gemäß § 9 Abs 2 S 1 KAG BW die Gebührensätze so zu kalkulieren sind, daß das in einem bestimmten Rechnungszeitraum zu erwartende Gebührenaufkommen die in diesem Zeitraum zu erwartenden gebührenfähigen Kosten der öffentlichen Einrichtung in ihrer Gesamtheit nicht übersteigt. Dieses Kostenüberdeckungsverbot gilt auch für die öffentliche Abfallentsorgungseinrichtung (§ 2 Abs 1 AWS 92/AWS 93), zu deren Betrieb der Landkreis gesetzlich verpflichtet ist (vgl VGH Bad-Württ, Normenkontroll-Beschl v 27.2.1996 - 2 S 1407/94). Die Gebührenkalkulation und die in ihr zunächst zu ermittelnde kostendeckende Gebührensatzobergrenze dienen in diesem Zusammenhang - wie die Globalberechnung im Beitragsrecht nach § 10 KAG BW - als Kontrollinstrument zur Überprüfung des letztlich beschlossenen Gebührensatzes. Darüber hinaus dient die Gebührenkalkulation aber auch dem Nachweis dafür, daß das Rechtssetzungsorgan das ihm bei der Kostenermittlung eingeräumte Ermessen fehlerfrei ausgeübt hat. Da der Kreistag weder nach § 8 Abs 2 AbfG BW iVm § 9 KAG BW noch nach den Grundsätzen der Einnahmebeschaffung (§ 48 LKreisO BW iVm § 78 Abs 2 GemO BW) verpflichtet ist, bei seinen öffentlichen Einrichtungen vollständige Kostendeckung durch Gebühren anzustreben, hat er vor oder bei der Beschlußfassung über den Gebührensatz im Wege einer finanz- und kommunalpolitischen Ermessensentscheidung darüber zu befinden, ob er volle oder nur teilweise Kostendeckung durch das Gebührenaufkommen erreichen will. Diese Ermessensentscheidung kann er fehlerfrei nur ausüben, wenn er durch die ihm unterbreitete Gebührenkalkulation Kenntnis über die kostendeckende Gebührensatzobergrenze erhält.

Gemessen an diesen Anforderungen sind die Beschlüsse des Kreistags des Beklagten vom 8.11.1991 und vom 16.10.1992 über die Erhöhungen der hier maßgeblichen Gebührensätze bei der Selbstanlieferung von Abfällen nicht ermessensfehlerfrei zustandegekommen und deshalb nichtig. Die dem Kreistag in diesen beiden Sitzungen unterbreiteten Sitzungsvorlagen (Sitzung v 8.11.1991: Beilage KT 31/1991 mit 6 Unterbeilagen; Sitzung v 16.10.1992: Beilage KT 29/1992 mit 6 Unterbeilagen) genügen den oben beschriebenen Anforderungen an eine ordnungsgemäße Gebührenkalkulation nicht. Im einzelnen ergibt sich dies aus folgendem:

Nach § 9 Abs 1 S 2 KAG BW bilden technisch getrennte Anlagen, die der Erfüllung derselben Aufgabe dienen, eine Einrichtung, bei der Gebühren nach einheitlichen Sätzen erhoben werden, sofern durch Satzung nichts anderes bestimmt ist. § 8 Abs 2 Nr 1 des Landesabfallgesetzes - AbfG BW -, das hier in seiner Fassung vor Inkrafttreten des Gesetzes zur Änderung des Landesabfallgesetzes vom 12.2.1996 (GBl S 116) anwendbar ist, definiert den Einrichtungsbegriff für den Bereich der Abfallentsorgung ebenfalls strikt aufgabenbezogen. Danach bilden alle Anlagen der Abfallentsorgung einschließlich der stillgelegten Anlagen, solange sie der Nachsorge bedürfen, grundsätzlich eine Einrichtung des Trägers, bei der Gebühren nach einheitlichen Sätzen erhoben werden, sofern durch Satzung nichts anderes bestimmt ist. Auch wenn nach diesen Vorschriften für die Benutzung der einzelnen Abfallentsorgungsanlagen grundsätzlich Gebühren nach einheitlichen Sätzen erhoben werden, können es Äquivalenzprinzip und Gleichheitsgrundsatz dennoch gebieten, auch innerhalb einer öffentlichen Einrichtung getrennte Gebührensätze auszuweisen, wenn wesentliche Leistungsunterschiede bei den einzelnen Benutzern der Einrichtung auftreten (vgl dazu, Seeger, KAG für Bad-Württ, Komm, § 9, Anm. 15; Dahmen in Driehaus, Kommunalabgabenrecht, Komm, § 4, RdNr 216 ff). Hiervon ist auch der Gesetzgeber bei Erlaß des Landesabfallgesetzes vom 8.1.1990 ausgegangen (vgl die Begründung zum Gesetzentwurf der Landesregierung v 12.7.1989 zu § 8 LAbfG - LT- Drucks 10/1924).

Der Senat braucht der Frage, wann es rechtlich geboten ist, unterschiedliche Gebührensätze auszuweisen, jedoch nicht weiter nachzugehen, weil der Beklagte in seinen Abfallwirtschaftssatzungen von der Möglichkeit, für die gesamte öffentliche Einrichtung der Abfallentsorgung Gebühren nach einheitlichen Sätzen zu erheben, keinen Gebrauch gemacht hat. Zwar dürften die verschiedenen Anlagen der Abfallentsorgung, die nach der allgemeinen Bestimmung in § 2 Abs 1 AWS 92/AWS 93 die Abfallverwertung und das Ablagern von Abfällen, sowie die hierzu erforderlichen Maßnahmen des Einsammelns und Beförderns erfaßt, organisatorisch und haushaltsrechtlich eine Einheit bilden. Für diese Annahme spricht auch die Formulierung in § 2 AWS 92/AWS 93. Gebührenrechtlich hat der Beklagte aber - aus welchen Gründen auch immer - für bestimmte Benutzer unterschiedliche Gebührenmaßstäbe festgesetzt. Die Satzungen unterscheiden nämlich gebührenrechtlich drei Benutzergruppen. Für alle abfallwirtschaftlichen Maßnahmen, die unter anderem das Einsammeln, Befördern, Entsorgen und Verwerten von Hausmüll betreffen, werden die Benutzungsgebühren nach der Zahl der in einem Haushalt wohnenden Personen gemessen (§ 24 Abs 1 u 2 AWS 92/AWS 93; sogenannter personengebundener Haushaltsmaßstab). Die Benutzungsgebühren für das Entsorgen von Gewerbeabfällen und hausmüllähnlichen Gewerbeabfällen, die eingesammelt werden, werden nach der Zahl, Größe und Art der zur Verfügung gestellten Behälter bemessen (§ 24 Abs 3 AWS 92/AWS 93; sogenannter Gefäßmaßstab). Bei selbst angelieferten Gewerbeabfällen werden schließlich die Gebühren nach einem Gewichtsmaßstab bemessen (§ 24 Abs 6 AWS 92/§ 24 Abs 5 AWS 93).

Sehen die Gebührensatzungen des Beklagten somit gebührenrechtlich verschiedene Benutzergruppen mit unterschiedlichen Gebührenmaßstäben vor, folgt daraus zwingend, daß die den einzelnen Gebührenmaßstäben entsprechenden Gebührensätze zunächst in getrennten Gebührenkalkulationen ermittelt werden müssen. Auf andere Art und Weise als durch getrennte Gebührenkalkulation kann bereits vom Ansatz her der jedem Gebührenmaßstab entsprechende Gebührensatz nicht kalkuliert, sondern allenfalls gegriffen werden; denn dieser wird - wie oben bereits ausgeführt wurde - dadurch ermittelt, daß die gebührenfähigen Kosten durch die Summe der voraussichtlichen maßstabsbezogenen Benutzungseinheiten geteilt wird. Hieraus folgt schließlich ebenso zwingend, daß im Rahmen der Gebührenkalkulation die Kosten der öffentlichen Abfallentsorgungseinrichtung den einzelnen Benutzergruppen zugeordnet werden müssen, für die die Satzung selbst unterschiedliche Gebührenmaßstäbe vorsieht. Der Senat verkennt nicht, daß diese Zuordnung der Kosten - worauf die Vertreter des Beklagten in der mündlichen Verhandlung insbesondere hingewiesen haben - mit Schwierigkeiten verbunden sein kann, die allerdings wegen der Möglichkeit und Befugnis, bei der Kostenzuordnung zu schätzen, nicht unüberwindbar sind. Er ist jedoch der Auffassung, daß das Erfordernis getrennter Gebührenkalkulationen und die daraus folgende Notwendigkeit der Kostenzuordnung eine unabwendbare Konsequenz der Tatsache ist, daß die Abfallwirtschaftssatzungen des Beklagten selbst gebührenrechtlich drei verschiedene Benutzergruppen mit unterschiedlichen Gebührenmaßstäben und Gebührensätzen unterscheiden (vgl zum Erfordernis getrennter Kalkulationen bei unterschiedlichen Gebührensätzen: Schmid, aaO, RdNr 787b; vgl dazu, daß etwa für Hausmülldeponien und Bauschutt- oder Erdaushubdeponien keine einheitliche Gebührenkalkulation vorgenommen werden darf, LT-Drucks 10/1924 S 1, 43).

Zur Klarstellung weist der Senat darauf hin, daß die Gebührensätze, die nach diesen Vorgaben in einer ordnungsgemäßen Gebührenkalkulation für die unterschiedlichen Benutzergruppen rechnerisch zunächst zu ermitteln sind, nicht bereits wegen des Kostenüberschreitungsverbots (§ 9 Abs 2 S 1 KAG BW) die Gebührensatzobergrenzen bilden, die für die einzelnen Benutzergruppen auf keinen Fall überschritten werden dürfen; denn der Kostendeckungsgrundsatz verpflichtet nur dazu, die Gebührensätze für die Benutzung der öffentlichen Einrichtung so zu kalkulieren, daß das in einem bestimmten Rechnungszeitraum zu erwartende Gebührenaufkommen die in diesem Zeitraum zu erwartenden gebührenfähigen Kosten der öffentlichen Einrichtung in ihrer Gesamtheit nicht übersteigt. Die auf die unterschiedlichen Benutzergruppen entfallenden Kosten dürften aber im vorliegenden Fall nach wie vor Teilkosten der einheitlichen Gesamteinrichtung sein, nachdem der Beklagte davon abgesehen hat, einzelne Anlagen der Abfallentsorgung als Teileinrichtungen rechtlich und organisatorisch zu verselbständigen (vgl § 2 Abs 1 AWS 92/AWS 93). Ob und in welchem Ausmaß der Kreistag allerdings berechtigt ist, die Gebührensätze für die Benutzergruppe, die Gewerbeabfälle selbst anliefert, allein aus Lenkungszwecken anzuheben (vgl §§ 2 Abs 1 S 2, 8 Abs 2 Nr 2 d AbfG BW, die jedoch nur die Gebührentatbestände und die Gebührenmaßstäbe als gebührenrechtliche Instrumente zur Umsetzung des abfallwirtschaftlichen Ziels der Vermeidung und Verwertung nennen), braucht der Senat aus Anlaß dieses Falls nicht zu entscheiden. Denn selbst wenn man dem Kreistag eine solche Befugnis einräumt, bedarf es hierzu einer Ermessensentscheidung, die auf sachgerechten Erwägungen und zutreffend ermittelten Grundlagen beruhen muß. Das vorzubereiten, ist Aufgabe der zunächst anzustellenden Gebührenkalkulation, die dem Kreistag als dem zuständigen Rechtssetzungsorgan in transparenter und nachvollziehbarer Weise die Kenntnis darüber vermittelt, welche Kosten auf die in der Satzung selbst gebildeten unterschiedlichen Benutzergruppen entfallen. Nur auf dieser Basis könnte er allenfalls ermessensfehlerfrei darüber entscheiden, ob und vor allem in welchem Ausmaß der Gebührensatz für eine bestimmte Benutzergruppe - etwa aus Lenkungszwecken - erhöht werden soll.

Diesen Anforderungen genügen die oben erwähnten Sitzungsvorlagen nicht, die dem Kreistag des Beklagten in den beiden Sitzungen vorgelegt wurden. Die Unterbeilagen 1 (Haushaltsstelle 7210: Abfallbeseitigung/Abfallwirtschaft) und die Unterbeilagen 4 (Budget 1992/1993 der Abfallverwertungsgesellschaft des Landkreises) enthalten lediglich eine Auflistung aller gebührenfähigen Kosten. Eine Zuordnung dieser Kosten auf die unterschiedlichen Benutzergruppen, für die die Satzungen selbst unterschiedliche Gebührenmaßstäbe vorsehen, wurde jedoch nicht vorgenommen. Deshalb kann den Sitzungsvorlagen, die dem Kreistag unterbreitet wurden, nicht entnommen werden, welche Kosten auf die Gruppe der Gebührenschuldner entfallen, die - wie die Klägerin - ihren Gewerbeabfall selbst auf Deponien anliefert. Der Kreistag konnte sich deshalb anhand der ihm unterbreiteten Vorlagen keine Vorstellung darüber verschaffen, in welcher Größenordnung sich kostendeckende Gebührensätze für diese Benutzergruppe bewegen. Ohne diese Kenntnis konnte er aber - wie oben ausgeführt wurde - in den beiden Sitzungen die maßgeblichen Sätze nicht ermessensfehlerfrei in derart drastischer Weise erhöhen.

Sind somit die Gebührensätze, die den angefochtenen Müllgebührenbescheiden zugrunde liegen, bereits aus diesem Grunde ungültig, braucht der Senat die weiteren Fragen, die von den Beteiligten aufgeworfen worden sind, nicht zu klären.