OLG Jena, Beschluss vom 30.04.2010 - 1 WF 114/10
Fundstelle
openJur 2012, 136962
  • Rkr:

1. Aufforderung und Fristsetzung zur Glaubhaftmachung im Rahmen der Bewilligung von Prozesskostenhilfe.

2. Hilft das Amtsgericht der (PKH-)Beschwerde nicht ab, so ist die (Nichtabhilfe-)Entscheidung dann zu begründen, wenn die Beschwerde neue Tatsachen oder Gesichtspunkte vorträgt. Eine Begründung darf sich nicht darin erschöpfen, auf die Gründe des angefochtenen Beschlusses Bezug zu nehmen.

3. Entscheiden darf das Gericht erst nach Aufforderung und Fristsetzung zur Glaubhaftmachung hinsichtlich der Tatsachen, aus denen sich die Hilfebedürftigkeit herleitet (§ 118 Abs. 2 S. 4 ZPO).

Tenor

1. Der angefochtene Beschluss wird aufgehoben.

Die Sache wird zur anderweitigen Behandlung und Entscheidung an das Amtsgericht - Familiengericht - Hildburghausen zurückverwiesen.

2. Eine Kostenentscheidung sowie die Festsetzung des Beschwerdewertes sind im Verfahren über die Prozesskostenhilfe nicht veranlasst.

Gründe

Die Senatsentscheidung richtet sich gemäß Artikel 111 Abs. 1 S. 1 FGG-RG nach dem seit dem 1. September 2009 geltenden Recht.

Die gemäß § 76 Abs. 2 FamFG in Verbindung mit § 568 Abs. 1 S. 1 ZPO vom Einzelrichter zu bescheidende, nach § 76 Abs. 2 FamFG in Verbindung mit §§ 567 Abs. 1 Nr. 1, 569 Abs. 1 Satz 1, 127 Abs. 2 Satz 3 ZPO zulässige sofortige Beschwerde führt zu der aus der Beschlussformel ersichtlichen Entscheidung. Der angefochtene Beschluss ist wegen eines wesentlichen Verfahrensfehlers aufzuheben und die Sache gemäß § 572 ZPO zur erneuten Behandlung und Entscheidung an das Amtsgericht zurückzuverweisen. Denn das Amtsgericht hat sich mit dem Beschwerdevorbringen nicht erkennbar auseinandergesetzt.

Gemäß § 572 ZPO hat das erstinstanzliche Gericht der Beschwerde, wenn es sie für begründet erachtet, abzuhelfen, andernfalls die Beschwerde dem Beschwerdegericht vorzulegen. In jedem Fall besteht die Amtspflicht des Gerichts, dessen Entscheidung angefochten wird, zunächst zu prüfen, ob die Beschwerde begründet ist (Zöller/Heßler, ZPO, 28. Auflage, § 572, Rdnr. 4). Dabei sind mit Rücksicht auf § 571 ZPO vorgebrachte neue Tatsachen zu beachten und in die Prüfung einzubeziehen (OLG Hamm, MDR 1988, 871; OLG Köln, FamRZ 1986, 487). Denn mit § 571 ZPO wird der Zweck verfolgt, die Kosten verursachende Befassung des Beschwerdegerichts mit der Sache zu vermeiden, wenn gebotene Korrekturen der Erstentscheidung unschwer durch das Erstgericht selbst vorgenommen werden können (Zöller/Heßler, a. a. O., § 572, Rdnr.1).

Lediglich Endentscheidungen in Familiensachen (§ 68 Abs. 1 S. 2 FamFG) werden von der Abhilfemöglichkeit ausgenommen (Meysen/Finke, FamFG, § 68, Rdnr. 2).

Hilft das erstinstanzliche Gericht der Beschwerde nicht ab, so ist diese Entscheidung jedenfalls dann zu begründen, wenn in der Beschwerde neue Tatsachen oder Gesichtspunkte vorgetragen werden, die das Erstgericht für widerlegt oder unerheblich hält (OLG Köln, FamRZ 1986, 487; Zöller/Heßler, a. a. O., § 572, Rdnr. 7). Eine solche Begründung darf sich nicht darin erschöpfen, auf die Gründe des angefochtenen Beschlusses zu verweisen (OLG Hamm, MDR 1991, 452; Zöller/Heßler, a. a. O., § 572, Rdnr. 11). Denn dann ist nicht erkennbar, dass sich das Erstgericht mit dem maßgeblichen materiellen Vorbringen überhaupt befasst hat (vgl. OLG Karlsruhe, FamRZ 1991, 349, 350). Da in einem solchen Fall die maßgeblichen Ausführungen des Beschwerdeführers völlig übergangen werden (vgl. OLG Brandenburg, FamRZ 2000, 1098, 1099; Zöller/Heßler, § 572, Rdnr. 27 f.) liegt ein erheblicher Verfahrensmangel vor, der die Aufhebung der angefochtenen Entscheidung durch das Beschwerdegericht und die Zurückverweisung an das Gericht der ersten Instanz gebietet. Unter Berücksichtigung dieser Grundsätze ist vorliegend der Beschluss des Amtsgerichts aufzuheben und die Sache zur erneuten Befassung und Entscheidung zurückzuverweisen.

Durch den angefochtenen Beschluss hat das Amtsgericht den Antrag des Antragsgegners auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe mit der Begründung zurückgewiesen, er habe angegeben, keine Einkünfte zu haben, zudem bestünden eine persönliche Haftungsinanspruchnahme aus Bürgschaften mit bis zu acht Millionen Euro. Nachweise habe der Antragsgegner nicht vorgelegt. Der Antragsgegner habe sich daher so behandeln zu lassen, als verfüge er über die notwendigen finanziellen Mittel zur Prozessführung.

Vorliegend werde Verfahrenskostenhilfe für ein Eilverfahren geltend gemacht. Gerade aus dem Charakter eines solchen Verfahrens und dessen damit verbundenen zeitlichen Rahmen sei zu schließen, dass das Gericht erwarten durfte, dass die Verfahrensbeteiligten für die erforderlichen Prüfungen hinreichend vortragen und belegen. Dies sei jedoch weder vorab schriftlich noch im Rahmen der mündlichen Verhandlung am 01.02.2010 erfolgt.

Mit der Beschwerde vom 11.03.2010 trägt der Antragsgegner vor, er sei, nachdem die E. T. AG insolvent geworden sei, von einer Vielzahl von Gläubigern, die er im Einzelnen namentlich unter Angabe der Höhe der jeweiligen Forderung in Höhe von insgesamt 8404365,57 € benennt, in Anspruch genommen. Wegen der Einzelheiten der Forderungsaufstellung wird auf S. 2 der Beschwerdebegründung Bezug genommen.

Der Antragsgegner trägt weiter vor, die Kontoverbindungen bei der D. B. AG, der R.O. eG, der C. und der B. S. AG seien gekündigt und fällig gestellt worden.

Es bestünden Rückstände bei der D. B. in Höhe von 13492,82 €. Das Konto sei überzogen mit 1492,82 €.

Das Girokonto bei der R. O. eG zeige einen Sollstand von 963,03 € (Glaubhaftmachung: Schreiben der R. O. eG vom 03.02.2010).

Zugleich sei das Darlehenskonto in Höhe von 21734,24 €, Darlehensnummer, fällig gestellt. Das Kontokorrentkonto Nr. weise einen Sollsaldo am 11.12.2009 in Höhe von 421780,42 € auf. Der offen stehende Schuldsaldo betrage 215279,17 € (Glaubhaftmachung: Schreiben der R. O. eG vom 11.12.2009).

Das Konto bei der C. weise einen Rückstand in Höhe von 1951,70 € aus (Schreiben der C. AG vom 05.02.2010).

Bei der R.-R.-S. bestehe ein Schuldsaldo aus einer Bürgschaft für die MKB GmbH, eine Tochterfirma der E. AG über 45000,- € (Glaubhaftmachung: Schreiben der R.-R.-S. vom 26.11.2009).

Aus Bürgschaftsinanspruchnahme zu einem Mietvertrag der G. P. GmbH, ebenfalls einer Tochtergesellschaft der E. K. I. GmbH, bestehe eine Forderung der H. G. I., R. W. in B.-B. in Höhe von 704610,70 €.

Sämtliche Kontoverbindungen des Antragsgegners seien gekündigt. Der Antragsgegner verfüge über keine Barmittel und werde von seinen Eltern unterstützt. Die Höhe der Forderungen belege das Fehlen jeglicher finanzieller Leistungsfähigkeit und Vermögens. Der Antragsgegner besitze kein flüssiges Vermögen, da die Kontoverbindungen sämtlich gekündigt und fällig gestellt seien.

Mit diesem neuen Vorbringen hat sich das Amtsgericht in seiner Nichtabhilfeentscheidung vom 23.03.2010 nicht auseinandergesetzt. Dies muss nach den vorstehenden Ausführungen zur Aufhebung und Zurückverweisung führen.

Der Antragsgegner hat seinen Antrag auf Verfahrenskostenhilfe bei Gericht am 27.01.2010 eingereicht. Das Gericht hat im Termin vom 01.02.2010 den Antragsgegner darauf hingewiesen, dass Unterlagen zu der behaupteten persönlichen Haftungsinanspruchnahme und zu den Bank- und Girokonten fehlten. Der Antragsgegner hat sodann erklärt, er habe keine Einkünfte. Seine laufenden Fixkosten würden auflaufen. Im Übrigen erhalte er Unterstützung durch seine Eltern. Das Amtsgericht hat im weiteren Verlaufe des Termins den Antrag des Antragsgegners auf Verfahrenskostenhilfe zurückgewiesen.

Der Antragsgegner hat erst mit der Beschwerdebegründung seine Angaben zu seiner Inanspruchnahme aus Bürgschaften und Darlehen näher substantiiert und durch Schreiben der Bank- und Kreditinstitute teilweise glaubhaft gemacht.

Im Verfahrenskostenverfahren muss die hilfsbedürftige Partei ihr Vorbringen erst glaubhaft machen, wenn das Gericht sie hierzu auffordert. Deshalb darf die Verfahrenskostenhilfe nach Eingang des Gesuchs nicht mit der Begründung verweigert werden, die Angaben seien nicht glaubhaft gemacht worden. Das Gericht kann von der Partei Glaubhaftmachung verlangen hinsichtlich der Tatsachen, aus denen sie ihre Hilfsbedürftigkeit herleitet. Wie weit Glaubhaftmachung verlangt wird, steht im Ermessen des Gerichts (Zöller/Geimer, a.a.O., § 118, Rdnr. 16 m w N).

Entscheiden darf das Gericht allerdings erst nach Aufforderung und Fristsetzung (§ 118 Abs. 2 S. 4 ZPO; OVG Hamburg, FamRZ 1992,78). Im vorliegenden Fall fehlt es sowohl an einer Aufforderung nebst Fristsetzung; das Amtsgericht hat sich weiter in der Nichtabhilfeentscheidung mit der Darlegung des Antragsgegners zu seiner Hilfsbedürftigkeit und den beigefügten Belegen nicht auseinandergesetzt. Der angefochtene Beschluss war daher aufzuheben.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 127 Abs. 4 ZPO, FamGKG-KV 1912.