VGH Baden-Württemberg, Beschluss vom 12.11.1997 - 9 S 2530/97
Fundstelle
openJur 2013, 10630
  • Rkr:

1. Die Beschwerde gegen einen Beschluß des Verwaltungsgerichts nach § 80 Abs 5 VwGO kann wegen ernstlicher Zweifel an dessen Richtigkeit zuzulassen sein, wenn das Verwaltungsgericht die aufschiebende Wirkung eines Widerspruchs ohne zeitliche Beschränkung angeordnet hat, zur Begründung aber lediglich auf Ermessensfehler der behördlichen Ausgangsentscheidung abhebt, die durch die Widerspruchsentscheidung behoben werden können.

2. § 1 Abs 2 AGFlHG (FlBGAG BW) räumt den Vollzugsbehörden Ermessen ein. Dieses Ermessen ist durch den Vollzugszweck des Gesetzes dahingehend gebunden, daß im typischen Regelfalle einzuschreiten ist; das Ermessen besteht vor allem zur Berücksichtigung besonderer Umstände des Einzelfalls ("intendiertes Ermessen"). Ob sich dasselbe auch daraus ergibt, daß die Vorschrift mittelbar zur Durchsetzung europarechtlicher Standards ermächtigt, bleibt offen.

3. Im Rahmen der Ausübung des durch § 1 Abs 2 AGFlHG (FlBGAG BW) eingeräumten Ermessens ist dem verfassungsrechtlichen Gebot eines schonenden Übergangs von den bisherigen zu den neuen Anforderungen an den fleischhygienerechtlichen Standard von Schlachtbetrieben Rechnung zu tragen. Das gilt nicht nur, wenn der Betreiber seinen Betrieb nachrüsten will (vgl § 11a Abs 5 FlHV), sondern auch, wenn er seine alte Betriebsstätte schließen und seinen Betrieb in einer neuen fortsetzen will.

Gründe

1. Die Beschwerde war gemäß § 146 Abs. 4, § 124 Abs. 2 Nr. 1 VwGO zuzulassen, weil ernstliche Zweifel an der Richtigkeit des angefochtenen Beschlusses bestehen. Solche ernstlichen Zweifel bestehen nach der Rechtsprechung des erkennenden Senats grundsätzlich schon dann, wenn die Begründung des angefochtenen Beschlusses wahrscheinlich unrichtig ist (Senat, Beschl. vom 22.10.1997 - NC 9 S 20/97 -). Gleiches gilt, wenn die gegebene Begründung den Entscheidungsausspruch nicht trägt. Stützt das Verwaltungsgericht seinen Beschluß auf mehrere selbständig tragende Erwägungen, so müssen diese Erwägungen sämtlich ernstlichen Zweifeln begegnen.

Das Verwaltungsgericht hat die sofortige Vollziehbarkeit der veterinärrechtlichen Verfügung des Landratsamts Esslingen vom 22.04.1997 ohne zeitliche Beschränkung ausgesetzt. Das hat es zum einen auf die Annahme gestützt, die genannte Verfügung leide an verschiedenen Ermessensfehlern; zum anderen hat es ein besonderes öffentliches Interesse im Sinne von § 80 Abs. 2 Satz 1 Nr. 4 VwGO gerade an der sofortigen Vollziehung dieser Verfügung vermißt. Mit beiden Erwägungen begegnet die Entscheidung des Verwaltungsgerichts ernstlichen Zweifeln:

Das Verwaltungsgericht geht davon aus, daß das Landratsamt den formellen Anforderungen des § 80 Abs. 3 VwGO an eine Darlegung des besonderen öffentlichen Interesses an der sofortigen Vollziehung seiner Verfügung genügt hat. Es ist jedoch der Auffassung, daß ein solches besonderes öffentliches Interesse in der Sache nur anzuerkennen sei, wenn die Vollziehung der Verfügung in einem polizeirechtlichen Sinne dringlich, also zur Abwehr einer konkreten Gefahr geboten sei. Gegen die Richtigkeit dieses Ausgangspunkts bestehen für den hier angesprochenen Sachzusammenhang des Fleischhygienerechts die vom Antragsgegner hervorgehobenen ernstlichen Zweifel: Kennzeichen des Lebensmittelrechts ist die vorsorgende Gefahrenabwehr, die es erst gar nicht zu konkreten Gesundheitsgefahren kommen lassen will. Das dient dem effektiven Verbraucherschutz (vgl. § 5 FlHG) und mittelbar auch den Schlachtbetrieben, deren Umsatz entscheidend vom ungetrübten Vertrauen des Verbrauchers abhängt (vgl. Schulze in: Handbuch des Lebensmittelrechts, Abschnitt V - Hygienerecht -, Rdnr. 5). Hinzu kommt, daß die Verfügung des Landratsamts dem Vollzug von Vorschriften der Fleischhygieneverordnung in der Fassung der Änderungsverordnung vom 19.12.1996 (BGBl. I S. 2120), durch welche neue europarechtliche Anforderungen an Schlachtbetriebe einer bestimmten Größenordnung in nationales Recht umgesetzt wurden, und damit mittelbar dem Vollzug von Europarecht dient. Nach der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs aber ist die unverzügliche Umsetzung europarechtlicher Anforderungen nicht nur durch die nationalen Gesetz- und Verordnunggeber, sondern auch im Verwaltungsvollzug im Regelfall geboten (EuGH, Slg. I 1990, 2879 <2908> - Tafelwein -; Slg. I 1991, 415 <540> = DVBl. 1991, 480 - Zuckerfabrik Süderdithmarschen -; Schoch, DVBl. 1997, 289 <291>).

Daneben hat das Verwaltungsgericht seine Entscheidung auf die Erwägung gestützt, die Verfügung des Landratsamts leide an Ermessensfehlern. Dabei hat es die Annahme in den Vordergrund gerückt, das Landratsamt habe verkannt, daß ihm ein Ermessensspielraum offen stehe, und deshalb sein Ermessen überhaupt nicht betätigt. Diese Annahme ist unrichtig; wie das Verwaltungsgericht selbst einräumt, enthält die Verfügung des Landratsamts Ermessenserwägungen jedenfalls zum zweckdienlichen Zeitpunkt, zu dem das verhängte Verbot wirksam werden solle. Darüber hinaus weist das Verwaltungsgericht auf verschiedene rechtliche Gesichtspunkte hin, die das Landratsamt im Rahmen seiner Ermessensentscheidung hätte berücksichtigen müssen. Ob dem zu folgen ist, mag für die Zwecke der Entscheidung über die Zulassung der Beschwerde dahinstehen (vgl. hierzu unten 2.). Das Verwaltungsgericht führt diese Gesichtspunkte aber nicht an, um die noch ausstehende Ermessensausübung des Regierungspräsidiums Stuttgart bei dessen Entscheidung über den eingelegten Widerspruch der Antragstellerin rechtlich zu dirigieren (vgl. § 113 Abs. 5 Satz 2 VwGO); es ist vielmehr offenbar der Auffassung, diese Gesichtspunkte schlössen eine rechtmäßige Ermessensausübung mit dem Inhalt der Verfügung des Landratsamts vom 22.04.1997 jedenfalls aus. Andernfalls hätte das Verwaltungsgericht nämlich erwägen müssen, die Vollziehbarkeit der Verfügung nur bis zum Ergehen der Widerspruchsentscheidung auszusetzen. Gegen das damit im Beschluß des Verwaltungsgerichts zum Ausdruck kommende Maß der Ermessensbindung wendet sich der Zulassungsantrag des Antragsgegners mit Recht; auch insofern begegnet der Beschluß ernstlichen Zweifeln.

2. War nach allem die Beschwerde zuzulassen, so durfte der Senat sogleich auch über die Beschwerde entscheiden; denn die Sache eilt, und die Beteiligten haben ihre Standpunkte ersichtlich erschöpfend dargelegt (vgl. VGH Bad.-Württ., Beschl. vom 12.02.1997 - 7 S 430/97 -; Beschl. vom 17.02.1997 - 11 S 379/97 -).

Die Beschwerde hat nur teilweise Erfolg. Soweit der Beschwerdeführer die vollständige Ablehnung des Aussetzungsantrags der Antragstellerin begehrt, muß er erfolglos bleiben. Dem Verwaltungsgericht ist nämlich in seinem Ausgangspunkt zuzustimmen, daß die Verfügung des Landratsamts an Ermessensfehlern leidet (dazu unten a). Damit erweist sich diese Verfügung als rechtswidrig; ein behördliches Interesse daran, eine offenbar rechtswidrige Verfügung sofort zu vollziehen, ist aber rechtlich nicht anerkennenswert und muß daher in der nach § 80 Abs. 5 VwGO gebotenen Abwägung hinter dem gegenläufigen Interesse der Antragstellerin, von der Vollziehung einstweilen verschont zu bleiben, zurückstehen. Das hat das Verwaltungsgericht zutreffend erkannt. Es hat jedoch übersehen, daß die Ermessensfehler im anhängigen Widerspruchsverfahren behoben werden können (dazu unten b). Damit kommt eine über dessen Abschluß hinausreichende Vollzugsaussetzung jedenfalls im vorliegenden Verfahren nicht in Betracht. Der Senat macht vielmehr von seinem Ermessen dahin Gebrauch, die aufschiebende Wirkung des Widerspruchs der Antragstellerin  bis  zum  Ergehen der Widerspruchsentscheidung zu befristen (§ 80 Abs. 5 Satz 5 VwGO; vgl. VGH Bad.-Württ., InfAuslR 1993, 366; Hess. VGH, NVwZ-RR 1992, 615 <616>; NVwZ 1993, 204; sowie zur Konsequenz für das Wiederaufleben des Sofortvollzugs VGH Bad.-Württ., Beschl. vom 23.10.1981 - 8 S 2123/81 - und vom 18.10.1988 - 8 S 2797/88 -, VBlBW 1989, 146 = NVwZ-RR 1989, 398). Da die Antragstellerin ihren Antrag insofern nicht beschränkt hat, muß eine Teilabweisung erfolgen. Daß sie möglicherweise ihr wirtschaftliches Interesse, bis zum Jahresende in ihren bisherigen Schlachträumen weiter schlachten zu dürfen, erreicht, ändert daran nichts; das ist nicht im vorliegenden gerichtlichen Verfahren begründet, sondern hängt vom Fortgang des behördlichen Widerspruchsverfahrens ab.

a) Ziff. 1 der Verfügung des Landratsamts Esslingen vom 22.04.1997 findet seine Rechtsgrundlage in § 1 Abs. 2 des bad.-württ. Gesetzes zur Ausführung des Fleischhygienegesetzes - AGFlHG - vom 12.12.1994 (GBl. S. 653/660). Nach dieser Vorschrift trifft die untere Verwaltungsbehörde die zur Beseitigung festgestellter und zur Verhütung künftiger Verstöße gegen die Bestimmungen des Fleischhygienegesetzes - FlHG - erforderlichen Maßnahmen. Wie das Verwaltungsgericht richtig erkannt hat, umfaßt diese Ermächtigung auch Maßnahmen zur Durchsetzung der Fleischhygiene-Verordnung - FlHV -, die aufgrund von § 5 FlHG am 21.05.1997 in der seit 31.12.1996 geltenden und hier anzuwendenden Fassung neu bekanntgemacht worden ist (BGBl. I S. 1138). Nach § 10 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3, Abs. 2 Nr. 2 Buchst. c FlHV darf Fleisch nur in den Verkehr gebracht werden, wenn es entweder in einem nach § 11 FlHV zugelassenen oder in einem nach § 11a Abs. 3 FlHV registrierten Betrieb gewonnen, zubereitet oder behandelt worden ist; die weitere Möglichkeit nach § 10 Abs. 2 Nr. 1, § 11a Abs. 1 FlHV ist nicht einschlägig. Der Schlachthof Esslingen, den die Antragstellerin betreibt, ist weder nach § 11 FlHV zugelassen noch nach § 11a Abs. 3 FlHV registriert. Damit verstößt die Antragstellerin, indem sie in diesem Schlachthof gewonnenes Fleisch gleichwohl in Verkehr bringt, gegen Bestimmungen der Fleischhygiene-Verordnung. Das Landratsamt durfte ihr damit grundsätzlich untersagen, dort gewonnenes Fleisch in den Verkehr zu bringen.

Allerdings räumt § 1 Abs. 2 AGFlHG der Behörde Ermessen ein. Das besagt die Vorschrift nicht ausdrücklich, doch ergibt es sich aus ihrem polizeirechtlichen Charakter. Dies hat das Landratsamt Esslingen auch nicht verkannt; wie bereits dargelegt, hat es Ermessenserwägungen angestellt. Seine Erwägungen waren aber unzureichend. Das darf der Senat feststellen. Zwar sind die Gerichte nur zur Ermessenskontrolle, nicht aber zur eigenen Ermessensausübung befugt; sie sind auf die Nachprüfung beschränkt, ob das Ermessen rechtmäßig, nicht auch, ob es zweckmäßig ausgeübt wurde (BVerwGE 11, 95 <97>; 19, 149 <153>). Nach § 114 Satz 1 VwGO überprüft das Gericht aber auch, ob die Behörde ihr Ermessen entsprechend dem Zweck der Ermächtigung ausgeübt hat (vgl. § 40 Alt. 2 VwVfG). Hierzu gehört, daß die Behörde den oder die Zwecke des Gesetzes zutreffend und vollständig erfaßt und sich in diesem Normprogramm gehalten hat. Daran fehlt es.

Nicht beanstanden läßt sich freilich der Ausgangspunkt des Landratsamts, daß bei bestehenden oder drohenden Verstößen gegen das Fleischhygienegesetz oder die Fleischhygiene-Verordnung im Regelfall eingeschritten werden soll, sofern nicht besondere Umstände vorliegen, die dagegen sprechen. In der Tat ist die Ermächtigung des § 1 Abs. 2 AGFlHG auf ein solches Verhalten der Vollzugsbehörden angelegt (sog. intendiertes Ermessen). Darin ist die Vorschrift Eingriffsermächtigungen aus anderen Rechtsgebieten vergleichbar, denen es ebenfalls in erster Linie um die Aufrechterhaltung oder Wiederherstellung rechtmäßiger Zustände geht (vgl. BVerwGE 72, 1 <6>; 79, 274 <281>; 82, 356 <363>; 91, 82 <90>; NJW 1986, 393 <394>). Damit ist das von § 1 Abs. 2 AGFlHG eingeräumte Ermessen nicht in dem Sinne offen, daß ein Einschreiten auch im Regelfalle in gleicher Weise als rechtmäßig angesehen werden könnte wie ein Dulden rechtswidriger Umstände. Das Ermessen besteht vielmehr vor allem zur Berücksichtigung besonderer Umstände des Einzelfalls, die allenfalls in Extremfällen auch ein Absehen von hoheitlichen Maßnahmen gebieten können. Ob § 1 Abs. 2 AGFlHG auch deshalb in diesem Sinne auszulegen ist, weil die Vorschrift zur Durchsetzung europarechtlich geforderter Standards ermächtigt (vgl. Rodriguez Iglesias, EuGRZ 1997, 289 <293>, sowie oben zu § 80 Abs. 2 Satz 1 Nr. 4 VwGO), mag dahinstehen; dadurch würde die auf Vollzug angelegte Intention des Gesetzes allenfalls bestätigt, nicht aber zusätzlich verstärkt.

Das Landratsamt hat freilich verkannt, daß im Falle der Antragstellerin vom typischen Regelfall abweichende besondere Umstände gegeben sind: Der Schlachthof der Antragstellerin in Esslingen hat bis zum 30.12.1996 den fleischhygienerechtlichen Anforderungen offenbar entsprochen; daß die Antragstellerin seit dem 31.12.1996 diesen Anforderungen nicht mehr genügt, liegt nicht an einer tatsächlichen Änderung ihres Verhaltens, sondern an einer Verschärfung der rechtlichen Anforderungen an Großschlachthöfe. Diese Rechtsänderung setzt die Antragstellerin wie alle übrigen Schlachthofbetreiber dem Zwang aus, ihre Betriebsanlagen nachzurüsten oder aufzugeben und andere in Betrieb zu nehmen, welche den neuen Anforderungen genügen. Damit bewirkt die genannte Rechtsänderung einen Eingriff in das Eigentum der Antragstellerin, indem die rechtmäßige Nutzbarkeit ihrer Betriebsanlagen ohne Nachrüstung für die Zukunft ausgeschlossen wird. Darin liegt zwar keine Enteignung, wie die Antragstellerin gelegentlich meint (vgl. BVerfGE 83, 201 <211>). Die nachteilige Änderung der eigentumsrelevanten Rechtslage erfordert aber für diejenigen, die unter der alten Rechtslage rechtmäßig Eigentum erworben und genutzt haben, eine Übergangsregelung, welche den Anforderungen von Art. 14 GG genügt (dazu etwa Rennert, VBlBW 1995, 41 <45>).

Diese Übergangsregelung muß im vorliegenden Falle im Rahmen der Ermessensausübung nach § 1 Abs. 2 AGFlHG hergestellt werden. Das wird durch die Regelung des § 11a Abs. 5 FlHV weder erübrigt noch in einem für die Antragstellerin negativen Sinne vorentschieden. Allerdings stellt § 11a Abs. 5 FlHV eine Übergangsregelung dar; hiernach kann die vorübergehende Weiternutzung eines registrierten - und nunmehr nur noch als kleinerer Schlachtbetrieb registrierfähigen - Betriebes auch als Großbetrieb gestattet werden, wenn der Betrieb nach den für Großbetriebe nunmehr geltenden Anforderungen nachgerüstet wird. Das Bestehen dieser Vorschrift erübrigt eine Berücksichtigung des verfassungsrechtlichen Gebots eines schonenden Übergangs im Rahmen einer Entscheidung nach § 1 Abs. 2 AGFlHG indes nicht; § 11a Abs. 5 FlHV ermöglicht die vorübergehende Gestattung, während es bei § 1 Abs. 2 AGFlHG um die vorübergehende Duldung eines nicht gestatteten und damit rechtswidrigen Verhaltens geht. Diese Duldungsentscheidung wird auch nicht durch § 11a Abs. 5 FlHV in einem für die Antragstellerin nachteiligen Sinne vorherbestimmt. Richtig ist zwar, daß von einem Einschreiten gegen solche Betriebe regelmäßig abzusehen ist, welche die Gestattung nach § 11a Abs. 5 FlHV erlangen können. Ebenso richtig ist, daß § 11a Abs. 5 FlHV nach seinem Wortlaut nur diejenigen Fälle erfaßt, in denen der Schlachthofbetreiber seine Betriebsanlagen nachrüsten will, nicht jedoch diejenigen anderen Fälle, in denen der Schlachthofbetreiber - wie hier die Antragstellerin - seine bisherigen Anlagen aufgeben und neue Anlagen in Betrieb nehmen will, die den Anforderungen genügen. Ob § 11a Abs. 5 FlHV auf diese Fälle analog anzuwenden ist, wie das Verwaltungsgericht meint, mag dahinstehen. Keinesfalls läßt sich aus § 11a Abs. 5 FlHV der Schluß ziehen, daß die von seinem Wortlaut nicht erfaßten Übergangsfälle weil nicht gestattet, dann auch nicht nach Ermessen geduldet werden dürften.

Das Landratsamt hat in seiner Verfügung vom 22.04.1997 der Antragstellerin eine Übergangsfrist bis zum 01.07.1997 gewährt. Dies hat es damit begründet, es wolle der Antragstellerin Gelegenheit geben, ihre Produktionsmenge von bislang 90 GVE/Woche auf die für registrierfähige Schlachtbetriebe alter Ausstattung allenfalls zulässige Höchstmenge von 30 GVE/Woche zu reduzieren, und den in der Antragstellerin zusammengeschlossenen Metzgern zugleich ermöglichen, auf andere Schlachtstätten auszuweichen. Damit hat es nur diejenige Übergangsfrist eingeräumt, die auch bei einer sofortigen Beendigung des Großschlachtbetriebs im Schlachthof Esslingen unumgänglich war. Der Vortrag der Antragstellerin, sie wolle ihren Schlachtbetrieb ab Ende 1997 in dem neuen Schlachthof Göppingen fortführen und den Schlachthof Esslingen nur noch bis zu diesem Zeitpunkt im bisherigen Umfang weiter nutzen, blieb unberücksichtigt. Das war, wie gezeigt, fehlerhaft.

b) Der Ermessensfehler kann indes im Widerspruchsverfahren behoben werden; der Ausgang des Widerspruchsverfahrens erscheint insofern als offen.

Dem Senat ist nicht möglich, anhand der bislang im Verwaltungsverfahren getroffenen tatsächlichen Feststellungen zu entscheiden, zu welchem Zeitpunkt die Behörde ihr Verbot in Kraft setzen durfte. Es ist nicht ausgeschlossen, daß der in der Verfügung des Landratsamts genannte Zeitpunkt (01.07.1997) sich auch bei gehöriger Berücksichtigung des rechtlichen Gebots eines schonenden Übergangs als rechtmäßig erweist. Zwar ist einerseits nicht aus Rechtsgründen ausgeschlossen, die weitere Nutzung des Schlachthofs Esslingen im bisherigen Umfang bis zum Jahreswechsel sowie ggfs. auch darüber hinaus zu dulden. § 11a Abs. 5 FlHV bietet insofern einen auch hier anwendbaren Hinweis, als dort eine übergangsweise Gestattung bis zu längstens zwei Jahren ermöglicht wird; diese längste Frist hätte hier mit dem Inkrafttreten der neuen Rechtslage, also mit dem 31.12.1996 begonnen. Andererseits aber bestehen nach bisheriger Sachlage Anhaltspunkte, welche auch eine knappere Übergangsfrist als rechtmäßig erscheinen lassen könnten. So waren die neuen Anforderungen an Großschlachthöfe seit Mitte 1991 bekannt, nämlich seit der Änderung der EG-Richtlinie 64/433/EWG vom 26.06.1964 (ABl. Nr. L 121 S. 2012) durch die EG-Richtlinie 91/497/EWG vom 29.07.1991 (ABl. Nr. L 268 S. 69). Daran ändert nichts, daß die Umrechnungsmaßstäbe für Großvieheinheiten und damit die genaue Abgrenzung zwischen zulassungsbedürftigen Großschlachthöfen und kleineren registrierfähigen Betrieben noch einige Zeit umstritten war und mit der EG-Richtlinie 95/23/EG vom 22.06.1995 (ABl. Nr. L 243 S. 7) nochmals korrigiert wurde; daß der Esslinger Schlachthof der Antragstellerin jedenfalls oberhalb der insofern noch ungewissen Marge lag, stand außerhalb jeden Zweifels. Das hat die Antragstellerin auch selbst so gesehen, als sie schon im März 1992 eine Nachrüstung dieses Schlachthofs in Aussicht stellte und um die Erlaubnis bat, bis dahin ausnahmsweise im bisherigen Umfang weiter schlachten zu dürfen. Ebenso ändert nichts, daß das Regierungspräsidium über diesen im August 1995 erneuerten Ausnahmeantrag aus Ungewißheit über die Rechtslage nicht vor der nationalen Umsetzung des neuen EG-Rechts in nationales Recht entscheiden wollte, welche erst mit der Änderungsverordnung zur Fleischhygiene-Verordnung vom 19.12.1996 erfolgte; denn ungewiß waren nicht die neuen Anforderungen an die Schlachtbetriebe, sondern war allein die Zulässigkeit einer vorübergehenden Ausnahme.

Damit kommt es für die Ausübung des Untersagungsermessens ausschlaggebend auf das Gewicht des rechtlich schützenswerten Vertrauens der Antragstellerin in eine noch vorübergehende Weiternutzung ihres Schlachthofs in Esslingen an. Hierfür wird es auf eine Beurteilung der Alternativen ankommen, welche sich der Antragstellerin seit 1992 boten, sei es die Nachrüstung des Esslinger Schlachthofs, der offenbar zunächst ins Auge gefaßt wurde, sei es die Reduktion der Produktionsmenge und der Wechsel auf andere Schlachthöfe hinsichtlich der Mehrmenge, sei es die Neuerrichtung eines eigenen zulassungsfähigen Schlachthofs, sei es schließlich - wie offenbar nunmehr beabsichtigt - die Schließung des eigenen Schlachthofs und der Wechsel aller Metzger auf einen oder mehrere andere Schlachthöfe. Dabei ist nicht nur darauf abzustellen, welche Alternativen rechtlich offen standen; vielmehr kommt es auch auf deren Zumutbarkeit und in diesem Rahmen darauf an, ob die jeweilige Alternative wirtschaftlich war oder ist. In diesem Zusammenhang ist auch zu berücksichtigen, ob andere Schlachthöfe weiter entfernt sind und deshalb den Einsatz von Kühlfahrzeugen erfordern. Der Antragstellerin kann indes nicht zugute kommen, wenn sie hiernach bestehende und zumutbare Alternativen nicht frühzeitig genutzt, sondern zugewartet hat. Soweit sie sich allein hierdurch selbst in die heutige Zwangslage versetzt hat, kann dies von der Behörde zwar berücksichtigt werden, rechtlich geboten ist es aber nicht.

3. Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 1, Abs. 2, § 155 Abs. 1 Satz 1 VwGO, die Festsetzung und Änderung des Streitwerts auf § 25 Abs. 2, § 20 Abs. 3, § 13 Abs. 1 Satz 1 GKG. Dabei geht der Senat hinsichtlich Ziff. 1 der streitigen Verfügung vom gewerberechtlichen Regelwert (20.000 DM), hinsichtlich Ziff. 3 von der Hälfte des angedrohten Zwangsgeldes (10.000 DM : 2 = 5.000 DM) aus (vgl. Ziff. I Nr. 8 Satz 2 des Streitwertkatalogs für die Verwaltungsgerichtsbarkeit); der sich hieraus ergebende Wert eines Hauptsacheverfahrens (25.000 DM) ist für das vorliegende Eilverfahren um die Hälfte zu reduzieren.

Dieser Beschluß ist unanfechtbar.