Hamburgisches OVG, Beschluss vom 04.05.2009 - 2 Bs 154/08
Fundstelle
openJur 2013, 809
  • Rkr:
Tenor

Die Beschwerden der Antragstellerin zu 1) und der Beigeladenen gegen den Beschluss des Verwaltungsgerichts Hamburg vom 8. Juli 2008 werden zurückgewiesen.

Die Kosten des Beschwerdeverfahrens tragen die Beteiligten wie folgt:

Die Antragstellerin zu 1) und die Beigeladene tragen die Gerichtskosten sowie die außergerichtlichen Kosten der Antragsgegnerin je zur Hälfte. Die Antragstellerin zu 1) trägt außerdem die Hälfte der außergerichtlichen Kosten der Beigeladenen, die ihrerseits die außergerichtlichen Kosten der Antragstellerin zu 2) trägt. Im Übrigen tragen die Antragstellerin zu 1) und die Beigeladene ihre außergerichtlichen Kosten selbst.

Der Streitwert wird für das Beschwerdeverfahren auf 10.000 Euro festgesetzt.

Gründe

Die Beschwerden der Antragstellerin zu 1) und der Beigeladenen sind zulässig, führen in der Sache jedoch nicht zum Erfolg.

I. Das Verwaltungsgericht ist im Ergebnis zu Recht davon ausgegangen, dass der Widerspruch der Antragstellerin zu 1) gegen die der Beigeladenen mit Bescheid der Antragsgegnerin vom 18. April 2007 erteilte Baugenehmigung für die Erweiterung einer Stellplatzanlage verfristet ist und ihr Antrag auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung ihres Widerspruchs nach §§ 80 a, 80 Abs. 5 VwGO deshalb keinen Erfolg haben kann.

1. Allerdings ist der Beschwerdebegründung der Antragstellerin zu 1) insoweit zu folgen, als sie geltend macht, dass die Rechtsanwälte L. nur für das Vorbescheidsverfahren bevollmächtigt gewesen seien und deshalb die Übersendung der Baugenehmigung an die Rechtsanwälte mit Schreiben der Antragsgegnerin vom 19. April 2007 keine wirksame Bekanntgabe des Verwaltungsakts (§ 41 Abs. 1 HmbVwVfG) gegenüber der Antragstellerin zu 1) darstelle. Gemäß § 14 Abs. 1 Satz 2 HmbVwVfG gilt eine Vollmacht grundsätzlich (nur) für die Vertretung in dem Verwaltungsverfahren, in dem sie vorgelegt worden ist (vgl. auch OVG Hamburg, Beschl. v. 26.3.1998, 5 Bs 66/98, juris). Eine Ausnahme von diesem Grundsatz kommt hier nicht allein schon deshalb in Betracht, weil der Wortlaut der von der Antragstellerin zu 1) am 24. Januar 2006 erteilten Vollmacht („in allen meinen Angelegenheiten vor Gericht und Behörden und gegenüber juristischen und natürlichen Behörden“) eine Beschränkung auf ein bestimmtes Verfahren nicht erkennen lässt. Die weite laienhafte Formulierung der von der Antragstellerin zu 1) offenbar selbst verfassten Vollmacht gibt im Gegenteil vielmehr Anlass, den Umständen ihrer Vorlage bei der Antragsgegnerin eine besondere Bedeutung beizumessen. Danach fällt entscheidend ins Gewicht, dass der Antragsgegnerin die Vollmacht im Nachgang zum Schriftsatz der Rechtsanwälte L. vom 16. Mai 2006 übermittelt worden ist und die Rechtsanwälte in jenem Schriftsatz lediglich angezeigt hatten, dass sie „in dem Vorbescheidsverfahren“ mit der Wahrnehmung der rechtlichen Interessen der Antragstellerin zu 1) beauftragt worden seien. Das nachfolgende Verhalten der Rechtsanwälte im Baugenehmigungsverfahren legt es auch nicht nahe, insoweit von einer Anscheinsvollmacht auszugehen. Denn das Verhalten, das den Rechtsschein erzeugt, muss von einer gewissen Dauer oder Häufigkeit sein (vgl. Heinrichs in: Palandt, BGB, 68. Aufl. 2009, § 172 Rn. 12 m.w.N.), was vorliegend nicht erkennbar ist.

2. Erweisen sich folglich die die Entscheidung des Verwaltungsgerichts tragenden Erwägungen im Lichte der Beschwerdebegründung (§ 146 Abs. 4 Satz 3 und 6 VwGO) als fehlerhaft, so kann das Beschwerdegericht gleichwohl den erstinstanzlichen Beschluss nicht allein schon deshalb ändern, sondern ist vielmehr zur Prüfung berufen, ob die angefochtene Entscheidung aus anderen Gründen richtig ist. Das ist hier der Fall. Denn die fehlgeschlagene Bekanntgabe der Baugenehmigung ist dadurch geheilt worden, dass die Rechtsanwälte den ihnen übersandten Bescheid mit Schreiben vom 3. Mai 2007 an die Antragstellerin zu 1) weitergeleitet haben. Im Hinblick darauf, dass § 1 Abs. 1 HmbVwZG i.V.m. § 8 VwZG selbst bei Mängeln im Bereich der förmlichen Zustellung eine Heilung vorsieht und als Zustellungszeitpunkt denjenigen Zeitpunkt gelten lässt, in dem das Schriftstück dem Empfangsberechtigten tatsächlich zugegangen ist, kann für den hier in Rede stehenden - weniger formstrengen - Grundfall der Bekanntgabe nichts anderes gelten (vgl. BVerwG, Urt. v. 25.2.1994, DVBl. 1994, 810, 812; BFH, Urt. v. 1.12.2004, NVwZ 2005, 1462, 1463). Die einmonatige Widerspruchsfrist des § 70 VwGO begann daher mit Zugang des Bescheides bei der Antragstellerin zu 1) Anfang Mai 2007 zu laufen, so dass der erst am 4. Dezember 2007 durch die jetzigen Bevollmächtigten der Antragstellerin zu 1) erhobene Widerspruch auf jeden Fall verspätet ist. Hieran ändert auch der Umstand nichts, dass das Schreiben der Rechtsanwälte L. vom 3. Mai 2007 unzutreffende Ausführungen zum Ablauf der Widerspruchsfrist enthielt. Denn der Bescheid selbst war ebenso wie das Begleitschreiben der Antragsgegnerin vom 19. April 2007 mit einer ordnungsgemäßen Rechtsbehelfsbelehrung versehen. Allein dies ist für den Lauf der Widerspruchsfrist nach § 58 VwGO entscheidend.

II. Das Verwaltungsgericht hat auch im Ergebnis zu Recht die aufschiebende Wirkung des Widerspruchs der Antragstellerin zu 2) gegen die der Beigeladenen für die Erweiterung der Stellplatzanlage erteilte Baugenehmigung vom 18. April 2007 angeordnet.

1. Soweit die Beigeladene mit ihrer Beschwerde rügt, dass es der Antragstellerin zu 2) bereits an einem Rechtsschutzinteresse für ihren Antrag fehle, greifen ihre Ausführungen nicht durch. Das Verwaltungsgericht ist zutreffend davon ausgegangen, dass ein Rechtsschutzinteresse in Nachbarstreitigkeiten so lange besteht, wie nicht mit letzter Sicherheit ausgeschlossen werden kann, dass der Bauherr von der ihm erteilten Baugenehmigung Gebrauch machen wird, und dass ein Rechtsschutzinteresse für einen Antrag nach §§ 80 a, 80 Abs. 5 VwGO auch nicht voraussetzt, dass ein Baubeginn unmittelbar bevorsteht (vgl. BVerwG, Urt. v. 9.2.1995, NVwZ 1995, 894; OVG Hamburg, Beschl. v. 9.2.2006, 2 Bs 198/04). Gemessen hieran kann der Antragstellerin zu 2) ein Rechtsschutzinteresse nicht mit der Begründung abgesprochen werden, dass die beiden für die Herstellung der genehmigten Stellplätze vorgesehenen Grundstücke noch nicht vollständig im Eigentum der Beigeladenen stünden und deshalb von dieser auch noch kein Antrag auf Genehmigung des Abbruchs der vorhandenen Wohnbebauung gestellt worden sei. Die Beigeladene hat die Baugenehmigung ungeachtet dieser Hindernisse beantragt und damit selbst zu verstehen gegeben, dass sie deren Überwindung für möglich hält.

2. Soweit sich die Beigeladene in der Sache gegen die entscheidungstragende Annahme des Verwaltungsgerichts wendet, dass die für die Erweiterung der Stellplatzanlage vorgesehenen Grundstücke in einem besonders geschützten Wohngebiet nach § 10 Abs. 4 „Wohngebiet W“ Satz 3 der Baupolizeiverordnung für die Freie und Hansestadt Hamburg (BPVO) lägen und die Stellplätze deshalb nach § 11 Abs. 2 Satz 1 der Verordnung über Garagen und Einstellplätze (Reichsgaragenordnung - RGaO) vom 17. Februar 1939 (RGBl. I S. 219) unzulässig seien, hat sie die Richtigkeit dieser Annahme zwar mit gewichtigen Argumenten erschüttert. Die danach gebotene umfassende Prüfung des Begehrens der Antragstellerin zu 2) durch das Beschwerdegericht führt aber auch insoweit zu dem Ergebnis, dass die erstinstanzliche Entscheidung aufrechtzuerhalten ist. Die angefochtene Baugenehmigung dürfte aus anderen Gründen rechtswidrig sein und die Antragstellerin zu 2) in ihren Rechten verletzen, so dass ihrem Interesse an der Anordnung der aufschiebenden Wirkung ihres Widerspruchs der Vorrang gegenüber den Interessen der Beigeladenen an einer sofortigen Vollziehbarkeit der Baugenehmigung gebührt.

a) Eine Ausweisung der streitbefangenen Grundstücke als besonders geschütztes Wohngebiet i.S.v. § 10 Abs. 4 Abschnitt „Wohngebiet W“ Satz 3 BPVO lässt sich dem Baustufenplan Niendorf/Lokstedt/Schnelsen entgegen der Auffassung des Verwaltungsgerichts nicht entnehmen. § 10 Abs. 4 Abschnitt „Wohngebiet W“ Satz 3 BPVO enthält die Ermächtigung, für Teile des Gebiets zum Schutze ihrer Eigenart als Wohngebiet besondere Vorschriften, wie z.B. das Verbot jeder Art gewerblicher und handwerklicher Betriebe, Läden und Wirtschaften, zu erlassen. Der Baustufenplan setzt einen solchen Schutz jedoch nicht positiv für Teile des Wohngebiets fest, sondern enthält vielmehr (in Textform) den Zusatz, dass „kleinere Läden, kleine nicht störende handwerkliche Betriebe und Wirtschaften in folgenden Straßen zugelassen werden (können): Lokstedter Steindamm, Vogt-Wells-Straße, Grelck Straße, Kollau Straße, Gazellenkamp, Friedrich-Ebert-Straße, Tibarg, Garstedter Weg, Paul-Sorge-Straße bis zur Joachim-Mähl-Straße“. Wenn das Verwaltungsgericht hieraus im Umkehrschluss die planerische Festsetzung hergeleitet hat, dass die nicht an diesen Straßen gelegenen Grundstücke als besonders geschütztes Wohngebiet ausgewiesen seien, so begegnet diese Auslegung im Hinblick auf die Ermächtigung in § 10 Abs. 4 Abschnitt „Wohngebiet W“ Satz 3 BPVO schon vom Ansatz her Bedenken. Diese können aber auf sich beruhen. Denn jedenfalls erweist sich der in Rede stehende Zusatz nicht als taugliche Grundlage für einen Umkehrschluss, weil er für sich genommen mangels hinreichender Bestimmtheit als unwirksam anzusehen ist. Das rechtsstaatliche Gebot der Normenklarheit erfordert, dass ein Bebauungsplan - wie jede andere Rechtsnorm - hinreichend klar zum Ausdruck bringt, welche Regelung mit welchem Inhalt normative Geltung beansprucht. Diesen Anforderungen wird der Zusatz schon deshalb nicht gerecht, weil die aufgezählten Straßen im Baustufenplan nicht einmal allesamt dargestellt bzw. unter dem erwähnten Namen verzeichnet sind.

b) Die Zulässigkeit der genehmigten Erweiterung der Stellplatzanlage um 34 zusätzliche Stellplätze und die zugleich genehmigte Verlegung von 16 Stellplätzen, die an anderer Stelle bereits vorhanden waren, ist deshalb an der für die Grundstücke geltenden Ausweisung als Wohngebiet (W 1 o und W 2 o) i.S.d. § 10 Abs. 4 Abschnitt „Wohngebiet W“ BPVO zu messen. Danach ist das Vorhaben entgegen der Auffassung der Antragstellerin zu 2) zwar seiner Art nach im Wohngebiet allgemein zulässig. Die angefochtene Baugenehmigung dürfte die Antragstellerin zu 2) aber deshalb in ihrem subjektiven Recht auf Gebietserhaltung des Baugebiets verletzen, weil nach den Umständen des Einzelfalles jedenfalls von einem Widerspruch zur Eigenart des Baugebiets i.S.v. § 15 Abs. 1 Satz 1 BauNVO auszugehen ist.

aa) Zur Bestimmung der in einem Wohngebiet nach § 10 Abs. 4 Abschnitt „Wohngebiet W“ BPVO allgemein zulässigen Nutzungen kann - wenn auch nicht schematisch - nach ständiger Rechtsprechung des Beschwerdegerichts (vgl. zuletzt OVG Hamburg, Beschl. v. 15.10.2008, NordÖR 2009, 68, 69 m.w.N.) auf die Baunutzungsverordnung in ihrer jeweils geltenden Fassung als Auslegungshilfe zurückgegriffen werden. Das gilt auch, soweit die Zulässigkeit von Stellplätzen in Rede steht. Die vom Verwaltungsgericht herangezogenen planungsrechtlichen Vorschriften der Reichsgaragenordnung scheiden dagegen als Rechtsgrundlage aus. Sie sind als Bundesrecht außer Kraft getreten und gelten auch als Bestandteil der übergeleiteten Baustufenpläne jedenfalls dann nicht fort, wenn der Plan - wie hier - keinerlei textlichen oder zeichnerischen Hinweis darauf enthält, dass er sie zu seinem Inhalt gemacht hat (vgl. OVG Hamburg, Urt. v. 30.4.2008, NordÖR 2008, 404).

§ 12 Abs. 2 BauNVO bestimmt, dass u.a. in allgemeinen Wohngebieten Stellplätze nur für den durch die zugelassene Nutzung verursachten Bedarf zulässig sind. Dabei schließt der Begriff der „zugelassenen Nutzung“ auch solche Nutzungen ein, die materiell dem geltenden Baurecht widersprechen, sofern ihre Ausübung aufgrund einer bestandskräftigen Genehmigung statthaft ist (vgl. BVerwG, Urt. v. 7.12.2006, BVerwGE 127, 231). Für diese Auslegung streitet neben dem Wortlaut der mit der Regelung verfolgte Zweck, die Deckung des durch die Nutzung verursachten Stellplatzbedarfs vorrangig auf den Grundstücken zu ermöglichen und den öffentlichen Straßenraum auf diese Weise vom ruhenden Verkehr zu entlasten. Insoweit handelt es sich um eine Zielsetzung, die unabhängig davon ist, ob die genehmigte Nutzung dem materiellen Recht entspricht oder nicht. Auch letztere verursacht einen Stellplatzbedarf, dessen Befriedigung grundsätzlich nicht in den öffentlichen Straßenraum abgedrängt werden soll (vgl. BVerwG, Urt. v. 7.12.2006, a.a.O., S. 233 f.). Im Geltungsbereich eines Baustufenplans sind diese Erwägungen nicht minder berechtigt. Zu den Nutzungen, die in einem Wohngebiet nach § 10 Abs. 4 Abschnitt „Wohngebiet W“ BPVO regelhaft zulässig sind, zählen deshalb auch Stellplätze für gebietsfremde Nutzungen, wenn diese bestandskräftig genehmigt worden sind und deshalb weiter ausgeübt werden dürfen. Es kommt in diesem Zusammenhang daher nicht darauf an, dass die Stellplätze hier dem auf dem Nachbargrundstück vorhandenen Fitness-Center und Lebensmittelmarkt dienen sollen, diese Anlagen aufgrund ihrer Dimensionen - nach den Bauvorlagen verfügt das Fitness-Center über eine Nutzfläche von ca. 2.650 qm und der Lebensmittelmarkt über einen Verkaufsraum von ca. 925 qm - gegen die Wohngebietsausweisung nach § 10 Abs. 4 Abschnitt „Wohngebiet W“ BPVO verstoßen dürften und die Antragsgegnerin auch keine Befreiung von der Art der Nutzung erteilt hat. Denn jedenfalls sind die Nutzungen durch die bestandskräftigen Bescheide der Antragsgegnerin vom 13. Juni 2001 und 6. März 2003 sowie diverse Ergänzungsbescheide gedeckt.

Es bestehen auch keine durchgreifenden Zweifel daran, dass die beantragten Stellplätze sich im Rahmen des durch die zugelassene Nutzung verursachten Bedarfs halten, der hier - da die Beigeladene keinen gebietsbezogenen, sondern einen vorhabenbezogenen Bedarf geltend macht - nur mit den Kraftfahrzeugen der Besucher, Kunden und Angestellten des Fitness-Centers und des Lebensmittelmarkts begründet werden kann. Allerdings überschreitet schon die jetzt vorhandene Zahl von 99 Stellplätzen deutlich die Zahl von 65 Stellplätzen, die in den entsprechenden Baugenehmigungen als notwendig i.S.d. § 48 Abs.1 HBauO festgelegt worden sind. Der Bedarf ist in quantitativer Hinsicht jedoch nicht durch die Anzahl der bauordnungsrechtlich notwendigen Stellplätze beschränkt, da die betreffenden Richtwerte nur den Mindestbedarf angeben (vgl. BVerwG, Urt. v. 16.9.1993, BVerwGE 94, 151, 162; Fickert/Fieseler, BauNVO, 11. Aufl. 2008, § 12 Rn. 6; Stock in: Ernst/Zinkahn/Bielenberg, BauGB, Bd. V, Stand Januar 2008, § 12 BauNVO Rn. 56). Zudem ergibt eine überschlägige Berechnung, dass die Zahl der notwendigen Stellplätze nach der gegenwärtig geltenden Globalrichtlinie gemäß Senatsbeschluss vom 23. Juli 2002 ohnehin höher liegen dürfte bzw. schon bei Genehmigung der Vorhaben möglicherweise zu niedrig festgesetzt worden ist, weil die Antragsgegnerin - wie es scheint - von einer zu niedrigen Verkaufsnutzfläche des Lebensmittelmarkts und einem für Spiel- und Sporthallen und nicht für Fitness-Center geltenden Stellplatzschlüssel ausgegangen ist. Jedenfalls errechnet sich anhand der in den Sachakten enthaltenen Informationen und auf der Grundlage der Ziffern 3.2 und 5.71 der Anlage 1 zur Globalrichtlinie 2002 eine Zahl von notwendigen Stellplätzen, die insgesamt um die 90 liegt. Gemessen hieran übersteigt die Zahl der schon jetzt vorhandenen Stellplätze die Zahl der bauordnungsrechtlich als notwendig anzusehenden Stellplätze nur geringfügig und überschreitet auch die Erweiterung auf insgesamt 133 Stellplätze die bauordnungsrechtlichen Richtwerte noch nicht in einem Maße, das gegen einen durch die zugelassene Nutzung verursachten Bedarf spricht.

bb) Die angefochtene Baugenehmigung dürfte sich gleichwohl als rechtswidrig erweisen und die Antragstellerin zu 2) in ihrem subjektiven Recht auf Erhaltung des Baugebiets verletzen. Der einem Eigentümer eines im Plangebiet gelegenen Grundstücks unabhängig von konkreten Beeinträchtigungen kraft Bundesrechts zustehende Gebietserhaltungsanspruch (vgl. dazu nur BVerwG, Urt. v. 23. 8.1996, BVerwGE 101, 365, 372 ff.; OVG Hamburg, Beschl. v. 15.10.2008, a.a.O., S. 71; Urt. v. 10.7.1997, NordÖR 1999, 354, 355) wird nämlich nicht nur dann verletzt, wenn ein im Baugebiet seiner Art nach allgemein unzulässiges Vorhaben ohne die erforderliche (rechtmäßige) Befreiung nach § 31 Abs. 2 BauGB von der Art der baulichen Nutzung zugelassen wird, sondern auch wenn ein im Baugebiet seiner Art nach allgemein zulässiges Vorhaben genehmigt wird, obwohl es im Einzelfall gemäß § 15 Abs. 1 Satz 1 BauNVO nach Anzahl, Lage, Umfang oder Zweckbestimmung der Eigenart des Baugebiets widerspricht. Der auch in Baustufenplangebieten entsprechend anwendbare § 15 Abs. 1 Satz 1 BauNVO enthält nicht nur das Gebot der Rücksichtnahme, sondern vermittelt auch einen Anspruch auf Aufrechterhaltung der typischen Prägung eines Baugebiets (vgl. BVerwG, Beschl. v. 13.5.2002, NVwZ 2002, 1384; Fickert/Fieseler, a.a.O., § 15 Rn. 7; Söfker in: Ernst/Zinkahn/Bielenberg, a.a.O., § 15 BauNVO Rn. 36 f.). Vorliegend dürfte nach der Anzahl der Stellplätze bzw. dem Umfang der Stellplatzanlage ein Widerspruch zu der Eigenart des Baugebiets zu bejahen sein.

Die Eigenart des Baugebiets ergibt sich zum einen aus seiner allgemeinen Zweckbestimmung, zum anderen wird sie durch die sonstigen Festsetzungen des Bebauungsplans, wie z.B. dem Maß der baulichen Nutzung und der Bauweise, geprägt (vgl. Fickert/Fieseler, a.a.O., § 15 Rn. 8; Söfker in: Ernst/Zinkahn/Bielenberg, a.a.O., § 15 BauNVO Rn. 10 ff.). Die typisierenden Regelungen der Baunutzungsverordnung (bzw. hier der Baupolizeiverordnung) sind allerdings nicht allein entscheidend. Vielmehr lässt sich die Eigenart eines Baugebiets nur auf die Weise abschließend bestimmen, dass zusätzlich auch die jeweilige örtliche Situation, in die ein Gebiet „hineingeplant“ worden ist, sowie der jeweilige Planungswille, soweit dieser in den Festsetzungen des Bebauungsplans unter Berücksichtigung der hierfür gegebenen Begründung zum Ausdruck gekommen ist, berücksichtigt werden (vgl. BVerwG, Urt. v. 4.5.1988, BVerwGE 79, 309, m.w.N.). Auf die tatsächlich vorhandene Bebauung kommt es für die Bestimmung der Eigenart des Gebiets dagegen grundsätzlich nicht an. Sie ist nur insoweit beachtlich, als sie sich im Rahmen der durch die Festsetzungen zum Ausdruck gebrachten städtebaulichen Ordnungsvorstellungen für das Baugebiet hält (vgl. Fickert/Fieseler, a.a.O., § 15 Rn. 8; Söfker in: Ernst/Zinkahn/Bielenberg, a.a.O., § 15 BauNVO Rn. 10).

Zur Ermittlung des Planungswillens kann hier zwar nicht auf eine Begründung zum Bebauungsplan zurückgegriffen werden, da eine solche bei den übergeleiteten Baustufenplänen regelmäßig fehlt. Auch ohne diese Auslegungshilfe lässt sich dem Baustufenplan Niendorf/Lokstedt/Schnelsen jedoch entnehmen, dass eine Massierung von Stellplätzen in der hier in Rede stehenden Größenordnung dem Planungswillen widerspricht. Dafür spricht zum einen, dass der Plangeber von der bei Feststellung des Baustufenplans im Jahre 1955 bestehenden Möglichkeit der Ausweisung von Gemeinschaftseinstellplätzen nach § 10 Satz 1 RGaO keinen Gebrauch gemacht hat und somit erkennbar von der Unterbringung des ruhenden Verkehrs auf den einzelnen Baugrundstücken ausgegangen ist. Zum anderen hat er sich mit der Festsetzung einer ein- bzw. zweigeschossigen offenen Bauweise und der damit einhergehenden bebaubaren Fläche von 2/10 bzw. 3/10 (vgl. Spalte 8 der Baustufentafel in § 11 Abs. 1 BPVO) für die kleinstmögliche bauliche Ausnutzung der Grundstücke bzw. für einen jedenfalls kleinen Maßstab entschieden, der zwangsläufig eine nur geringe Nutzungsdichte und damit typischerweise auch nur die Schaffung weniger Stellplätze auf den jeweiligen Baugrundstücken zur Folge hat. Anhaltspunkte dafür, dass bereits bei Planaufstellung größere Stellplatzanlagen im Gebiet vorhanden waren, sind nicht zu erkennen. Insbesondere ergibt sich aus den beigezogenen Bauakten, dass der im Gebäude des Fitness-Centers zuvor betriebene Gartenfachmarkt, zu dem eine Reihe von Stellplätzen gehörten, sich dort erst um das Jahr 1970 angesiedelt hatte. An der danach durch eine kleinmaßstäbliche Unterbringung des ruhenden Verkehrs gekennzeichneten Eigenart des Gebiets vermag die schon jetzt vorhandene Stellplatzanlage, um deren Erweiterung es geht, nichts zu ändern. Denn auch wenn diese Anlage von der Antragsgegnerin mit Baugenehmigungsbescheid vom 13. Juni 2001 nebst Ergänzungsbescheid vom 29. April 2003 zusammen mit dem Lebensmittelmarkt genehmigt worden ist, hat sie mit 99 Stellplätzen bereits ihrerseits eine Größe erreicht, die den durch die städtebaulichen Ordnungsvorstellungen des Plangebers für das Baugebiet gesetzten Rahmen deutlich überschreitet und deshalb nicht geeignet ist, die Eigenart des Baugebiets mit zu prägen.

Hiervon ausgehend ist die genehmigte Erweiterung der Stellplatzanlage als unzulässig anzusehen. Die Verwirklichung des Vorhabens hätte unter Inanspruchnahme zweier gegenwärtig noch mit einem Doppelhaus bebauter Grundstücke einen Flächenzuwachs von etwa einem Drittel der bisherigen Anlage und eine Erhöhung der Stellplatzzahl von 99 auf 133 zur Folge. Hierdurch würde der schon jetzt anzunehmende Widerspruch zur Eigenart des Gebiets noch einmal erheblich verstärkt. Die Häufung von insgesamt 133 Stellplätzen steht im deutlichen Gegensatz zu der dem Baustufenplan zugrunde liegenden Vorstellung einer kleinmaßstäblichen Unterbringung des ruhenden Verkehrs.Sie hebt sich in dieser Beziehung von der Gebietsstruktur unangemessen ab und fällt so offensichtlich aus dem vom Plangeber gezogenen Rahmen, dass die Unangemessenheit bei objektiver Betrachtungsweise augenscheinlich ist (vgl. zu diesem Maßstab Söfker in: Ernst/Zinkahn/Bielenberg, a.a.O., § 15 Rn. 13, 17; Fickert/Fieseler, a.a.O., § 15 Rn. 9.1). Dies gilt umso mehr, als sich die Stellplatzanlage nicht mehr im Wesentlichen auf den Bereich der zweigeschossigen Wohngebietsausweisung beschränken, sondern zu einem beträchtlichen Teil auch in den empfindlicheren Bereich vordringen würde, der der eingeschossigen Bebauung vorbehalten ist. Für den Betrachter tritt solchermaßen ein Großparkplatz mit der ihm immanenten Unruhe in Erscheinung, wie er in Wohngebieten allenfalls bei der Ausweisung von Gemeinschaftsstellplätzen im Bereich des verdichteten Geschosswohnungsbaus und ansonsten nur in Gebieten zu erwarten ist, die regelhaft in stärkerem Maße für eine gewerbliche Nutzung offen sind. In diesem Sinne widerspricht die Massierung der Stellplätze dem dem konkreten Wohngebiet immanenten „Ruhebedürfnis“, wobei letzteres nicht mit einer immissionsschutzrechtlich relevanten Lärmsituation gleichbedeutend ist, sondern vielmehr für die Vermeidung solcher Nutzungen steht, die den Charakter eines kleinmaßstäblich geplanten Wohngebiets beeinträchtigen. Von daher ist hier auch davon auszugehen, dass - wie es § 15 Abs. 1 Satz 1 BauNVO hinsichtlich des Merkmals des Umfangs erfordert - die Quantität in Qualität umschlägt (vgl. BVerwG, Urt. v. 16.3.1995, NVwZ 1995, 899, 900), mithin die Anzahl der Stellplätze bzw. der Umfang der Stellplatzanlage die Art der baulichen Nutzung erfasst. Ein Wertungswiderspruch ist entgegen der Auffassung der Beigeladenen mit der Qualifizierung einer nach § 12 Abs. 2 BauNVO zulässigen Stellplatzanlage als unzulässig i.S.d. § 15 Abs. 1 Satz 1 BauNVO nicht verbunden. Der Anwendungsbereich der Vorschrift ist überhaupt erst dann eröffnet, wenn ein Vorhaben nach den §§ 2 bis 14 BauNVO bzw. hier § 10 Abs. 4 BPVO allgemein zulässig ist.

c) Auf die Frage, ob die genehmigten Stellplätze die Antragstellerin zu 2) darüber hinaus unzumutbar in der Nutzung ihres Grundstücks beeinträchtigen und deshalb das Gebot der Rücksichtnahme verletzen, kommt es nach alledem nicht mehr an.

III. Die Kostenentscheidung folgt aus §§ 154 Abs. 2 und 3, 162 Abs. 3 VwGO. Die Streitwertfestsetzung beruht auf §§ 53 Abs. 3 Nr. 2, 52 Abs. 1 GKG und berücksichtigt, dass im Beschwerdeverfahren nur noch um den Sofortvollzug der Baugenehmigung gestritten worden ist.