BGH, Urteil vom 08.06.1976 - VI ZR 216/74
Fundstelle
openJur 2012, 132636
  • Rkr:

Zu den Grenzen des tatrichterlichen Ermessens bei der Schmerzensgeldbemessung, insbesondere bei Zubilligung einer Schmerzensgeldrente neben einem Kapitalbetrag.

Tenor

Auf die Revision der Beklagten wird das Urteil des 6. Zivilsenats des Oberlandesgerichts Nürnberg vom 26. Juli 1974 unter Zurückweisung des Rechtsmittels im Übrigen insoweit aufgehoben, als es der Klägerin den Betrag von 20.000 DM (nebst Zinsen) übersteigende Schmerzensgeldzahlungen zuerkannt hat.

In diesem Umfang wird die Sache zur anderweiten Verhandlung und Entscheidung - auch über die Kosten der Revision - an das Berufungsgericht zurückverwiesen.

Von Rechts wegen

Tatbestand

Am 4. September 1971 wurde die damals 15-jährige Klägerin bei einem Verkehrsunfall schwer verletzt. Sie erlitt Kopfverletzungen, auf die u. a. der Verlust ihres Geruchs- und Geschmacksinns zurückzuführen ist. Den Unfall hat W., in dessen Pkw die Klägerin auf einer Spazierfahrt verunglückt ist und der bei dem Unfall getötet wurde, allein verschuldet. Die Klägerin nimmt die Beklagte, bei der W. haftpflichtversichert war, auf Schadensersatz in Anspruch. Die Parteien streiten nur noch über das Schmerzensgeld.

Mit ihrer Klage hat die Klägerin ein in das Ermessen des Gerichts gestelltes Schmerzensgeld von mindestens 20.000 DM Kapital sowie ab 1. Februar 1973 mindestens 150 DM monatliche Rente und die Feststellung der Pflicht zum Ersatz künftig noch entstehender materieller und immaterieller Schäden begehrt.

Das Landgericht hat auf Zahlung eines Schmerzensgeldkapitals von 30.000 DM sowie einer Rente ab 1. Februar 1973 von monatlich 300 DM erkannt und dem Feststellungsantrag (vorbehaltlich von Forderungsübergängen auf öffentliche Versicherungsträger) stattgegeben.

Hiergegen hat sich die Beklagte mit ihrer Berufung gewendet, soweit sie zur Zahlung von mehr als 20.000 DM verurteilt worden ist und der Feststellungsausspruch zukünftige immaterielle Schäden umfasst. Ihre Berufung ist erfolglos geblieben.

Mit der Revision verfolgt die Beklagte ihre vor dem Berufungsgericht gestellten Anträge weiter.

Gründe

I.

Nach den Feststellungen des Berufungsgerichts hat die Klägerin bei dem Verkehrsunfall einen - folgenlos verheilten - Schädelbasisbruch, eine Hirnkontusion, Verletzungen des Gehörs sowie einen Schweren Unfallschock davongetragen. Sie war vom 4. September bis 22. Oktober 1971 in stationärer Behandlung; 10 Tage war sie bewusstlos. Den Schulbesuch hat sie am 6. Dezember 1971 wieder aufgenommen.

Als Dauerfolgen stellt das Berufungsgericht fest: Das schwere Schädel-Hirntrauma habe zu einem dauernden Verlust des Geruchs- und Geschmackssinns, einer dauerhaften erheblichen Beeinträchtigung der Gehirnfunktion mit nicht sicher ausschließbarer späteren Entstehung einer Epilepsie, zu einer dauernden Wesensänderung (Affektlabilität, vermehrte Erregbarkeit, Nervosität, Reizbarkeit), Minderung der Intelligenz sowie zu einer vegetativen Labilität mit nicht sehr erheblichen Kopfschmerzen und Schwindelerscheinungen geführt. Die bereits vor dem Unfall bestehende Schwerhörigkeit der Klägerin (sie musste früher schon einen Hörapparat tragen) sei leichtgradig verschlimmert. Ihre Erwerbsfähigkeit sei auf Dauer um 30% gemindert.

Auf dieser Grundlage hält das Berufungsgericht als billige Entschädigung für die immateriellen Nachteile der Klägerin in Übereinstimmung mit dem Landgericht einen Kapitalbetrag von 30.000 DM und eine ab 1. Februar 1973 zu zahlende lebenslange Rente von monatlich 300 DM für gerechtfertigt. Hierzu führt es aus: Die beim Unfall erst 15 Jahre alte Klägerin werde durch die zu den schweren Verletzungsarten zählenden Dauerschäden lebenslang erheblich belastet. Sie habe den Verlust des Geschmacks- und Geruchssinns nicht nur physisch, sondern ebenso wie die Möglichkeit des Auftretens epileptischer Anfälle auch psychisch unter dem ungünstigen Aspekt ihrer Affektlabilität zu verarbeiten. Ihre Heiratsaussichten seien vermindert; infolge des Verlustes des Geschmacks- und Geruchssinns werde sie keine vollwertige Hausfrau sein können. Soweit vorhersehbar werde ihr bisheriger beruflicher Werdegang nicht mehr den geplanten Verlauf nehmen können; zumindest ihr berufliches Durchsetzungsvermögen habe nicht unerheblich gelitten. Zudem wiege das Verschulden des W. an dem Unfall schwer und verlange Genugtuung; allerdings komme diesem Gesichtspunkt keine überragende Bedeutung zu, da die Klägerin auf einer Gefälligkeitsfahrt verunglückt sei.

Im Blick auf die irreparablen Schäden sowie die unmittelbar nach dem Unfall erlittenen Unbillen und Schmerzen sei als Ausgleich für die Zeit bis zu 31. Januar 1973 ein Schmerzensgeld von 30.000 DM nicht übersetzt. Ab Februar 1973 hätten die Schäden - soweit nicht irreparabel - eine Konstanz erreicht, die auch für die Zukunft als maßgebend angesehen werden könne. Von diesem Zeitpunkt ab sei deshalb eine Schmerzensgeldrente von monatlich 300 DM angemessen. Die Form der Rente sei wegen der Unerfahrenheit der Klägerin in finanziellen Angelegenheiten sowie mit Rücksicht auf den dahingehenden Antrag ihrer Eltern angezeigt.

II.

Mit diesen Ausführungen hat das Berufungsurteil gegenüber den Angriffen der Revision keinen Bestand.

1. Allerdings ist dem Revisionsgericht bei der Nachprüfung der Schmerzensgeldbemessung besondere Zurückhaltung auferlegt. Das beruht vor allem darauf, dass es eine „an sich“ angemessene Entschädigung für nichtvermögensrechtliche Nachteile nicht gibt, da diese in Geld nicht unmittelbar messbar sind (BGHZ [GSZ] 18, 149, 156, 164; Senatsurteile vom 18. November 1969 - VI ZR 81/68 - VersR 1970, 134, 136; vom 10. März 1970 - VI ZR 145/68 = VersR 1970, 443, 445; vom 3. Juli 1973 - VI ZR 60/72 = VersR 1973, 1067, 1068).

Der Maßstab für die billige Entschädigung i. S. von § 847 BGB muss deshalb unter Berücksichtigung ihrer Ausgleichs- und Genugtuungsfunktion für jeden einzelnen Fall durch Würdigung und Wägung aller ihn prägenden Umstände neu gewonnen werden, wobei auch dem Spannungsverhältnis zwischen den Interessen des Geschädigten und dem - auch nach allgemeinen volkswirtschaftlichen Gesichtspunkten - für den Schädiger wirtschaftlich Zumutbaren Rechnung zu tragen ist. Damit ist die Ermittlung des Schmerzensgeldes - nach Höhe und Art - grundsätzlich dem Tatrichter vorbehalten, der hier durch § 287 ZPO besonders freigestellt ist. Seine Bemessung kann in aller Regel nicht schon deshalb beanstandet werden, weil sie als zu dürftig oder, was hier in Betracht kommt, als zu reichlich erscheint; insoweit ist der Revision verwehrt, ihre Bewertung an die Stelle des Tatrichters zu setzen (vgl. Senatsurteile vom 18. November 1969 - VI ZR 81/68 a. a. O.; vom 19. Dezember 1969 - VI ZR 111/68 = VersR 1970, 281, 282; vom 3. April 1973 - VI ZR 58/72 = VersR 1973, 711; st. Rspr.).

Doch sind dem Ermessen des Tatrichters Grenzen gesetzt; er darf das Schmerzensgeld nicht willkürlich festsetzen, sondern muss zu erkennen geben, dass er sich um eine dem Schadensfall gerecht werdende Entschädigung bemüht hat. Er muss alle für die Höhe des Schmerzensgeldes maßgebenden Umstände vollständig berücksichtigen und darf bei seiner Abwägung nicht gegen Rechtssätze, Denkgesetze und Erfahrungssätze verstoßen (Senatsurteile vom 19. Dezember 1969 - VI ZR 111/68 a. a. O.; vom 11. Dezember 1973 - VI ZR 189/72 a. a. O.). Er muss die Entschädigung zu Art und Dauer der erlittenen Schäden in eine angemessene Beziehung setzen (Senatsurteile vom 8. Juli 1953 - VI ZR 36/53 = VersR 1953, 390; vom 13. März 1959 - VI ZR 72/58 = VersR 1959, 458 ff; BGH Urteil vom 13. Februar 1964 - III ZR 124/63 = VersR 1964, 842). Zwar ist er nicht gehindert, die von der Rechtsprechung in vergleichbaren Fällen bisher gewährten Beträge zu unterschreiten oder über sie hinaus zu gehen, wenn ihm dies nach Lage des Falles - vor allem in Anbetracht der wirtschaftlichen Entwicklung oder veränderter allgemeiner Wertvorstellungen - geboten erscheint; doch muss er das dann begründen. Dabei darf er die wirtschaftlichen Belange auf Seiten des Ersatzpflichtigen nicht aus den Augen verlieren; insbesondere muss er ersichtlich machen, dass er, nachdem BGHZ 18, 156 zugunsten des Verletzten auch die Haftpflichtversicherung des Schädigers zu beachten zugelassen hat, dies in verständigen Grenzen in die Abwägung einwirft und bedacht hat, dass es letztlich die Gemeinschaft aller Versicherten ist, die mit solcher Ausweitung belastet wird. Die Festsetzung eines zu reichlichen Schmerzensgeldes kann - zumal wenn seine Entscheidung Eingang in die Kataloge und Tabellen findet, an denen sich die Praxis orientiert - zu einer Aufblähung des allgemeinen Schmerzensgeldgefüges beitragen, die der Versicherten-Gemeinschaft nicht zugemutet werden darf; dass muss der Tatrichter berücksichtigen. Insbesondere wenn er diese bisherigen Sätze deutlich verlässt, kann er deshalb sowie aus Gründen der Rechtssicherheit und zur eigenen Kontrolle gehalten sein, die von ihm zugrunde gelegte Wertkategorie nach Ausmaß und Auswirkung der Abweichung aufzuzeigen (Senatsurteile vom 18. November 1969 - VI ZR 81/68 a. a. O.; vom 10. März 1970 - VI ZR 145/68 = VersR 1970, 443, 445; vom 3. Juli 1973 - VI ZR 60/72 = VersR 1973, 1067, 1068). Ferner muss der Tatrichter innerhalb der von ihm zugrunde gelegten Bewertungskategorien bleiben. Insoweit müssen seine Berechnungen eine einheitliche Wertvorstellung erkennen lassen, d. h. in sich stimmig sein.

2. Diesen Anforderungen, auf deren Einhaltung das Revisionsgericht das Ermessen des Tatrichters aufgrund entsprechender Revisionsrügen zu prüfen hat, wird die angefochtene Entscheidung nicht durchweg gerecht.

Allerdings wendet sich die Revision ohne Grund dagegen, dass das Berufungsgericht die Immateriellen Auswirkungen der Verletzungen für die Klägerin nach Zeitabschnitten gliedert und für die Zeit bis Ende Januar 1973, also etwa 1 1/2 Jahre nach dem Unfall, einen Kapitalbetrag, für die spätere Zeit eine Schmerzensgeldrente, zuerkennt. Die Festsetzung einer Schmerzensgeldrente anstelle eines Kapitalbetrages muss zwar aus den Umständen des Schadensfalls gerechtfertigt sein; allgemeine Erwägungen, etwa die Besorgnis einer Entwertung des Kapitals infolge allgemeiner Wirtschafts- und Währungsverhältnisse, vermögen - jedenfalls unter den derzeitigen Gegebenheiten - die Wahl einer Rente nicht zu stützen. Insbesondere bei schweren lebenslangen Dauerschäden, um die es sich hier handelt, steht jedoch dem Tatrichter die Festsetzung einer solchen Form grundsätzlich frei (Senatsurteile vom 13. März 1959 - VI ZR 72/58 = VersR 1959, 458; vom 14. Mai 1968 - VI ZR 7/67 - VersR 1968, 946, 947). Ob der vom Berufungsgericht hierfür mit herangezogene Umstand, dass die Klägerin nach seinen Feststellungen in finanziellen Dingen unerfahren ist und einen einmaligen Kapitelbetrag zu „verwirtschaften“ droht, schon für sich allein die Festsetzung einer Rente zu tragen vermöchte, mag zwar mit der Revision zu bezweifeln sein. Wie aus dem Zusammenhang der Urteilsgründe und aus der Bezugnahme auf die Darlegung des Landgerichts erhellt, hat das Berufungsgericht vornehmlich darauf abgestellt, dass die Schadensentwicklung seit Februar 1973 einen gewissen Abschluss erreicht hatte, andererseits vor allem die schwere lebenslange Beschränkung der Erlebenssphäre infolge des Verlustes des Geruchs- und Geschmackssinns der Klägerin immer wieder neu schmerzlich bewusst werden wird (vgl. dazu Senatsurteil vom 13. März 1959 - VI ZR 72/58 a. a. O.). Dieser Gesichtspunkt trägt die Art der Berechnung.

Bei solcher Festsetzung des Schmerzensgeldes nach getrennten Zeiträumen hatte das Berufungsgericht die Entschädigungsbeträge in ein ausgewogenes Verhältnis nicht nur zu Art und Ausmaß, sondern auch zum zeitlichen Auftreten der auszugleichenden Nachteile zu bringen. Zunächst musste es der Entwicklung und Gewichtung der Schäden für die von ihm zugrunde gelegten Zeiträume besondere Beachtung schenken; das muss sich in den festgesetzten Beträgen widerspiegeln. Darüber hinaus mussten die Entschädigungsbeträge zueinander in ein angemessenes Verhältnis gebracht werden. Zwar hat der Tatrichter, wenn er sich zur Festsetzung einer Schmerzensgeldrente neben einer Kapitalentschädigung entschließt, diese selbstständig zu berechnen; er ist nicht gehalten, für den der Rentenberechnung zugrunde gelegten Zeitraum ebenfalls einen Kapitalbetrag festzusetzen und erst hieraus die Rente abzuleiten. Doch muss seine Berechnung eine gemeinsame Wertvorstellung erkennen lassen. Dabei kann es für den Tatrichter u. a. angezeigt sein, für die von ihm festzusetzenden Renten eine Kapitalisierungsberechnung anzustellen, um sich über die Wertverhältnisse und die Auswirkungen der Rentenbemessung klar zu werden.

An diesem ausgewogenen Verhältnis der festgestellten Schäden zu den festgesetzten Beträgen fehlt es hier.

a) Das Berufungsgericht ist so verfahren, dass es der Kapital- und Rentenberechnung gewissermaßen „vor der Klammer“ die von ihm festgestellten Dauerschäden zugrunde legt, ohne auf ihre Gewichtung für die getrennten Berechnungszeiträume näher einzugehen. Es hat nur insoweit nach den zeitlichen Auswirkungen der Schäden differenziert, als es für die Zeit unmittelbar nach dem Unfall, für die es den Kapitalbetrag festsetzt, erhöhend den Unfallschock, die Dauer des Krankenlagers, die fehlende Gewöhnung an die auf die Klägerin zukommenden, seelisch noch nicht verarbeiteten Beeinträchtigungen ihres Lebensraums berücksichtigt hat. Damit wird es aber seiner Aufgabe zur zeitlichen Gewichtung der auszugleichenden Nachteile nicht voll gerecht.

aa) Zwar konnte das Berufungsgericht entgegen der Meinung der Revision die Beschränkungen der Klägerin in ihren beruflichen Aussichten und ihren Heiratserwartungen, auf die es für beide Zeiträume maßgeblich abstellt, bereits für den seiner Kapitalfestsetzung zugrunde gelegten Zeitabschnitt heranziehen, obschon die Ende Januar 1973 erst 16 Jahre alte Klägerin zu jenem Zeitpunkt weder im Berufsleben gestanden hat noch für sie schon damals eine Eheschließung in Betracht kam. Denn das schloss nicht aus, dass jene Beschränkungen damals schon von ihr als seelische Belastung empfunden worden ist. Es entspricht aber der Lebenserfahrung, dass die festgestellten Beschränkungen der Klägerin jg ihrem beruflichen Durchsetzungsvermögen und in ihren Heiratsaussichten in diesem Zeitabschnitt, in dem sie noch die Schule besuchte und in dem nach ihrem Alter sowie den vor dem Unfall bestehenden Plänen für ihre Ausbildung eine Heirat nicht in Betracht kam, weit weniger schwer empfunden sein müssen, als in dem späteren, noch bevorstehenden Lebensabschnitt, in dem es um die Verwirklichung von Berufs- und Heiratsplanen geht. Was insbesondere die zu erwartende Beeinträchtigungen im Beruf angeht, so ist auch insoweit nur der immaterielle Nachteil auszugleichen, der darin liegt, dass ein nicht so gehobener und nicht so angesehener Beruf, wie ihn die Klägerin ohne den Unfall hätte ergreifen können, neben den hier außer Acht zu lassenden wirtschaftlichen Einbußen eine geringere Befriedigung vermittelt (vgl. dazu Senatsurteil vom 27. April 1967 - VI ZR 165/65 = VersR 1967, 775, 777). Dieser Nachteil tritt im allgemeinen nachhaltig erst mit einer gewissen Erfahrung im Berufsleben in Erscheinung. Ähnlich werden die immateriellen Nachteile verminderter Heiratsaussichten erst in einem späteren Lebensabschnitt aktualisiert. Das Berufungsgericht lässt nicht erkennen, dass es sich dieses Umstandes, der bei der Bemessung des Schmerzensgeldes nach Zeitabschnitten erheblich sein kann, bewusst gewesen ist; vielmehr ist, da es jene Nachteile undifferenziert der Kapital- wie der Rentenberechnung zugrunde legt und bereits für die Zeit seit Februar 1973 von einer „Konstanz“ der Schäden spricht, das Gegenteil anzunehmen.

bb) Für die Bemessung des Schmerzensgeldes für beide Zeitabschnitte (Kapital- und Rente) hat das Berufungsgericht die Besorgnis, es könnten epileptische Anfälle auftreten, hervorgehoben. Zwar konnte es, entgegen der Auffassung der Revision, bereits die nicht ganz unbegründete Furcht vor einem möglichen ungünstigen Krankheitsverlauf als gegenwärtige seelische Belastung bei der Bemessung des Kapitalbetrages mitberücksichtigen. Dass bei der Untersuchung der Klägerin in der Nervenklinik am 25. Mai 1973 ihre Grund Stimmung nicht in Richtung einer Depression hin verschoben gewesen ist, stützt nicht schon die Annahme der Revision, die pessimistische Zukunftsprognose sei von der Klägerin als Belastung nicht empfunden worden. Insoweit konnte das Berufungsgericht die immateriellen Nachteile durchaus nach § 287 ZPO schätzen. Um jedoch diesen Umstand auch der Schmerzensgeldrente zugrunde legen zu können, hätte es sich die Frage vorlegen und beantworten müssen, ob auch für alle Zukunft (lebenslang!) mit dem Auftreten solcher Anfälle gerechnet werden musste. Dies war schon deshalb angezeigt, weil der Sachverständige Prof. Dr. F. die Möglichkeit angesprochen hatte, sechs Jahre nach dem Unfall die Manifestation einer Epilepsie sicher ausschließen zu können. Die Zubilligung einer Rente bot dem Berufungsgericht die Möglichkeit, die eher vagen Befürchtungen eines solchen ungünstigen Verlaufs von der Bemessung ganz auszunehmen, da insoweit eine Erhöhung der Rente nach § 323 ZPO bei späterer Verschlechterung des Gesundheitszustandes möglich blieb. Auch hierauf hätte das Berufungsgericht im Rahmen der erforderlichen Abwägung zur Findung einer billigen Entschädigung eingehen müssen.

b) Ebenso wenig lassen die Entschädigungsbeträge auf der Grundlage der vom Berufungsgericht herangezogenen Umstände hinreichend das gebotene ausgewogene Verhältnis zueinander erkennen.

Rechnerisch erreicht die Kapitalentschädigung fast das 6-fache des Betrages, den das Berufungsgericht für einen entsprechenden Zeitraum (1 1/2 Jahre) der Rentenentschädigung zugemessen hat; in diesem Vergleich übersteigt die Kapitalentschädigung die Schmerzensgeldrente um etwa 25.000 DM.

Freilich führt ein nur rechnerischer Vergleich nicht schon dazu, das Verhältnis von Kapital- und Rentenentschädigung unausgewogen erscheinen zu lassen. Es sind neben der Gewichtung der für die Berechnungszeiträume zugrunde zu legenden Nachteile den Unterschieden Rechnung zu tragen, die Kapital oder Rente an Vorteilen für den Geschädigten und an Nachteilen für den Schädiger mit sich bringen. Das kann nach Maßgabe der Umstände des Einzelfalls unterschiedlich zu beantworten sein. Regelmäßig ist die Festsetzung einer Rente zugunsten des Geschädigten in jungen Jahren im Blick auf die Laufzeit und die Möglichkeit zur Anpassung der Rente an veränderte Verhältnisse nach § 323 ZPO vorteilhafter, andererseits für den Schädiger zwar nicht im Augenblick, wohl aber auf Dauer belastender; das kann Abstriche gegenüber einer vergleichbaren Kapitalentschädigung rechtfertigen.

Selbstverständlich ist der Tatrichter auch insoweit durch § 287 ZPO besonders freigestellt. Doch muss er die von ihm herangezogenen Bewertungsgrundsätze auch insoweit, als es das Verhältnis von Kapital und Rente betrifft, offenlegen, d. h. darlegen, dass die von ihm festgesetzte Entschädigung auch insoweit „billig“ ist und er sich innerhalb der von ihn zugrunde gelegten Bewertungsmaßstäbe gehalten hat.

Hieran fehlt es im vorliegenden Fall. Durch die festgestellten Auswirkungen der Verletzungen auf die Klägerin allein ist die Wertdifferenz von 25.000 DM nicht erklärt. Die Dauerfolgen können als solche sich in diesem Betrag nicht ausgewirkt haben. Als Schmerzensgeld für die nicht sonderlich lange Dauer der stationären Klinikbehandlung (6 Wochen), der Krankheitsdauer (insgesamt 3 Monate), der fehlenden Gewöhnung und seelischen Verarbeitung der Belastungen allein wird dieser Betrag ebenfalls nicht hinreichend erklärt - dies umso weniger, als nach Vorstehendem die sich aus der Beeinträchtigung der Berufs- und Heiratsaussichten ergebenden Nachteile nachhaltig erst zu einem späteren Zeitpunkt fühlbar geworden sein können. Insoweit hätte daher die Festsetzung des Kapitalbetrages in dieser Höhe weiterer Begründung bedurft.

c) Kapitalisiert entspricht die vom Berufungsgericht festgesetzte Rente, die der damals 16-jährigen Klägerin ab Februar 1973 auf Lebenszeit gewährt worden ist, einem Betrag von (3.600 × 18,7990 =) 67.676 DM. Insgesamt ist ihr damit ein Schmerzensgeld von fast 100.000 DM gewährt worden. Solche Beträge sind von den Gerichten im allgemeinen bisher nur für schwerste Dauerfolgen zugebilligt worden. Zu Recht hat zwar das Berufungsgericht hervorgehoben, dass die Verletzungen, die die Klägerin erlitten hat, zu den schweren Verletzungsarten gehört; dies vor allem im Blick auf den Verlust des Geruchs- und Geschmackssinns, der Persönlichkeitsveränderung und mit Rücksicht auf ihre Jugend, in der sie eine so erhebliche Beschränkung ihrer Erlebenssphäre auf Dauer hinnehmen muss. Dennoch lässt sich, wie der Senat aufgrund seiner jahrzehntelangen Erfahrung in Prozessen um das „angemessene“ Schmerzensgeld zu sagen vermag, ein solches Schicksal nach seiner Schwere nicht in die oberste Kategorie immaterieller Nachteile einordnen. Selbstverständlich gleicht kein Fall dem anderen und ist gegenüber Vergleichen Zurückhaltung geboten. Doch ist festzustellen, dass sich die von anderen Gerichten in vergleichbaren Fällen zugesprochenen Beträge eher im unteren Drittel des vom Berufungsgericht festgesetzten Betrages bewegen (vgl. Hacks, Schmerzensgeldbeträge, 7. Aufl. insbesondere N. 461, 480, 468, 521, 527, 544, 612, 617, 664; Hellwig, Der Schaden, Anh. I), dies selbst bei schweren Entstellungen des Geschädigten, von denen die Klägerin hier verschont geblieben ist.

Auch damit hatte sich das Berufungsgericht auseinanderzusetzen; das verlangt die Rechtssicherheit und der Grundsatz der Gleichbehandlung, der auch bei der Bemessung des Schmerzensgeldes bei aller Verschiedenheit der Fallgestaltung nicht unbeachtet bleiben darf. Im Übrigen bestand dazu auch deshalb besonderer Anlass, weil die Klägerin selbst erheblich niedrigere Wertvorstellungen hatte erkennen lassen.

III.

Das Berufungsgericht hat das Urteil des Landgerichts auch im Feststellungsausspruch bestätigt. Zwar enthalten hierüber die Entscheidungsgründe keine weiteren Ausführungen. Erfolglos rügt jedoch die Revision, dass es insoweit an einer Begründung des angefochtenen Urteils fehle. Vielmehr ergeben die Urteilsgründe im Zusammenhang, dass das Berufungsgericht - dem Landgericht folgend - in der möglichen Manifestation einer traumatischen Epilepsie einen immateriellen Zukunftsschaden erblickt hat. Insoweit war daher die Revision der Klägerin zurückzuweisen.

Soweit dagegen das Berufungsgericht der Klägerin den Betrag von 20.000 DM (nebst Zinsen) übersteigende Schmerzensgeldzahlungen zuerkannt hat, war das Berufungsurteil auf das Rechtsmittel der Beklagten zur erneuten Überprüfung durch das Berufungsgericht aufzuheben. Dem Berufungsgericht war auch die Entscheidung über die Kosten der Revision zu übertragen, da diese vom Ausgang des Rechtsstreits abhängt.