VGH Baden-Württemberg, Beschluss vom 18.06.1996 - 13 S 1281/95
Fundstelle
openJur 2013, 10095
  • Rkr:

1. Eine Abschiebungsandrohung ist rechtswidrig, wenn in ihr der Staat nicht bezeichnet ist, in den der Ausländer abgeschoben werden soll, ohne daß Gründe vorliegen, die eine Bezeichnung ausnahmsweise entbehrlich machen.

Gründe

Die Beschwerde ist zulässig, insbesondere statthaft. Ihr steht nicht entgegen, daß nach § 80 AsylVfG in der Fassung des Gesetzes zur Neuregelung des Asylverfahrens vom 26.6.1992 - AsylVfG 1992 - (BGBl. I S. 1126) Entscheidungen in Rechtsstreitigkeiten nach diesem Gesetz vorbehaltlich des § 133 Abs. 1 VwGO nicht mit der Beschwerde angefochten werden können. Es kann dahinstehen, ob der vorliegende Rechtsstreit eine Rechtsstreitigkeit nach dem Asylverfahrensgesetz ist. Selbst wenn dies der Fall wäre, wäre die Beschwerde statthaft. Denn der mit ihr angefochtene Beschluß ist den Beteiligten noch vor dem am 1.7.1992 in Kraft getretenen Asylverfahrensgesetz 1992 zugestellt worden (§ 87 Abs. 2 Nr. 3 AsylVfG 1992, Art. 7 des Gesetzes zur Neuregelung des Asylverfahrens vom 26.6.1992, a.a.O).

Die Beschwerde ist auch begründet. Der Widerspruch wird nach dem gegenwärtigen Sachstand Erfolg haben. Daher überwiegt das Interesse des Antragstellers, bis zur Entscheidung über seinen Widerspruch oder eine sich gegebenenfalls anschließende Klage vorläufig im Bundesgebiet bleiben zu dürfen, das diesem Interesse entgegenstehende öffentliche Interesse an der sofortigen Durchsetzung der kraft Gesetzes sofort vollziehbaren ausländerrechtlichen Maßnahmen (§§ 80 Abs. 2 Nr. 3, 187 Abs. 3 VwGO, § 12 LVwVG).

Der Widerspruch ist statthaft; er ist nicht nach §§ 10 Abs. 3 S. 1, 28 Abs. 6 AsylVfG in der Fassung vom 16.7.1982 - AsylVfG 1982 - (BGBl. I S. 946) ausgeschlossen. Der Antragsteller, der durch bestandskräftigen Bescheid der ...stadt H. vom 14.2.1980 aus der Bundesrepublik Deutschland ausgewiesen und am 18.3.1980 in das ehemalige Jugoslawien abgeschoben worden war, stellte nach seiner erneuten Einreise ins Bundesgebiet im Jahre 1985 einen Asylantrag, der vom Bundesamt für die Anerkennung ausländischer Flüchtlinge mit Bescheid vom 6.4.1987 als offensichtlich unbegründet abgelehnt wurde. Mit Bescheid vom 22.6.1987 forderte die Stadt M. den Antragsteller nach den §§ 10 und 11 AsylVfG 1982 unter Androhung der Abschiebung auf, innerhalb von einer Woche nach Zustellung des Bescheides aus dem Bundesgebiet auszureisen. Die gegen diese beiden Bescheide erhobene Klage wurde vom Verwaltungsgericht Karlsruhe mit seit 28.4.1990 rechtskräftigem Urteil vom 19.2.1990 - A 12 K 90/89 - abgewiesen. Bereits am 7.11.1989 erteilte die Antragsgegnerin dem Antragsteller eine bis zum 7.5.1990 befristete Duldung, die sie am 7.5.1990 bis zum 7.11.1990 und schließlich am 6.11.1990 bis zum 5.2.1991 verlängerte. Bei dieser Sachlage geht die Antragsgegnerin im angefochtenen, auf §§ 42 Abs. 1 und 49 AuslG gestützten Bescheid vom 12.3.1991 zutreffend davon aus, daß infolge der Duldung des Antragstellers der Bescheid der Stadt M. vom 22.6.1987 gegenstandslos geworden ist. Denn durch die Duldung wurde dem im Asylverfahren erfolglos gebliebenen Antragsteller der weitere Aufenthalt im Bundesgebiet im Sinne des § 10 Abs. 1 AsylVfG 1982 ermöglicht (vgl. BVerwG, Urt. v. 3.11.1987, BVerwGE 78, 243 u. v. 21.11.1989, NVwZ 1990, 673 = Buchholz 402.25 § 10 AsylVfG Nr. 5; Beschl. des Senats v. 27.7.1995 - 13 S 3358/94 -, BWVPr 1995, 279 = VBlBW 1996, 111). Für einen solchen Anschlußaufenthalt, der in keinem Zusammenhang mit dem Betreiben des Asylverfahrens steht, sind die aufenthaltsrechtlichen Vorschriften des allgemeinen Ausländerrechts maßgeblich; eine am Ende dieses Anschlußaufenthaltes stehende Ausreise des Ausländers aus der Bundesrepublik Deutschland ist keine Ausreise, die wegen Beendigung des Asylverfahrens veranlaßt ist (vgl. BVerwG, Urt. v. 21.11.1989, a. a. O.). Da sich der Widerspruch des Antragstellers mithin nicht gegen eine asylverfahrensrechtliche Maßnahme zur Beendigung seines Aufenthaltes im Bundesgebiet richtet, ist er statthaft.

Der im übrigen zulässige Widerspruch dürfte auch in der Sache Erfolg haben. Die Rechtmäßigkeit einer Abschiebungsandrohung setzt zunächst einmal eine vollziehbare Ausreisepflicht des Ausländers voraus (§ 49 Abs. 1 AuslG). Es kann offenbleiben, ob die vollziehbare Ausreisepflicht des Antragstellers ihre Grundlage in der bestandskräftigen Ausweisungsverfügung vom 14.2.1980 - das Begehren des Antragstellers, die Wirkungen der Ausweisung und Abschiebung zu befristen (§ 8 Abs. 2 S. 3 AuslG), ist bisher erfolglos geblieben (vgl. zuletzt OVG Hamburg, Urt. v. 13.2.1996 - OVG Bf VI (VII) 32/94; über die dagegen vom Antragsteller erhobene Revision - 1 C 13.96 - hat das Bundesverwaltungsgericht noch nicht entschieden) - und der schon deswegen illegalen Einreise des Antragstellers ins Bundesgebiet im Jahre 1985 findet. Sie ergibt sich jedenfalls infolge der bestandskräftigen Ablehnung seines Asylantrages durch den Bescheid des Bundesamtes für die Anerkennung ausländischer Flüchtlinge vom 6.4.1987 aus § 42 Abs. 2 S. 2 Halbsatz 2 AuslG (vgl. BVerwG, Beschl. v. 23.11.1994, InfAuslR 1995, 151). Dem steht nicht entgegen, daß der Antragsteller nach dem seit 28.4.1990 rechtskräftigen Abschluß seines Asylverfahrens mit Antrag vom 6.10.1990 bei der Antragsgegnerin eine Aufenthaltserlaubnis beantragt hat, um mit seiner gleichfalls aus dem ehemaligen Jugoslawien stammenden Ehefrau, mit der er seit 1986 verheiratet ist, im Bundesgebiet zusammenleben zu können. Dieser Antrag, über den die Antragsgegnerin ausweislich der von ihr mit Schreiben vom 29.5.1995 zum vorliegenden Beschwerdeverfahren übersandten ausländerrechtlichen Akten noch nicht entschieden hat, führte nicht dazu, daß der Aufenthalt des Antragstellers nach § 21 Abs. 3 S. 1 AuslG a. F. vorläufig als erlaubt galt. Denn die Fiktionswirkung nach dieser Vorschrift setzte voraus, daß dem Ausländer eine Aufenthaltserlaubnis erteilt werden konnte (vgl. Hailbronner, Handbuch des Ausländerrechts, 1984, Rdnr. 400, m. w. N.). Dies trifft hier nicht zu. Dem Antragsteller durfte wegen seiner Ausweisung und Abschiebung keine Aufenthaltserlaubnis erteilt werden (§ 15 Abs. 1 S. 1 AuslG a. F.). Der Antrag vom 6.10.1990 hat auch nach dem Inkrafttreten des Ausländergesetzes vom 9.7.1990 (BGBl. I S. 1354) mit Wirkung vom 1.1.1991 weder zur Fiktion des erlaubten Aufenthaltes (§ 69 Abs. 3 S. 1 AuslG) noch zur Duldungsfiktion (§ 69 Abs. 2 S. 1 AuslG) geführt. Denn der Antragsteller ist aufgrund des unanfechtbaren Bescheides des Bundesamtes für die Anerkennung ausländischer Flüchtlinge vom 6.4.1987 ausreisepflichtig (vgl. BVerwG, Beschl. v. 23.11.1994, a.a.O.) und noch nicht ausgereist (§ 69 Abs. 2 S. 2 Nr. 2 Alt. 2, Abs. 3 S. 2 AuslG).

Der angefochtene Bescheid der Antragsgegnerin verstößt jedoch gegen § 50 Abs. 2 AuslG. Nach dieser Vorschrift soll in der Androhung der Staat bezeichnet werden, in den der Ausländer abgeschoben werden soll, und der Ausländer darauf hingewiesen werden, daß er auch in einen anderen Staat abgeschoben werden kann, in den er einreisen darf oder der zu seiner Rückübernahme verpflichtet ist. Diese durch Art. 2 Nr. 5 des Gesetzes zur Neuregelung des Asylverfahrens vom 26.6.1992 (a.a.O.) mit Wirkung vom 1.7.1992 und damit erst nach Erlaß des angefochtenen Bescheides in Kraft getretene Änderung der materiell-rechtlichen Voraussetzungen für eine Abschiebungsandrohung hat bisher im Widerspruchsverfahren noch zu keiner entsprechenden Änderung des Bescheides geführt. Die Antragsgegnerin geht in dem Bescheid davon aus, der Antragsteller sei Staatsangehöriger des (ehemaligen) Jugoslawien; seine Abschiebung in einen bestimmten Staat hat sie ihm weder im Tenor noch in den Gründen des Bescheides angedroht. Daß die unterbliebene Bezeichnung des Zielstaates mit der im Zeitpunkt des Erlasses des Bescheides geltenden Rechtslage übereingestimmt haben dürfte - nach § 50 Abs. 1 S. 2 AuslG in der Fassung des Gesetzes vom 9.7.1990 (a.a.O.) soll in der Abschiebungsandrohung der Staat bezeichnet werden, in den der Ausländer abgeschoben werden soll, es sei denn, der Ausländer besitzt dessen Staatsangehörigkeit -, ist unerheblich. Denn maßgebend dafür, ob der Widerspruch des Antragstellers erfolgreich sein wird, ist die Sachlage und Rechtslage im Zeitpunkt der Entscheidung über den Widerspruch. Außer der Rechtslage bezüglich der Bezeichnung des Staates, in den der Ausländer abgeschoben werden soll, hat sich vorliegend seit Erlaß des angefochtenen Bescheides im Hinblick auf den Untergang des ehemaligen Jugoslawien und der Bildung neuer Staaten im dortigen Bereich sowie der damit verbundenen Frage nach der Staatsangehörigkeit des Antragstellers auch die Sachlage geändert, der im weiteren Verlauf des Widerspruchsverfahrens Rechnung zu tragen sein wird.

Die bisher in der Abschiebungsandrohung unterbliebene Bezeichnung des Staates, in den der Antragsteller abgeschoben werden soll, führt zur Rechtswidrigkeit des angefochtenen Bescheides. Hierfür spricht bereits der klare Wortlaut des § 50 Abs. 2 Halbsatz 1 AuslG, wonach in der Androhung der Staat bezeichnet werden soll, in den der Ausländer abgeschoben werden soll. Diese Vorschrift gebietet der Ausländerbehörde für den Regelfall, den in erster Linie als Ziel der Abschiebung in Betracht kommenden Staat mit verbindlicher Wirkung gegenüber dem Ausländer bereits in der Abschiebungsandrohung zu benennen. Fehlt die Angabe des Zielstaates und liegen keine Gründe vor, die ausnahmsweise eine Bezeichnung entbehrlich machen, so ist die Abschiebungsandrohung rechtswidrig (vgl. Hess. VGH, Beschl. v. 20.10.1993, EZAR 044 Nr. 6 = AuAS 1994, 2; Bay. VGH, Beschl. v. 1.10.1993, InfAuslR 1994, 30; GK-AuslR, Stand Mai 1996, § 50 AuslG Rdnr. 24; Marx, AsylVfG, 3. Aufl., § 34 Rdnr. 7; a.A.: OVG Hamburg, Beschl. v. 5.5.1993, EZAR 044 Nr. 7 u. v. 5.8.1993, EZAR 022 Nr. 4; Hailbronner, AuslR, Stand Mai 1996, § 50 AuslG Rdnr. 14 c). Daß es sich bei der Sollvorschrift des § 50 Abs. 2 Halbsatz 1 AuslG nicht lediglich um eine die Rechtsstellung des Ausländers nicht berührende Ordnungsvorschrift handelt, zeigt ein Vergleich mit dem weiteren Inhalt des Halbsatzes 2 des § 50 Abs. 2 AuslG. Danach soll der Ausländer in der Abschiebungsandrohung darauf hingewiesen werden, daß er auch in einen anderen Staat abgeschoben werden kann, in den er einreisen darf oder der zu seiner Rückübernahme verpflichtet ist. Durch lediglich einen solchen Hinweis wird - anders als im Falle der Konkretisierung des Zielstaates durch ausdrückliche Bezeichnung in der Abschiebungsandrohung - gegenüber dem Ausländer keine verbindliche Regelung getroffen, so daß das Fehlen eines solchen Hinweises nicht zur Rechtswidrigkeit der Abschiebungsandrohung führt (vgl. Hess. VGH, Urt. v. 29.8.1994, EZAR 044 Nr. 8 = DVBl. 1994, 1419; Urt. des Senats v. 11.1.1995 - 13 S 2512/93 -, InfAuslR 1995, 144 = NVwZ 1995, 720 = VBlBW 1995, 436 = EZAR 019 Nr. 8 u. v. 18.4.1994 - A 13 S 441/94 -, VBlBW 1994, 382; vgl. auch VGH Baden-Württemberg, Beschl. v. 17.6.1993 - 11 S 1149/93 -, FamRZ 1994, 40 (nur Ls.)).

Für die Rechtswidrigkeit einer Abschiebungsandrohung, in der der Zielstaat ohne Angabe von Gründen für das Absehen von einer ausdrücklichen Bezeichnung nicht genannt ist, sprechen ferner Sinn und Zweck der Vorschrift. Mit der Neufassung des § 50 Abs. 2 AuslG durch Art. 2 Nr. 5 des Gesetzes zur Neuregelung des Asylverfahrens vom 26.6.1992 (a.a.O.) verfolgt der Gesetzgeber unter anderem das Ziel, daß "der in erster Linie in Betracht kommende Zielstaat stets angegeben werden soll, auch wenn es der Heimatstaat des Ausländers ist" (vgl. BT-Drs. 12/2062, S. 43). Die Abschiebung soll nicht daran scheitern, daß für den Fall, daß die Abschiebung in den in der Androhung genannten Staat nicht möglich ist oder daß eine günstigere Abschiebungsmöglichkeit - etwa in einen zur Rückübernahme verpflichteten Nachbarstaat - besteht, der andere Zielstaat "nicht ebenfalls schon in der Androhung konkret bezeichnet ist" (vgl. BT-Drs. a.a.O., S. 44). Folglich ist nach dem Willen des Gesetzgebers die Angabe eines Zielstaates für die Abschiebung notwendiger Bestandteil der Abschiebungsandrohung. Hierfür spricht auch, daß die Regelung in § 70 Abs. 3 S. 1 AuslG an die Bezeichnung des Zielstaates in der Abschiebungsandrohung Rechtswirkungen knüpft.

Die Bezeichnung des Zielstaates in der Abschiebungsandrohung dient schließlich dem Ausländer dazu, etwaige der Ausländerbehörde oder dem Bundesamt für die Anerkennung ausländischer Flüchtlinge nicht bekannten Abschiebungshindernisse im Hinblick auf den ausdrücklich genannten Staat geltend zu machen und ihm daher auch effektiven Rechtsschutz zu ermöglichen (vgl. Jakober/Lehle/Schwab, Aktuelles Ausländerrecht, § 50 AuslG Rdnr. 30). Dies setzt voraus, daß der Zielstaat unter Wahrung des Gebotes der hinreichenden inhaltlichen Bestimmtheit gemäß 37 Abs. 1 LVwVfG in der Abschiebungsandrohung bezeichnet wird (vgl. etwa zur Bezeichnung "Jugoslawien" seit Gründung der "Bundesrepublik Jugoslawien": VGH Baden-Württemberg, Beschl. v. 23.10.1995 - 1 S 2378/95 -, BWVPr 1996, 94; Urt. des Senats v. 28.11.1995 - 13 S 2886/95 -).

Gründe dafür, im vorliegenden Fall ausnahmsweise von der Bezeichnung des Zielstaates in der Abschiebungsandrohung abzusehen (etwa in Fällen ungeklärter Staatsangehörigkeit, vgl. dazu Schleswig-Holsteinisches VG, Beschl. v. 2.3.1995, AuAS 1995, 105; VG Stuttgart, Urt. v. 27.11.1995, AuAS 1996, 55, was von der Behörde im einzelnen zu begründen wäre), sind weder hinreichend sicher ersichtlich noch von der Antragsgegnerin ausdrücklich vorgebracht. Zwar ergibt sich aus dem Urteil des Oberverwaltungsgerichts Hamburg vom 13.2.1996 (a.a.O., S. 9 f.), daß die Antragsgegnerin mit Schreiben vom 13.3.1995 zum dortigen Berufungsverfahren des Antragstellers mitgeteilt hat, der Vollzug des angefochtenen Bescheides vom 12.3.1991 sei bisher wegen der notwendigen Klärung der Staatsangehörigkeit des Antragstellers nicht möglich gewesen. Ob seine Staatsangehörigkeit zwischenzeitlich geklärt ist, ist jedoch offen. Sollte dies nach wie vor nicht der Fall sein, muß die Prüfung, ob dieser Gesichtspunkt es rechtfertigt, ausnahmsweise von der Bezeichnung des Zielstaates in der Abschiebungsandrohung abzusehen, dem Hauptsacheverfahren vorbehalten bleiben.