OLG Nürnberg, Beschluss vom 11.01.2010 - 7 UF 1471/09
Fundstelle
openJur 2012, 105788
  • Rkr:
Tenor

1. Die Berufung des Klägers gegen das Endurteil des Amtsgerichts – Familiengericht – Nürnberg vom 15. Oktober 2009, Az. 105 F 1568/09, wird als unzulässig verworfen.

2. Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gegen die Versäumung der Berufungseinlegungsfrist wird dem Kläger nicht gewährt.

3. Der Kläger trägt die Kosten des Berufungsverfahrens.

4. Der Streitwert für das Berufungsverfahren wird insgesamt auf

6.918 Euro

festgesetzt.

Gründe

I.

Die Parteien sind die Eltern der minderjährigen Kinder ... geboren am 5. Juni 2001, und ... geboren am 19. Mai 2005. Da die Eltern seit Juni 2008 getrennt leben, verpflichtete sich der Kläger in den Jugendamtsurkunden vom 17. Juli 2008, für beide Kinder ab Juni 2008 jeweils 61,2% des jeweiligen Mindestunterhaltes abzüglich des hälftigen Kindergeldes zu bezahlen. Im vorliegenden Verfahren, das mit am 22. Januar 2009 beim Amtsgericht Nürnberg eingegangenen Prozesskostenhilfeantrag vom 19. Januar 2009 eingeleitet worden ist, verfolgt der Kläger das Ziel einer Aufhebung dieser Verpflichtung ab Januar 2009 und der Abweisung der auf eine Erhöhung auf 100% des Mindestunterhaltes ab Juni 2008 gerichteten Widerklage. Mit Endurteil vom 15. Oktober 2009 hat das Amtsgericht Nürnberg die Klage abgewiesen und der Widerklage stattgegeben.

Gegen dieses Endurteil, das der Prozessbevollmächtigten des Klägers am 19. Oktober 2009 zugestellt wurde, legte diese im Namen des Klägers mit an das Amtsgericht Nürnberg adressierten Schriftsatz vom 18. November 2009 "Beschwerde" ein. Dieser Schriftsatz ging vorab als Telefax am 19. November 2009 um 16.41 Uhr beim Amtsgericht Nürnberg ein und wurde aufgrund der richterlichen Verfügung vom 20. November 2009 an das Oberlandesgericht Nürnberg weitergeleitet, wo er am 24. November 2009 einging.

Mit Verfügung vom 1. Dezember 2009, die der Prozessbevollmächtigten des Klägers am 8. Dezember 2009 zugestellt wurde, wies der Senat auf die verspätete Rechtsmitteleinlegung hin und räumte der Klagepartei eine Frist zur Stellungnahme bis 17. Dezember 2009 ein, die mit Verfügung vom 18. Dezember 2009 antragsgemäß bis 30 Dezember 2009 verlängert wurde.

Im fristgerecht eingegangenen Schriftsatz vom 29. Dezember 2009 vertritt die Prozessbevollmächtigte des Klägers den Standpunkt, dass auf das Rechtsmittelverfahren neues Recht, also das Gesetz über das Verfahrens in Familiensachen und in den Angelegenheiten der freiwilligen Gerichtsbarkeit (FamFG) und nicht die bis zum 31. August 2009 gültige Zivilprozessordnung anzuwenden sei. Gemäß § 64 FamFG sei demzufolge das Rechtsmittel beim Amtsgericht Nürnberg einzulegen gewesen, sodass die Rechtsmitteleinlegungsfrist eingehalten sei.

II.

Das von der Klagepartei eingelegte Rechtsmittel ist zu verwerfen, da dieses nicht innerhalb der einmonatigen Berufungseinlegungsfrist beim Oberlandesgericht eingegangen ist (§ 522 Abs 1 ZPO).

1.

Gegen Entscheidungen in isolierten Unterhaltsrechtsstreitigkeiten gemäß § 621 Abs. 1 Nr. 4 ZPO in der bis 31. August 2009 gültigen Fassung (ZPO a. F.) findet, da in §§ 621 a, 621 e ZPO a. F. nichts anderes bestimmt ist, das Rechtsmittel der Berufung statt. Diese ist binnen eines Monats ab Zustellung des Endurteils beim Berufungsgericht einzulegen (§ 517, 519 Abs. 1 ZPO). Da das Endurteil der Prozessbevollmächtigten des Klägers am 19. Oktober 2009 zugestellt worden ist, endete die Berufungseinlegungsfrist mit Ablauf des 19. November 2009. Das am 24. November 2009 beim Oberlandesgericht eingegangene Rechtsmittel ist somit verspätet.

Durch den Eingang des Rechtsmittels am 19. November 2009 beim Amtsgericht konnte die Frist nicht gewahrt werden. Zwar ist in § 64 des Gesetzes über das Verfahren in Familiensachen und in den Angelegenheiten der freiwilligen Gerichtsbarkeit (FamFG) im Gegensatz zu § 519 Abs. 1 ZPO vorgesehen, dass das gegen erstinstanzliche Entscheidungen statthafte Rechtsmittel bei dem Gericht einzulegen ist, das den Beschluss, der angefochten werden soll, erlassen hat. Diese Vorschrift kommt hier jedoch nicht zur Anwendung, da sich im vorliegenden Fall das Verfahren nach der Zivilprozessordnung in der bis 31. August 2009 gültigen Fassung (ZPO a. F.) und nicht nach dem am 1. September 2009 in Kraft getretene Gesetz über das Verfahren in Familiensachen und in den Angelegenheiten der freiwilligen Gerichtsbarkeit (FamFG) richtet. Dies ergibt sich aus der in Art. 111 FGG-RG normierten Überleitungsvorschrift. Hiernach sind auf Verfahren, die bis zum Inkrafttreten des Gesetzes zur Reform des Verfahrens in Familiensachen und in den Angelegenheiten der freiwilligen Gerichtsbarkeit am 1. September 2009 eingeleitet worden sind, weiter die vor Inkrafttreten dieses Gesetzes geltenden Vorschriften anzuwenden. Wie der Gesetzesbegründung (BT-Drucksache 16/6308, S. 359) zu entnehmen ist, erstreckte sich die Übergangsregelung einheitlich auf die Durchführung des Verfahrens in allen Instanzen, sodass, wenn das Verfahren in erster Instanz noch nach dem bisherigem Recht eingeleitet worden ist, auch die Durchführung des Rechtsmittelverfahrens nach dem bisherigen Recht erfolgt.

Hieran ändert auch die spätere Einfügung des Art. 111 Abs. 2 FGG-RG nichts. Darin wird bestimmt, dass jedes gerichtliche Verfahren, das mit einer Endentscheidung abgeschlossen wird, ein selbständiges Verfahren in Sinne des Art 111 Abs. 1 FGG-RG ist. Hieraus folgert eine in der Literatur vertretene Meinung unter Hinweis auf § 38 Abs. 1 FamFG, dass jede Instanz als selbständiges Verfahren im Sinne des Art. 111 Abs. 2 FGG-RG zu verstehen ist (vgl. Prütting/Helms, FamFG, Art. 111 FGG-RG Rn 5; Zöller/Geimer, ZPO, 28. Aufl., FamFG Rn 54; Geimer, FamRB 2009, 386). Dem kann jedoch nicht gefolgt werden. Art. 111 Abs. 2 FGG-RG wurde im Zusammenhang mit der Verabschiedung des Gesetzes zur Strukturreform des Versorgungsausgleichs eingefügt. Zweck dieser Vorschrift ist es, wie der Gesetzesbegründung zu entnehmen ist (BT-Drucksache 16/11903, S. 61), sicherzustellen, dass es auch in Bestandsverfahren wie Betreuung, Vormundschaft oder Beistandschaft zu einer zügigen Umstellung auf das neue Verfahrensrecht kommt. Sie stellt demzufolge lediglich klar, dass in Bestandsverfahren jeder selbständige Verfahrensgegenstand, der mit einer zu erlassenden Endentscheidung (§ 38 FamFG) zu erledigen ist, ein neues, selbständiges Verfahren begründet. Sie sagt jedoch nichts dazu aus, nach welchem Recht sich das Rechtsmittelverfahren eines nach dem bisherigen Recht in erster Instanz eingeleiteten Verfahrens richtet und führt daher zu keiner Änderung des Grundsatzes, dass sich die Durchführung des Rechtsmittelverfahrens nach dem bisher geltenden Recht richtet, wenn das Verfahren in erster Instanz nach bisherigem Recht begonnen worden ist (im Ergebnis ebenso: OLG Bremen, Beschluss vom 3.12.2009, Az. 3 W 38/09; OLG Köln, Beschluss vom 2.11.2009, Az. 2 Wx 88/09; OLG Stuttgart, Beschluss vom 22.10.2009, Az. 18 UF 233/09; OLG Schleswig, Beschlüsse vom 21.10.2009, Az. 2 W 151/09 und 2 W 152/09; OLG Dresden, Beschluss vom 20.10.2009, Az. 3 W 1077/09; OLG Köln, Beschluss vom 19.10.2009, Az. 2 Wx 89/09; OLG Hamm, Beschluss vom 13.10.2009, Az. 15 W 276/09; OLG Düsseldorf, Beschluss vom 24.9.2009, AZ. I-3 Wx 187/09; OLG Köln, Beschluss vom 21.9.2009, Az. 16 Wx 121/09; Beschluss vom 11.9.2009, Az. 2 Wx 76/09; Thomas/Putzo/Hüßtege, ZPO, 30. Aufl., 2009, Vorbem § 606 Rn 3; Keidel/Engelhardt, FamFG, 16. Aufl., Art. 111 FGG-RG Rn 2; MünchKommZPO/Pabst, 3. Aufl., Art. 111 FGG-RG Rn 16; Sternal, FGPrax 2009, 143, 285).

2.

Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gegen die Versäumung der Berufungseinlegungsfrist kann dem Kläger nicht gewährt werden, da er einen entsprechenden Antrag nicht gestellt hat (§ 233 ZPO) und auch eine Wiedereinsetzung von Amts wegen nicht in Betracht kommt (§ 236 Abs. 2 S. 2 HS. 2 ZPO).

Eine Wiedereinsetzung von Amts wegen kommt nur in Betracht, wenn die sie rechtfertigenden Tatsachen akten- bzw. offenkundig (BGH NJW-RR 2000, 1590) sind oder innerhalb der Frist des § 234 Abs. 1 ZPO dargelegt wurden (BGH VersR 1978,825). Diese Voraussetzung ist im vorliegenden Fall nicht gegeben.

Da das Rechtsmittel erst am letzten Tag der Einlegungsfrist um 16:41 Uhr beim Amtsgericht Nürnberg per Telefax eingegangen ist, konnte eine rechtzeitige Weitergabe an das zuständige Oberlandesgericht im ordentlichen Geschäftsgang nicht mehr erfolgen. Der Grund für den verspäteten Eingang des Rechtsmittels beim Oberlandesgericht Nürnberg kann also nicht in einem vom Amtsgericht zu verantwortenden Fehlverhalten gesehen werden (vgl. BGH FamRZ 2009, 320).

Wie dem Schriftsatz der Prozessbevollmächtigten des Klägers vom 29. Dezember 2009 zu entnehmen ist, ist der Grund für die verspätete Rechtsmitteleinlegung die unzutreffende Auslegung der Überleitungsvorschrift Art. 111 FGG-RG durch die Prozessbevollmächtigte des Klägers. Dies rechtfertigt jedoch ebenfalls die Gewährung der Wiedereinsetzung nicht; denn dieser Grund wurde nicht innerhalb der Frist des § 234 Abs. 1 ZPO dargelegt. Der Hinweis, dass das Rechtsmittel nicht rechtzeitig beim Oberlandesgericht Nürnberg eingegangen ist, wurde der Prozessbevollmächtigten des Klägers am 8. Dezember 2009 zugestellt, sodass die zweiwöchige Wiedereinsetzungsfrist (§ 234 Abs. 1 S. 1 ZPO) mit Ablauf des 22. Dezember endete. Der Grund für die Verspätung wurde jedoch erst mit am 29. Dezember 2009 als Telefax beim Oberlandesgericht eingegangenen Schriftsatz mitgeteilt, also nach Ablauf der Wiedereinsetzungsfrist. Die Wiedereinsetzungsfrist wurde auch nicht bis 30. Dezember 2009 verlängert. Entsprechend dem Antrag der Prozessbevollmächtigten des Klägers wurde lediglich die in der Verfügung vom 1. Dezember 2009 durch das Oberlandesgericht gesetzte Frist zur Stellungnahme zum Verspätungshinweis verlängert und nicht die Wiedereinsetzungsfrist. Die Verlängerung der Wiedereinsetzungsfrist wäre auch nicht in Betracht gekommen, da es sich bei dieser Frist um eine gesetzliche Frist handelt, für die das Gesetz keine Verlängerungsmöglichkeit vorsieht (§ 224 Abs. 2 ZPO).

Der Grund für die Verspätung lässt sich nicht bereits aus dem Rechtsmitteleinlegungsschriftsatz vom 18. November 2009 entnehmen. Diese ist zwar entsprechend der Regelung in § 64 Abs. 1 FamFG an das Amtsgericht Nürnberg gerichtet. Auch wird das Rechtsmittel entsprechend dem neuen Recht als Beschwerde bezeichnet. Hieraus lässt sich jedoch nicht entnehmen, dass Ursache für den verspäteten Eingang des Rechtsmittel eine unzutreffende Interpretation des Art 111 FGG-RG ist; denn unzutreffende Rechtsmittelbezeichnungen und unrichtige Adressierungen von Rechtsmitteln waren insbesondere in Familiensachen auch vor Inkrafttreten des FamFG an der Tagesordnung. Außerdem wurde im vorliegenden Fall mit dem Rechtmittelschriftsatz eine Kopie des Urteils der Vorinstanz vorgelegt. Dies ist jedoch nur nach § 519 Abs. 3 ZPO vorgesehen und nicht nach § 64 FamFG und deutet somit darauf hin, dass die Rechtsmitteleinlegung nach altem Recht erfolgte.

3.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 97 Abs. 1 ZPO.

Der Streitwert des Berufungsverfahrens beträgt insgesamt 6.918 Euro und errechnet sich wie folgt:

– laufender Unterhalt Februar 2009 bis Januar 2010 (Eingang PKH-Antrag: 22. Januar 2009) gemäß § 42 Abs. 1 GKG a. F., Art 111 FGG-RG:

- ...: 240 Euro x 12 Monate = 2.880 Euro

- ...: 199 Euro x 12 Monate = 2.388 Euro

– Rückstand Januar 2009 gemäß § 42 Abs. 5 GKG a. F., Art 111 FGG-RG

- ...: 240 Euro

- ...: 199 Euro

– Rückstand Juni 2008 bis Dezember 2008 gemäß § 42 Abs. 5 GKG a. F., Art 111 FGG-RG

- ...: 100% – 61,2% = 245 Euro – 150 Euro = 95 Euro 95 Euro x 7 Monate = 665 Euro

- ...: 100% – 61,2% = 202 Euro – 124 Euro = 78 Euro 78 Euro x 7 Monate = 546 Euro

– insgesamt: 2.880 Euro + 2.388 Euro + 240 Euro + 199 Euro +665 Euro + 546 Euro = 6.918 Euro

Dem Antrag des Klägers auf Zulassung der Revision kann nicht Folge geleistet werden, da das Rechtsmittel der Revision nur gegen in der Berufungsinstanz erlassene Endurteile zugelassen werden kann (§§ 542, 543 ZPO) und im vorliegenden Fall gemäß § 522 Abs. 1 ZPO durch Beschluss entschieden wurde. Gegen den vorliegenden Beschluss findet gemäß § 522 Abs. 1 S. 3 ZPO jedoch die Rechtsbeschwerde statt.