OVG Nordrhein-Westfalen, Beschluss vom 04.12.1997 - 18 B 2490/96
Fundstelle
openJur 2012, 77299
  • Rkr:
Tenor

Die Beschwerde wird zurückgewiesen.

Der Antragsteller trägt die Kosten des Beschwerdeverfahrens.

Der Streitwert wird für das Beschwerdeverfahren auf 4.000,- DM festgesetzt.

Gründe

Die Beschwerde ist unbegründet. Das Verwaltungsgericht hat

den Aussetzungsantrag zu Recht abgelehnt.

Die Ausweisung des Antragstellers dürfte sich als

rechtmäßig erweisen.

Die vom Antragsteller gegen die örtliche Zuständigkeit des

Antragsgegners zum Erlaß der streitigen Ausweisungsverfügung

erhobenen Bedenken greifen nicht durch. Die örtliche

Zuständigkeit für den Erlaß einer Ausweisungsverfügung leitet

der Senat seit seinem Beschluß vom 10. Juli 1997 - 18 B

1853/96 - aus § 4 Abs. 1 OBG ab. Danach ist die

Ausländerbehörde örtlich zuständig, in deren Bezirk die zu

schützenden Interessen verletzt oder gefährdet werden. Dies

ist regelmäßig auch die Behörde des Haftortes, weil die zu

schützenden Interessen jedenfalls dort verletzt oder gefährdet

werden, wo der Ausländer, von dem Gefahren für die öffentliche

Sicherheit oder Ordnung ausgehen, sich aufhält. Das ist für

die Dauer der Haft ebenso wie für die Zeit unmittelbar nach

der Haftentlassung der Haftort. Danach war der Antragsgegner

örtlich zuständig; denn der Antragsteller war zuletzt in der

Außenstelle der Justizvollzugsanstalt

inhaftiert, die sich im Bereich der Gemeinde

befindet, die zum Zuständigkeitsbereich des Antragsgegners

gehört. Daß die Justizvollzugsanstalt ihren Hauptsitz in

der Stadt hat, ist entgegen der Ansicht des

Antragstellers wegen der konkreten Gefährdungsbezogenheit des

§ 4 Abs. 1 OBG unerheblich.

Rechtsgrundlage für die Ausweisung ist § 47 Abs. 1 Nr. 1

AuslG in der durch Art. 1 Nr. 11 des Gesetzes zur Änderung

ausländer- und asylverfahrensrechtlicher Vorschriften vom

29. Oktober 1997 (BGBl. I S. 2584) geänderten Fassung. Diese

Gesetzesänderung ist zu berücksichtigen, weil maßgeblicher

Zeitpunkt für die Beurteilung der Sach- und Rechtslage einer

Ausweisungsverfügung der Zeitpunkt des Erlasses des - hier

noch nicht ergangenen - Widerspruchsbescheides ist.

Vgl. BVerwG, Beschluß vom

17. November 1994 - 1 B 224.94 -,

InfAuslR 1995, 150; Senatsbeschluß vom

21. November 1994 - 18 A 999/93 -.

Der Antragsteller hat die Voraussetzungen des § 47 Abs. 1

Nr. 1 AuslG erfüllt. Danach wird ein Ausländer u. a.

ausgewiesen, wenn er wegen einer oder mehrerer vorsätzlicher

Straftaten rechtskräftig zu einer Freiheitsstrafe von

mindestens drei Jahren verurteilt worden ist. Das ist hier der

Fall. Der Antragsteller ist durch rechtskräftiges Urteil des

Landgerichts vom 2. September 1994 - - wegen schweren

Raubes zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von vier Jahren und

sechs Monaten verurteilt worden. In diese Entscheidung wurde

die Verurteilung durch das Landgericht vom 1. Februar

1994 zu drei Jahren und sechs Monaten Freiheitsstrafe

wegen gemeinschaftlichen schweren Raubes einbezogen.

Infolge der ihm erteilten Aufenthaltsberechtigung darf der

Antragsteller gemäß § 48 Abs. 1 Nr. 1 AuslG nur aus

schwerwiegenden Gründen der öffentlichen Sicherheit und

Ordnung ausgewiesen werden. Derartige Gründe liegen nach der

durch das o. g. Änderungsgesetz (vgl. dort Art. 1 Nr. 12) ins

Ausländergesetz neu eingefügten Vorschrift des § 48 Abs. 1

Satz 2 in den Fällen des § 47 Abs. 1 in der Regel vor. Hiermit

bringt der Gesetzgeber zum Ausdruck, daß in den Fällen einer

sog. Ist-Ausweisung regelmäßig das öffentliche Interesse an

der Erhaltung von öffentlicher Sicherheit und Ordnung eine

Ausweisung des Ausländers erfordert und es zugleich ein

deutliches Óbergewicht im Vergleich zu dem vom Gesetz

bezweckten Schutz des Ausländers besitzt.

Vgl. hierzu BVerwG, Urteil vom

11. Juni 1996 - 1 C 24.94 -, InfAuslR

1997, 8, 10.

Die Formulierung "in der Regel", die das Ausländergesetz

auch an anderer Stelle verwendet, bezieht sich auf Regelfälle,

die sich nicht durch besondere Umstände von der Menge

gleichliegender Fälle unterscheiden. Den Gegensatz bilden

Ausnahmefälle. Diese sind durch einen atypischen

Geschehensablauf gekennzeichnet, der so bedeutsam ist, daß er

jedenfalls das sonst ausschlaggebende Gewicht der gesetzlichen

Regel beseitigt.

Vgl. BVerwG, Beschluß vom

13. November 1995 - 1 B 237.94 -,

InfAuslR 1996, 103.

Das kann etwa der Fall sein, wenn und soweit vorrangiges

Recht, namentlich die Grundrechte und die in ihnen zum

Ausdruck kommende Wertordnung anderes gebietet.

Vgl. BVerwG, Urteil vom 27. August

1996 - 1 C 8.94 -, InfAuslR 1997, 16,

18.

Die der vollen gerichtlichen Nachprüfung unterliegende

Beurteilung, ob ein Ausnahmefall vorliegt, fällt hier zu

Lasten des Antragstellers aus. Maßgebend ist insoweit vor

allem, daß § 47 Abs. 1 AuslG Fälle schwerer und besonders

schwerer Kriminalität betrifft,

BT-Drucks. 11/6321, S. 50, 73,

und daß in derartigen Fällen regelmäßig ein dringendes

Bedürfnis daran besteht, über die strafrechtliche Sanktion

hinaus durch Ausweisung andere Ausländer von Straftaten

ähnlicher Art und Schwere abzuhalten.

Vgl. BVerwG, Urteil vom 11. Juni

1996 - 1 C 24.94 -, InfAuslR 1997, 8,

11 m.w.N.

Gemessen daran bedarf die vom Gesetzgeber für den Regelfall

vorgenommene gesetzliche Wertung jedenfalls mit Blick auf den

generalpräventiven Gesetzeszweck, der dem

Ausweisungstatbestand des § 47 AuslG auch zugrundeliegt,

vorliegend keiner Korrektur. Der Antragsteller hat erhebliches

Unrecht begangen. Das wird durch die Höhe der gegen ihn

verhängten Freiheitsstrafe von vier Jahren und sechs Monaten

bestätigt. Dem steht die Bewertung der Straftaten als

minderschwere Fälle nicht entgegen. Es kann nicht zweifelhaft

sein, daß bei schwerem Raub schon wegen der von derartigen

Delikten ausgehenden hohen Gefährdung der geschützten

Rechtsgüter ein dringendes sicherheitspolitisches Bedürfnis

dafür besteht, über die strafrechtliche Sanktion hinaus durch

Ausweisung andere Ausländer von derartigen Straftaten

abzuhalten. Die Taten des Antragstellers weisen keine Umstände

auf, die ausnahmsweise eine andere Beurteilung rechtfertigen

könnten. Die im Zusammenhang mit beiden Straftaten

strafrichterlich festgestellte brutale Vorgehensweise gegen

eine 53-jährige sowie eine 58-jährige Frau verdeutlichen

vielmehr die Gefährlichkeit der vom Antragsteller begangenen

Strafhandlungen und die Erforderlichkeit, der Begehung

vergleichbarer Straftaten durch andere Ausländer

vorzubeugen.

Der dem Antragsteller zustehende besondere

Ausweisungsschutz nach § 48 Abs. 1 AuslG bewirkt gemäß § 47

Abs. 3 Satz 1 AuslG eine Herabstufung der Ist-Ausweisung zu

einer Regel-Ausweisung. Ob ein Regelfall gegeben ist,

unterliegt voller gerichtlicher Nachprüfung. Zu

berücksichtigen sind dabei alle Umstände der

strafgerichtlichen Verurteilung sowie die sonstigen

Verhältnisse des Ausländers, wie sie in § 45 Abs. 2 AuslG

näher umschrieben sind. Ein Ermessensspielraum steht der

Behörde erst zu, wenn kein Regel-, sondern ein Ausnahmefall im

vorstehenden Sinne vorliegt.

Vgl. BVerwG, Beschluß vom

13. November 1995 - 1 B 237.94 -,

InfAuslR 1996, 103; Senatsbeschluß vom

13. März 1996 - 18 B 2485/94 - sowie

Senatsurteil vom 25. Februar 1997 - 18

A 6689/95 -.

Ein Ausnahmefall ist hier nicht gegeben.

Der Fall des Antragstellers weist keine Besonderheiten auf,

die ein Absehen von der Regelausweisung rechtfertigen könnten.

Die Umstände der Taten zeigen vielmehr die typische

Begehungsweise eines schweren Raubdeliktes. Erschwerend tritt

die oben bereits aufgezeigte brutale Vorgehensweise hinzu.

Die Aussetzung des Strafrestes zur Bewährung nach § 57

Abs. 1 StGB und die in diesem Zusammenhang regelmäßig

zugunsten des Betroffenen angestellte Sozialprognose führen

grundsätzlich nicht auf einen Ausnahmefall.

Vgl. Senatsbeschluß vom 18. November

1991 - 18 B 435/91 - sowie BVerwG,

Beschluß vom 29. September 1993 - 1 B

62.93 -, InfAuslR 1994, 45.

Auch die persönliche Situation des Antragstellers

rechtfertigt keine Ausnahme im dargelegten Sinne. Weder die

familiären Verhältnisse noch sein langjähriger Aufenthalt im

Bundesgebiet sind Besonderheiten, die die Ausweisung im

Vergleich zu anderen Fällen der Regelausweisung als

unangemessene Härte erscheinen lassen könnte. Ohne das

Hinzutreten besonderer Umstände - etwa Beistandsbedürftigkeit

des Ausländers oder eines Familienangehörigen - begründet

allein die Tatsache, daß der Antragsteller jedenfalls nach

seiner Haftentlassung zunächst bei seinen Eltern gewohnt hat,

angeblich eine enge Bindung zu seinen Familienangehörigen

besteht und er über einen Arbeitsplatz verfügt, noch keinen

Ausnahmefall. Hinzu kommt, daß der Antragsteller ohne

Darlegung der Gründe den Haushalt seiner Eltern wieder

verlassen hat, und damit ein möglicherweise stabilisierendes

Element allem Anschein nach ersatzlos entfallen ist. Der vom

Antragsteller geltend gemachten Absicht, eine deutsche

Staatsangehörige zu heiraten, kann gegenwärtig schon deshalb

keine besondere Bedeutung zukommen, weil der Antragsteller vor

einem Jahr noch vorgab, eine andere deutsche Staatsangehörige

heiraten zu wollen, und schon mit Blick darauf die

Verwirklichung der jetzigen Heiratsabsicht als ungewiß

erscheint. Unter den hier vorliegenden Fallumständen muß sich

der Antragsteller auch unter Berücksichtigung seines

langjährigen Aufenthalts in Deutschland, seiner

Resozialisierungsbemühungen und der behaupteten

Integrationsprobleme in der Türkei gegenwärtig auf die

Möglichkeiten der Besuchserlaubnis (§ 9 Abs. 3 AuslG) und

einer auf Antrag in der Regel zu erfolgende Befristung der

Wirkungen der Ausweisung (§ 8 Abs. 2 Satz 3 AuslG), bei der

wiederum alle persönlichen Umstände zu würdigen sein werden,

verweisen lassen.

Die Ausweisung des Antragstellers steht ferner im Einklang

mit den supranationalen Regelungen.

Dem Antragsteller steht insbesondere kein Ausweisungsschutz

nach den Bestimmungen des Assoziationsratsbeschlusses

EWG/Türkei Nr. 1/80 (ARB 1/80) zur Seite. Insoweit ist nach

der Senatsrechtsprechung allerdings davon auszugehen, daß sich

die Ausweisung türkischer Staatsangehöriger, die ein

Aufenthaltsrecht nach dem Assoziationsratsbeschluß 1/80

besitzen, gemäß Art. 14 Abs. 1 ARB 1/80 nach

Gemeinschaftsrecht beurteilt.

Vgl. Senatsbeschlüsse vom 29. April

1993 - 18 B 4386/92 -, InfAuslR 1993,

288 = DVBl. 1993, 1023 = NVwZ 1993,

1227 = NWVBl. 1993, 31, und vom

21. Dezember 1994 - 18 B 2440/94 -,

InfAuslR 1995, 190 = NVwZ 1995, 820 =

NWVBl. 1995, 180.

Indessen verfügt der Antragsteller nicht über ein

derartiges Aufenthaltsrecht. Ein solches ergibt sich zunächst

einmal nicht aus dem aufgrund der Beschäftigungszeiten allein

in Betracht kommenden Art. 6 Abs. 1 1. Spiegelstrich ARB 1/80.

Dabei kann dahinstehen, ob dem Antragsteller im Zeitpunkt

seiner Inhaftierung ein derartiges Recht zustand. Ein solches

wäre jedenfalls durch die Verbüßung der Strafhaft

erloschen.

Vgl. Senatsbeschluß vom

20. September 1994 - 18 A 2945/92 -,

InfAuslR 1995, 99 = NVwZ RR 1995,

353

Nach seiner Haftentlassung konnte der Antragsteller wegen

der zwischenzeitlich erfolgten Ausweisung kein

assoziationsrechtliches Aufenthaltsrecht erwerben, weil er

nicht über die erforderliche gesicherte Aufenthaltsposition

verfügte.

Vgl. BVerwG, Urteil vom 22. Februar

1995 - 1 C 11.94 -, InfAuslR 1995,

265.

Art. 7 Satz 1 ARB 1/80 vermittelt dem Antragsteller

ebenfalls kein Aufenthaltsrecht. Nach dieser Vorschrift kann

sich der Familienangehörige eines türkischen Arbeitnehmers,

der die Voraussetzungen des Art. 7 Satz 1 ARB 1/80 erfüllt,

unmittelbar auf diese Bestimmung berufen, um neben dem Zugang

zum Arbeitsmarkt die Erteilung einer Aufenthaltsgenehmigung zu

erreichen.

Vgl. BVerwG, Urteil vom 22. Februar

1995 - 1 C 11.94 -, InfAuslR 1995,

265.

Der Antragsteller erfüllt die Anspruchsvoraussetzungen

nicht, weil er kein Familienangehöriger im Sinne dieser

Regelung ist.

Zunächst ist hierzu klarzustellen, daß Art. 7 Satz 1 ARB

1/80 seinem Wortlaut nach nur solchen Ausländern zugute kommt,

die noch Familienangehörige im Sinne dieser Regelung sind.

Deshalb reicht es nicht aus, wenn ein Ausländer lediglich in

der Vergangenheit diese Anspruchsvoraussetzung erfüllt hat.

Insofern gilt für das Tatbestandsmerkmal des

Familienangehörigen nichts anderes als für die weitere

Anspruchsvoraussetzung, daß der Arbeitnehmer, von dem der

Ausländer seinen Anspruch ableitet, dem regulären Arbeitsmarkt

eines EU-Mitgliedstaates noch angehören muß.

Vgl. zum letzteren BVerwG, Beschluß

vom 23. Dezember 1993 - 1 B 63.93 -,

InfAuslR 1994, 169.

Für das hier gefundene Ergebnis spricht auch, daß durch

Art. 7 Satz 1 ARB 1/80 günstige Voraussetzungen für die

Familienzusammenführung im Aufnahmestaat getroffen werden

sollen,

- vgl. EuGH, Urteil vom 17. April

1997 - Rs C-351/95 -, InfAuslR 1997,

281 -,

deren es nicht mehr bedarf, wenn ein Verwandter nicht mehr

zum Personenkreis der von der Nachzugsregelung begünstigten

Personen gehört. Diesen wird dadurch nicht schlechthin die

Möglichkeit genommen, sich weiterhin im Aufnahmestaat

aufhalten zu können. Entsprechend ihren Integrationsbemühungen

ist es ihnen möglich, über Art. 6 Abs. 1, Art. 7 Satz 2 ARB

1/80 und die nationalen ausländerrechtlichen Regelungen in

eigenständige Aufenthaltsrechte hineinwachsen.

Die danach entscheidungserhebliche Frage, welche Personen

unter den Begriff des Familienangehörigen fallen, ist in der

Rechtsprechung nach wie vor ungeklärt.

Vgl. Hess. VGH, Beschluß vom

29. März 1995 - 12 TH 3249/94 -,

InfAuslR 1995, 279; offen gelassen auch

vom BVerwG, Urteil vom 24. Januar 1995

- 1 C 2.94 -, InfAuslR 1995, 223.

Nach der Auffassung des Senats dürfte sich die Frage nach

den gemeinschaftsrechtlichen Regelungen (Art. 1 Abs. 2 der

Richtlinie Nr. 64/221/EWG vom 25. Februar 1964 - ABl. EG 1964

S. 850 - iVm Art. 10 Abs. 1 Verordnung (EWG) Nr. 1612/68 vom

15. Oktober 1968 (ABl. EG Nr. L 257 S. 2 -), die im

Aufenthaltsgesetz/EWG (AufenthG/EWG) ihren Niederschlag

gefunden haben (vgl. dort § 1 Abs. 2), beurteilen.

Vgl. Senatsbeschluß vom 10. Dezember

1993 - 18 B 1901/93 -; so auch Huber in

Handbuch des Ausländer- und Asylrechts,

Stand 1. April 1997, Band 1, B 402

Rn. 3 zu Art. 7 EWG/Tr.

Der vorliegende Fall erfordert keine endgültige Klärung des

aufgeworfenen Problems. Denn für alle offenen Auslegungsfragen

gilt, daß die Rechtsstellung aufgrund des

Assoziationsratsbeschlusses 1/80 nicht günstiger sein kann als

diejenige, die freizügigkeitsberechtigten Angehörigen der

Europäischen Union zusteht.

Vgl. BVerwG, Beschluß vom

18. September 1995 - 1 B 129.95 -,

InfAuslR 1996, 10.

Die für diesen Personenkreis geltende Regelung des § 1

Abs. 2 AufenthG/EWG erfaßt den Antragsteller nicht. Nach dem

allein in Betracht kommenden Satz 2 Nr. 2 dieser Vorschrift

zählen Abkömmlinge, die - wie der Antragsteller - das

21. Lebensjahr vollendet haben, nur zu den

Familienangehörigen, wenn ihnen von einer

freizügigkeitsberechtigten Person, mit der sie in

aufsteigender Linie verwandt sind, oder deren Ehegatten

Unterhalt gewährt wird. Das ist hier nicht der Fall. Der

Antragsteller befindet sich nach eigenem Vorbringen in einem

festen Arbeitsverhältnis. Es sind keine Anhaltspunkte dafür

erkennbar, daß er mit seinem Arbeitseinkommen seinen

Lebensunterhalt nicht bestreiten kann.

Für den Fall, daß dem Antragsteller aufgrund einer

veränderten Arbeitssituation von seinen Eltern Unterhalt

gewährt werden sollte, weist der Senat vorsorglich darauf hin,

daß selbst eine Anwendung des Gemeinschaftsrecht einer

Ausweisung nicht entgegenstehen dürfte. Allerdings darf nach

§ 12 Abs. 1, 3 und 4 AufenthG/EWG eine Ausweisung nur in

solchen Fällen erfolgen, in denen der Ausländer über die

Tatsache einer strafrechtlichen Verurteilung hinaus durch sein

persönliches Verhalten Anlaß zu der Ausweisung bietet.

Indessen dürften diese Anforderungen aus den vom

Verwaltungsgericht angeführten spezialpräventiven Erwägungen

erfüllt werden.

Des weiteren hilft dem Antragsteller auch Art. 7 Satz 2 ARB

1/80 nicht weiter. Die dort geforderte abgeschlossene

Berufsausbildung vermag er nicht aufzuweisen.

Auf den besonderen Ausweisungsschutz nach Art. 3 Abs. 1 und

3 des Europäischen Niederlassungsabkommens kann sich der

Antragsteller ungeachtet der Frage, ob es infolge seiner

vorübergehenden Paßlosigkeit im Jahre 1990 an einem

ordnungsgemäßen 10jährigen Aufenthalt in Deutschland fehlt,

schon wegen der Verwirklichung eines Ist-

Ausweisungstatbestandes nicht berufen.

Vgl. Senatsbeschluß vom

20. September 1994 - 18 A 2945/92 -,

a.a.O.

Zu seinen Gunsten greift ferner nicht Art. 8 der

Europäischen Menschenrechtskonvention (EMRK) ein. Unter

Berücksichtigung der Rechtsprechung des Europäischen

Gerichtshofs

- vgl. Urteile vom 18. Februar 1991

- 31/1989/191/291 -, InfAuslR 1991,

149 und vom 13. Juli 1995

- 18/1994/465/564 -, InfAuslR 1996,

1 -

ist unter den hier gegebenen Umständen davon auszugehen,

daß der Schutz des Art. 8 EMRK nicht weitergeht als der des

Art. 6 GG, wie er im Ausländergesetz seinen Niederschlag

gefunden hat.

Vgl. hierzu BVerwG, Beschluß vom

12. Juni 1992 - 1 B 48.92 -, InfAuslR

1992, 305; Senatsbeschluß vom

20. September 1994 - 18 A 2945/92 -,

a.a.O.

Soweit die Beschwerde die Abschiebungsandrohung zum

Gegenstand hat, wird der Aussetzungsantrag mangels

Rechtsschutzinteresses als unzulässig zurückgewiesen, weil die

auf den Zeitpunkt der Haftentlassung bezogene

Abschiebungsandrohung nach der Haftentlassung nicht mehr

Vollstreckungsgrundlage sein kann und keine Anhaltspunkte

dafür bestehen, daß der Antragsgegner gleichwohl auf der

Grundlage der hier im Streit stehenden Abschiebungsandrohung

die Abschiebung betreiben will.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 2 VwGO, die

Streitwertfestsetzung folgt aus § 20 Abs. 3, § 13 Abs. 1

GKG.

Dieser Beschluß ist unanfechtbar.