OVG Nordrhein-Westfalen, Beschluss vom 27.06.1997 - 15 A 1778/94
Fundstelle
openJur 2012, 76579
  • Rkr:
Tenor

Das angefochtene Urteil wird geändert. Die Klage wird abgewiesen.

Die Kosten des Verfahrens beider Rechtszüge trägt der Kläger.

Der Beschluß ist wegen der Kosten vorläufig vollstreckbar.

Die Revision wird nicht zugelassen.

Der Streitwert wird auch für das Berufungsverfahren auf 7.733,16 DM festgesetzt.

Gründe

I.

Der Kläger ist Eigentümer des Grundstücks A. 114 in B.

(Gemarkung C. Flur 7 Flurstück 1021), das an die A. im Bereich

zwischen der D. und der E. grenzt. Im Jahre 1987 gestaltete

der Beklagte die A. in diesem Bereich von einer Straße mit

Gehwegen, Fahrbahn und in der Mitte verlaufenden

Straßenbahngleisen um, indem er eine einheitliche

Verkehrsfläche schuf. Lediglich die Mitte der A. auf einer

Breite von 5,38 m wurde bis zu 14 cm tiefergelegt. Dort wurden

Gleise für die Straßenbahn verlegt, die mit mehreren Linien

durch die A. geführt wird. Am 17. Juni 1989 wurde im Amtsblatt

eine Teileinziehung für den hier betroffenen Bereich der A.

des Inhalts bekanntgemacht, daß die Straßenfläche nur noch für

Fußgänger, Radfahrer sowie für das An- und Abfahren mit

Kraftfahrzeugen zu den vorhandenen Garagen und Kfz-

Stellplätzen, zu denen eine Zufahrt von der betroffenen

Straßenfläche besteht, durch die Nutzungsberechtigten und

montags bis freitags von 5.00 Uhr bis 11.00 Uhr sowie samstags

von 5.00 Uhr bis 9.00 Uhr für den Fahrzeugverkehr zum Be- und

Entladen und zusätzlich für den öffentlichen

Personennahverkehr gewidmet sei. Mit Bescheid vom 31. Mai 1991

zog der Beklagte den Kläger für den Ausbau zu einem

Straßenbaubeitrag über 7.733,16 DM heran. Den hiergegen

eingelegten Widerspruch des Klägers wies der Beklagte mit

Widerspruchsbescheid vom 9. September 1991 zurück.

Dagegen hat der Kläger rechtzeitig Klage erhoben und

vorgetragen: Es sei in Wirklichkeit keine

Fußgängergeschäftsstraße hergestellt, sondern eine Maßnahme

zum Zwecke der Beschleunigung des Straßenbahnverkehrs

durchgeführt worden. Wirtschaftliche Vorteile seien für die

Anlieger nicht entstanden bzw. durch dauernde Nachteile wie

etwa erhöhte Lärmbelästigung durch den Straßenbahnverkehr, die

Anbringung eines ungeeigneten Zierpflasters und Abflußgitters

aufgewogen worden. Der Kraftfahrzeugverkehr sei nur

unerheblich eingeschränkt worden und für die Passanten, die

sich auf den Charakter der Straße als Fußgängerzone verließen,

eher noch gefährlicher geworden. Der in der Satzung

vorgesehene Abschlag von 10 %-Punkten für die Widmung der A.

auch für den öffentlichen Personennahverkehr sei nicht

ausreichend, da die negativen Auswirkungen durch Lärm und

Verschmutzung schwerer wögen, wie sich an den zu

verzeichnenden Umsatzeinbußen zeige. Der umgelegte Aufwand

werde bestritten, so sei der Bürgersteig im Kreuzungsbereich

der F. etwa erst hergestellt, dann aber erneut aufgerissen und

mit abgeflachten Ecken für Rollstuhlfahrer versehen

worden.

Der Kläger hat beantragt,

den Heranziehungsbescheid des

Beklagten vom 31. Mai 1991 und dessen

Widerspruchsbescheid vom 9. September

1991 aufzuheben.

Der Beklagte hat beantragt,

die Klage abzuweisen.

Er hat vorgetragen: Durch den Umbau im Jahre 1987 sei eine

Fußgängergeschäftsstraße mit Personennahverkehr geschaffen und

somit die A. im Sinne der Straßenbaubeitragssatzung nachmalig

hergestellt worden. Dadurch sei eine Erhöhung des

Gebrauchswertes der anliegenden Grundstücke eingetreten, da

sie durch den Fortfall des Kraftfahrzeugverkehrs besser zu

erreichen seien.

Mit dem angefochtenen Urteil hat das Verwaltungsgericht der

Klage stattgegeben.

Dagegen hat der Beklagte rechtzeitig Berufung eingelegt und

vorgetragen: In § 3 Abs. 3 Nr. 6 der Straßenbaubeitragssatzung

sei der Anliegeranteil wirksam festgesetzt worden.

Insbesondere ergebe sich aus der Änderung des § 3 Abs. 3 Nr. 5

der Beitragssatzung durch Änderungssatzung vom 27. April 1989,

daß Fußgängergeschäftsstraßen in B. auch für den

Fahrradverkehr geöffnet werden könnten, ohne daß dies zu einer

Änderung des Anliegeranteils führen solle. Eine

Differenzierung zwischen Fußgängergeschäftsstraßen mit

erlaubtem Fahrradverkehr und solchen ohne diesen sei nicht

geboten. Die Praxis habe gezeigt, daß - auch wegen der

geringen Zahl von Radfahrern - der Fußgängerverkehr nicht

beeinträchtigt werde. Die Absenkung der Gleisanlagen in der

Mitte der A. sei beitragsrechtlich unschädlich. Diese Ein- und

Ausstiegshilfe für Benutzer der Straßenbahnen, die

gleichzeitig auch eine Warnfunktion für Fußgänger habe, stelle

keine wesentliche Behinderung des Fußgängerverkehrs dar.

Der Beklagte beantragt,

das angefochtene Urteil zu ändern

und die Klage abzuweisen.

Der Kläger beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Er trägt vor: Das Verwaltungsgericht habe zu Recht eine

beitragsrechtliche Differenzierung zwischen

Fußgängergeschäftsstraßen mit öffentlichem Personennahverkehr

und Fahrradverkehr und solchen Straßen ohne Fahrradverkehr

verlangt. Die bauliche Ausgestaltung der Straße, insbesondere

die abgesetzten Bürgersteige, führten zu einem Straßenbild,

das den Kraftfahrzeugverkehr nicht verdränge. Die Absenkung

der Gleisanlagen bewirke eine tatsächliche Behinderung des

Fußgängerverkehrs. Es sei keine Fußgängerzone im herkömmlichen

Sinne geschaffen worden, vielmehr sei durch die

bordsteinähnlichen Begrenzungen im Mittelteil eine Straße zu

erkennen, auf der reger Fahrzeugverkehr herrsche und vor deren

Benutzung die Fußgänger zurückschreckten. Hier sei die Straße

schmaler als 19 m und weise keine Óberbreite auf.

Am 26. Mai 1997 hat eine Augenscheinseinnahme durch den

Berichterstatter stattgefunden. Wegen des Ergebnisses wird auf

die Niederschrift vom gleichen Tage (Blatt 105 bis 107 der

Gerichtsakte) verwiesen.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts und des

Vorbringens der Beteiligten im übrigen wird auf den Inhalt der

Verfahrensakte und der dazu beigezogenen Unterlagen Bezug

genommen.

II.

Der Senat entscheidet durch Beschluß gemäß § 130 a VwGO,

dessen Voraussetzungen vorliegen.

Die zulässige Berufung ist begründet. Die zulässige Klage

ist unbegründet und daher abzuweisen. Der angefochtene

Beitragsbescheid des Beklagten ist nämlich rechtmäßig und

verletzt deshalb keine Rechte des Klägers (vgl. § 113 Abs. 1

Satz 1 VwGO).

Der Bescheid rechtfertigt sich aus § 8 des

Kommunalabgabengesetzes für das Land Nordrhein-Westfalen

(KAG NW) in Verbindung mit der Satzung über Beiträge für

straßenbauliche Maßnahmen der Landeshauptstadt B. vom 5. Juli

1983 in der Fassung der Änderungssatzung vom 27. April 1989

(SBS). Nach § 1 SBS erhebt die Stadt zum teilweisen Ersatz des

Aufwandes u.a. für die Herstellung von öffentlichen Straßen

sowie der zugehörigen Teilanlagen/Einrichtungen und als

Gegenleistung für die den Eigentümern oder den

Erbbauberechtigten der erschlossenen Grundstücke durch die

Möglichkeit der Inanspruchnahme der Anlagen gebotenen

wirtschaftlichen Vorteile Beiträge. Mit der hier

vorgenommenen, durch Teileinziehung vom 17. Juni 1989

beendeten Umgestaltung der früher mit getrennten

Verkehrsflächen ausgebauten A. zu einer

Fußgängergeschäftsstraße wurde die A. beitragsfähig

hergestellt i.S.d. § 1 SBS.

Vgl. zum Merkmal der Herstellung bei

der Umgestaltung einer "normalen"

Straße in eine Fußgängergeschäftsstraße

OVG NW, Urteil vom 24. Oktober 1986

- 2 A 840/84 -, KStZ 1987, 74; zur

Notwendigkeit einer Teileinziehung bei

einer Fußgängergeschäftsstraße zur

Erfüllung des Beitragstatbestandes

OVG NW, Urteil vom 22. August 1995

- 15 A 3907/92 -, NWVBl. 1996, 62

(63).

Entgegen der Auffassung des Verwaltungsgerichts stellt die

Straßenbaubeitragssatzung trotz der Besonderheiten der

hergestellten Straße eine ausreichende Satzungsgrundlage dar.

§ 3 Abs. 3 Nr. 5 SBS regelt, daß der satzungsrechtliche

Begriff der Fußgängergeschäftsstraße u.a. die Benutzung der

Straße durch Radfahrer nicht ausschließt. Vielmehr

differenziert die Satzung in § 3 Abs. 3 Nr. 5 und 6 SBS

lediglich zwischen Fußgängergeschäftsstraßen mit und solchen

ohne öffentlichen Personennahverkehr. Das ist hier

ausreichend.

Die Beiträge sind nach den Vorteilen zu bemessen (§ 8

Abs. 6 Satz 1 KAG NW). Das bedeutet jedoch nicht, daß das

Gesetz die Höhe des Anliegeranteils absolut oder in Relation

zu den jeweiligen Ausbauarten genau vorschreibt. Vielmehr

steht dem Satzungsgeber im Rahmen des so vorgegebenen

Maßstabes der Beitragsbemessung ein weites Ermessen für die

Gestaltung der abgabenrechtlichen Regelungen zu, die nur auf

die Einhaltung der Grenzen des sachlich Vertretbaren überprüft

werden können. Eine geringere Beitragsbelastung der Anlieger

von Fußgängergeschäftsstraßen mit Fahrradverkehr gegenüber

denen ohne einen solchen ist aus

Gleichbehandlungsgesichtspunkten rechtlich nur geboten, wenn

zwischen den beiden genannten Straßentypen Unterschiede von

solcher Art und von solchem Gewicht vorliegen, daß die

gleichartige Behandlung nicht mehr zu rechtfertigen wäre.

Vgl. OVG NW, Urteil vom 22. November

1995 - 15 A 1432/93 -, Gemhlt. 1997, 63

(64) m.w.N.

Inbesondere fordert der Gleichheitssatz nicht eine immer

mehr individualisierende und spezialisierende Normsetzung.

Vgl. BVerfG, Beschluß vom 10. April

1997 - 2 BvL 77/92 -, S. 10 des

amtlichen Umdrucks (zum

Einkommensteuerrecht).

Ausgehend von diesen Grundsätzen stellt die durch den

Fahrradverkehr bewirkte Behinderung des Fußgängerverkehrs

keine derartig gravierende Minderung des Vorteils der Anlieger

dar, daß eine Differenzierung im Anliegeranteil durch die

Satzung geboten wäre. Zum einen ist das Radfahreraufkommen in

der A. eher gering, wie die Augenscheinseinnahme ergeben hat.

Radfahrer benutzen die A. im hier betroffenen Bereich nicht in

einem ständigen Strom oder größeren Pulks, wie es für Städte

mit hohem Radfahreraufkommen kennzeichnend ist, sondern nur

vereinzelt. Darüber hinaus nutzen sie zumeist den mittleren,

mit Gleisen belegten Teil, der von den Fußgängern, die sich

zumeist an den Seiten vor den Ladenlokalen aufhalten, im

wesentlichen nur zum Óberqueren der Straße genutzt wird.

Schließlich stellt sich die Beeinträchtigung durch den

ohnehin geringen Fahrradverkehr auch deshalb nicht als

beitragsrechtlich relevante Vorteilsminderung dar, weil die A.

nach der Beitragssatzung eine Óberbreite aufweist. Sie ist

nach den Ausbauplänen zwischen 20 m und 22,5 m breit und weist

bei einer nach § 3 Abs. 2 Nr. 6 Spalte 2 SBS anrechenbaren

Breite von 19,5 m somit eine Óberbreite von 0,5 m bis 3 m auf.

Für das Vorliegen einer Óberbreite kommt es auf die Breite der

gesamten A., nicht nur des abgesenkten Mittelteils an, wie der

Kläger meint. Die Behinderungen durch den Fahrradverkehr

vermindern sich daher angesichts der durch die Óberbreite

überdurchschnittlichen Verkehrsaufnahmekapazität weiter.

Die - zweifelsohne gravierendere und vom

Prozeßbevollmächtigten des Klägers im Ortstermin als dem

Charakter einer Fußgängerstraße widersprechend bewertete -

Beeinträchtigung durch den starken Straßenbahnverkehr wird

- auch hinsichtlich der Lärmentwicklung - beitragsrechtlich

ausreichend berücksichtigt durch die Senkung des

Anliegeranteils gegenüber von öffentlichem Personennahverkehr

freien Fußgängergeschäftsstraßen von 50 % auf 40 %, als um ein

Fünftel. Dies liegt im Bereich des sachlich Vertretbaren.

Schließlich erfordert auch die bis zu 14 cm tiefe Absenkung

des mittleren, gleisbelegten Bereichs der A. auf einer Breite

von 5,38 m keine anderweitige satzungsrechtliche Festlegung

des Anliegeranteils. Durch die Absenkung wird zwar ein Bereich

geschaffen, der den Eindruck einer nur für Straßenbahnen

vorgesehenen Fläche hervorruft. Rechtlich ist aber auch diese

Fläche dem Fußgängerverkehr neben den sonst zugelassenen

Verkehrsarten gewidmet und wird auch von diesem genutzt. Die

Absenkung des gleisbelegten Mittelteils stellt eine mit der

Zulassung des öffentlichen Personennahverkehrs verbundene,

geringfügige Behinderung des Fußgängerverkehrs dar, die unter

Vorteilsminderungsgesichtspunkten von der Absenkung des

Anliegeranteils um ein Fünftel des Anliegeranteils für

Fußgängergeschäftsstaßen ohne öffentlichen Personennahverkehr

erfaßt wird.

Der Einwand des Klägers, der Kraftfahrzeugverkehr werde

nicht ausreichend von der Straße ferngehalten, ist

beitragsrechtlich unerheblich, weil der erlaubte Liefer- und

Anliegerverkehr keine Vorteilsminderung, sondern eine Regelung

im Interesse der Anlieger darstellt. Soweit die Straße von

Kraftfahrzeugen rechtswidrig benutzt wird, ist dies ebenfalls

unerheblich. Fehlverhalten von Verkehrsteilnehmern ist nicht

geeignet, den wirtschaftlichen Vorteil einer Baumaßnahme

entfallen zu lassen.

Vgl. OVG NW, Urteil vom 9. Mai 1995

- 15 A 2545/92 -, NWVBl. 1996, 61.

Schließlich ist auch die Motivation des Beklagten für den

Ausbau, die der Kläger in der Beschleunigung des öffentlichen

Personennahverkehrs sieht, für die Rechtmäßigkeit des

angefochtenen Beitragsbescheides ohne Belang. Gegenstand des

vorliegenden Rechtsstreits ist nicht die Rechtmäßigkeit der

Ausbauentscheidung, insbesondere nicht, ob sie in einem

rechtmäßigen Verfahren der Ausbauplanung getroffen wurde,

sondern die Rechtmäßigkeit des angefochtenen

Beitragsbescheides, für den allein die Gewährung eines

wirtschaftlichen Vorteils durch Herstellung der Anlage

Tatbestandsvoraussetzung ist.

Vgl. OVG NW, Urteil vom 22. November

1995, a.a.O.

Soweit der Kläger Kritik an einzelnen Ausbaudetails übt

(Zierpflaster, Abflußgitter), ist diese nicht geeignet, die

Beitragsfähigkeit der Maßnahmen in Frage zu stellen, da sich

die konkrete Art des Ausbaus, wie sie vom Berichterstatter in

Augenschein genommen wurde, im Rahmen des Ausbauermessens der

Verwaltung bewegt.

Vgl. zum Ausbauermessen ebenda.

Fehler in der Beitragsberechnung liegen nicht vor. Soweit

der Kläger die Richtigkeit des umlagefähigen Aufwandes

bestreitet, konnte mangels Substantiierung konkreter

Kostenpositionen auch insoweit ein Fehler nicht festgestellt

werden.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 1 VwGO, die

Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit auf § 167

VwGO i.V.m. §§ 711 Nr. 10, 713 ZPO.

Die Revision ist nicht zuzulassen, weil die Voraussetzungen

des § 132 Abs. 2 VwGO nicht vorliegen.

Die Streitwertentscheidung ergibt sich aus § 13 Abs. 2

GKG.