VGH Baden-Württemberg, Beschluss vom 30.01.1997 - 1 S 1748/96
Fundstelle
openJur 2013, 10342
  • Rkr:

1. Der einzelne Gemeinderat ist - anders als Staatsorgane und Gemeindeorgane - in der Regel nicht zur Neutralität im Bürgermeisterwahlkampf verpflichtet. Seine Meinungsäußerung ist daher grundsätzlich keine unzulässige Wahlbeeinflussung, solange sie sich im Rahmen der allgemeinen Gesetze hält.

Gründe

Diese Entscheidung ergeht nach Anhörung der Beteiligten durch Beschluß. Der Senat hält die zulässige Berufung einstimmig für unbegründet und eine mündliche Verhandlung nicht für erforderlich (§ 130a VwGO).

Das Verwaltungsgericht hat die zulässige Klage der Klägerin zu Recht und mit zutreffender Begründung abgewiesen, denn bei der Wahl des Bürgermeisters der Stadt M., der Beigeladenen zu 1, am 24.9.1995 fand keine gegen ein Gesetz verstoßende Wahlbeeinflussung statt, die zur Ungültigkeit der Wahl führt (vgl. § 32 Abs. 1 KomWG). Wegen der Begründung im einzelnen wird auf das Urteil des Verwaltungsgerichts Freiburg verwiesen (§ 122 Abs. 2 S. 3 VwGO).

Zum Berufungsvorbringen der Klägerin, vor allem zu den von ihren Prozeßbevollmächtigten mit Schriftsatz vom 22.1.1997 vorgetragenen Gesichtspunkten, ist noch auszuführen:

Die in der Rundschau vom 15.9.1995 unter der Rubrik "Die Stadtverwaltung informiert" abgedruckte "Stellungnahme der Stadtverwaltung zu Äußerungen von X X", die von den Leitern des Kämmereiamtes, Hauptamtes, Hochbauamtes und Bauverwaltungsamtes unterzeichnet ist und die unter der gleichen Rubrik von denselben Amtsleitern in der Rundschau vom 22.9.1995 unter dem Titel "Erneut unwahre Tatsachenbehauptungen von X X" abgedruckte Stellungnahme sind keine gegen ein Gesetz verstoßende Wahlbeeinflussung.

Nach der ständigen Rechtsprechung des Senats (vgl. zuletzt Urt. v. 26.2.1996 - 1 S 2570/95 -, NVwZ-RR 1996, 411) fallen unter den Begriff der Wahlbeeinflussung öffentliche oder veröffentlichte Äußerungen von Bewerbern und Dritten, die bei objektivem Verständnis dazu geeignet sind, unmittelbar auf die Wahlentscheidung der Wähler einzuwirken. Dies setzt neben einem örtlichen und zeitlichen Zusammenhang zur Wahl vor allem einen sachlichen Bezug voraus. Es muß in der Äußerung Umstände geben, die für die Willensbildung des durchschnittlichen Wählers vernünftigerweise erheblich sein können. Ist der Urheber der Äußerung der Inhaber eines Amtes, der in amtlicher Funktion handelt, so verstößt sie u.a. dann gegen ein Gesetz im Sinne des § 32 Abs. 1 Nr. 1 KomWG, wenn sie mit dem Grundsatz der freien Wahl und dem Gebot der Neutralität der öffentlichen Gewalt im Wahlkampf unvereinbar ist. Die Freiheit der Wahl beinhaltet nicht nur, daß der Akt der Stimmabgabe frei von Zwang und unzulässigem Druck zu sein hat, sondern auch, daß die Wähler ihr Urteil in einem freien, offenen Prozeß der Meinungsbildung gewinnen und fällen können. Eine von den Organen der Gemeinde im Wahlkampf ausgehende Beeinflussung der Wähler zugunsten oder zum Nachteil eines oder mehrerer Bewerber stellt insbesondere dann eine unzulässige Wahlbeeinflussung dar, wenn dies unter Inanspruchnahme des Amtsblattes geschieht. Denn das Amtsblatt ist das amtliche Verkündungsorgan der Gemeinde und muß daher dem Gebot parteipolitischer Neutralität in besonderem Maße Rechnung tragen (VGH Bad.-Württ., Urt. v. 17.2.1992 - 1 S 2266/91 -, VBlBW 1992, 423).

Zwar handelt es sich bei der Rundschau nicht um das Amtsblatt der Gemeinde im Sinne des § 1 Nr. 1 DVO-GemO, doch werden in ihr amtliche Mitteilungen der Beigeladenen zu 1 verbreitet; sie ist Verkündungsorgan der Beigeladenen zu 1 (vgl. § 1 Abs. 1 Nr. 2 DVO-GemO). Auch handelt es sich bei den Leitern des Kämmereiamtes, des Hauptamtes, des Hochbauamtes und der Bauverwaltung nicht um Organe der Gemeinde, denn diese sind lediglich der Gemeinderat und der Bürgermeister (§23 GemO). Gleichwohl haben sich die Leiter der genannten Ämter, wenn sie in dieser Eigenschaft in einem Verkündungsorgan der Gemeinde Äußerungen abgeben, der gebotenen Neutralität und Zurückhaltung zu befleißigen. Den Amtsleitern ist jedoch in Zeiten des kommunalpolitischen Wahlkampfes nicht etwa jegliche Meinungsäußerung - auch in amtlicher Eigenschaft - zu Sachverhalten untersagt, die Gegenstand des Wahlkampfes sind. Ob eine unzulässige Wahlbeeinflussung durch die Amtsträger oder noch eine zulässige Meinungsäußerung bzw. eine zulässige Darstellung der Tätigkeit der Stadtverwaltung vorliegt, richtet sich nach den Umständen des Einzelfalls (vgl. auch OVG NW, Urt. v. 19.8.1988 - 15 A 924/86 -, DVBl. 1989, 167).

Mit ihren Erklärungen in der Rundschau vom 15. und 22.9.1995 haben die genannten Amtsleiter der Beigeladenen zu 1 Stellung bezogen zu Wahlkampfäußerungen der Klägerin. Dies ist nicht zu beanstanden. Die Amtsleiter haben nicht von sich aus die Initiative zu Äußerungen im Wahlkampf ergriffen, sondern lediglich auf aus ihrer Sicht unrichtige Wahlkampfaussagen der Klägerin reagiert. Wie das Verwaltungsgericht zutreffend ausgeführt hat, haben die Äußerungen der Klägerin gegenüber der von ihr angenommenen Mißwirtschaft und Unfähigkeit der Verwaltung der Beigeladenen zu 1 einen Polemisierungsgrad erreicht, der es trotz der erforderlichen und gebotenen Zurückhaltung der Amtsleiter der Stadtverwaltung der Beigeladenen zu 1 gerechtfertigt erscheinen lassen, daß diese zu den An- und Vorwürfen Stellung beziehen (vgl. auch BVerfG, Urt. v. 2.3.1977 - 2 BvE 1/76 -, BVerfGE 44, 125). Die veröffentlichten Äußerungen der Amtsleiter enthalten ihrerseits keine Herabwürdigung oder Diffamierung der Klägerin. Sie beschränken sich darauf, von der Klägerin behauptete Tatsachen oder abgegebene Erklärungen "richtig zu stellen" und die Tatsachen aus der Sicht der vier genannten Amtsleiter der Verwaltung der Beigeladenen zu 1 darzustellen. Schon deshalb enthalten die Erklärungen keine unzulässige Wahlwerbung, so daß nicht im einzelnen zu prüfen ist, ob und welche der Tatsachenbehauptungen zutreffend oder unrichtig sind.

Eine unzulässige Wahlbeeinflussung liegt - wie schon das Verwaltungsgericht zu Recht festgestellt hat - auch nicht darin, daß in der Badischen Zeitung vom 21.9.1995 mitgeteilt wird:

Die Äußerungen, die Bürgermeisterkandidatin X X im Verlauf Ihres Wahlkampfes gegen den Gemeinderat getätigt hat, haben Folgen. Eine Gruppe von (bislang) 18 Mitgliedern des Gemeinderats hat jetzt den Antrag gestellt auf Einberufung einer öffentlichen Sitzung zum frühestmöglichen Zeitpunkt nach der Bürgermeisterwahl, in der dies zur Sprache kommen soll. In dem an den Vorsitzenden des Gemeinderats, Bürgermeister X, gestellten Antrag auf Einberufung dieser Sitzung wird weiter beantragt, daß folgender Beschluß an erster Stelle behandelt werden soll: Die im Vorfeld der Bürgermeisterwahl durch Stadträtin X X gegen den Gemeinderat erhobenen Vorwürfe und in Flugschriften verbreitete Unwahrheiten werden zurückgewiesen...".

Der Senat teilt die Auffassung des Verwaltungsgerichts, daß hierin keine unzulässige Wahlbeeinflussung liegt, weil das Gebot der Zurückhaltung und der Neutralität im Wahlkampf nicht das einzelne Gemeinderatsmitglied erfaßt. Jedes Gemeinderatsmitglied kann grundsätzlich an einem Bürgermeisterwahlkampf mit seiner Meinung und seinen Ansichten auch in Veröffentlichungen teilnehmen. Die Neutralitätspflicht im Bürgermeisterwahlkampf trifft den Gemeinderat in seiner Gesamtheit, d.h. als Gremium und als das Hauptverwaltungsorgan der Gemeinde (§ 24 GemO). Ob dies auch für die einzelnen Ausschüsse des Gemeinderates gilt, kann der Senat im vorliegenden Fall offen lassen. Einzelne Gemeinderatsmitglieder, auch wenn sie sich zur politischen Aussage mit anderen Gemeinderatsmitgliedern verbinden, sind dem Gebot der Neutralität der öffentlichen Gewalt im Wahlkampf nicht unterworfen. Sie sind zwar Teil eines Gemeindeorgans, jedoch als Einzelpersonen (auch im Zusammenschluß) nicht befugt, für das Hauptverwaltungsorgan einer Gemeinde zu sprechen, und sie haben dies auch nicht in dieser Eigenschaft getan.

Der Senat folgt nicht der Anregung der Prozeßbevollmächtigten der Klägerin, im Zusammenhang mit der Erklärung der 18 Gemeinderatsmitglieder den Bürgermeister-Stellvertreter der Beigeladenen zu 1 als Zeugen zu hören. Der entsprechende Antrag der Vertreter der Klägerin ist kein Beweisantrag im prozessualen Sinne, da er keine Tatsache unter Beweis stellt, sondern allenfalls eine rechtliche Würdigung durch die Gemeinderatsmitglieder belegen soll. Da im übrigen für die Entscheidung des Senats auch unerheblich ist, wer diese Initiative des Gemeinderates in Gang gesetzt hat und welche Vorstellungen bei den Gemeinderatsmitgliedern bestanden haben, braucht dieser Anregung der Vertreter der Klägerin nicht nachgegangen zu werden und somit ist auch eine neuerliche Anhörung zur Verfahrensweise gem. § 130a VwGO entbehrlich.

Nachdem keine unzulässige Wahlbeeinflussung durch die Amtsleiter der Beigeladenen zu 1 und/oder einzelner Gemeinderatsmitglieder vorliegt, kann der Senat die von den Beteiligten problematisierte Frage offen lassen, ob eine etwaige Wahlbeeinflussung für das Wahlergebnis erheblich oder unerheblich gewesen wäre (vgl. zur Erheblichkeit VGH Bad.-Württ., Urt. v. 27.1.1997 - 1 S 1741/96).

Die Kostenentscheidung folgt aus §§ 154 Abs. 2, 162 Abs. 3 VwGO.

Die Revision ist nicht zuzulassen, da keine der Voraussetzungen des § 132 Abs. 2 VwGO vorliegt.