VGH Baden-Württemberg, Beschluss vom 15.03.2000 - A 6 S 48/00
Fundstelle
openJur 2013, 11292
  • Rkr:

Ein Antrag auf Zulassung der Berufung kann nicht mit Erfolg auf eine Versagung rechtlichen Gehörs gestützt werden, wenn das Verwaltungsgericht durch Gerichtsbescheid entschieden hat; in diesem Fall ist es den Beteiligten ohne weiteres möglich und auch zumutbar, sich durch einen Antrag auf mündliche Verhandlung vor dem Verwaltungsgericht rechtliches Gehör zu verschaffen.

Gründe

Der Antrag auf Bewilligung von Prozeßkostenhilfe für das Zulassungsverfahren ist abzulehnen, da die Rechtsverfolgung in diesem Verfahren aus den nachfolgend dargelegten Gründen keine hinreichende Aussicht auf Erfolg bietet (§ 166 VwGO i.V.m. § 114 ZPO).

Der auf eine grundsätzliche Bedeutung der Rechtssache (§ 78 Abs. 3 Nr. 1 AsylVfG), Divergenz (§ 78 Abs. 3 Nr. 2 AsylVfG) und Versagung des rechtlichen Gehörs (§ 78 Abs. 3 Nr. 3 AsylVfG i.V.m. § 138 Nr. 3 VwGO, Art. 103 Abs. 1 GG) gestützte Antrag auf Zulassung der Berufung ist zum Teil bereits unzulässig und im übrigen jedenfalls unbegründet.

1. Soweit der Kläger seinen Antrag auf die Versagung rechtlichen Gehörs stützt, kann dahinstehen, ob sein Vorbringen den Darlegungsanforderungen des § 78 Abs. 4 Satz 4 AsylVfG genügt. Denn die Rüge der Versagung rechtlichen Gehörs ist - ihre Zulässigkeit unterstellt - jedenfalls nicht begründet.

Der verfassungsrechtlich in Art. 103 Abs. 1 GG verankerte Anspruch auf rechtliches Gehör gibt den an einem gerichtlichen Verfahren Beteiligten das Recht, sich zu dem der gerichtlichen Entscheidung zugrundeliegenden Sachverhalt vor Erlaß der Entscheidung zu äußern (vgl. BVerfGE 60, 175; 86, 133). Dem entspricht die Pflicht des Gerichts, Anträge und Ausführungen der Prozeßbeteiligten zur Kenntnis zu nehmen und in Erwägung zu ziehen, sofern das Verfahren nicht nach den Prozeßvorschriften ausnahmsweise unberücksichtigt bleiben muß oder kann (vgl. BVerfGE 27, 248). Hiergegen wird verstoßen, wenn im Einzelfall besondere Umstände deutlich machen, daß tatsächliches Vorbringen eines Beteiligten entweder überhaupt nicht zur Kenntnis genommen oder bei der Entscheidung nicht erwogen worden ist (vgl. BVerfGE 79, 51), das Gericht im Sinne einer "Überraschungsentscheidung" ohne vorherigen Hinweis Anforderungen an den Sachvortrag stellt, mit denen ein gewissenhafter und kundiger Prozeßbeteiligter nach dem bisherigen Prozeßverlauf nicht zu rechnen brauchte (vgl. BVerfGE 84, 188; BVerwG, InfAuslR 1988, 55), oder wenn das Gericht Tatsachen oder Beweisergebnisse verwertet, die nicht zum Gegenstand des Verfahrens gemacht worden sind und zu denen sich die Beteiligten nicht äußern konnten (vgl. § 108 Abs. 2 VwGO; BVerfGE 70, 180). Voraussetzung einer begründeten Rüge der Versagung rechtlichen Gehörs ist aber die (erfolglose) vorherige Ausschöpfung sämtlicher verfahrensrechtlich eröffneter und nach Lage der Dinge tauglicher Möglichkeiten, sich rechtliches Gehör zu verschaffen (vgl. BVerfGE 74, 220; BVerwG, NJW 1992, 3185).

In Anwendung dieser Grundsätze kann der Kläger sich vorliegend nicht mit Erfolg auf eine Versagung rechtlichen Gehörs berufen. Das Verwaltungsgericht hat sich zwar in der angegriffenen Entscheidung nicht mit den im Schriftsatz des Prozeßbevollmächtigten des Klägers vom 3.11.1998 enthaltenen Beweisangeboten auseinandergesetzt und seine Entscheidung zudem auf eine nicht zum Gegenstand des Verfahrens gemachte Auskunft des Auswärtigen Amtes vom 16.4.1999 gestützt. Demgegenüber dürfte bezüglich der vom Kläger vorgelegten polizeilichen Vorladung eine Überraschungsentscheidung und damit ein weiterer Verstoß gegen das Recht auf rechtliches Gehör schon vom Ansatz her ausscheiden, da das Verwaltungsgericht ausdrücklich darauf hingewiesen hat, daß es gerade nicht (mehr) darauf ankomme, daß es sich ganz offensichtlich um eine Fälschung handele, nachdem das Vorbringen des Klägers schon nicht glaubhaft sei und das Schriftstück auch keinen asylrelevanten Inhalt habe. Dies kann jedoch letztlich dahinstehen. Denn das Verwaltungsgericht hat durch Gerichtsbescheid entschieden. Damit wäre es dem Kläger ohne weiteres möglich und auch zumutbar gewesen, sich durch einen Antrag auf mündliche Verhandlung (vgl. § 84 Abs. 2 Nr. 1 VwGO i.V.m. § 78 Abs. 7 AsylVfG) vor dem Verwaltungsgericht rechtliches Gehör zu verschaffen (so auch OVG Rheinland-Pfalz, Beschluß vom 17.9.1998, DÖV 1999, 36; Thür. OVG, Beschluß vom 18.9.1996, EZAR 633 Nr. 28). Hierdurch wäre der Gerichtsbescheid gegenstandslos geworden (vgl. § 84 Abs. 3 VwGO) und hätte aufgrund mündlicher Verhandlung durch Urteil entschieden werden müssen. In dieser mündlichen Verhandlung hätte der Kläger Gelegenheit gehabt, sich zu den von ihm gerügten Punkten umfassend zu äußern und seine Beweisanträge zu wiederholen. Dieser Umstand schließt es aus, daß der Kläger sich vorliegend mit der Gehörsrüge die Berufungsinstanz eröffnen kann. Dem steht die nach § 84 Abs. 2 Nr. 1 VwGO eröffnete Wahlmöglichkeit zwischen dem Antrag auf Zulassung der Berufung und dem Antrag auf mündliche Verhandlung nicht entgegen. Denn der Antrag auf mündliche Verhandlung hat schon kraft Gesetzes (vgl. § 84 Abs. 2 Nr. 1 2. Halbs. VwGO) Vorrang vor dem Antrag auf Zulassung der Berufung. Im übrigen vermag diese Wahlmöglichkeit dem Kläger keine weitergehende Rechtsposition zu eröffnen, als sie ein Rechtsbehelfsführer auch sonst im Verfahren auf Zulassung der Berufung besitzt. Ohne Bedeutung ist insoweit auch, daß der Kläger im Zulassungsverfahren noch weitere Rügen erhoben hat, zumal da diese - wie unten dargelegt - ebenfalls keinen Erfolg haben.

2. Soweit der Kläger rügt, die angegriffene Entscheidung weiche von der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts und des Oberverwaltungsgerichts Lüneburg ab, kann auch insoweit dahinstehen, ob sein Vorbringen den Darlegungsanforderungen des § 78 Abs. 4 Satz 4 AsylVfG genügt. Denn die Divergenzrüge ist - ihre Zulässigkeit unterstellt - ebenfalls nicht begründet.

Eine Divergenz im Sinne von § 78 Abs. 3 Nr. 2 AsylVfG liegt vor, wenn das Verwaltungsgericht mit einem die Entscheidung tragenden Rechts- oder Tatsachensatz von einem der in der Vorschrift genannten Gerichte aufgestellten Rechts- oder Tatsachensatz abweicht. Dies ist vorliegend nicht der Fall.

In dem vom Kläger der Sache nach zur Darlegung einer Rechtssatzdivergenz herangezogenen Urteil des Bundesverwaltungsgerichts vom 2.8.1983 (9 C 599.81, BVerwGE 67, 314; insoweit handelt es sich bei dem in der Antragsschrift angegebenen Entscheidungsdatum vom 2.8.1993 offensichtlich um einen Irrtum) ist das Bundesverwaltungsgericht zwar davon ausgegangen, daß maßgeblich für die Beurteilung, ob die Voraussetzungen einer Fluchtalternative vorliegen, nur der Zeitpunkt der letzten gerichtlichen Tatsachenentscheidung ist. Diese Rechtsprechung wurde vom Bundesverwaltungsgericht aber mit Urteil vom 15.5.1990 (9 C 17.89, BVerwGE 85, 139) im Hinblick auf die zwischenzeitliche Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts in seinem Beschluß vom 10.7.1989 (BVerfGE 80, 315) weiter präzisiert. Dabei wurde ausgeführt:

"Das Asylgrundrecht des Art. 16 Abs. 2 Satz 2 GG beruht auf dem Zufluchtgedanken und setzt von seinem Tatbestand her grundsätzlich den Kausalzusammenhang Verfolgung-Flucht-Asyl voraus (vgl. BVerfGE 74, 51 (60); 80, 315 (344); BVerwGE 77, 258 (260)). Daher ist von wesentlicher Bedeutung, ob die Asylbewerber vorverfolgt oder unverfolgt ausgereist sind: Steht fest, daß der Asylsuchende wegen bestehender oder unmittelbar bevorstehender politischer Verfolgung ausgereist ist und daß ihm auch ein Ausweichen innerhalb seines Heimatstaates wegen Fehlens einer inländischen Fluchtalternative unzumutbar war, so ist er gemäß Art. 16 Abs. 2 Satz 2 GG asylberechtigt, es sei denn, er kann in seinem Staat wieder Schutz finden. Hat der Asylsuchende sein Land hingegen unverfolgt verlassen, so kann - wie seit dem Beschluß des Bundesverfassungsgerichts vom 26.11.1986 (BVerfGE 74, 51) klargestellt ist - sein Asylbegehren nach Art. 16 Abs. 2 Satz 2 GG nur Erfolg haben, wenn ihm aufgrund von beachtlichen Nachfluchtgründen politische Verfolgung droht (vgl. dazu BVerwG a.a.O.)."

Damit kommt es auch nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts bei der Frage der Vorverfolgung entscheidend darauf an, ob zum Zeitpunkt der Ausreise gegebenenfalls eine inländische Fluchtalternative bestand, was vom Verwaltungsgericht vorliegend bejaht worden ist. Im übrigen ist das Verwaltungsgericht zwar davon ausgegangen, daß der Kläger sein Heimatland unverfolgt verlassen habe und damit auf ihn der Maßstab der beachtlichen Wahrscheinlichkeit Anwendung finde. Zugleich hat es jedoch in seinem Urteil weitergehend festgestellt, daß der Kläger bei einer Rückkehr nach Sri Lanka auch derzeit vor einer politischen Verfolgung hinreichend sicher sei (vgl. UA, S. 17).

Soweit der Kläger in tatsächlicher Hinsicht eine Abweichung von der Entscheidung des Oberverwaltungsgerichts Lüneburg rügt, vermag dies eine Divergenz im Sinne von § 78 Abs. 3 Nr. 2 AsylVfG schon deshalb nicht zu begründen, da nach dem eindeutigen Wortlaut dieser Vorschrift nur Entscheidungen des im Instanzenzug übergeordneten Oberverwaltungsgerichts und nicht auch Entscheidungen der Oberverwaltungsgerichte anderer Bundesländer divergenzfähig sind.

3. Soweit der Kläger schließlich eine grundsätzliche Bedeutung der Rechtssache geltend macht, ist der Antrag bereits unzulässig, da er den Darlegungsanforderungen nach § 78 Abs. 4 Satz 4 AsylVfG nicht entspricht. Die grundsätzliche Bedeutung der Rechtssache ist nur dargelegt, wenn in bezug auf die Rechtslage oder die Tatsachenfeststellung eine konkrete Frage aufgeworfen und erläutert wird, warum sie bisher höchstrichterlich oder obergerichtlich nicht geklärte Probleme aufwirft, die über den zu entscheidenden Einzelfall hinaus bedeutsam sind und im Interesse der Einheitlichkeit der Rechtsprechung oder Fortentwicklung des Rechts berufungsgerichtlich geklärt werden müssen. Es muß deshalb in der Begründung des Antrags auf Zulassung der Berufung deutlich werden, warum prinzipielle Bedenken gegen einen vom Verwaltungsgericht in einer konkreten Rechts- oder Tatsachenfrage eingenommenen Standpunkt bestehen, warum es also erforderlich ist, daß sich das Berufungsgericht noch einmal klärend mit der aufgeworfenen Frage auseinandersetzt und entscheidet, ob die Bedenken durchgreifen. Wird eine grundsätzliche Bedeutung der Rechtssache im Bereich der Tatsachenfeststellungen geltend gemacht, erfordert das Darlegungsgebot insbesondere, daß die Antragsbegründung erkennen läßt, warum das Verwaltungsgericht die tatsächlichen Verhältnisse in einer über den Einzelfall hinausgehenden Weise unzutreffend beurteilt haben soll, daß also z.B. einschlägige Erkenntnisquellen unberücksichtigt geblieben sind, daß das Gewicht einer abweichenden Meinung verkannt worden sei und daß die Bewertungen des Verwaltungsgerichts deshalb nicht haltbar seien. Schließlich muß dargelegt werden, warum die aufgeworfene konkrete Tatsachen- oder Rechtsfrage für das Verwaltungsgericht erheblich war und warum sie sich auch im Berufungsverfahren als entscheidungserheblich stellen würde. Diesen Anforderungen genügt die vorliegende Antragsbegründung nicht.

Die vom Kläger aufgeworfenen Fragen zum Bestehen einer inländischen Fluchtalternative für Tamilen aus Sri Lanka rechtfertigen eine Zulassung der Berufung wegen grundsätzlicher Bedeutung der Rechtssache nicht. Denn der Kläger hat sich insoweit nicht in der gebotenen Weise - unter Durchdringung des Streitstoffs - substantiiert in tatsächlicher Hinsicht mit den Feststellungen des Verwaltungsgerichts auseinandergesetzt und diesen konkrete eigene Erkenntnismittel entgegengestellt, aus denen sich begründete Zweifel an der Auffassung des Verwaltungsgerichts zur Lage der Tamilen in Sri Lanka und ihrer Gefährdung im Falle einer Rückkehr ergeben könnten; ebensowenig hat er dargelegt, daß die Ausführungen des Verwaltungsgerichts in rechtlicher Hinsicht nicht haltbar sind. Allein der pauschale Hinweis auf die Rechtsprechung des Oberverwaltungsgerichts Lüneburg verleiht dem Rechtsstreit noch keine grundsätzlicher Bedeutung, zumal nach der Rechtsprechung des erkennenden Senats (vgl. Urteil vom 20.3.1998 - A 16 S 60/97 (A 6 S 60/97); Beschluß vom 5.5.1999 - A 6 S 393/99) für zurückkehrende tamilische Volkszugehörige gegenwärtig und in absehbarer Zukunft regelmäßig jedenfalls im Großraum Colombo eine zumutbare inländische Fluchtalternative besteht, wenn bei ihnen kein individualisierter LTTE-Verdacht vorliegt, wovon nach den Feststellungen des Verwaltungsgerichts vorliegend nicht ausgegangen werden kann.

Auch die weiter vom Kläger aufgeworfenen Fragen zur rückwirkenden Anwendung der Strafvorschriften des srilankischen Auswanderungsgesetzes und deren Asylerheblichkeit rechtfertigen keine Zulassung der Berufung wegen grundsätzlicher Bedeutung der Rechtssache. Denn auch insoweit hat sich der Kläger nicht in der gebotenen Weise sowohl in tatsächlicher als auch in rechtlicher Hinsicht mit der verwaltungsgerichtlichen Entscheidung auseinandergesetzt. Insoweit weist der Kläger zwar auf verschiedene neuere, vom Verwaltungsgericht nicht berücksichtigte Erkenntnismittel hin, ohne jedoch näher darzulegen, inwiefern die Anwendung der Strafvorschriften des srilankischen Auswanderungsgesetzes einer politischen Verfolgung gleichzusetzen sein könnten. Hierfür genügt nicht allein der Hinweis, daß nach der Auskunft von amnesty international vom 1.3.1999 an das Verwaltungsgericht Hannover Personen, die mit gefälschten Identitätsdokumenten ausreisten, in der Regel nach den "Emergency Regulations" festgenommen und gegebenenfalls angeklagt würden. Insoweit hätte die Asylrelevanz der fraglichen Strafbestimmungen vielmehr unter Aufarbeitung der obergerichtlichen Rechtsprechung näherer Darlegung bedurft.

Es fehlt daher insgesamt an einer den gesetzlichen Anforderungen entsprechenden Darlegung, warum prinzipielle Bedenken gegen die vom Verwaltungsgericht vertretene Auffassung bestehen, die es erforderlich machen, daß sich das Berufungsgericht noch einmal klärend mit der Sache auseinandersetzt.

Soweit der Kläger sich inzwischen gegenüber dem Verwaltungsgericht unter Vorlage von Unterlagen weiter zu seinem Asylbegehren geäußert hat, konnte dieses Vorbringen im vorliegenden Verfahren schon deshalb keine Berücksichtigung finden, weil der Zulassungsantrag dem Anwaltszwang unterliegt (vgl. § 67 Abs. 1 Sätze 1 und 2 VwGO) und dieser Vortrag zudem erst nach Ablauf der Antragsfrist, die zugleich eine Ausschlußfrist für die Zulassungsbegründung darstellt (vgl. § 78 Abs. 4 Satz 4 AsylVfG), beim Verwaltungsgericht eingegangen ist.

Die Kostenentscheidung beruht auf den §§ 154 Abs. 2, 162 Abs. 3 (entspr.) VwGO, 83b Abs. 1 AsylVfG.

Dieser Beschluß ist unanfechtbar. Mit der Ablehnung des Antrags wird der Gerichtsbescheid des Verwaltungsgerichts rechtskräftig (§ 78 Abs. 5 Satz 2 AsylVfG).