OLG Hamburg, Urteil vom 21.02.2008 - 3 U 235/06
Fundstelle
openJur 2013, 241
  • Rkr:
Tenor

Die Berufung der Antragstellerin gegen das Urteil des Landgerichts Hamburg vom 22. August 2006, Az. 312 O 315/06, wird zurückgewiesen.

Die Kosten der Berufung fallen der Antragstellerin zur Last.

Gründe

I.

Die Antragstellerin hat die Antragsgegnerinnen aus Wettbewerbs- und Markenrecht in Anspruch genommen. In der Berufungsinstanz steht nur noch der wettbewerbsrechtlich begründete Unterlassungsanspruch zu I. b) im Streit.

Die Antragstellerin ist eine Tochtergesellschaft der britischen A. N. & Co. Ltd., welche B.-Blüten-Produkte herstellt. Bei der Herstellung von B.-Blüten-Produkten werden Essenzen verwendet, die bestimmte Blütenextrakte enthalten, welche nach einer von Dr. Edward B. Anfang des 20. Jahrhunderts entwickelten Methode gewonnen werden. Diese Produkte werden unter der Bezeichnung „R.“ als „R. Re. Tropfen“, „R. Cream“ und „R. Spray“ angeboten.

Die Muttergesellschaft der Antragstellerin ist Inhaberin einer britischen Produktlizenz für „R. RE. Tropfen“ als pharmazeutisches Produkt. In dem englischsprachigen „Product Information Sheet“ wird unter dem Punkt 4.1 „Therapeutic indications“ angegeben „None“ (vgl. Anlage ASt 5). Aufgrund dieser Zulassung werden die „R. RE. Tropfen“ über die Antragstellerin als Vertriebsgesellschaft auf Einzelbestellung gemäß § 73 AMG in Deutschland in den Verkehr gebracht. Über eine deutsche arzneimittelrechtliche Zulassung verfügt das Produkt „R. RE. Tropfen“ nicht. Die Parteien sind sich auch darüber einig, dass eine solche Zulassung nicht zu erlangen wäre. Weiter besteht zwischen den Parteien Einigkeit darin, dass diese Tropfen auch nicht als homöopatisches Arzneimittel anzusehen sind.

Die Antragsgegnerin zu 1) produziert ebenfalls Blüten-Produkte nach der Methode von Dr. B., welche die Antragsgegnerin zu 2) vertreibt. Dabei handelt es sich unter anderem um „Notfalltropfen mit Blütenessenzen nach der Original-Methode von Dr. B.“. Dieses Produkt wird in einer 20 ml-Flasche mit Pipettenverschluss angeboten. Auf der Hauptschauseite des Flaschenetiketts wird das Produkt als „Notfalltropfen mit Blütenessenzen nach Dr. B.“ bezeichnet. Außerdem befindet sich dort ein Bio-Siegel, sowie die Angabe „Wohltuend und beruhigend“. Im linken Seitenbereich des Flaschenetiketts heißt es:

„AnwendungErwachsene und Kinder4mal täglich vier Tropfen.Die Einnahme der F.-Notfalltropfen kann beiBedarf beliebig oft auch inkurzen Abständen für 1 – 2Tage wiederholt werden.        ÄußerlichIn Form von Umschlägen,Wickeln, Kompressen u.ä.Dazu werden 4 Tropfen auf½ Liter Wasser gegeben.“Im rechten Seitenbereich des Flaschenetiketts heißt es:

ZutatenCognac*, Quellwasser, Blütenessencen*1/240 (Rock Rose*,Impatiens*, Clematis*, CherryPlum*, Star of Bethlehem*)* aus kontrolliert biologischem Anbau        Alc. 27% vol.Für Kinder unzugänglichaufbewahren!Bei Zimmertemperatur lagern“Die Pipettenflasche befindet sich in einer Faltschachtel. Darauf heißt es u.a.:

„F. Notfall Tropfen bieten sanfte Hilfe bei außergewöhnlicher mentaler Belastung...F. Notfall Tropfen werden in Situationen eingesetzt, die eine außergewöhnlicheBelastung darstellen, zum Beispiel eine bevorstehende Prüfung, Lampenfieber,die Angst vorm Fliegen, Trennungen. Sie stabilisieren das emotionale Gleichgewicht.“Mit den vorgenannten Angaben bewerben die Antragsgegner das Produkt auch im Rahmen ihres Internetauftritts (Anlage ASt 9). Ihren Lieferungen legen die Antragsgegner ein Werbeblatt bei (Anlage ASt 10), in welchem es u.a. heißt:

„Schnelle Hilfe im Alltag:        Die berühmte Notfall-Kompositionnach der Original-Methode von Dr. B.        Der englische Arzt Dr. B. entwickelte in den 1930er Jahren die nachihm benannte Blütentherapie für tiefgreifende seelische Harmonisierung.Die von ihm zusammengestellte Notfallmischung „R.“ (engl. für Rettung)ist heute weltweit bekannt.        Die Notfall-Mittel werden unterstützend bei außergewöhnlichenpsychischen Belastungen eingesetzt, z.B. bei Prüfungsangst,Lampenfieber, Flugangst, nach kleinen Unfällen und Verletzungen,nach unangenehmen Erlebnissen etc. ...“Die „F.-Notfalltropfen“ werden im Gegensatz zu den nur über Apotheken erhältlichen „R. Re. Tropfen“ der Antragstellerin von den Antragsgegnern auch über Reformhäuser vertrieben.

Die Antragstellerin sah in der Verwendung des Wortes „R.“ auf der Verpackung der „Notfall Creme“ eine Verletzung der von ihr wahrzunehmenden Rechte aus den Marken ihrer britischen Schwestergesellschaft. Ferner vertrat sie der Auffassung, dass die „Notfall Tropfen“ der Antragsgegner nicht ohne arzneimittelrechtliche Zulassung oder Registrierung in Deutschland vertrieben werden dürften.

Unter dem 8. Mai 2006 erwirkte die Antragstellerin die vorliegende einstweilige Verfügung des Landgerichts Hamburg, Az. 312 O 315/06, mit welcher den Antragsgegnerinnen bei Vermeidung der gesetzlich vorgesehenen Ordnungsmittel verboten wurde,

im geschäftlichen Verkehr

a) Produkte mit B.-Blütenessenzen oder sonstigen homöopathischen oder phytopharmazeutischen Mitteln unter der Bezeichnung „R.“ herzustellen und/oder herstellen zu lassen, zu vertreiben und/oder vertreiben zu lassen, zu bewerben und/oder bewerben zu lassen, insbesondere wenn dies in einer Aufmachung wie nachfolgend abgebildet geschieht:

- es folgt eine Einblendung der Produktverpackung -

b) Notfalltropfen mit Blütenessenzen nach Dr. B. in Deutschland ohne eine arzneimittelrechtliche Zulassung oder Registrierung zu vertreiben und/oder vertreiben zu lassen, zu bewerben und/oder bewerben zu lassen.

Hiergegen wendeten sich die Antragsgegner mit ihrem Widerspruch. Zur Begründung haben sie ausgeführt, dass in der Verwendung der Bezeichnung „R.“ auf der Verpackung der „Notfall Creme“ keine Verletzung von Markenrechten liege. Entgegen der Ansicht der Antragstellerin seien die „Notfall Tropfen“ auch kein Arzneimittel. Ein Funktionsarzneimittel liege schon deshalb nicht vor, weil eine pharmakologische oder sonst arzneimittelrechtlich relevante Wirkung des Produkts oder seiner Bestandteile auf die menschlichen physiologischen Funktionen -unstreitig- nicht vorliege. Es handele sich auch nicht um ein homöopathisches Arzneimittel, weil die B.-Blüten-Essenzen -unstreitig- nicht den homöopathischen Grundsätzen entsprächen.

Die „Notfall Tropfen“ seien aber auch kein Präsentationsarzneimittel. Das Erzeugnis sei entsprechend den Vorgaben des Lebensmittel-Kennzeichenrechts deklariert, es enthalte also Verkehrsbezeichnung, Zutatenverzeichnis und Mindesthaltbarkeitsdatum. Außerdem sei das Produkt mit dem deutschen Bio-Siegel gekennzeichnet, welches nur für Lebensmittel, und zwar aus ökologischem Anbau stammend, verwendet werden dürfe.

Ferner sei darauf hinzuweisen, dass die Zweckbestimmung des Produkts auf der Verpackung mit „sanfte Hilfe bei außergewöhnlicher, mentaler Belastung“ angegeben sei. Bei der Präsentation eines solchen Produkts im Reformhaus inmitten einer Angebotsfülle ähnlicher Pflanzenprodukte oder Nahrungsergänzungsmittel, wie zum Beispiel Knoblauchkapseln, Puh-ER-Tee oder Ayurveda-Produkten, werde der Verbraucher nicht vom Vorliegen eines Arzneimittels ausgehen.

Die Antragsgegnerinnen haben beantragen,

die einstweilige Verfügung vom 8. Mai 2006 aufzuheben und den auf ihren Erlass gerichteten Antrag zurückzuweisen.

Die Antragstellerin hat beantragt,

die einstweilige Verfügung zu bestätigen.

Die Antragstellerin hat ihr Antragsvorbringen vertieft. Die einstweilige Verfügung sei auch hinsichtlich des ausgesprochenen Verbots bezüglich des Vertriebs der „Notfall Tropfen“ ohne arzneimittelrechtliche Zulassung oder Registrierung aufrecht zu erhalten.

Zwar liege kein Funktionsarzneimittel, wohl aber ein Präsentationsarzneimittel vor. Dies folge aus der Gesamtaufmachung des Produkts und seiner Bewerbung. So werde mit Anwendungsindikationen und Wirkungsauslobungen geworben. Das Produkt sehe durch die Schachtel, die 20 ml-Pipettenflasche und die Verwendung eines Beipackzettels (Gebrauchsinformation) wie ein Arzneimittel aus. Zudem heiße das Produkt „Notfall Tropfen“, wobei „Notfall“ ein medizinischer Begriff sei und „Tropfen“ nur bei Medikamenten angewendet würden (Anlage ASt 17). Auch die angegebenen Inhaltsstoffe, nämlich Blütenessenzen, würden typischerweise bei Antidepressiva, nicht aber in Lebensmitteln verwendet. Zudem seien die Verbraucher mit den R. Produkten nach Dr. B. bereits aufgrund einer umfangreichen Berichterstattung vertraut und sähen diese als Arzneimittel an (Anlagen ASt 4 und ASt 24).

Mit Urteil vom 22. August 2006, Az. 312 O 315/06, hat das Landgericht Hamburg die einstweilige Verfügung vom 8. Mai 2006 hinsichtlich des Unterlassungsanspruchs zu I. a) bestätigt. Im Übrigen wurde die einstweilige Verfügung aufgehoben und der auf ihren Erlass gerichtete Antrag zurückgewiesen. Zur Begründung der Teilaufhebung hat das Landgericht ausgeführt, dass es sich bei dem Produkt „Notfall Tropfen“ nicht um ein Präsentationsarzneimittel handele. Der Vertrieb des Produkts verstoße mithin auch nicht gegen § 4 Nr. 11 UWG i.V.m. § 21 AMG.

Gegen dieses Urteil hat die Antragstellerin - hinsichtlich der Teilaufhebung der einstweiligen Verfügung vom 8. Mai 2006 - frist- und formgerecht Berufung eingelegt und diese auch frist- und formgerecht unter Wiederholung und Vertiefung ihres erstinstanzlichen Vortrages begründet.

Die Antragstellerin beantragt,

das Urteil des Landgerichts Hamburg vom 22. August 2006, Az. 312 O 315/06, hinsichtlich des Klagantrags zu I. b) aufzuheben und die einstweilige Verfügung vom 8. Mai 2006 mit der Maßgabe zu bestätigen,

dass das Produkt so, wie es konkret mit Packung, Fläschchen, Pipette und Gebrauchsinformation auf den Markt gebracht werde, vom Verbot umfasst sein soll.

Die Antragsgegnerinnen beantragen,

die Berufung der Antragstellerin zurückzuweisen.

Die Antragsgegnerinnen verteidigen die mit dem landgerichtlichen Urteil erfolgte Teilaufhebung der einstweiligen Verfügung unter Wiederholung und Vertiefung ihres erstinstanzlichen Vortrages.

Hinsichtlich des erstinstanzlichen Tatsachenvortrages der Parteien und der weiteren tatsächlichen Feststellungen des Landgerichts wird gemäß § 540 Abs. 1 Nr. 1 ZPO auf den Tatbestand der angefochtenen Entscheidung Bezug genommen. Bezüglich des weiteren Vorbringens der Parteien wird auf die von den Parteien zur Akte gereichten Schriftsätze nebst Anlagen sowie das Protokoll der Berufungsverhandlung vom 17. Januar 2008 Bezug genommen.

II.

Die Berufung der Antragstellerin ist zulässig, aber unbegründet.

1. Der mit dem Antrag zu I. b) geltend gemachte Unterlassungsanspruch steht der Antragstellerin nicht nach §§ 3, 4 Nr. 11, 8 UWG in Verbindung mit § 21 AMG zu.

a) Gegenstand des Unterlassungsantrags zu I. b) ist ein Vertriebsverbot hinsichtlich der „Notfall Tropfen“ der Antragsgegner, wie sie konkret mit Packung, Pipettenfläschchen und Gebrauchsinformation auf den Markt gebracht worden sind, und zwar im Hinblick darauf, dass für dieses Produkt keine arzneimittelrechtlich Zulassung oder Registrierung erfolgt ist.

b) Die streitgegenständlichen „Notfall Tropfen“ sind nicht mit überwiegender Wahrscheinlichkeit als zulassungspflichtige Arzneimittel anzusehen.

aa) Gemäß § 2 Abs. 1 AMG sind

Arzneimittel ... Stoffe und Zubereitungen aus Stoffen, die dazu bestimmt sind, durch Anwendung am oder im menschlichen oder tierischen Körper

1. Krankheiten, Leiden, Körperschäden oder krankhafteBeschwerden zu heilen, zu lindern, zu verhüten oder zu erkennen... oder5. die Beschaffenheit, den Zustand oder die Funktionen des Körpersoder seelische Zustände zu beeinflussen.Nach Ablauf der Umsetzungsfrist gem. Art. 3 der Richtlinie 2004/27/EG am 30. Oktober 2005 ist die Bestimmung des § 2 AMG, die den nationalen Arzneimittelbegriff regelt, richtlinienkonform im Sinne des neu gefassten europarechtlichen Arzneimittelbegriffs auszulegen. Dabei ist für die Abgrenzung zwischen Arzneimittel und Lebensmittel auch die Definition des Lebensmittels heranzuziehen. Denn Arzneimittel sind nach § 2 Abs. 3 Nr. 1 AMG nicht Lebensmittel im Sinne von § 2 Abs. 2 LFGB. Nach § 2 Abs. 2 LFGB in Verbindung mit Art. 2 der Verordnung (EG) Nr. 178/2002 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 28. Januar 2002 (ABlEG Nr. L 31 v. 1. 2. 2002, S. 1) sind „Lebensmittel“ alle Stoffe oder Erzeugnisse, die dazu bestimmt sind oder von denen nach vernünftigem Ermessen erwartet werden kann, dass sie in verarbeitetem, teilweise verarbeitetem oder unverarbeitetem Zustand von Menschen aufgenommen werden.

Sowohl unter Zugrundelegung des Arzneimittelbegriffs der Richtlinie 2001/83/EG in der ursprünglichen Fassung, als auch in der durch die Richtlinie 2004/27/EG geänderten Fassung ist im Hinblick auf die von der Beklagten vertriebenen „Notfall-Tropfen“ nicht davon auszugehen, dass es sich um zulassungspflichtige Arzneimittel handelt.

Als Arzneimittel werden nach Art. 1 Nr. 2 a) der aktualisierten Fassung der Richtlinie 2001/83/EG

„alle Stoffe oder Stoffzusammensetzungen, die als Mittel mit Eigenschaften zur Heilung oder zur Verhütung menschlicher Krankheiten bestimmt sind“,

angesehen. Nach Art. 1 Nr. 2 b) sind als Arzneimittel auch

„alle Stoffe oder Stoffzusammensetzungen, die im oder am menschlichen Körper verwendet oder einem Menschen verabreicht werden können, um entweder die menschlichen physiologischen Funktionen durch eine pharmakologische, immunologische oder metabolische Wirkung wiederherzustellen, zu korrigieren oder zu beeinflussen oder eine medizinische Diagnose zu erstellen“,

einzustufen.

Damit enthält diese Richtlinie zwei Definitionen des Arzneimittels: eine nach der „Bestimmung bzw. Bezeichnung“ und eine nach der „Funktion“. Ein Erzeugnis ist bereits dann ein Arzneimittel, wenn es unter eine dieser Definitionen fällt (EuGH BeckRS 2004, 77613 Rn. 10 und 11 - Monteil und Samanni). Nach ständiger Rechtsprechung des EuGH sind diese beiden Definitionen zudem weit auszulegen (EuGH, Urteil vom 20.03.1986, Az. 35/85, Slg. 1986, 1207 ff., Rn. 26 – Tissier; EuGH BeckRS 2004, 77613 Rn. 23 - Monteil und Samanni; EuGH BeckRS 2004, 74146 Rn. 16 - Upjohn).

Beide Arten von Arzneimitteln dürfen gemäß Art. 6 Abs. 1 der Richtlinie 2001/83/EG in einem Mitgliedstaat erst dann in den Verkehr gebracht werden, wenn von der zuständigen Behörde dieses Mitgliedstaats nach dieser Richtlinie eine Genehmigung für das Inverkehrbringen erteilt wurde, oder wenn eine Genehmigung für das Inverkehrbringen nach der Verordnung (EWG) Nr. 2309/93 erteilt wurde. Aus dem Wortlaut dieser Vorschrift ergibt sich unzweideutig, dass Arzneimittel in der Gemeinschaft nur dann in den Verkehr gebracht werden dürfen, wenn für sie zuvor eine Genehmigung für das Inverkehrbringen nach den in dieser Richtlinie genannten Genehmigungsverfahren erteilt worden ist (EuGH WRP 2005, 863 Rn. 57 - HLH Warenvertrieb und Orthica). Diese Auslegung der genannten Vorschrift steht im Einklang mit den von der Richtlinie 2001/83/EG verfolgten Zielen, nämlich zum einen der Beseitigung von Hemmnissen für den Handel mit Arzneimitteln zwischen den Mitgliedstaaten und zum anderen dem Schutz der öffentlichen Gesundheit.

bb) Im vorliegenden Fall streiten die Parteien lediglich darum, ob die „Notfall Tropfen“ als Präsentationsarzneimittel anzusehen sind, denn zwischen den Parteien ist unstreitig, dass die „Notfall Tropfen“ weder ein Funktionsarzneimittel, noch ein homöopathisches Heilmittel sind.

Wie vorstehend ausgeführt werden als Präsentationsarzneimittel gemäß § 2 Abs. 1 AMG Stoffe und Zubereitungen aus Stoffen angesehen, die dazu bestimmt sind, durch Anwendung am oder im menschlichen oder tierischen Körper Krankheiten, Leiden, Körperschäden oder krankhafte Beschwerden zu heilen, zu lindern, zu verhüten oder zu erkennen oder die Beschaffenheit, den Zustand oder die Funktionen des Körpers oder seelische Zustände zu beeinflussen. Diese Definition des deutschen Arzneimittelrechts steht im Einklang mit der Definition des Art. 1 Nr. 2 a) der Richtlinie 2001/83/EG, wonach Präsentationsarzneimittel alle Stoffe oder Stoffzusammensetzungen sind, die als Mittel mit Eigenschaften zur Heilung oder zur Verhütung menschlicher Krankheiten bestimmt sind.

Die Antragstellerin hat nicht hinreichend dargelegt und glaubhaft gemacht, dass es sich bei den „Notfall Tropfen“ um ein Präsentationsarzneimittel handelt, insbesondere hat sie nicht hinreichend dargelegt, dass der angesprochene Verkehr das Produkt aufgrund seines Vorverständnisses und unter Berücksichtigung der konkreten Produktaufmachung als Arzneimittel ansieht.

Nach der einschlägigen obergerichtlichen Rechtsprechung ist davon auszugehen, dass für die Einordnung eines Produkts als Arznei- oder Lebensmittel seine an objektive Merkmale anknüpfende überwiegende Zweckbestimmung entscheidend ist, wie sie sich für einen durchschnittlich informierten, aufmerksamen und verständigen Verbraucher darstellt. Die Verkehrsauffassung knüpft regelmäßig an eine schon bestehende Auffassung über den Zweck vergleichbarer Mittel und ihrer Anwendung an, die wiederum davon abhängt, welche Verwendungsmöglichkeiten solche Mittel ihrer Art nach haben. Die Vorstellung des Verbrauchers von der Zweckbestimmung des Produkts kann weiter durch die Auffassung der pharmazeutischen oder medizinischen Wissenschaft, durch ihm beigefügte Indikationshinweise und Gebrauchsanweisungen sowie durch die Aufmachung, in der das Mittel dem Verbraucher entgegen tritt, beeinflusst sein (BGH GRUR 2006, 513, 516 - Arzneimittelwerbung im Internet; BGH GRUR 2002, 910 - Muskelaufbaupräparate). Diese Abgrenzung steht im Einklang mit der Rechtsprechung des EuGH zum gemeinschaftsrechtlichen Arzneimittelbegriff nach der Richtlinie 2001/83/EG vom 6. November 2001 (BGH GRUR 2004, 793, 796 - Sportlernahrung II; BGH GRUR 2006, 513, 516 - Arzneimittelwerbung im Internet; EuGH WRP 2005, 863, Rdnr. 45 - HLH Warenvertriebs GmbH).

Nach ständiger Rechtsprechung des EuGH ist der Begriff der „Bezeichnung“ eines Erzeugnisses weit auszulegen. Insoweit ist zu berücksichtigen, dass die Richtlinie 2001/83, soweit sie das Kriterium der Bezeichnung des Erzeugnisses zugrunde legt, nicht nur Arzneimittel erfassen soll, die tatsächlich therapeutische oder medizinische Wirkung haben, sondern auch die Erzeugnisse, die nicht ausreichend wirksam sind oder die nicht die Wirkung haben, die der Verbraucher nach ihrer Bezeichnung von ihnen erwarten darf. Die Richtlinie zielt somit darauf ab, den Verbraucher nicht nur vor schädlichen oder giftigen Arzneimitteln zu schützen, sondern auch vor verschiedenen Erzeugnissen, die anstelle geeigneter Heilmittel verwendet werden (EuGH EuZW 2008, 56, 57, Rn. 43 - Knoblauchkapseln; EuGH BeckRS 2004 72425, Rn. 17 - van Bennekom).

In diesem Zusammenhang ist davon auszugehen, dass ein Erzeugnis im Sinne der Richtlinie 2001/83 „als Mittel zur Heilung oder zur Verhütung von menschlichen Krankheiten bezeichnet“ wird, wenn es, gegebenenfalls auf dem Etikett, dem Beipackzettel oder mündlich, ausdrücklich als ein solches „bezeichnet“ oder „empfohlen“ wird (EuGH BeckRS 2004 72425 Rn. 18 - van Bennekom; EuGH BeckRS 2004 77613, Rn. 23 - Monteil und Samanni; EuGH EuZW 2008, 56, 57, Rn. 44 - Knoblauchkapseln). Bei der Beurteilung des Vorliegens eines Präsentationsarzneimittels ist mithin auf die konkrete Aufmachung des Produkts, d.h. dessen Gestaltung, Umverpackung sowie die beigefügte Gebrauchsinformation abzustellen. Die weiteren werblichen Angaben der Beklagten, insbesondere im Rahmen ihres Internetauftritts oder in dem gesonderten Werbeblatt (Anlage ASt 11), bleiben unberücksichtigt, weil die Klägerin den generellen Vertrieb der „Notfall-Tropfen“, nicht jedoch deren Bewerbung angreift (vgl. BGH GRUR 2000, 528, 530 - L-Carnithin; BGH NJOZ 2002, 2563, 2566 - Sportlernahrung I).

Eine ausdrückliche Bezeichnung der „Notfall Tropfen“ als Arzneimittel erfolgt weder auf dem Etikett, noch auf der Verpackung, noch in der beiliegenden Gebrauchsinformation. Bei Zugrundelegung der dort befindlichen Angaben werden die „Notfall Tropfen“ nicht ein Mittel zur Heilung oder zur Verhütung von menschlichen Krankheiten bezeichnet oder als ein solches empfohlen.

Insoweit will die Antragstellerin darauf abstellen, dass es auf dem Flaschenetikett heißt: „Wohltuend und beruhigend“ sowie darauf, dass es auf der Faltschachtel heißt:

„F. Notfall Tropfen bieten sanfte Hilfebei außergewöhnlicher mentaler Belastung...F. Notfall Tropfen werden in Situationen eingesetzt, die eineaußergewöhnliche Belastung darstellen, zum Beispiel einebevorstehende Prüfung, Lampenfieber, die Angst vorm Fliegen,Trennungen. Sie stabilisieren das emotionale Gleichgewicht.“Die Antragstellerin hat jedoch die „Krankheiten“, deren Linderung mit den vorgenannten Angaben in Aussicht gestellt werden soll, nicht konkret benennen können. Die Bandbreite der angedeuteten Wirkungen ist so groß, dass ein Schwerpunkt im Sinne konkreter Indikationen, d.h. medizinischer Anwendungsgebiete, nicht erkennbar ist. Die Darstellung der Einsatzbereiche bleibt vage und lässt nicht den Schluss zu, dass die beschriebenen Belastungs- und Stresssituationen bereits Krankheitswert erreichen. Vielmehr sind die Formulierungen so gewählt, dass lediglich alltagstypische Schwankungen von Gemütszuständen, die noch keinen Krankheitswert erreichen, angegeben worden sind. Darin liegt auch noch keine Beeinflussung seelischer Zustände im Sinne von § 2 Abs. 1 Nr. 5 AMG, denn von dieser Regelung ist bei europarechtskonformer Auslegung nur die Beeinflussung krankhafter seelischer Zustände erfasst.

Zwar könnte die Verwendung einer Flasche mit Pipettenverschluss zu dem Schluss führen, dass sich darin ein Medikament befindet, denn solche Flaschen werden in erster Linie im Bereich von Arzneimitteln verwendet. Die weiteren Ausstattungsmerkmale der „Notfall Tropfen“ lassen jedoch den von der Antragstellerin gezogenen Schluss auf das Verkehrsverständnis nicht zu.

Die Benennung des Produkts als „Notfall Tropfen“ weist nicht zwingend auf eine Anwendung bei einem medizinischen Notfall hin. Auch die Deklarierung des Produkts, wonach in ihm „Blütenessenzen nach Dr. B.“ enthalten sind, führt nicht zu einer anderen Bewertung. Die Bezugnahme auf Essenzen, deren Verwendung von einem Arzt (Dr. B.) entwickelt worden ist, lässt nicht den hinreichend sicheren Schluss zu, dass es sich bei dem Produkt um ein Arzneimittel handeln muss. Die Antragsgegnerinnen weisen insoweit zu Recht darauf hin, dass das berühmte Schweizer Müsli, ein Lebensmittel, ebenfalls von einem Arzt, nämlich Dr. Bi., entwickelt worden ist.

Der Umstand, dass dem Produkt eine Gebrauchsinformation beigefügt wird, die zudem sorgfältig gelesen werden soll, führt nicht zu einem anderen Verständnis, denn solche Gebrauchsinformationen werden auch bei Lebensmitteln, insbesondere Nahrungsergänzungsmitteln, verwendet. Der Anwendungshinweis wonach 4 mal täglich 4 Tropfen für 1 bis 2 Tage eingenommen werden sollen, könnte für das Vorliegen eines Arzneimittels sprechen, denn darin liegt eine für Arzneimittel typische Einnahme. Andererseits werden nach Artikel 2 Buchstabe a der Nahrungsergänzungsmittelrichtlinie 2002/46/EG Nahrungsergänzungsmittel ebenfalls in dosierter Form eingenommen. Das Merkmal ist also nicht hinreichend trennscharf. Die Verwendung der Begriffe „Anwendungen“, „Erwachsene und Kinder nehmen“ und „die Einnahme der F. Notfall Tropfen“ sowie der Warnhinweis auf der Verpackung: „Für Kinder unzugänglich aufbewahren“ sprechen nicht zwingend für das Vorliegen eines Arzneimittels. Entsprechende Angaben bzw. Hinweise befinden sich auch auf Lebensmitteln, insbesondere Nahrungsergänzungsmitteln. Auch die Verwendung von Blüten-Essenzen spricht nicht zwingend für eine Einordnung als Arzneimittel, denn solche Inhaltsstoffe werden auch in Lebensmitteln, insbesondere Nahrungsergänzungsmitteln, verwendet.

Aus der konkreten Aufmachung des Produkts ergibt sich mithin nicht, dass der angesprochene Verkehr die „Notfall Tropfen“ der Antragsgegner als Arzneimittel ansieht.

Hinreichende Anhaltspunkte dafür, dass maßgebliche Teile des angesprochenen Verkehrs die streitgegenständlichen „Notfall Tropfen“ gleichwohl regelmäßig als Arzneimittel ansehen werden, sind nicht vorgetragen worden. In der Bundesrepublik Deutschland ist kein mit einer deutschen Zulassung versehenes Arzneimittel auf dem Markt. Der Vertrieb der „Bachblüten-Notfall Tropfen“ als Arzneimittel ist bisher nur im Wege des Einzelimports erfolgt, so dass die Verbreitung aufgrund der damit verbundenen Einschränkungen von eher untergeordneter Bedeutung geblieben ist. Es kann daher nicht davon ausgegangen werden, dass dieser eingeschränkte Vertrieb als Arzneimittel die Einschätzung der angesprochenen Verkehrskreise maßgeblich beeinflusst hat.

Die vorgelegten Medienveröffentlichungen (Anlage ASt 4 und ASt 24) können nur insoweit Berücksichtigung finden, als sie auf den deutschen Markt gerichtet waren. Somit scheiden die Veröffentlichungen in den Zeitschriften „w. f. d. n.“, „G.“, „w.“, „v.“ und „N. V. T.“ (Anlage ASt 4) für die Beurteilung des Verständnisses der angesprochenen Verkehrskreise von vorn herein aus. Die verbleibenden Veröffentlichungen zeichnen ein buntes Bild. Zum einen werden die Bachblüten-Präparate als „sanfte Heilmethoden“ bezeichnet, was eher für eine Einordnung als Arzneimittel spricht. Zum anderen wird lediglich auf die Behebung von Zuständen des Unwohlseins abgestellt, was eher gegen eine Einschätzung als Arzneimittel spricht. Die im Verlauf der landgerichtlichen Widerspruchsverhandlung überreichten Internetausdrucke sprechen lediglich dafür, dass diejenigen, die sich dort zum Thema Bachblüten geäußert haben, von einer Verwendung der „Notfall Tropfen“ als Arzneimittel ausgehen. Inwieweit die dortigen Angaben die Ansicht maßgeblicher Teile der angesprochenen Verkehrskreise wiedergeben, ist jedoch offen geblieben. Die vorgenannten Unterlagen erlauben mithin nicht den Schluss, dass die „Notfall Tropfen“, obwohl sie von den Antragsgegnern nicht ausdrücklich als Arzneimittel bezeichnet werden, gleichwohl regelmäßig als ein solches angesehen werden.

Mithin liegt auch kein Präsentationsarzneimittel vor. Die Teilaufhebung des einstweiligen Verfügung des Landgerichts ist also zu Recht erfolgt. Die hiergegen gerichtete Berufung der Antragstellerin war somit zurückzuweisen.

2. Die Kostenentscheidung beruht auf § 97 ZPO.