OLG Köln, Beschluss vom 29.10.2010 - 2 Wx 161/10
Fundstelle
openJur 2012, 125835
  • Rkr:
Tenor

Die Beschwerde der Antragstellerin gegen die Verfügung des Amtsgerichts - Nachlassgerichts - Bonn vom 30. September 2010 - 35 IV 600/10 - wird als unzulässig verworfen.

Gerichtskosten des Verfahrens vor dem Oberlandesgericht werden nicht erhoben.

Zur Klarstellung wird der "Vorbescheid2 des Amtsgerichts Bonn vom 30. September 2010 aufgehoben und die Sache zur erneuten Entscheidung über den Antrag der Beteiligten auf Teileröffnung des Erbvertrages vom 29. Januar 1987 - UR-Nr. 89/1987 des Notars Dr. S. E. in C. - an das Amtsgericht - Nachlassgericht - Bonn zurückgegeben.

Die Rechtsbeschwerde gegen diesen Beschluss wird zugelassen.

Gründe

I.

Die Beteiligte I. Q.i war verheiratet mit dem 24.7.2010 verstorbenen R. Q.. Sie hatte mit ihm am 29. Januar 1987 einen notariell beurkundeten Erbvertrag geschlossen. Hierin haben sich die Eheleute Q. gegenseitig zu Alleinerben eingesetzt. Weiter heißt es in § 2 des Erbvertrages:

"Der Längstlebende von uns - und für den Fall, daß wir gemeinsam versterben, ein jeder von uns - beruft zu seinen Erben:

a) ….

b) …."

Der Vertrag enthält daneben in §§ 3 bis 7 noch Ersatzerbenbestimmungen und Vermächtnisanordnungen. In § 9 des Erbvertrages bestimmten die Eheleute Q., dass die gegenseitige Einsetzung zu Alleinerben vertraglich bindend sein solle. Im Übrigen könne jedoch der Längstlebende seine in dieser Urkunde getroffenen Verfügungen jederzeit ändern.

Die Beteiligte hat den Erbvertrag dem Nachlassgericht zur Eröffnung eingereicht und hierbei über ihren Verfahrensbevollmächtigten beantragt, die Verfügungen des Überlebenden, also die §§ 2 bis 7 des Erbvertrages, nicht zu eröffnen. Es bestehe eine Gefahr für die körperliche Unversehrtheit der Beteiligten. Das Nachlassgericht hat mit Schreiben vom 30. September 2010 mitgeteilt, es sei beabsichtigt, den Erbvertrag vollständig zu eröffnen. Die Verfügungen nach dem Längerlebenden der beiden Eheleute seien im Plural abgefasst und daher nicht nach beiden Testatoren trennbar. Weiter heißt es in dem Schreiben:

"Dieses Schreiben ist ein Vorbescheid und damit rechtsmittelfähig. Sollte binnen zwei Wochen ab Zugang dieses Schreibens keine Einwendung hier vorliegen, erfolgt die vollständige Bekanntgabe des Erbvertrages."

Die Beteiligte hat gegen den Bescheid mit Schreiben vom 8. Oktober 2010 Beschwerde eingelegt mit der Begründung, der Erbvertrag enthalte in seinen §§ 2 bis 7 keine Verfügungen des Erblassers R. Q., da er nicht Längstlebender geworden sei. Verfügungen in diesem Abschnitt habe jedoch nur der Längstlebende der Eheleute getroffen. Bei vollständiger Eröffnung bestehe die Gefahr der psychischen Beschädigung und der physischen Gewaltanwendung gegenüber der Beteiligten. Das Amtsgericht hat mit Beschluss vom 12. Oktober 2010 der Beschwerde nicht abgeholfen und die Sache dem Oberlandesgericht Köln zur Entscheidung vorgelegt.

II.

Die von der Beteiligten gegen den "Vorbescheid" des Nachlassgerichts vom 30. September 2010 erhobene Beschwerde vom 8. Oktober 2010 ist unzulässig.

1.

Auf das vorliegende Verfahren finden die Vorschriften des Gesetzes über das Verfahren in Familiensachen und in den Angelegenheiten der freiwilligen Gerichtsbarkeit (FamFG) Anwendung (Art. 112 Abs. 1 FGG-RG), da der Erblasser nach dem in Art. 112 Abs. 1 FGG-RG bestimmten Stichtag, dem 30. September 2009, verstorben ist und daher das vorliegende Verfahren auf Eröffnung der letztwilligen Verfügung erst nach dem genannten Stichtag eingeleitet worden ist.

2.

Die von der Beteiligten erhobene Beschwerde ist unzulässig. Gegen die im Wege des "Vorbescheides" erfolgte Ankündigung einer vom Amtsgericht erst noch zu treffenden Entscheidung sieht das FamFG kein Rechtsmittel vor.

Mit der Anwendbarkeit des neuen Verfahrensrechts sind nach § 58 Abs. 1 1. Halbs. FamFG nur solche Entscheidungen des Gerichts erster Instanz selbstständig anfechtbar, die das erstinstanzliche Hauptsacheverfahren ganz oder teilweise erledigen (vgl. § 38 Abs. 1 S 1. FamFG). Das sind schriftliche Entscheidungen mit Außenwirkung, die ein auf Antrag (§ 23 FamFG) oder von Amts wegen (§ 24 FamFG) eingeleitetes Verfahren insgesamt erledigen oder seine Anhängigkeit hinsichtlich eines einer selbstständigen Erledigung zugänglichen Teils des Verfahrensgegenstandes beenden. Im Übrigen sind die in einem laufenden Verfahren ergehenden Zwischenentscheidungen nur aufgrund ausdrücklicher gesetzlicher Regelung selbstständig anfechtbar (§ 58 Abs. 1 2. Halbs. FamFG). Sonstige im Rahmen des Verfahrens ergehenden Hinweise, Verfügungen, Ankündigungen, Entscheidungen oder sonstige gerichtliche Äußerungen können lediglich mit der gegen die Endentscheidung gerichteten Beschwerde angegriffen und auf diese Weise einer Inzidentprüfung unterstellt werden (§ 58 Abs. 2 FamFG; vgl. auch Keidel/Meyer-Holz, FamFG, 16. Aufl. 2009, § 58 Rn. 24; Bahrenfuss/Joachim/Kräft, FamFG, 2009, § 58 Rn. 18).

Diese Grundsätze gelten auch für das Verfahren auf Eröffnung einer letztwilligen Verfügung. Insoweit sind Endentscheidungen des Nachlassgerichts mit der befristeten Beschwerde nach § 58 FamFG anfechtbar. Zwischenentscheidungen unterliegen nur dann einer Anfechtung, wenn das Gesetz dies ausdrücklich vorsieht. Für die Ankündigung einer noch zu treffenden Entscheidung sieht das Gesetz auch im Nachlassverfahren kein Rechtsmittel vor. Vielmehr hat das FamFG den für das Verfahren nach dem FGG anerkannten Vorbescheid gerade nicht übernommen. Stattdessen wird in verschiedenen Verfahren lediglich die Wirksamkeit des Beschlusses auf den Eintritt der Rechtskraft verlagert (etwa in § 40 Abs. 2 Satz 1 und § 116 Abs. 2 und Abs. 3 Satz 1 FamFG) oder dem erstinstanzlichen Gericht die Möglichkeit eingeräumt, die Vollziehung der Entscheidung einstweilen auszusetzen (z.B. in § 352 FamFG).

Entgegen der vom OLG Zweibrücken, ZEV 2010, 476 vertretenen Ansicht besteht nach Auffassung des Senats kein Anlass, in Fällen der vorliegenden Art das Institut des Vorbescheides aufrecht zu erhalten.

a) Die Entscheidung über den Antrag eines Beteiligten, eine letztwillige Verfügung nicht vollständig zu eröffnen, kann als Endentscheidung im Sinne des § 38 Abs. 1 FamFG qualifiziert werden. Denn hierdurch wird über den Antrag auf teilweise Nichteröffnung abschließend entschieden; mit der anschließenden Durchführung der Eröffnung - sei es ganz oder teilweise - ist das Eröffnungsverfahren endgültig abgeschlossen. Somit stellt zwar die Entscheidung über den Antrag selbst noch nicht den endgültigen Verfahrensabschluss dar, sondern die darin getroffene Entscheidung bedarf zunächst noch der Umsetzung durch eine tatsächliche Handlung; hier der Eröffnung nebst Unterrichtung der gesetzlichen und gewillkürten Erben (vgl. zur Unanfechtbarkeit dieser lediglich tatsächlich wirkenden Handlungen ohne eigenen Entscheidungsinhalt Senat, NJW-RR 2004, 1014). Dass eine solche tatsächliche Vollzugshandlung noch zur Verfahrensbeendigung notwendig ist, hindert jedoch auch in anderen Fällen nicht daran, bereits den vorhergehenden Beschluss, der den Umfang und/oder den Inhalt der tatsächlichen Handlung bestimmt, als Endentscheidung zu qualifizieren. Zu denken ist hier etwa an die Erteilung des zuvor mit Beschluss in seinem Inhalt festgelegten Erbscheins oder Testamentsvollstreckerzeugnisses.

b) Dem OLG Zweibrücken ist darin recht zu geben, dass es einer Überprüfungsmöglichkeit des Umfangs der Eröffnung einer Verfügung von Todes wegen bedarf. Denn durch eine Eröffnung auch der in einer gemeinschaftlichen Verfügung getroffenen Anordnungen des überlebenden Testators oder Vertragschließenden kann ein schwerer Eingriff in dessen allgemeines Persönlichkeitsrecht liegen, wozu auch die Geheimhaltung des eigenen Testamentes gehört (vgl. OLG Zweibrücken, a.a.O.; Keidel/Zimmermann, a.a.O., § 349 Rn. 29). Diesem Bedürfnis nach einer vorherigen Überprüfungsmöglichkeit vor der Schaffung vollendeter Tatsachen durch die Vornahme der Eröffnung kann jedoch nicht nur dadurch Rechnung getragen werden, dass systemfremd auch reine Ankündigungen des Gerichts für anfechtbar erklärt werden. Mit dem geänderten Rechtsmittelsystem des FamFG vereinbar wäre demgegenüber eine endgültige (ablehnende) Entscheidung des Nachlassgerichts über einen Antrag auf Teileröffnung einer letztwilligen Verfügung, die zur Vermeidung nicht rückgängig zu machender Nachteile verbunden werden kann mit der Aussetzung der Wirksamkeit und der Zurückstellung der Eröffnung bis zur Rechtskraft des Beschlusses. Hierfür kann § 352 Abs. 2 Satz 2 FamFG entsprechend herangezogen werden, der in einem gleichgelagerten Fall dem Bedürfnis nach einer Überprüfungsmöglichkeit einer Entscheidung in Nachlasssachen vor ihrem Vollzug mit Außenwirkung Rechnung trägt.

3.

Das Amtsgericht wird nunmehr unter Beachtung der vorstehenden Ausführungen über den gestellten Antrag auf Teileröffnung des Erbvertrages zu entscheiden haben.

Der Senat hält es für sachdienlich, bereits jetzt - ohne Bindungswirkung - darauf hinzuweisen, dass die Beschwerde in der Sache nicht begründet sein dürfte. Die Verfügungen des überlebenden Ehegatten oder Lebenspartners sind nur dann nicht mit zu eröffnen, wenn sie sich von denjenigen des Erblassers trennen lassen, § 349 Abs. 1 FamFG. Dagegen sind die Verfügungen des Erblassers vollständig zu eröffnen, selbst wenn sie durch seinen Tod gegenstandslos geworden sind. Zu eröffnen sind demnach auch Verfügungen, welche der Erblasser nur für den Fall getroffen hat, dass er der Längstlebende der gemeinschaftlich Testierenden sein sollte (vgl. BGHZ 91, 105; Staudinger/Kanzleiter, BGB, Neubearbeitung 2006, § 2273 Rn. 5f.). Dies sind hier die vom Erblasser in §§ 2 bis 7 getroffenen Verfügungen für den Fall, dass er der Längstlebende sein sollte. Diese lassen sich sprachlich nicht trennen von den Verfügungen der Antragstellerin. Die Regelung des § 349 Abs. 1 FamFG ist auch unter Berücksichtigung der berechtigten Belange und des Persönlichkeitsrechts des überlebenden Testators verfassungsgemäß (vgl. BVerfG, NJW 1994, 2535 zu der gleichlautenden Vorschrift des § 2273 BGB a.F.). Denn hierin wird die Möglichkeit eröffnet, die Verfügungen des Überlebenden bis zu seinem eigenen Tode geheim zu halten, vorausgesetzt, dass das gemeinschaftliche Testament oder der Erbvertrag entsprechend formuliert wird. Von dieser Möglichkeit, zwei inhaltlich identische, aber sprachlich getrennte Verfügungen für den Fall des jeweiligen Überlebens zu treffen, haben jedoch die Antragstellerin und ihr Ehemann im vorliegenden Erbvertrag keinen Gebrauch gemacht.

4.

Da nach dem hier anzuwendenden neuen Verfahrensrecht für das Nachlassverfahren die Ankündigung einer noch zu treffenden Entscheidung in Form eines "Vorbescheides" nicht mehr zulässig ist (vgl. zum Parallelproblem eines Vorbescheides im Erbscheinserteilungsverfahren Keidel/Zimmermann, aaO, § 352 Rn. 111) und damit auch keine Wirkung entfaltet, erscheint es angezeigt, zur Klarstellung den "Vorbescheid" des Amtsgerichts aufzuheben.

III.

Die Entscheidung, dass etwa bei dem Oberlandesgericht entstandene Gerichtskosten nicht erhoben werden, beruht auf § 16 Abs. 1 KostO. In der bisherigen Behandlung der Sache durch das Amtsgericht liegt eine unrichtige Sachbehandlung im Sinne dieser Bestimmung.

Die Rechtsbeschwerde war zuzulassen, da der Senat mit der vorliegenden Entscheidung von derjenigen des OLG Zweibrücken, ZEV 2010, 476, abweicht. Die Zulassung dient daher der Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung nach § 70 Abs. 2 Nr. 2 FamFG.

Rechtsmittelbelehrung:

Gegen diesen Beschluss ist das Rechtsmittel der Rechtsbeschwerde gegeben. Sie ist binnen einer Frist von einem Monat nach der schriftlichen Bekanntgabe dieses Beschlusses durch Einreichung einer in deutscher Sprache abgefassten und unterschriebenen Beschwerdeschrift eines beim Bundesgerichtshof zugelassenen Rechtsanwalts beim Bundesgerichtshof, Herrenstraße 45a, 76133 Karlsruhe (Postanschrift: Bundesgerichtshof, 76125 Karlsruhe) einzulegen.

Die Rechtsbeschwerdeschrift muss die Bezeichnung des Beschlusses, gegen den die Rechtsbeschwerde gerichtet wird, und die Erklärung enthalten, dass gegen diesen Beschluss Rechtsbeschwerde eingelegt wird.

Sofern die Beschwerdeschrift keine Begründung enthält, ist die Rechtsbeschwerde binnen einer Frist von einem Monat zu begründen; diese Frist beginnt mit der schriftlichen Bekanntgabe dieses Beschlusses und kann auf Antrag durch den Vorsitzenden des Rechtsbeschwerdegerichts (Bundesgerichtshof) verlängert werden.

Die Begründung der Rechtsbeschwerde muss enthalten:

die Erklärung, inwieweit der Beschluss angefochten und dessen Aufhebung beantragt wird (Rechtsbeschwerdeanträge)

die Angabe der Rechtsbeschwerdegründe, und zwar

die bestimmte Bezeichnung der Umstände, aus denen sich die Rechtsverletzung ergibt;

soweit die Rechtsbeschwerde darauf gestützt wird, dass das Gesetz in Bezug auf das Verfahren verletzt sei, die Bezeichnung der Tatsachen, die den Mangel ergeben.