Bayerischer VGH, Beschluss vom 02.05.2011 - 22 ZB 11.184
Fundstelle
openJur 2012, 115369
  • Rkr:
Tenor

I. Der Antrag auf Zulassung der Berufung wird abgelehnt.

II. Die Klägerin trägt die Kosten des Antragsverfahrens.

III. Der Streitwert für das Antragsverfahren wird auf 15.000 Euro festgesetzt.

Gründe

I.

Die Klägerin betreibt seit dem 11. Juni 2001 einen gewerblichen Hausmeisterservice.

Wegen Nichtabführung von Gesamtsozialversicherungsbeiträgen in Höhe von 8898 Euro (Schreiben der G… Ersatzkasse vom 28.7.2005) sowie wegen Verletzung steuerlicher Erklärungs- und Zahlungspflichten (Steuerrückstände in Höhe von 53.985 Euro gemäß Schreiben des Finanzamts I… vom 6.9.2005) leitete die Beklagte mit Schreiben vom 6. Oktober 2005 ein Gewerbeuntersagungsverfahren gegen die Klägerin ein, das sie mit Gewerbeuntersagungsbescheid vom 10. März 2006 abschloss. Die Klägerin legte Widerspruch ein und wies auf die Erfüllung der rückständigen Forderungen, auf die bevorstehende Abgabe der fehlenden Steuererklärungen und die bevorstehende Einigung mit dem Finanzamt hin. Die Beklagte setzte daraufhin das Verfahren wiederholt aus, um der Klägerin Gelegenheit zu Sanierungsbemühungen zu geben, legte schließlich aber den Widerspruch der Regierung von Oberbayern zur Entscheidung vor. Nachdem auch erhebliche Beitragsrückstände bei der Berufsgenossenschaft Bau bekannt geworden waren, wies die Regierung den Widerspruch mit Bescheid vom 17. April 2008 als unbegründet zurück. Zwar hätten sich die steuerlichen Rückstände auf 778 Euro reduziert; die Rückstände an Gesamtsozialversicherungsbeiträgen seien jedoch (nach vorübergehendem Rückgang) auf 6.802 Euro angestiegen; die Beitragsrückstände bei der Berufsgenossenschaft Bau würden nunmehr 27.000 Euro betragen. Die Klägerin erhob Anfechtungsklage zum Bayerischen Verwaltungsgericht München. Bis zur mündlichen Verhandlung vor dem Verwaltungsgericht am 15. Januar 2009 sanken die Rückstände an Gesamtsozialversicherungsbeiträgen auf 1.244 Euro, während die rückständigen Betriebssteuern auf 8.987 Euro anstiegen. Die Beitragsrückstände bei der Berufsgenossenschaft beliefen sich nunmehr auf 28.378 Euro. Das Verwaltungsgericht wies die Anfechtungsklage ab, führte in den Entscheidungsgründen jedoch aus, dass die Möglichkeit der Wiedergestattung der Gewerbeausübung in Betracht zu ziehen sei, da die Sanierungsbemühungen der Klägerin offensichtlich im Zeitraum bis zur mündlichen Verhandlung erfolgreich gewesen seien (Urteil vom 29.1.2009). Das Urteil ist rechtskräftig. Die Beklagte verzichtete jedoch darauf, die nunmehr bestandskräftige Gewerbeuntersagung zu vollziehen, und ließ zu, dass die Klägerin ihren Betrieb weiterführte.

Unter dem 11. März 2009 beantragte die Klägerin die Wiedergestattung der persönlichen Gewerbeausübung, da sich ihre finanzielle Situation seit Ende 2008 erheblich gebessert habe. Die Steuerrückstände der Klägerin wurden bis März 2009 bzw. August 2009 auf ca. 5.000 Euro abgebaut (Mitteilungen des Finanzamts vom 24.3. und vom 4.8.2009). Die Beitragsrückstände der Klägerin bei der Berufsgenossenschaft Bau sanken bis November 2009 auf 8.025 Euro ab (Mitteilung der Berufsgenossenschaft Bau vom 25.11.2000). Danach stiegen sie bis Juli 2010 wieder an (bis auf 10.856 Euro gemäß Mitteilung der Berufsgenossenschaft Bau vom 21.6.2010). Die Steuerrückstände der Klägerin stiegen bis 15. Juni 2010 auf 30.856 Euro an; es fehlten zudem die Jahressteuererklärungen 2007 bis 2009 (Mitteilung des Finanzamts vom 15.6.2010). Bis zum 2. September 2010 stiegen die Steuerrückstände der Klägerin auf 40.885 Euro an (Mitteilung des Finanzamts vom 2.9.2010). Die Beklagte lehnte daraufhin die Wiedergestattung der persönlichen Gewerbeausübung mit Bescheid vom 6. September 2010 ab. Die Klägerin erhob dagegen Verpflichtungsklage. Am 7. September 2010 erging gegen die Klägerin ein Haftbefehl zur Erzwingung der Abgabe der eidesstattlichen Versicherung nach § 807 ZPO. Nach Auskunft des Finanzamts vom 2. November 2010 waren die Steuerrückstände seinerzeit auf 30.913 Euro zurückgegangen. Nach Auskunft der Berufsgenossenschaft Bau vom 4. November 2010 beliefen sich die dortigen Rückstände seinerzeit auf 6.604 Euro. Nach Auskunft der G… Ersatzkasse vom gleichen Tag beliefen sich die Rückstände an Gesamtsozialversicherungsbeiträgen seinerzeit auf 3.118 Euro. In der mündlichen Verhandlung vor dem Verwaltungsgericht ließ die Klägerin vortragen, ihre Schulden bei der Berufsgenossenschaft Bau auf 176 Euro und beim Finanzamt auf 3.050 Euro reduziert zu haben. Die Restschulden würden am nächsten Tag beglichen werden. Das Verwaltungsgericht wies die Klage ab (Urteil vom 14.12.2010, der Klägerin zugestellt am 23.12.2010).

Die Klägerin hat die Zulassung der Berufung beantragt. Die Abweisung der Klage sei zu Unrecht erfolgt. Derzeit bestünden ausweislich einer Bestätigung des Finanzamts vom 29. Dezember 2010 keine Steuerrückstände der Klägerin mehr. Die Rückstände bei der Berufsgenossenschaft Bau würden sich lediglich noch auf 235 Euro belaufen, was diese unter dem 27. Januar 2011 bestätigt habe. Die Klägerin habe ihre Sanierungsbemühungen erfolgreich abgeschlossen.

Die Beklagte verwies auf eine Mitteilung des Finanzamts vom 7. März 2011, wonach die Jahressteuererklärungen von 2007 bis 2009 nach wie vor fehlen würden, ebenso die Umsatzsteuervoranmeldung für Januar 2011. Die Klägerin habe am 28. Februar 2011 Gewerbesteuerschulden bei der Beklagten in Höhe von 1.667,50 Euro gehabt. Nach telefonischer Mitteilung vom 2. März 2011 schulde die Klägerin der G… Ersatzkasse weiterhin Gesamtsozialversicherungsbeiträge für die Zeit von Juli 2010 bis Januar 2011. Am 1. Februar 2011 sei zudem ein weiterer Haftbefehl gegen die Klägerin zur Erzwingung der Abgabe der eidesstattlichen Versicherung nach § 807 ZPO ergangen.

Die Klägerin trug unter dem 29. April 2011 weiter vor, der G… Ersatzkasse mittlerweile weitere 3000 Euro überwiesen und ihre dortigen Rückstände damit beglichen zu haben. Bei der Berufsgenossenschaft Bau habe sie mittlerweile alle Beitragsrückstände bezahlt.

Die Landesanwaltschaft Bayern beteiligte sich am Verfahren.

Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf die Gerichts- und Behördenakten Bezug genommen.

II.

Der Antrag auf Zulassung der Berufung hat keinen Erfolg. Die Klägerin hat sinngemäß den Zulassungsgrund der ernstlichen Zweifel an der Richtigkeit des angefochtenen Urteils (§ 124 Abs. 2 Nr. 1 VwGO) geltend gemacht. Dies ist zwar in der Art einer Berufungsbegründung geschehen; es kommt aber deutlich zum Ausdruck, dass das Verwaltungsgericht falsch entschieden haben soll. Der insoweit maßgebliche fristgemäße klägerische Vortrag (§ 124a Abs. 4 Satz 4, Abs. 5 Satz 2 VwGO) lässt derartige ernstliche Zweifel aber nicht hervortreten.

Der Klägerin ist zunächst entgegen der Auffassung der Beklagten darin zuzustimmen, dass jeder tatsächliche Vortrag entscheidungserheblich sein kann, der innerhalb der zweimonatigen Begründungsfrist des § 124a Abs. 4 Satz 4 VwGO, hier also bis zum 23. Februar 2011, erfolgt ist. Zum Einen kommt es bei einer Verpflichtungsklage auf Wiedergestattung der persönlichen Ausübung des Gewerbes nach § 35 Abs. 6 GewO auf die Sach- und Rechtslage im Zeitpunkt der letzten mündlichen Verhandlung bei Gericht an (vgl. § 113 Abs. 5 VwGO). Ob ein solcher Anspruch besteht, ergibt sich aus dem materiellen Recht, also aus § 35 Abs. 6 GewO. § 35 Abs. 6 GewO enthält kein Hindernis für eine Klagestattgabe, wenn im Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung die dort genannten Voraussetzungen erfüllt sind; § 35 Abs. 6 GewO unterscheidet sich insofern von § 35 Abs. 1 GewO (vgl. dazu Pielow, GewO, München 2009, RdNr. 76a zu § 35; Heß in Friauf, GewO, RdNr. 185 zu § 35 m.w.N.). Zum Andern besteht auch kein prozessuales Hindernis dafür, im Berufungszulassungsverfahren fristgemäß vorgetragene Tatsachen zu berücksichtigen, die erst nach Erlass der verwaltungsgerichtlichen Entscheidung eingetreten sind (BVerwG vom 11.11.2002 BayVBl 2003, 217). Nicht mehr zu berücksichtigen sind allerdings die nach dem 23. Februar 2011 eingetretenen und danach von der Klägerin neu vorgetragenen Tatsachen. Der Rechtsmittelführer kann nach Ablauf der Begründungsfrist auch unter Berufung auf eine Änderung der Sachlage keine neuen Rügen vorbringen (BVerwG vom 15.12.2003 NVwZ 2004, 744; Sodan/Ziekow, VwGO, 3. Aufl. 2010, RdNr. 97 zu § 124).

Ernstliche Zweifel an der Richtigkeit des angefochtenen Urteils sind dem danach maßgeblichen Vorbringen der Klägerin nicht zu entnehmen.

Derartige ernstliche Zweifel kommen an sich hier schon deshalb nicht in Betracht, weil das Verwaltungsgericht schon deshalb im Ergebnis richtig entschieden hat, weil der von ihm nicht herangezogene § 35 Abs. 6 Satz 2 GewO grundsätzlich als Voraussetzung für die Wiedergestattung verlangt, dass die Untersagungsverfügung ein Jahr durchgeführt, d. h. vollzogen worden ist, woran es hier fehlt. Der Verwaltungsgerichtshof stützt seine Entscheidung jedoch nicht maßgeblich auf diesen rechtlichen Gesichtspunkt, weil dieser im bisherigen Verfahren keine Rolle gespielt hat und es für die hier zu treffende Entscheidung letztlich nicht auf ihn ankommt.

Das Verwaltungsgericht hat nämlich letztlich zutreffend angenommen, dass die rechtliche Voraussetzung des § 35 Abs. 6 Satz 1 GewO nicht erfüllt ist. § 35 Abs. 6 Satz 1 GewO verlangt, dass Tatsachen die Annahme rechtfertigen, dass eine gewerberechtliche Unzuverlässigkeit im Sinn von § 35 Abs. 1 GewO nicht mehr vorliegt. Die mit dem Ausspruch der Gewerbeuntersagung festgestellte gewerberechtliche Unzuverlässigkeit darf also nicht mehr bestehen. Der betreffende Gewerbetreibende muss also nunmehr die Gewähr dafür bieten, dass er sein Gewerbe - auch im Hinblick auf öffentlich-rechtliche Erklärungs- und Zahlungspflichten - ordnungsgemäß ausüben wird; insofern ist eine tatsachengestützte günstige Prognose für die künftige gewerbliche Tätigkeit erforderlich (vgl. Heß in Friauf, GewO, RdNr. 180 zu § 35 m.w.N.). Für die Klägerin bedeutet dies, dass sie sich die Bestandskraft der Gewerbeuntersagung vom 10. März 2006 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 17. April 2008 und die Rechtskraft des klageabweisenden Urteils vom 29. Januar 2009 entgegenhalten lassen muss. Seit April 2008 muss dann eine Änderung dahingehend eingetreten sein, dass die Klägerin nunmehr die Gewähr dafür bietet, dass sie ihr Gewerbe auch im Hinblick auf öffentlich-rechtliche Erklärungs- und Zahlungspflichten ordnungsgemäß ausüben wird. Dies ergibt sich aus dem Vorbringen der Klägerin nicht.

Dem steht bereits die Feststellung des Verwaltungsgerichts entgegen, wonach gegen die Klägerin erst am 7. September 2010 erneut ein Haftbefehl zur Erzwingung der Abgabe einer eidesstattlichen Versicherung nach § 807 ZPO ergangen ist. Die Klägerin ist dem in der Begründung ihres Zulassungsantrags nicht entgegen getreten. Dem steht weiter entgegen, dass es der Klägerin zwar gelungen ist, ihre Steuerrückstände sowie ihre Beitragsrückstände bei der Berufsgenossenschaft Bau zu bezahlen, dass aber die von der Beklagten in der Klageerwiderung unwiderlegt geltend gemachten Beitragsrückstände bei der G… Ersatzkasse in Höhe von 3.118 Euro unberücksichtigt blieben. Diesbezüglich ist die Klägerin erst auf Hinweis der Beklagten nach Ablauf der Begründungsfrist des § 124a Abs. 4 Satz 4 VwGO tätig geworden. So entsteht der Eindruck, dass die Klägerin nicht nach einem durchdachten und Erfolg versprechenden Sanierungskonzept vorgeht, wie es eine ordnungsgemäße Gewerbeausübung verlangen würde.

Vor allem lässt die sich aus den Darlegungen der Klägerin ergebende Momentaufnahme die von ihr gezeigte gewerberechtliche Unzuverlässigkeit nicht ohne Weiteres entfallen. „Wohlverhalten“ des Gewerbetreibenden während des Klageverfahrens ist nicht ohne Weiteres geeignet, eine zuvor gezeigte Unzuverlässigkeit aufzuheben (BVerwG vom 1.12.1996 GewArch 1999, 72). Insbesondere ist die Unzuverlässigkeit eines Gewerbetreibenden, der über lange Zeit u. a. seinen öffentlich-rechtlichen Zahlungsverpflichtungen in erheblichem Ausmaß nicht oder nicht rechtzeitig nachgekommen ist, dessen Zahlungsrückstände sich noch während des Anfechtungsprozesses erheblich erhöht haben, nicht allein dadurch ausgeräumt, dass er kurz vor dem maßgeblichen Zeitpunkt für die Beurteilung der Sach- und Rechtslage seine Verpflichtungen begleicht (BVerwG vom 23.11.1990 GewArch 1991, 110/112). Ein nachträgliches ordnungsgemäßes Verhalten während des Verwaltungsgerichtsprozesses ist demnach im Allgemeinen wenig bedeutsam. Dies gilt vor allem dann, wenn dieses Wohlverhalten erforderlich erschien, um ein gerade schwebendes Verfahren zu einem günstigen Ende zu bringen. Denkbar ist allerdings auch, dass ein solches Wohlverhalten auf einen „Reifeprozess“ zurückzuführen ist und es unter derartigen Umständen Ausdruck gewerberechtlicher Zuverlässigkeit sein kann (vgl. BVerwG vom 18.6.1987 GewArch 1987, 351).

Im vorliegenden Fall vermag der Verwaltungsgerichtshof keine Anhaltspunkte für einen derartigen Reifeprozess zu erkennen. Die Klägerin hat erkennbar versucht, „Wohlverhalten“ gerade in dem Zeitpunkt an den Tag zu legen, in dem das Verwaltungsgericht über die Verpflichtungsklage zu entscheiden hatte bzw. der Verwaltungsgerichtshof den Antrag auf Zulassung der Berufung zu behandeln hat. Wie die Entwicklung der Schuldenstände der Klägerin bei allen ihren öffentlich-rechtlichen Gläubigern gezeigt hat, war diese immer wieder von erheblichen Rückschlägen gekennzeichnet; die Bemühungen der Klägerin um ordnungsgemäßes Verhalten entbehrten der erforderlichen Stetigkeit. Die Rückstände der Klägerin an Gesamtsozialversicherungsbeiträgen lagen im Juni 2005 bei 8.898 Euro, wurden bis Ende 2005 weitgehend bezahlt und stiegen danach wieder an bis zum Erlass des Widerspruchsbescheids im April 2008 auf 6.802 Euro. Bis zur mündlichen Verhandlung vor dem Verwaltungsgericht am 15. Januar 2009 sanken sie wiederum auf 1.244 Euro, um neuerdings wieder auf zumindest über 3.000 Euro anzusteigen. Die Steuerrückstände der Klägerin von 53.985 Euro im September 2005 wurden bis zum Erlass des Widerspruchsbescheids im April 2008 auf 778 Euro reduziert, stiegen bis zur mündlichen Verhandlung vor dem Verwaltungsgericht am 5. Januar 2009 auf 8.987 Euro an, sanken bis März bzw. August 2009 auf ca. 5000 Euro und stiegen im Lauf des Jahres 2010 wieder bis auf 40.885 Euro an. Was schließlich die Erfüllung der steuerlichen Erklärungspflichten der Klägerin angeht, hat sich auch im Zeitpunkt der Entscheidung des Verwaltungsgerichts über die Verpflichtungsklage und der Entscheidung des Verwaltungsgerichtshofs über den Antrag auf Zulassung der Berufung nichts daran geändert, dass die Klägerin eine Reihe von Jahressteuererklärungen nicht rechtzeitig abgegeben hatte.

Kosten: § 154 Abs. 2 VwGO.

Streitwert: § 47 Abs. 3, § 52 Abs. 1 GKG; wie Vorinstanz.