LG Kleve, Beschluss vom 06.06.2011 - 4 T 86/11
Fundstelle
openJur 2012, 80394
  • Rkr:

1.

Nach Streichung des § 1836 e Abs. 5 BGB unterfallen die Regressansprüche des § 1836 e BGB ab dem 1. Januar 2010 nur noch der dreijährigen Regelverjährung des § 195 BGB (vgl. Palandt/Diederichsen, BGB, 70. Aufl., § 1836 e, Rdnr. 4).

Gem. Art. 229 § 23 EGBGB ist das neue Verjährungsrecht grundsätzlich auf alle am 1. Januar 2010 bestehenden und noch nicht verjährten Ansprüche anwendbar.

Der Beginn der Verjährung und die Verjährungsfrist bestimmen sich jedoch weiterhin nach altem Recht, wenn nach diesem Recht die Verjährung früher abläuft als nach neuem Recht ( Art. 229 § 23 Abs. 1 S. 2 Halbs. 2 EGBGB)

Bestimmen sich Verjährungsbeginn und Verjährungsfrist nach neuem Recht, beginnt die Frist nach Art. 229 § 23 Abs. 1 S. 1 EGBGB nicht vor dem 1. Januar 2010.

2.

Eine Rentennachzahlung ist in vollem Umfange als einzusetzendes und verwertbares Vermögen im Sinne des § 1836 c Nr. 2 BGB i.V.m. § 90 SGB XII zu behandeln.

Tenor

Der Beschluss des Amtsgerichts Kleve vom 15. Februar 2011 wird aufge-hoben.

Die aus der Landeskasse an die Betreuerin gezahlte Vergütung in Höhe von 5.032,80 € wird aus dem Vermögen des Betroffenen zurückgefordert.

Gründe

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I.

Der Betroffene leidet unter einer paranoidhalluzinatorischen Psychose aus dem schizophrenen Formenkreis. Er steht deswegen seit 1994 unter Betreuung. Für die Zeit vom 1. Januar 2002 bis 30. Juni 2010 wurde der Betreuerin des Betroffenen eine Vergütung in Höhe von insgesamt 9.616,18 € aus der Landeskasse gezahlt. Nach Auskunft der Betreuerin verfügte der Betroffene über ein Vermögen oberhalb der Schongrenze. Mit Beschluss vom 15. Februar 2011 hat deswegen das Amtsgericht Kleve angeordnet, dass die aus der Landeskasse an die Betreuerin für die vergangenen drei Jahre gezahlte Betreuervergütung in Höhe von insgesamt 3.696,00 € zurückgefordert werde. Die Rückforderung der Betreuervergütung für die Vorjahre hat das Amtsgericht mit der Begründung abgelehnt, dass solche Regressforderungen nach Erhebung der Einrede der Verjährung durch die Betreuerin verjährt seien. Gegen die Zurückweisung der Rückgriffsforderungen der für den Zeitraum 1. Januar 2002 bis 30. Juni 2007 gezahlten Betreuervergütung hat der Bezirksrevisor bei dem Landgericht Kleve Beschwerde eingelegt.

II.

Die Beschwerde des Bezirksrevisors bei dem Landgericht Kleve ist zulässig (§§ 58 Abs. 1, 61 Abs. 1 FamFG). Hierbei sind gemäß Art. 111 Abs. 1 S. 1 des Gesetzes zur Reform des Verfahrens in Familiensachen und in Angelegenheiten der freiwilligen Gerichtsbarkeit (FGG-RG) auf das Beschwerdeverfahren die nach dem Inkrafttreten des FGG-RG am 1. September 2009 geltenden Verfahrensvorschriften anzuwenden, da das Verfahren zur Rückforderung der Betreuervergütung von dem Betroffenen erst im Jahre 2010 und damit nach dem Stichtag 31. August 2009 eingeleitet worden ist.

In der Sache führt das Rechtsmittel zur Aufhebung des angefochtenen Beschlusses, soweit dieser die Rückforderung der Betreuervergütung für den Zeitraum 1. Januar 2002 bis 30. Juni 2007 abgelehnt hat.

Gemäß §§ 1908 i, 1836 e Abs. 1 S. 1 BGB gehen Ansprüche des Betreuers gegen den Betreuten auf die Staatskasse über, soweit diese den Betreuer hinsichtlich der ihm wegen der Betreuung zustehenden Vergütungs- und Aufwendungsersatzansprüche befriedigt hat. Die Staatskasse tritt nämlich nur im Interesse des Betreuers für den Betreuten ein und kann dann bei diesem Rückgriff nehmen. Dieser Rückgriff findet im Rahmen der durch § 1836 c BGB bestimmten Leistungsfähigkeit statt, also insoweit als der Betroffene Einkommen und einzusetzendes Vermögen hat. Einzusetzen ist hierbei das Vermögen nach Maßgabe des § 90 SGB XII. Die Frage, was als Vermögen zu berücksichtigen ist, richtet sich insoweit nach den Grundsätzen des Sozialhilferechts (vgl. BayObLG, FamRZ 2004, 308 ff.).

Im Streitfall sind nach dem Schreiben der Betreuerin vom 9. März 2011 (Bl. 153 GA) am 22. Oktober 2009 an den Betroffenen 5.362,73 € seitens der LVR gezahlt worden. Es handelte sich hierbei um die Rente des Betroffenen, die vom LVR fast 1 Jahr lang zu Unrecht eingezogen worden war.

Diese Rentennachzahlung ist in vollem Umfange als einzusetzendes und verwertbares Vermögen im Sinne des § 1836 c Nr. 2 BGB i.V.m. § 90 SGB XII zu behandeln. Nach der genannten Vorschrift gehört zum Vermögen nämlich das gesamte verwertbare Vermögen. Für die Anwendung der Bestimmung ist hierbei die Herkunft des Vermögens grundsätzlich unerheblich. Anders verhält es sich lediglich, sofern die Verwertung des Vermögens für den, der das Vermögen einzusetzen hat, eine Härte bedeuten würde. Hierzu reicht aber nicht aus, dass das Vermögen aus einer Rente angespart worden ist (vgl. BayObLG BtPrax 2005, 108 f., zitiert nach Juris).

Weiter besteht auch die vom Amtsgericht bejahte Verjährung des Rückgriffsanspruchs nicht.

Durch Art. 1 Nr. 9 a des Gesetzes zur Änderung des Erb- und Verjährungsrechtes ist die Ausschlussfrist gemäß § 1836 e Abs. 1 S. 2 BGB gestrichen worden, wonach auf die Staatskasse übergegangene Ansprüche in 10 Jahren vom Ablauf des Jahres an erlöschen, in dem die Staatskasse die Aufwendungen oder die Vergütung an den Betreuer gezahlt hat. Regressansprüche unterfallen damit ab dem 1. Januar 2010 nur noch der dreijährigen Regelverjährung des § 195 BGB (vgl. Palandt/Diederichsen, BGB, 70. Aufl., § 1836 e, Rdnr. 4). Die Übergangsregelung für die durch das Gesetz zur Änderung des Erb- und Verjährungsrechtes in Kraft gesetzten neuen Verjährungsvorschriften ist Art. 229 § 23 EGBGB. Hiernach ist das neue Verjährungsrecht grundsätzlich auf alle am 1. Januar 2010 bestehenden und noch nicht verjährten Ansprüche anwendbar, womit eine schnelle Umstellung auf das neue Verjährungsfrist erreicht werden soll (Art. 229 § 23 S. 2 Halbs. 1 EGBGB). Von diesem Grundsatz werden in Abs. 1 S. 2 und Abs. 2 der genannten Vorschrift Ausnahmen angeordnet. Nach Art. 229 § 23 Abs. 1 S. 2 Halbs. 2 EGBGB bestimmt sich der Beginn der Verjährung und die Verjährungsfrist weiterhin nach altem Recht, wenn nach diesem Recht die Verjährung früher abläuft als nach neuem Recht. Bestimmen sich Verjährungsbeginn und Verjährungsfrist nach neuem Recht, beginnt die Frist nach Art. 229 § 23 Abs. 1 S. 1 EGBGB nicht vor dem 1. Januar 2010. Das hat zur Folge, dass mit Inkrafttreten am 1. Januar 2010 die Verjährungshöchstfristen zu laufen beginnen (vgl. Palandt/Ellenberger, a.a.O., EGBGB Art. 229 § 23 Rdnr. 1).

Bei Anwendung dieser Grundsätze auf den Streitfall ergibt sich folgendes:

Für die hier nur interessierende Betreuervergütung für die Zeit vom 1. Januar 2002 bis 30. Juni 2007 gilt altes Recht. Nach § 1836 e Abs. 1 S. 2 BGB a.F. wären hier somit übergegangene Ansprüche in 10 Jahren vom Ablauf des Jahres an erloschen, in dem die Staatskasse die Aufwendungen oder die Vergütung an den Betreuer bezahlt hat. Hier erfolgte die von dem Betreuer mit Schreiben vom 15. Dezember 2002 (Bl. 31 VergH) für den Betreuungszeitraum vom 1. Januar 2002 bis 15. Dezember 2002 geltend gemachte Vergütung Anfang 2003 (vgl. Bl. 39 VergH). Damit waren entsprechende Rückgriffsansprüche des Staates frühestens mit Ablauf des Jahres 2013 erloschen. Das Entsprechende gilt für die Zahlung der Betreuervergütung in den Folgejahren bis zum 30. Juni 2007, wobei sich hier die Erlöschenszeiträume weiter jeweils entsprechend dem Jahr der Zahlung durch die Staatskasse um 10 Jahre verlängerten.

Damit war für die Rückgriffsansprüche in der Zeit vom 1. Januar 2002 bis 30. Juni 2007 ab dem 1. Januar 2010 das neue Verjährungsrecht anwendbar (Art. 229 § 23 Abs. 1 S. 2 Halbs. 1 EGBGB). Lediglich soweit hiernach die Verjährungsfrist länger als bis zum Ablauf des 31. Dezember 2013 lief, kam insoweit für den Rückgriffsanspruch für die für das Jahr 2002 gezahlte Betreuervergütung altes Recht zur Anwendung, weil - wie ausgeführt - die Verjährungsfrist weiterhin nach altem Recht gilt, wenn nach diesem Recht die Verjährung früher abläuft als nach neuem Verjährungsrecht (Art. 229 § 23 Abs. 1 S. 2 Halbs. 2 EGBGB).

Im Ergebnis kommt es auf die letztgenannte Frage aber nicht an, weil die Staatskasse mit Schreiben vom 24. August 2010 (Bl. 129 VergH) den Regressanspruch für den Zeitraum 1. Januar 2002 bis 30. Juni 2010 geltend gemacht hat. Das war jedenfalls vor Ablauf des Jahres 2013 und damit noch innerhalb der laufenden Verjährungsfrist.

Die Entscheidung ergeht gerichtsgebührenfrei (§ 131 Abs. 3 KostO.

Beschwerdewert: 1.336,80 € (5.032,50 € - 3.896,00 €).