BVerfG, Beschluss vom 25.04.2001 - 1 BvR 494/00
Fundstelle
openJur 2012, 132853
  • Rkr:
Tenor

1. Das Endurteil des Oberlandesgerichts Nürnberg vom 15. Februar 2000 - 3 U 3881/99 - und die Abmahnung der Rechtsanwaltskammer für den Bezirk des Oberlandesgerichts Nürnberg vom 2. März 1998 - ju-ca - verletzen den Beschwerdeführer in seinem Grundrecht aus Artikel 12 Absatz 1 des Grundgesetzes. Sie werden aufgehoben.

Das Verfahren wird an das Oberlandesgericht Nürnberg zur Entscheidung über die Kosten zurückverwiesen.

2. Der Freistaat Bayern hat dem Beschwerdeführer die ihm im Verfassungsbeschwerdeverfahren entstandenen notwendigen Auslagen zu erstatten.

Gründe

I.

Der beschwerdeführende Fachanwalt für Strafrecht wendet sich gegen eine wettbewerbsrechtliche Verurteilung wegen unzulässiger Werbung durch die Angabe seiner strafrechtlichen Tätigkeitsgebiete.

1. In der Ausgabe vom 26. Februar 1998 schaltete der Beschwerdeführer in der Zeitung "Der Neue Tag" eine Anzeige, in der er unter seinem Namen angab:

Rechtsanwalt

Fachanwalt für Strafrecht

Strafrechtliche Tätigkeitsgebiete:

- Allgemeines Strafrecht

- Jugendstrafrecht

- Straßenverkehrsstrafsachen

- Umweltstrafverfahren

- Ordnungswidrigkeitenverfahren

- Rechtsmittelverfahren,

- Steuer- und Wirtschaftsstrafrecht

insbesondere Revision

- Kapitalstrafverfahren

und Rechtsbeschwerde

- Betäubungsmittelstrafrecht

- Strafvollstreckung und -vollzug

Die Rechtsanwaltskammer hielt diese Anzeige für unzulässig und mahnte daher den Beschwerdeführer ab. Da der Beschwerdeführer die Abgabe einer strafbewehrten Unterlassungserklärung ablehnte, erhob die Rechtsanwaltskammer Klage.

Das Landgericht wies die Klage ab. Zur Begründung hat es ausgeführt, dass § 7 der Berufsordnung für Rechtsanwälte vom 29. November 1996 (BRAK-Mitt 1996, S. 241 - im Folgenden: BORA) mangels hinreichender Ermächtigungsgrundlage durch den Gesetzgeber nichtig sei (vgl. MDR 1999, S. 1531). Das Oberlandesgericht hat den Beschwerdeführer jedoch antragsgemäß verurteilt (MDR 2000, S. 547). Die streitgegenständliche Anzeige verstoße gegen § 7 Abs. 1 Satz 3 BORA, da sie nicht die von der Berufsordnung für Rechtsanwälte vorgeschriebenen Begriffe Interessen- und/oder Tätigkeitsschwerpunkte verwende, sondern nur allgemein von "Tätigkeitsgebieten" spreche. Auch § 7 Abs. 1 Satz 2 BORA werde verletzt, weil der Beschwerdeführer sich nicht damit begnüge, mit dem ihm unstreitig verliehenen "Fachanwalt für Strafrecht" zu werben, sondern den Eindruck erwecke, daneben auf zehn einzeln aufgeführten Rechtsgebieten "nachhaltig" tätig zu sein.

2. Mit seiner fristgemäß erhobenen Verfassungsbeschwerde wendet sich der Beschwerdeführer gegen die Entscheidung des Oberlandesgerichts und die Abmahnung der Rechtsanwaltskammer und rügt die Verletzung seiner Grundrechte aus Art. 1, Art. 2 Abs. 1, Art. 3 Abs. 1, Art. 5, Art. 12 Abs. 1 sowie Art. 14 GG. Die angegriffenen Akte beeinträchtigten ihn schwer und nachhaltig in seiner Berufsausübungsfreiheit. Dass kein Verstoß gegen § 7 Abs. 1 BORA vorliege, ergebe sich sowohl aus dem Wortlaut sowie der grammatikalischen Unterteilung der Vorschrift als auch aus deren Systematik. Er habe nicht unabhängig im Sinne des § 7 Abs. 1 Satz 1 BORA, sondern im Zusammenhang mit der Angabe seiner Fachanwaltsbezeichnung geworben.

3. Zu der Verfassungsbeschwerde haben der Bundesgerichtshof, die Bundesrechtsanwaltskammer, die Rechtsanwaltskammer Nürnberg und der Deutsche AnwaltVerein Stellung genommen.

a) Der Bundesgerichtshof verweist auf ein Verfahren - AnwZ (B) 65/99 -, das ebenfalls § 7 BORA betrifft (vgl. Beschluss vom 16. Oktober 2000, BRAK-Mitt 2001, S. 41).

b) Die Bundesrechtsanwaltskammer weist darauf hin, dass die Werbung auch dahingehend verstanden werden könnte, dass der Beschwerdeführer nicht Tätigkeitsschwerpunkte im Sinne des § 7 BORA aufführe, sondern lediglich die Gebiete beschreibe, auf denen er als Fachanwalt für Strafrecht mit besonderer Sachkunde tätig sein könne. Gegen dieses Verständnis der Anzeige könnte wiederum eingewandt werden, dass die darin enthaltene Aufzählung einerseits und der Katalog in § 13 der Fachanwaltsordnung (BRAK-Mitt 1996, S. 241; im Folgenden: FAO) andererseits im Detail nicht kongruent seien.

c) Die Rechtsanwaltskammer hält die Verfassungsbeschwerde für unbegründet.

d) Nach der Stellungnahme des Deutschen AnwaltVereins ist § 7 Abs. 1 Satz 1 BORA verfassungsrechtlich zu beanstanden, weil die Vorschrift ausschließe, dass ein Fachanwalt umfassend über Tätigkeitsschwerpunkte informiere, die in engem Zusammenhang zu der von ihm erworbenen Fachanwaltsqualifikation stünden. Dies stelle einen Eingriff in das Grundrecht aus Art. 12 GG auf freie Berufsausübung dar, der nicht verhältnismäßig sei, weil er zum Schutz von wichtigen Gemeinschaftsgütern weder geeignet noch erforderlich bzw. zumutbar sei. Der Fachanwalt habe eine besondere Qualifikation erworben; deshalb müsse es ihm auch erlaubt sein, über die Voraussetzungen zum Erwerb der Qualifikation - nämlich die nachzuweisenden besonderen Kenntnisse in Teilbereichen des Strafrechts sowie den Erwerb der besonderen praktischen Erfahrungen in diesen Bereichen - zu unterrichten, soweit es sich um eine tatsächlich ausgeübte Tätigkeit auf den benannten Teilgebieten handele.

II.

Die Kammer nimmt die Verfassungsbeschwerde zur Entscheidung an, weil dies zur Durchsetzung der in § 90 Abs. 1 BVerfGG genannten Rechte angezeigt ist (§ 93 a Abs. 2 Buchstabe b BVerfGG). Auch die weiteren Voraussetzungen des § 93 c Abs. 1 BVerfGG sind gegeben. Die angegriffenen Hoheitsakte verletzen den Beschwerdeführer in seiner Berufsausübungsfreiheit (Art. 12 Abs. 1 GG).

1. Die Verfassungsbeschwerde wirft keine Fragen von grundsätzlicher verfassungsrechtlicher Bedeutung auf. Das Bundesverfassungsgericht hat bereits entschieden, dass in den Bereich der durch Art. 12 Abs. 1 GG geschützten berufsbezogenen Tätigkeiten auch die berufliche Außendarstellung der Grundrechtsberechtigten einschließlich der Werbung für die Inanspruchnahme ihrer Dienste fällt (vgl. BVerfGE 85, 248 <256>; 94, 372 <389>). Das für Rechtsanwälte geltende Werbeverbot soll das Vertrauen der Rechtsuchenden stärken, der Anwalt werde nicht aus Gewinnstreben zu Prozessen raten oder die Sachbehandlung an Gebühreninteressen ausrichten (vgl. nur BVerfGE 76, 196 <207 f.>). Den Angehörigen freier Berufe muss jedoch für interessengerechte und sachangemessene Information, die keinen Irrtum erregt, im rechtlichen und geschäftlichen Verkehr Raum bleiben (vgl. BVerfGE 82, 18 <28>; BVerfG, Beschluss der 2. Kammer des Ersten Senats, AnwBl 1995, S. 96).

2. Die Annahme der Verfassungsbeschwerde ist zur Durchsetzung des Grundrechts des Beschwerdeführers aus Art. 12 Abs. 1 GG angezeigt.

a) Auslegung und Anwendung von § 1 UWG, § 7 Abs. 1 BORA können vom Bundesverfassungsgericht - abgesehen von Verstößen gegen das Willkürverbot - nur darauf überprüft werden, ob sie Auslegungsfehler enthalten, die auf einer grundsätzlich unrichtigen Anschauung von der Bedeutung des betroffenen Grundrechts, insbesondere vom Umfang seines Schutzbereichs, beruhen. Das ist der Fall, wenn die von den Fachgerichten vorgenommene Auslegung der Normen die Tragweite des Grundrechts nicht hinreichend berücksichtigt oder im Ergebnis zu einer unverhältnismäßigen Beschränkung der grundrechtlichen Freiheit führt (vgl. BVerfGE 18, 85 <92 f., 96>; 85, 248 <257 f.>; 87, 287 <323>).

b) So liegt es hier. Die angegriffene Abmahnung und die Entscheidung des Oberlandesgerichts werden dem Maßstab des Art. 12 Abs. 1 GG nicht gerecht. Die den angegriffenen Hoheitsakten zugrunde liegende Annahme, der Beschwerdeführer dürfe die Angabe "Fachanwalt für Strafrecht" nicht durch die Aufzählung seiner strafrechtlichen Tätigkeitsgebiete konkretisieren, beruht auf einer grundsätzlich unrichtigen Anschauung von der Bedeutung der Berufsfreiheit.

Nach § 7 Abs. 1 Satz 1 BORA dürfen unabhängig von der Angabe von Fachanwaltsbezeichnungen als Teilbereiche der Berufstätigkeit nur Interessen- und/oder Tätigkeitsschwerpunkte benannt werden. Insgesamt sind nicht mehr als fünf Benennungen zulässig, davon höchstens drei Tätigkeitsschwerpunkte (§ 7 Abs. 1 Satz 2 BORA). Die angegriffene Auslegung des Satzteils "unabhängig von der Angabe von Fachanwaltsbezeichnungen" ist mit Wortlaut und Sinn von § 7 BORA kaum noch vereinbar; sie trägt jedenfalls der wertsetzenden Bedeutung von Art. 12 Abs. 1 GG nicht hinreichend Rechnung. Der Beschwerdeführer hat in der streitgegenständlichen Anzeige unter seiner Bezeichnung "Fachanwalt für Strafrecht" seine strafrechtlichen Tätigkeitsgebiete aufgeführt. Hierbei handelt es sich um Angaben, die den Fachanwaltsbereich konkretisieren und auffächern. Diese Erläuterungen sind nicht unabhängig von der Fachanwaltsbezeichnung; sie betreffen nicht sonstige Tätigkeitsschwerpunkte. Auch der Deutsche AnwaltVerein weist darauf hin, dass die genannten Tätigkeitsbereiche - mit Ausnahme der zwei Angaben: "Kapitalverbrechen" und "Umweltstrafverfahren" - in § 13 Nr. 2 und 3 FAO als nachzuweisende besondere Kenntnisse für die Verleihung der Fachanwaltsbezeichnung "Strafrecht" zwingend vorgeschrieben sind. Die beiden in der Fachanwaltsordnung nicht aufgeführten Bereiche gehören indessen ebenfalls zum Kernbereich der Tätigkeit eines Fachanwalts für Strafrecht.

c) Es ist nicht ersichtlich, inwieweit die Präzisierung der strafrechtlichen Tätigkeitsgebiete geeignet sein könnte, die Funktionsfähigkeit der Rechtspflege und das Vertrauen der Rechtsuchenden zu beeinträchtigen, der Rechtsanwalt werde nicht aus Gewinnstreben zu Prozessen raten oder die Sachbehandlung an Gebühreninteressen ausrichten. Wie der Deutsche AnwaltVerein zutreffend ausgeführt hat, hat die Fachanwaltsbezeichnung gerade den Sinn, über den Erwerb einer Qualifikation zu informieren. Dabei kommt es auf das Informationsbedürfnis der Adressaten an, denen das Spektrum der Tätigkeiten, die für den Erwerb der Fachanwaltsbezeichnung vorausgesetzt werden, nicht geläufig sein dürfte. Solange die Hinweise wahrheitsgemäß sind, kann weder ein Irrtum noch ein verzerrtes Bild des von einem Fachanwalt angebotenen Spezialwissens entstehen. Gemeinwohlbelange, die ein Informationsverbot, das auch dem Maßstab des Art. 5 Abs. 1 GG standhalten müsste, rechtfertigen könnten, sind nicht ersichtlich.

3. Die angegriffene Abmahnung und die Entscheidung des Oberlandesgerichts beruhen auf dem dargelegten Verstoß gegen Art. 12 Abs. 1 GG. Da dem Beschwerdeführer keine wahrheitswidrige Aussage, sondern nur formale Verstöße gegen § 7 BORA vorgeworfen worden sind, bleibt bei verfassungskonformer Auslegung der Vorschrift kein Raum für eine Unterlassungsverfügung.

4. Die Entscheidung über die Auslagenerstattung folgt aus § 34 a Abs. 2 BVerfGG.