BVerfG, Beschluss vom 19.10.2004 - 2 BvR 779/04
Fundstelle
openJur 2012, 133330
  • Rkr:
Tenor

Der Beschluss des Landgerichts Chemnitz vom 1. Juli 2003 ? BSRH 1/02 ? und der Beschluss des Oberlandesgerichts Dresden vom 23. März 2004 ? 4 Ws 14/04 ? verletzen die Beschwerdeführerin in ihrem Grundrecht aus Artikel 2 Absatz 1 des Grundgesetzes in Verbindung mit dem Rechtsstaatsprinzip des Artikel 20 Absatz 3 des Grundgesetzes und ihrem grundrechtsgleichen Recht auf rechtliches Gehör aus Artikel 103 Absatz 1 des Grundgesetzes.

Der Beschluss des Oberlandesgerichts wird aufgehoben. Die Sache wird an das Oberlandesgericht zurückverwiesen.

Der Freistaat Sachsen hat der Beschwerdeführerin ihre notwendigen Auslagen zu erstatten.

Gründe

A.

Die Verfassungsbeschwerde betrifft Fragen des Anspruchs auf rechtliches Gehör und des effektiven Rechtsschutzes.

I.

1. Die Beschwerdeführerin erwarb 1971 in der ehemaligen Deutschen Demokratischen Republik den Abschluss als Diplomjuristin. Mit Wirkung zum 20. September 1971 erfolgte auf der Grundlage eines Arbeitsvertrages ihre Einstellung in den Vorbereitungsdienst zum Zwecke der Übernahme der Aufgaben eines Richters der Deutschen Demokratischen Republik.

Unter dem 10. November 1972 wurde über die Beschwerdeführerin eine Abschlussbeurteilung erstellt, in der ihr bescheinigt wurde, dass sie ihre Aufgaben gewissenhaft erfüllt habe. Die von ihr gefertigten Entscheidungsentwürfe seien stilistisch einwandfrei und auch politisch-juristisch richtig begründet. Hervorzuheben sei auch ihre gesellschaftliche Aktivität. Sie sei jedoch sensibel veranlagt und werde unter diesem Gesichtspunkt den psychischen Belastungen, die an einen Richter gestellt würden, nicht voll gewachsen sein. Sie scheide deshalb aus den Rechtspflegeorganen aus.

Ein mit dem Datum "21. November 1972" versehener Aufhebungsvertrag weist die Beendigung des Vorbereitungsdienstes zum 31. Dezember 1972 aus.

Im Januar 1973 kam es zu dem Abschluss eines neuen Aufhebungsvertrages, der den Vorbereitungsdienst zum 28. Februar 1973 beendete.

In der Folgezeit arbeitete die Beschwerdeführerin zunächst als Justiziarin in einem volkseigenen Betrieb und später in wechselnden Stellungen, ehe sie am 28. Oktober 1977 die Deutsche Demokratische Republik verlies.

Mit Bescheid des Sächsischen Landesamtes für Familie und Soziales vom 30. November 2000 wurde auf der Grundlage des verwaltungsrechtlichen Rehabilitierungsgesetzes die Rechtsstaatswidrigkeit verschiedener gegen die Beschwerdeführerin ergangener Zersetzungsmaßnahmen festgestellt. Die Beschwerdeführerin habe schlüssig vorgetragen, dass sie im Zusammenhang damit physischen und/oder psychischen Belastungen ausgesetzt gewesen sei. Diese hätten damals zu einem Gesundheitsschaden geführt, der heute noch fortbestehe.

Zu Gunsten der Beschwerdeführerin wurde mit Bescheid des Sächsischen Landesamtes für Familie und Soziales vom 4. Januar 2001 auf der Grundlage des beruflichen Rehabilitierungsgesetzes eine durchgehende Verfolgungszeit vom 1. März 1972 bis zum 28. Oktober 1977 festgestellt.

2. Unter dem 27. Dezember 2001 stellte die Beschwerdeführerin einen Antrag auf Rehabilitierung nach § 2 StrRehaG wegen einer am 21. November 1972 erfolgten psychiatrischen Untersuchung und einer im Dezember 1972 erfolgten viertägigen Unterbringung in der Psychiatrie L. Zur Begründung des Antrages trug die Beschwerdeführerin zum Teil unter Bezugnahme auf beigefügte Unterlagen vor, dass beabsichtigt gewesen sei, sie vor Ablauf der Richterassistentenzeit zur Richterin zu wählen. Sie sei aus diesem Grunde im Juli 1972 zu einem wahlvorbereitenden Kadergespräch beim Bezirksgericht K. geladen worden. Dort habe sie angegeben, dass sie sich bei der Anwendung von Rechtsnormen im Zusammenhang mit Staatsverleumdung und Grenzverletzungen in einem Gewissenskonflikt befinde. Der Kaderleiter habe ihr daraufhin mitgeteilt, dass sie als Richterin ohnehin schwerpunktmäßig für Arbeits-, Familien- und Zivilrecht vorgesehen sei. Die für Juli 1972 vorgesehene Richterwahl habe daraufhin aber auf sich warten lassen. Kurze Zeit nach dem Gespräch sei ein nur mit einer Badehose bekleideter Mann in ihre Wohnung eingedrungen. Die verständigte Volkspolizei habe zunächst ihr Kommen abgelehnt, sei dann aber doch erschienen. Diese sei aber nicht bereit gewesen, ihre Anzeige entgegenzunehmen. Den in Gewahrsam genommenen Eindringling habe die Volkspolizei wieder entlassen. Es solle sich bei ihm um einen inoffiziellen Mitarbeiter des Ministeriums für Staatssicherheit gehandelt haben, der sie habe komprimitieren sollen. Infolge des Vorfalls habe sie einen akuten Schock erlitten und sei in das Krankenhaus E. eingeliefert worden. Nachdem der zuständige Kreisstaatsanwalt die Einleitung eines Ermittlungsverfahrens gegen den Eindringling abgelehnt habe, habe sie gegen diese Entscheidung Beschwerde eingelegt, die nicht bearbeitet worden sei.

Stattdessen seien am 21. November 1972 ein Vertreter des Justizministeriums in Berlin, der Kaderleiter des Bezirksgerichts K. und die Kreisgerichtsdirektorin erschienen. Diese hätten ihr eröffnet, dass ihre Richterwahl nicht stattfinden könne, weil sie ? gutachterlich durch das Krankenhaus E. belegt ? den psychischen Anforderungen, die an einen Richter gestellt würden, nicht gewachsen wäre. Des Weiteren sei ihr ein Schreiben vorgelegt worden, welches die Rücknahme der Beschwerde bei der Staatsanwaltschaft zum Inhalt gehabt habe. Sie sei zur Unterschrift unter einen Aufhebungsvertrag aufgefordert worden. Dabei sei an ihre Einsichtsfähigkeit appelliert und gedroht worden, dass sie in der Deutschen Demokratischen Republik sonst in keinem juristischen Beruf mehr arbeiten könne. Das vorgefertigte Schreiben an die Staatsanwaltschaft habe sie sofort unterschrieben, den Aufhebungsvertrag jedoch erst sechs Wochen später. Bis zur Unterschriftsleistung sei sie beurlaubt worden. Eine Stunde nach Beendigung dieses Gespräches sei sie von einer psychiatrischen Fürsorgerin genötigt worden, in den bereits vor ihrer Wohnung stehenden Krankenwagen einzusteigen. Sie sei dann in die Poliklinik S. verbracht worden. Dort habe sie sich einem Gespräch mit einer Neurologin und einer anschließenden psychiatrischen Untersuchung mit der Begründung stellen müssen, dass man sich um sie Sorgen mache, weil sie nicht mehr zur Richterin gewählt werde.

In der Folgezeit habe sie dann bei der Konfliktkommission die Einleitung eines Verfahrens wegen Schadensersatzes für erlittenen Verdienstausfall und Schmerzensgeld beantragt. Die Konfliktkommission habe einen Schmerzensgeldanspruch als "kapitalistischen" Rechtsanspruch abgelehnt. Nachdem sie hiergegen Einspruch zum Kreisgericht S. erhoben hatte, habe der zuständige Richter das als Begründung für die Aufhebung ihres Richterassistentenvertrages angeführte ärztliche Gutachten angefordert. Dabei habe sich herausgestellt, dass ein solches gar nicht existiert habe. Daraufhin sei sie persönlich beim Justizministerium in Berlin vorstellig geworden. Nachdem man sie dort zunächst nicht habe vorlassen wollen, sei es doch zu einem Gespräch gekommen, bei dem sie angewiesen worden sei, sich einer psychiatrischen Untersuchung zu unterziehen. Sofern das Gutachten zu ihren Gunsten ausfalle, solle der Aufhebungsvertrag als nichtig angesehen werden. Sie sei dann ab dem 13. Dezember 1972 zehn Tage lang - später hat die Beschwerdeführerin diese Angabe dahingehend berichtigt, dass es sich um vier Tage gehandelt habe - in der psychiatrischen Klinik L. untersucht worden.

Das Gutachten habe das Ergebnis erbracht, dass sie für den Richterberuf voll geeignet sei. Sie habe daher Anfang Januar 1973 ihre Richterassistententätigkeit wieder aufgenommen. Am 17. Januar 1973 seien dann wieder Vertreter des Justizministeriums aus Berlin und des Bezirksgerichts K. bei ihr erschienen und hätten ihr eröffnet, dass sie sich prophylaktisch gesundheitlich schonen solle. Sie sei von ihnen genötigt worden, erneut einen Aufhebungsvertrag zu unterschreiben. Dies sei mit den Worten geschehen, dass sie sich das Wohlwollen des Staates nicht verscherzen solle und sie doch wohl auch weiterhin als Juristin arbeiten wolle.

3. Das Landgericht Chemnitz verwarf den Rehabilitierungsantrag der Beschwerdeführerin mit Beschluss vom 1. Juli 2003 als unbegründet. Zwar finde das Strafrechtliche Rehabilitierungsgesetz nach dessen § 2 auch außerhalb eines Strafverfahrens Anwendung, wenn mit einer gerichtlichen oder behördlichen Entscheidung eine Freiheitsentziehung angeordnet worden sei, vor allem wenn eine Einweisung in eine psychiatrische Anstalt der politischen Verfolgung oder sonst sachfremden Zwecken gedient habe. Diese Voraussetzungen seien vorliegend jedoch nicht mit hinreichender Sicherheit nachgewiesen worden. Anhand der vorliegenden Ausführungen der Beschwerdeführerin und der zu diesen Vorgängen allein vorhandenen Unterlage "Antrag auf Ausreise aus dem Gebiet der DDR in die BRD" gelinge dieser Nachweis nicht. Die von der Beschwerdeführerin geschilderten Maßnahmen seien auch nach heutigem Recht zumindest denkbar.

4. Mit Beschluss vom 23. März 2004 verwarf das Oberlandesgericht in Dresden die Beschwerde als unbegründet. Die Einweisung in eine psychiatrische Anstalt müsse nach § 2 StrRehaG der politischen Verfolgung oder sonst sachfremden Zwecken gedient haben. Dies sei jedoch nicht mit der für eine Rehabilitierung erforderlichen Sicherheit nachweisbar. Der im Dezember 1972 erfolgten psychiatrischen Untersuchung liege jedenfalls keine behördliche Entscheidung zugrunde, mit der eine Freiheitsentziehung angeordnet worden wäre. Vielmehr habe sich die Beschwerdeführerin nach ihrer eigenen Darstellung zwar unter dem Druck der Verhältnisse, letztlich aber auf Grund eigener Entscheidung dieser Untersuchung gestellt. Hinsichtlich der psychiatrischen Untersuchung am 21. November 1972 könne offen bleiben, ob ? was nach der Schilderung der Beschwerdeführerin nicht ausgeschlossen sei ? sie zwangsweise in die Psychiatrie verbracht worden sei. Jedenfalls seien rechtsstaatswidrige Gründe hierfür nicht belegt. Es erscheine nicht ausgeschlossen, dass das Verbringen der Beschwerdeführerin in die Poliklinik S. entsprechend der damals abgegebenen Begründung unter fürsorgerischen Gesichtspunkten erfolgt sei. Dass die behandelnde Ärztin zu diesem Zeitpunkt bereits über die geplante Aufhebung des Richterassistenzverhältnisses informiert gewesen sei, lasse sich ohne weiteres damit erklären, dass diese bei Einlieferung der Beschwerdeführerin über das vorangegangene Geschehen informiert worden sei. Auch aus den sonstigen Unterlagen ergebe sich kein konkreter Nachweis für eine staatlicherseits aus politischen oder sonst sachfremden Motiven erfolgte Freiheitsentziehung.

II.

1. Die Beschwerdeführerin rügt die Verletzung von Art. 2 Abs. 1, Art. 3 Abs. 1, Art. 20 Abs. 3 und Art. 104 GG.

Die Fachgerichte hätten den von ihr unterbreiteten Sachverhalt nicht oder nur unzureichend gewürdigt. Die im Rehabilitierungsantrag dargelegten Beweise hätten durchaus genügt, um ihm stattzugeben. Dies gelte umso mehr, als die Rehabilitierungsbehörde Chemnitz im Rahmen der beruflichen und verwaltungsrechtlichen Rehabilitierungsverfahren den Sachverhalt über fünf Jahre hin geprüft habe und schließlich zu einem positiven Ergebnis gelangt sei. Die dem jetzigen Rehabilitierungsantrag zugrunde liegenden Tatbestände seien lediglich Bruchstücke eines bereits von der Rehabilitierungsbehörde Chemnitz als rehabilitierungswürdig anerkannten Gesamtsachverhalts. Auch seien die Gerichte ihrer Amtsermittlungspflicht nicht hinreichend nachgekommen. Das in Art. 20 Abs. 3 GG niedergelegte Rechtsstaatsprinzip verpflichte das Gericht zu einer umfassenden tatsächlichen und rechtlichen Prüfung des Verfahrensgegenstandes. Sie habe Anstrengungen unternommen, um Einsicht in ihre Stasi-Unterlagen zu bekommen. Die bekannten Akten begännen erst im Oktober 1976, so dass sie über die hier in Rede stehenden Vorgänge auch nichts aussagen könnten. Dies könne aber nicht zu ihrem Nachteil gewertet werden. Sie sei ihren Mitwirkungspflichten nachgekommen, so dass es an den Gerichten gewesen wäre, ergänzende Beweismittel zu suchen. Schließlich unterstellten die Fachgerichte objektiv willkürlich, dass die rechtsstaatswidrigen ihr durch die Staatssicherheit und andere Organe der ehemaligen DDR zugefügten Nachteile rechtmäßig gewesen seien. Dies finde in ihrem Vortrag und den angeführten Beweismitteln keinerlei Grundlage. Die Beweiswürdigung sei grob fehlerhaft.

2. Den gemäß § 94 BVerfGG Äußerungsberechtigten wurde Gelegenheit zur Stellungnahme gegeben.

B.

Die Kammer nimmt die zulässige Verfassungsbeschwerde zur Entscheidung an, weil dies zur Durchsetzung der in § 90 Abs. 1 BVerfGG genannten Rechte angezeigt ist (§ 93b i.V.m. § 93a Abs. 2 Buchstabe b BVerfGG). Die Voraussetzungen des § 93c Abs. 1 Satz 1 BVerfGG für eine der Verfassungsbeschwerde stattgebende Entscheidung der Kammer sind gegeben. Die maßgeblichen verfassungsrechtlichen Fragen zu Art. 2 Abs. 1 GG in Verbindung mit Art. 20 Abs. 3 GG und Art. 103 Abs. 1 GG hat das Bundesverfassungsgericht bereits entschieden. Ebenso ist die Verfassungsbeschwerde offensichtlich begründet.

I.

Die Beschwerdeführerin ist zunächst in ihrem Anspruch auf rechtliches Gehör (Art. 103 Abs. 1 GG) verletzt.

1. Art. 103 Abs. 1 GG gibt dem Beteiligten an einem gerichtlichen Verfahren ein Recht darauf, sich zu dem der gerichtlichen Entscheidung zugrunde liegenden Sachverhalt vor Erlass der Entscheidung zu äußern. Diesem Anspruch des Beteiligten auf Gewährung rechtlichen Gehörs entspricht nach der ständigen Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts (BVerfGE 11, 218 <220>; 14, 320 <323>; 18, 380 <383>; 22, 267 <273>) die Pflicht des Gerichts, Anträge und Ausführungen der Verfahrensbeteiligten zur Kenntnis zu nehmen und bei seiner Entscheidung in Erwägung zu ziehen. Art. 103 Abs. 1 GG gewährt hingegen keinen Schutz gegen Entscheidungen, die den Sachvortrag eines Beteiligten aus Gründen des formellen oder materiellen Rechts teilweise oder ganz unberücksichtigt lassen (vgl. BVerfGE 50, 32 <35>; 65, 305 <307>; Beschluss der 2. Kammer des Zweiten Senats des Bundesverfassungsgerichts vom 24. Februar 1992 ? 2 BvR 700/91 -, NJW 1992, S. 2811). Auch verpflichtet Art. 103 Abs. 1 GG das Gericht nicht, sich mit jedem Vorbringen in den Entscheidungsgründen ausdrücklich zu befassen. Geht es allerdings auf den wesentlichen Kern des Tatsachenvortrages einer Partei zu einer Frage, die für das Verfahren von zentraler Bedeutung ist, nicht ein, so lässt dies auf die Nichtberücksichtigung dieses Vortrages schließen, sofern er nicht nach dem Rechtsstandpunkt des Gerichts unerheblich oder aber offensichtlich unsubstantiiert war oder aus prozessrechtlichen Gründen unberücksichtigt gelassen wurde (vgl. BVerfGE 86, 133 <146>).

2. Gemessen an diesem Maßstab halten die fachgerichtlichen Entscheidungen einer verfassungsrechtlichen Überprüfung nicht Stand.

a) Aus dem angegriffenen Beschluss vom 1. Juli 2003 wird nicht erkennbar, dass das Landgericht den Vortrag der Beschwerdeführerin überhaupt einer konkreten Bewertung unterzogen hat. Es wird lediglich pauschal ausgeführt, dass auf konkrete Beweggründe der einweisenden bzw. begutachtenden Stellen anhand der Ausführungen der Beschwerdeführerin "geschlussfolgert" werden könne. Es sei allerdings ein Nachweis erforderlich, der hier nicht erbracht sei. Diese kurzen Ausführungen enden sodann mit der angesichts des Vortrages der Beschwerdeführerin fern liegenden Bemerkung, dass "derartige Maßnahmen auch nach heutigem Recht zumindest denkbar seien". Hier fehlt es an einer konkreten Auseinandersetzung mit den Einzelheiten des Vortrages der Beschwerdeführerin und den von ihr vorgelegten Unterlagen.

b) Das Oberlandesgericht gibt zwar im Rahmen seines angegriffenen Beschlusses vom 23. März 2004 eine weitergehende Begründung, die jedoch gleichfalls wesentlichen Vortrag der Beschwerdeführerin unberücksichtigt lässt.

aa) Es übergeht im Rahmen seiner tatsächlichen Würdigung zunächst eine Reihe von Anhaltspunkten, die für die Glaubhaftigkeit der Sachverhaltsdarstellung der Beschwerdeführerin sprechen. Ein solcher Anhaltspunkt ist zum einen darin zu erblicken, dass in der Abschlussbeurteilung vom 10. November 1972 bereits das Ausscheiden aus dem Dienst als feststehende Tatsache behandelt wird, obwohl der Aufhebungsvertrag erst unter dem 21. November 1972 erstellt wurde. Von Bedeutung ist zudem, dass in der dienstlichen Beurteilung entscheidend auf die psychische Belastbarkeit der Beschwerdeführerin abgestellt wird. Hinzu tritt weiterhin der Gesichtspunkt, dass die Beschwerdeführerin einen weiteren Aufhebungsvertrag mit Datum vom 23. Februar 1973 vorgelegt hat, nach dessen Inhalt der Arbeitsvertrag zur Vorbereitung auf die Übernahme der Aufgaben eines Richters der Deutschen Demokratischen Republik zum 28. Februar 1973 aufgehoben wurde. Diese objektiv belegten Umstände stützen den von der Beschwerdeführerin vorgetragenen Sachverhalt. Weiterhin steht ihr Vortrag in Einklang mit dem Inhalt des Schreibens, das sie am 10. Mai 1977 an die UN-Menschenrechts-Kommission in Genf gerichtet hat, mithin zu einem Zeitpunkt, zu dem sie sich noch in der Deutschen Demokratischen Republik aufhielt und mit Repressalien rechnen musste. In diesem Schreiben hat sie bereits die Geschehensabläufe wiedergegeben, die auch Gegenstand ihres Rehabilitierungsantrages sind. Dieses Schriftstück hat sie auch auf eine Anfrage der Generalstaatsanwaltschaft Dresden im Rahmen des Beschwerdeverfahrens mit Schreiben vom 13. Februar 2004 übersandt. Überdies hat die Beschwerdeführerin in einem Antrag auf Ausreise aus dem Gebiet der Deutschen Demokratischen Republik vom 12. November 1976 angesprochen, dass sie sich einer psychiatrischen Begutachtung unterziehen musste. Auf alle diese von der Beschwerdeführerin zur Begründung ihres Rehabilitierungsantrages vorgetragenen Gesichtspunkte geht das Oberlandesgericht mit keinem Wort ein.

bb) Im Übrigen verkennt das Oberlandesgericht auch den wesentlichen Inhalt des Vorbringens der Beschwerdeführerin.

aaa) Soweit es im Zusammenhang mit der psychiatrischen Untersuchung am 21. November 1972 darauf hinweist, es erscheine nicht ausgeschlossen, dass diese unter fürsorgerischen Gesichtspunkten erfolgt sei, verkennt es den Vortrag der Beschwerdeführerin grundlegend. Diese hat ihren Rehabilitierungsantrag damit begründet, dass es sich bei der ihr entgegengehaltenen psychischen Labilität lediglich um ein vorgeschobenes Argument gehandelt habe. Es habe keinerlei Anhaltspunkte in dieser Hinsicht, vor allem keinen ärztlichen Befund gegeben, der hierauf hingedeutet habe. Darüber hinaus hat sie vorgetragen, dass sie in dem vorausgegangenen Gespräch am gleichen Tage den ihr vorgelegten Aufhebungsvertrag nicht unterschrieben habe. Wenn sie in diesem Zusammenhang weiter vorträgt, dass sie etwa eine Stunde nach Ende dieses Gespräches von einem Krankenwagen abgeholt worden und die die Untersuchung durchführende Ärztin über die beabsichtigte Auflösung des Dienstverhältnisses informiert gewesen sei, drängt sich förmlich auf, dass der Forderung nach Unterzeichnung des Aufhebungsvertrages durch diese Maßnahme Nachdruck verliehen werden sollte. Allein auf der Grundlage des Vortrages der Beschwerdeführerin - und nur von diesem ist das Oberlandesgericht bei seiner Bewertung ausgegangen - kann der als möglich angesehene Schluss auf eine fürsorgerische Untersuchung nicht gezogen werden. Die Annahme eines möglichen fürsorgerischen Charakters der Maßnahme setzt voraus, dass zumindest Anhaltspunkte für eine psychische Labilität bestanden haben. Gerade diese aber hat die Beschwerdeführerin in Abrede gestellt.

bbb) Soweit das Oberlandesgericht in Bezug auf die stationäre Untersuchung der Beschwerdeführerin im Dezember 1972 ausführt, dass sie sich dieser freiwillig gestellt habe, wird gleichfalls der von der Beschwerdeführerin vorgetragene Gesamtzusammenhang ausgeblendet. Sie hat auf eine Anweisung des Justizministeriums verwiesen, deren Nichtbefolgung das Ende ihrer Richterassistententätigkeit bedeutet hätte, mithin auf eine Drucksituation, in der sie sich befunden habe. Der ohne nähere Begründung gegebene Hinweis, es fehle an einer behördlichen Einweisung, verkennt sowohl den Vortrag der Beschwerdeführerin wie auch die rechtlichen Vorgaben, mit denen sich das Oberlandesgericht im Übrigen ebenfalls nicht auseinandersetzt.

II.

Die Beschlüsse des Landgerichts Chemnitz vom 1. Juli 2003 und des Oberlandesgerichts Dresden vom 23. März 2004 verletzen die Beschwerdeführerin darüber hinaus in ihrem Grundrecht aus Art. 2 Abs. 1 GG in Verbindung mit dem Rechtsstaatsprinzip (Art. 20 Abs. 3 GG).

1. Das Rechtsstaatsprinzip des Grundgesetzes enthält auch die Gewährleistung eines wirkungsvollen Rechtsschutzes, der die grundsätzlich umfassende tatsächliche und rechtliche Prüfung des Verfahrensgegenstandes ermöglichen muss (vgl. BVerfGE 54, 277 <291>). Art. 2 Abs. 1 GG in Verbindung mit dem Rechtsstaatsprinzip verleiht dem Einzelnen einen Anspruch auf eine tatsächlich wirksame gerichtliche Kontrolle. Dieses Grundrecht ist verletzt, wenn die Gerichte die prozessrechtlichen Möglichkeiten zur Sachverhaltsfeststellung so eng auslegen, dass ihnen eine sachliche Prüfung derjenigen Fragen, die ihnen vorgelegt worden sind, nicht möglich ist und das vom Gesetzgeber verfolgte Verfahrensziel deshalb nicht erreicht werden kann (vgl. BVerfGE 101, 275 <294 f.> m.w.N.). Nichts anderes gilt für den Fall, dass ein Gericht seine Pflicht zur Sachverhaltsfeststellung unvertretbar eng auslegt oder faktisch entsprechend verfährt (vgl. BVerfGE 70, 297 <308>; 108, 129 <137 f.>).

2. Nach diesen Grundsätzen können die angegriffenen Entscheidungen gleichfalls keinen Bestand haben.

a) Gemäß § 2 StrRehaG gelten die Vorschriften dieses Gesetzes sinngemäß für die durch ein Gericht oder eine sonstige behördliche Stelle angeordnete Einweisung in eine psychiatrische Anstalt, wenn die Einweisung zum Zwecke politischer Verfolgung oder zu anderen sachfremden Zwecken erfolgte. § 2 StrRehaG verfolgt mit seinen weiten Formulierungen den Zweck, einem durch den Missbrauch der Psychiatrie besonders benachteiligten Personenkreis einen Schlüssel zur Rehabilitierung in die Hand zu geben (vgl. Schröder, in: Bruns/Schröder/Tappert, StrRehaG, 1993, § 2 Rn. 3).

Die Voraussetzungen des § 2 StrRehaG werden in der Literatur weit ausgelegt. Dies betrifft zum einen den Begriff der psychiatrischen Anstalt. Unter Berücksichtigung des Gesetzeszweckes wird hierunter jede auf dem Gebiet der Psychiatrie tätige Einrichtung verstanden (vgl. Schröder, in: Bruns/Schröder/Tappert, StrRehaG, 1993, § 2 Rn. 12). Erfasst werden ferner nicht nur die Fälle einer zwangsweisen Einweisung in eine psychiatrische Anstalt, sondern auch die der Einweisung auf einer scheinbar freiwilligen Grundlage. Dies folgt zum einen aus dem Zweck des Rehabilitierungsgrundes des § 2 StrRehaG, den Betroffenen trotz aller rechtstatsächlichen Ungewissheit über mögliche Formen des Psychiatrie-Missbrauchs den Zugang zur Rehabilitierung zu eröffnen. Zum anderen ergibt sich dies aus der sinngemäßen Anwendung des § 1 Abs. 5 StrRehaG, wonach auch rein faktische Verfolgungsmaßnahmen zur Rehabilitierung führen können (vgl. Schröder, in: Bruns/Schröder/Tappert, StrRehaG, 1993, § 2 Rn. 11). Auch braucht die Einweisung nach dem ausdrücklichen Wortlaut des § 2 StrRehaG nicht zum Zwecke politischer Verfolgung erfolgt zu sein. Ausreichend ist, dass sie auf andere sachfremde Zwecke zurückgeführt werden kann. Eine Einweisung aus sachfremden Gründen liegt vor, wenn sie nicht durch den üblichen rechtskonformen Zweck einer Einweisung, nämlich vor allem den Schutz von Leben oder Gesundheit des Betroffenen oder anderer Personen oder zur Abwehr von Gefahren für das Zusammenleben der Bürger (§ 6 Abs. 1 Satz 1 EinwG-DDR) gedeckt war. Erfasst werden somit etwa auch die Fälle, in denen Personen wegen ihres von der Norm abweichenden sozialen Verhaltens als gesellschaftlich lästig empfunden und nur deshalb in eine psychiatrische Einrichtung eingewiesen wurden (vgl. Schwarze, in: Potsdamer Kommentar, StrRehaG, 2. Aufl. 1997, § 2 Rn. 5; Schröder, in: Bruns/Schröder/Tappert, StrRehaG, 1993, § 2 Rn. 17).

b) Für die Feststellung dieser Voraussetzungen gilt nach § 10 Abs. 1 Satz 1 StrRehaG der Amtsermittlungsgrundsatz.

aa) Das Gericht hat von sich aus ? im Rahmen pflichtgemäßen Ermessens (§ 10 Abs. 1 Satz 2 StrRehaG) ? die zur Aufklärung des Sachverhalts notwendigen Maßnahmen zu treffen. Diese Amtsermittlungspflicht folgt nicht nur aus der Nähe des Rehabilitierungsverfahrens zum Strafverfahren, sondern auch aus der Fürsorgepflicht gegenüber den Antragstellern und der Schwierigkeit, die häufig in fernerer Vergangenheit liegenden Sachverhalte zu ermitteln (BTDrucks 12/1608, S. 21). Das Gericht hat ? unterstützt von der Staatsanwaltschaft und durch die in § 10 Abs. 2 StrRehaG normierte Mitwirkungspflicht des Antragstellers ? sämtliche Erkenntnisquellen zu verwenden, die erfahrungsgemäß dazu führen können, die Angaben eines Betroffenen zu bestätigen (Herzler, in: Potsdamer Kommentar, StrRehaG, 2. Aufl. 1997, § 10 Rn. 5; Bruns, in: Bruns/Schröder/Tappert, StrRehaG, 1993, § 10 Rn. 8). Es unterliegt dabei nicht den Grundsätzen der Mündlichkeit, der Unmittelbarkeit und der Öffentlichkeit. Das Gericht kann jedoch nach § 11 Abs. 3 Satz 2 StrRehaG eine mündliche Erörterung anordnen, wenn es dies zur Aufklärung des Sachverhalts oder aus anderen Gründen für erforderlich hält.

bb) Das Gericht entscheidet - nach Ausschöpfung aller Erkenntnismöglichkeiten - in freier Beweiswürdigung. Die für den strafprozessualen Strengbeweis aufgestellten Verfahrensregeln der §§ 244 ff. StPO gelten nicht, wie sich aus § 10 Abs. 1 Satz 2 StrRehaG ergibt (BTDrucks 12/1608, S. 21). Im Einzelfall können daher auch lediglich glaubhaft gemachte Angaben ausreichend sein (vgl. Herzler, in: Potsdamer Kommentar, StrRehaG, 2. Aufl. 1997, § 10 Rn. 9 f.; Bruns, in: Bruns/Schröder/Tappert, StrRehaG, 1993, § 10 Rn. 8). Als Mittel der Glaubhaftmachung können dabei auch alle sonstigen Beweismittel der Zivilprozessordnung, unter anderem auch eine Parteivernehmung (§ 448, § 452 ZPO), in Betracht kommen (vgl. Herzler, in: Potsdamer Kommentar, StrRehaG, 2. Aufl. 1997, § 10 Rn. 12).

3. Ausgehend von diesem rechtlichen Hintergrund haben die Fachgerichte ihre Aufgabe zur Gewährung eines effektiven Rechtsschutzes verfehlt, indem sie der ihnen obliegenden Amtsermittlungspflicht nicht hinreichend nachgekommen sind.

Aus den angegriffenen Entscheidungen wird nicht erkennbar, aus welchen Gründen die Fachgerichte Versuche, den Sachverhalt weiter aufzuklären, nicht in Betracht gezogen haben. Nach den obigen Ausführungen ergeben sich aus dem Vortrag der Beschwerdeführerin bereits eine Reihe von Anhaltspunkten, die geeignet sind, ihre Sachverhaltsdarstellung zu stützen. Dies hätte Anlass gegeben, die Beschwerdeführerin zumindest persönlich anzuhören, um sich ein Bild von ihrer Glaubwürdigkeit zu verschaffen. Hinzu kommt, dass in den vorgelegten Widerspruchsschreiben der Beschwerdeführerin vom 15. und vom 22. Juni 2000 der Kaderleiter des Bezirksgerichts und die Kreisgerichtsdirektorin namentlich benannt worden sind. Hier ist gleichfalls nicht auszuschließen, dass von deren Vernehmung Erkenntnisse in Bezug auf die Hintergründe der psychiatrischen Untersuchung hätten gewonnen werden können. Im Übrigen hätte es für die Fachgerichte durchaus nahe gelegen, einen Versuch zu unternehmen, potentiell ergiebige Akten - etwa die Personalakten der Beschwerdeführerin, die Akten des von ihr vor dem Kreisgericht S. angestrengten Zivilprozesses gegen den Eindringling in ihre Wohnung sowie die Krankenunterlagen des Krankenhauses E., der Poliklinik S. und der Psychiatrischen Klinik L. - beizuziehen (vgl. Herzler, in: Potsdamer Kommentar, StrRehaG, 2. Aufl. 1997, § 10 Rn. 5). Es kann nicht ausgeschlossen werden, dass zumindest einige dieser Akten in entsprechenden Archiven aufbewahrt werden. Schließlich geht aus dem Schreiben der Bundesbeauftragten für die Unterlagen des Staatssicherheitsdienstes der ehemaligen DDR ? Außenstelle L. ? hervor, dass nicht auszuschließen ist, dass bei weiteren Erschließungsarbeiten noch Unterlagen zur Person der Beschwerdeführerin gefunden werden. Nach alledem bestanden allein auf der Grundlage des von der Beschwerdeführerin unterbreiteten Sachverhalts Ansatzpunkte für die Möglichkeit und Notwendigkeit weiterer Ermittlungen seitens der Fachgerichte, von denen ohne jegliche Begründung abgesehen wurde.

III.

Gemäß § 95 Abs. 1 Satz 1 BVerfGG sind die Verletzungen von Art. 103 Abs. 1 GG und Art. 2 Abs. 1 in Verbindung mit Art. 20 Abs. 3 GG festzustellen. Der Beschluss des Oberlandesgerichts ist unter Zurückverweisung der Sache an das Oberlandesgericht aufzuheben (§ 93c Abs. 2 i.V.m. § 95 Abs. 2 BVerfGG).

Die Entscheidung über die Auslagenerstattung beruht auf § 34a Abs. 2 BVerfGG.

Diese Entscheidung ist unanfechtbar.