BVerfG, Beschluss vom 19.10.2006 - 1 BvR 402/06
Fundstelle
openJur 2012, 25525
  • Rkr:
Tenor

Die Verfassungsbeschwerde wird nicht zur Entscheidung angenommen.

Gründe

Gegenstand der Verfassungsbeschwerde sind zivilgerichtliche Urteile, durch die eine Klage auf Zahlung einer Geldentschädigung wegen einer Verletzung des postmortalen Persönlichkeitsrechts abgewiesen wurde.

I.

1. Am 25. Oktober 2000 wurde die 80 Jahre alte Mutter des Beschwerdeführers von dessen Schwester unter dem Einfluss einer Psychose in dem gemeinsam bewohnten Haus erschlagen. Ein Kamerateam der Beklagten des Ausgangsverfahrens (im Folgenden: Beklagte), dem die Polizei Zutritt zu dem Haus gewährt hatte, filmte den teils entkleideten Leichnam der Mutter im Haus und später noch einmal im Obduktionssaal.

Am 26. Februar 2001 strahlte der Fernsehsender SAT 1 im Rahmen des Programms Spiegel TV unter dem Titel "Mordkommission Köln" einen Filmbericht der Beklagten über den Vorfall aus. Im Ausgangsverfahren blieb ungeklärt, welche Aufnahmen von der getöteten Mutter des Beschwerdeführers gezeigt wurden. Der Beschwerdeführer trug insoweit vor, die Leiche seiner Mutter sei im Haus mit bis auf die Knöchel herabgezogenem Slip in einer Blutlache liegend gezeigt worden. Weiter sei der völlig unbekleidete Leichnam im Obduktionssaal gezeigt worden, wobei die Leiche in einigen Szenen ohne Verfremdung zu sehen gewesen sei.

2. Der Beschwerdeführer, der vorprozessual eine strafbewehrte Unterlassungserklärung der Beklagten angenommen hatte, klagte auf eine Geldentschädigung.

a) Das Landgericht wies die Klage ab. Die vermögenswerten Bestandteile des Persönlichkeitsrechts seien zwar vererblich. Kommerziell verwertbare Bestandteile seien jedoch nicht vorhanden gewesen. Es seien ausschließlich ideelle Interessen betroffen gewesen. Hierauf gestützte Ansprüche auf Geldentschädigung kämen nur zu Lebzeiten des Trägers des Persönlichkeitsrechts in Betracht. Ein Anspruch des Klägers auf eine Entschädigung in Geld wegen Verletzung seines eigenen Persönlichkeitsrechts bestehe gleichfalls nicht.

b) Der Beschwerdeführer legte gegen das Urteil des Landgerichts Sprungrevision ein, die der Bundesgerichtshof zurückwies (NJW 2006, S. 605 ff.).

aa) Dem Beschwerdeführer stehe kein Anspruch auf Geldentschädigung wegen der Verletzung des postmortalen Persönlichkeitsrechts seiner Mutter zu.

Bei der Zubilligung einer Geldentschädigung im Fall einer schweren Persönlichkeitsrechtsverletzung stehe regelmäßig der Gesichtspunkt der Genugtuung für das Opfer im Vordergrund. Einem Verstorbenen könne jedoch keine Genugtuung für die Verletzung seiner Persönlichkeit mehr verschafft werden. Auch ein Ausgleich für die erlittene Beeinträchtigung des Persönlichkeitsrechts komme bei einem Verstorbenen nicht mehr in Betracht.

Der Präventionsgedanke allein vermöge die Gewährung einer Geldentschädigung nach dem Tod einer Person nicht zu tragen. Er sei zwar als Bemessungsfaktor bei der Zubilligung von Geldentschädigungen zu berücksichtigen. Der Anspruch auf immateriellen Schadensersatz wegen Verletzung des allgemeinen Persönlichkeitsrechts stehe jedoch nur dem Rechtsträger zu und dies nur zu dessen Lebzeiten.

Die zum Schadensersatz bei Verletzung vermögenswerter Bestandteile des Persönlichkeitsrechts auch nach dem Tod entwickelten Grundsätze ließen sich auf den Streitfall nicht übertragen. In der Person der Verstorbenen hätten keine kommerziellen Interessen bestanden. Die Zubilligung einer Geldentschädigung an Erben oder Angehörige für postmortale Verletzungen der Würde einer anderen Person wäre systemwidrig und zudem geeignet, einer Kommerzialisierung des Persönlichkeitsrechts im nicht kommerziellen Bereich Vorschub zu leisten.

bb) Eine Geldentschädigung aus der Verletzung des eigenen Persönlichkeitsrechts des Beschwerdeführers komme grundsätzlich in Betracht, sei aber vom Landgericht im Streitfall ohne Rechtsfehler abgelehnt worden.

Gegen Eingriffe in das Persönlichkeitsrecht könne nur der unmittelbar Verletzte, nicht auch derjenige vorgehen, der von den Fernwirkungen eines Eingriffs in das Persönlichkeitsrecht eines anderen nur mittelbar belastet werde, solange diese Auswirkungen nicht auch als unmittelbare Verletzung des eigenen Persönlichkeitsrechts zu qualifizieren seien.

Zwar könne durch eine Presse- oder Filmberichterstattung in seiner Persönlichkeit nicht nur unmittelbar betroffen sein, wer im Mittelpunkt der Veröffentlichung stehe oder auf wen sie ziele. Doch müsse die Persönlichkeitssphäre des Dritten selbst als zum Thema des Berichts zugehörig erscheinen, damit das Erfordernis der Unmittelbarkeit noch gewahrt bleibe. Ausstrahlungen auf die Person des Dritten, in denen sich nicht der Inhalt der Veröffentlichung, sondern nur die persönliche Verbundenheit zu der in die Öffentlichkeit gerückten Person ausdrücke, blieben als bloße Reflexwirkungen schutzlos.

3. Mit seiner Verfassungsbeschwerde rügt der Beschwerdeführer eine Verletzung von Art. 1 Abs. 1 und Art. 2 Abs. 1 GG. Es stelle die Werteordnung des Grundgesetzes auf den Kopf, wenn der Menschenwürde im Ergebnis ein geringerer Schutz zuteil werde als den vermögenswerten Bestandteilen des Persönlichkeitsrechts eines Verstorbenen. Den Medien könne nicht erlaubt werden, einen Verstorbenen zum bloßen Objekt einer Sensationsberichterstattung herabzuwürdigen, ohne dass die Angehörigen die Möglichkeit hätten, dagegen effektiv vorzugehen. Der den Angehörigen bislang nur zustehende Unterlassungsanspruch reiche ersichtlich nicht aus. Dem wirtschaftlichen Interesse der Medien an der die Menschenwürde missachtenden Vermarktung von Unglücksfällen oder gar Verbrechen müsse ein wirksames und spürbares Gegengewicht wirtschaftlicher Art entgegengesetzt werden.

II.

Die Verfassungsbeschwerde ist nicht zur Entscheidung anzunehmen, da Annahmegründe nach § 93 a Abs. 2 BVerfGG nicht vorliegen. Die Verfassungsbeschwerde ist unbegründet.

1. Die angegriffenen Urteile verletzen nicht das aus Art. 1 Abs. 1 GG folgende postmortale Persönlichkeitsrecht der Mutter des Beschwerdeführers.

a) Die in Art. 1 Abs. 1 GG aller staatlichen Gewalt auferlegte Verpflichtung, dem Einzelnen Schutz gegen Angriffe auf seine Menschenwürde zu gewähren, endet nicht mit dem Tod. Demgegenüber wird ein Verstorbener nicht durch das Grundrecht der freien Entfaltung der Persönlichkeit aus Art. 2 Abs. 1 GG geschützt, weil Träger dieses Grundrechts nur lebende Personen sind (vgl. BVerfGE 30, 173 <194>).

Ebenso wie das allgemeine Persönlichkeitsrecht eines lebenden Menschen begründet der postmortale Schutz der Menschenwürde nicht selbst bestimmte materiellrechtliche Ansprüche gegenüber Verletzungen durch Private. Dem verfassungsrechtlichen Schutzauftrag ist jedoch bei der Ausformung des einfachen Rechts Rechnung zu tragen, durch die er konkretisiert wird (vgl. BVerfGE 63, 131 <142 f.>; 73, 118 <201>; 99, 185 <194 f.>; 101, 361 <386>). Diese Verpflichtung trifft nicht nur den Gesetzgeber, sondern, soweit er keine Entscheidung getroffen hat, auch die Gerichte (vgl. BVerfGE 96, 56 <64>; BVerfG, Beschluss vom 25. Oktober 2005 - 1 BvR 1696/98 -, NJW 2006, 207 <208>).

Die aus Art. 1 Abs. 1 GG folgende Schutzpflicht ist jedoch grundsätzlich unbestimmt. Die Aufstellung und normative Umsetzung eines angemessenen Schutzkonzepts ist Sache des Gesetzgebers, dem grundsätzlich auch dann ein Einschätzungs-, Wertungs- und Gestaltungsspielraum zukommt, wenn er verpflichtet ist, Maßnahmen zum Schutz eines Rechtsguts zu ergreifen. Gleiches gilt, wenn die Zivilgerichte mangels einer Entscheidung des Gesetzgebers die Schutzpflicht wahrnehmen. Nur ausnahmsweise lassen sich aus den Grundrechten konkrete Regelungspflichten ableiten (vgl. BVerfGE 96, 56 <64>).

b) Nach diesem Maßstab haben die erkennenden Gerichte die aus Art. 1 Abs. 1 GG folgende Schutzpflicht nicht dadurch verletzt, dass sie dem Beschwerdeführer, der nach zivilrechtlichen Grundsätzen zur Wahrnehmung des postmortalen Persönlichkeitsrechts seiner Mutter befugt war (vgl. BGHZ 50, 133 <139 f.>; 107, 384 <389>; 143, 214 <224>), einen Entschädigungsanspruch verweigert haben.

aa) Der aus der Garantie der Menschenwürde folgende Schutzauftrag gebietet nicht die Bereitstellung einer bestimmten Sanktion für Würdeverletzungen. Insbesondere gibt es keinen verfassungsrechtlichen Grundsatz des Inhalts, dass eine Verletzung der Menschenwürde stets einen Entschädigungsanspruch nach sich ziehen muss (vgl. BVerfG, 2. Kammer des Ersten Senats, Beschluss vom 27. Dezember 2005 - 1 BvR 1359/05 -, NJW 2006, S. 1580 <1581>). Jedoch müssen die Gerichte bei der Konkretisierung der Tatbestandsmerkmale von Normen, die die Persönlichkeit postmortal schützen, die Fundierung dieses Schutzes in Art. 1 Abs. 1 GG beachten (vgl. BVerfGK 3, 49 <52>).

bb) Der Bundesgerichtshof hat in dem angegriffenen Urteil ausgeführt, die Zuerkennung einer Geldentschädigung wäre mit der Funktion des Anspruchs auf immaterielle Entschädigung unvereinbar. Dem Verstorbenen könne keine Genugtuung für die Verletzung seiner Persönlichkeit mehr verschafft werden. Auch ein Ausgleich für die erlittene Beeinträchtigung des Persönlichkeitsrechts komme bei einem Verstorbenen nicht mehr in Betracht. Der Präventionsgedanke allein vermöge die Gewährung einer Geldentschädigung nach dem Tod einer Person nicht zu tragen. Der Anspruch auf immateriellen Schadensersatz wegen Verletzung des allgemeinen Persönlichkeitsrechts stehe nur dem Rechtsträger zu und dies nur zu dessen Lebzeiten.

Diese Ausführungen begegnen keinen verfassungsrechtlichen Bedenken. Aus der Garantie der Menschenwürde folgt keine Pflicht der Zivilgerichte, die zivilrechtlichen Anspruchsgrundlagen des persönlichkeitsrechtlichen Sanktionensystems auszuweiten. Insoweit kann dahingestellt bleiben, ob der Präventionsgedanke es rechtfertigen könnte, in Fällen wie dem vorliegenden einen Anspruch auf eine Geldentschädigung zu gewähren.

cc) Verfassungsrechtlich geboten ist dies jedenfalls dann nicht, wenn die Rechtsordnung andere Möglichkeiten zum Schutz der postmortalen Menschenwürde bereithält. Im vorliegenden Fall ist nicht ersichtlich, dass die postmortale Menschenwürde der Mutter des Beschwerdeführers gegen Übergriffe durch die Beklagte schutzlos gestellt war.

Zivilrechtlich kann der hinsichtlich des postmortalen Persönlichkeitsrechts Wahrnehmungsberechtigte anerkanntermaßen Ansprüche auf Unterlassung geltend machen (vgl. BGHZ 107, 384 <393>; BGH, GRUR 1974, S. 797 <798>). Im vorliegenden Fall ist nicht offenkundig, dass der Beschwerdeführer in den vier Monaten, die zwischen den Aufnahmen und der Ausstrahlung der Sendung lagen, die Ausstrahlung nicht mittels eines solchen Unterlassungsanspruchs hätte verhindern können. Der Beschwerdeführer hat auch nicht vorgetragen, dass er ein solches Vorgehen erfolglos versucht hat oder dies für ihn rechtlich oder tatsächlich unmöglich oder unzumutbar war.

Im Übrigen kann der postmortale Würdeschutz auch mit den Mitteln des Strafrechts sichergestellt werden. Im vorliegenden Fall kommt insbesondere ein Vorgehen aufgrund der Strafvorschrift des § 33 des Gesetzes betreffend das Urheberrecht an Werken der bildenden Künste und der Photographie vom 9. Januar 1907 in Betracht. Der Beschwerdeführer hat nicht dargelegt, dass ein solches Vorgehen hier erfolglos oder von vorneherein aussichtslos war.

2. Das aus Art. 2 Abs. 1 in Verbindung mit Art. 1 Abs. 1 GG folgende allgemeine Persönlichkeitsrecht des Beschwerdeführers selbst wird durch die angegriffenen Urteile gleichfalls nicht verletzt.

Eine die Menschenwürde eines Verstorbenen verletzende Handlung kann zugleich auch gegen das Persönlichkeitsrecht seiner Hinterbliebenen verstoßen. Das ist jedoch nicht schon aufgrund der Stellung der Hinterbliebenen als Angehörige des Verstorbenen der Fall. Erforderlich ist vielmehr, dass die Handlung die Hinterbliebenen eigenständig und individuell in ihren persönlichkeitsrechtlich geschützten Belangen betrifft.

Der Bundesgerichtshof hat dazu in dem angegriffenen Urteil ausgeführt, durch eine Presse- oder Filmberichterstattung werde ein Dritter nur dann unmittelbar betroffen, wenn die Persönlichkeitssphäre des Dritten selbst als zum Thema des Berichts zugehörig erscheine. Ausstrahlungen auf die Person des Dritten, in denen sich nicht der Inhalt der Veröffentlichung, sondern nur noch die persönliche Verbundenheit zu der in die Öffentlichkeit gerückten Person ausdrücke, blieben als bloße Reflexwirkungen schutzlos. Dieses Kriterium begegnet keinen verfassungsrechtlichen Bedenken. Auf seiner Grundlage durfte der Bundesgerichtshof hier auch eine eigene Betroffenheit des Beschwerdeführers in seinem Persönlichkeitsrecht verneinen.

Von einer weiteren Begründung wird gemäß § 93 d Abs. 1 Satz 3 BVerfGG abgesehen.

Diese Entscheidung ist unanfechtbar.