VGH Baden-Württemberg, Beschluss vom 29.01.1996 - 14 S 46/96
Fundstelle
openJur 2013, 9930
  • Rkr:

1. Der Gastwirt, der in seinem Lokal die Anbahnung von geschlechtlichen Kontakten zwischen Prostituierten und Freiern duldet, leistet der Unsittlichkeit Vorschub.

Hat sich der Gastwirt als unzuverlässig im Sinne von § 4 Abs 1 Nr 1 GastG erwiesen, kommt grundsätzlich ein milderes Mittel als der Widerruf der Gaststättenerlaubnis nicht in Betracht.

Gründe

Die zulässigen Beschwerden der Antragstellerinnen haben keinen Erfolg. Zu Recht hat das Verwaltungsgericht ihre Anträge abgelehnt, die aufschiebende Wirkung des Widerspruchs gegen den Bescheid der Antragsgegnerin vom 17. Oktober 1995 wiederherzustellen, soweit darin unter Anordnung der sofortigen Vollziehung die der Antragstellerin zu 1 erteilte Gaststättenerlaubnis zum Betrieb der Gaststätte ... als Schank- und Speisewirtschaft mit angeschlossenem Beherbergungsbetrieb widerrufen und der Betrieb der Gaststätte mit Ablauf des 06. November 1995 untersagt wurde. Die Frage der Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes gegen die in dem Bescheid vom 17. Oktober 1995 zusätzlich angedrohte polizeiliche Schließung der Betriebsräume ist nicht Gegenstand des Beschwerdeverfahrens. Der insoweit stattgebende Teil des Beschlusses des Verwaltungsgerichts ist unangefochten geblieben.

Wie das Verwaltungsgericht zutreffend ausgeführt hat, ist der Antrag der Antragstellerin zu 2 unzulässig. Sie ist Mitgesellschafterin und Geschäftsführerin der Antragstellerin zu 1, einer Gesellschaft mit beschränkter Haftung, die die fragliche Gaststätte betreibt. Da allein die Antragstellerin zu 1 Inhaberin der Gaststättenerlaubnis ist, wird die Antragstellerin zu 2 durch behördliche Entscheidungen, die auf die Entziehung dieser Erlaubnis und die Schließung des Gaststättenbetriebs gerichtet sind, nicht in ihrer eigenen Rechtsstellung betroffen. Für die Inanspruchnahme vorläufigen Rechtsschutzes in eigenem Namen fehlt ihr folglich die Antragsbefugnis (§ 42 Abs. 2 VwGO analog).

Der Antrag der Antragstellerin zu 1 ist zulässig, aber unbegründet. Entgegen ihrer Auffassung genügt die Begründung für die Anordnung der sofortigen Vollziehung im angegriffenen Bescheid vom 17. Oktober 1995 den Begründungsanforderungen des § 80 Abs. 3 Satz 1 VwGO. Namentlich trifft es nicht zu, daß die Behörde lediglich formelhafte Ausführungen gemacht und nur auf das mit dem Widerruf der Erlaubnis und der Schließung der Gaststätte verfolgte öffentliche Interesse abgestellt hätte. Vielmehr hat die Antragsgegnerin erkennbar auf die besondere Dringlichkeit der Maßnahmen hingewiesen, weil der nicht ordnungsgemäße Betrieb der Gaststätte vor rechtskräftigem Abschluß des Hauptsacheverfahrens zu erheblichen Gefahren für die Allgemeinheit führe. Mit dieser Begründung hat sie den Erfordernissen des § 80 Abs. 3 Satz 1 VwGO hinreichend Rechnung getragen.

In der Sache teilt der Senat die Auffassung des Verwaltungsgerichts, daß das öffentliche Interesse an der sofortigen Vollziehung des Widerrufs der Gaststättenerlaubnis (Nr. 1.1 der Verfügung vom 17.10.1995) und der Untersagung des Gaststättenbetriebs (Nr. 1.3 der Verfügung) das private Interesse der Antragstellerin zu 1 überwiegt, die Gaststätte bis zur rechtskräftigen Entscheidung in der Hauptsache fortführen zu können. Denn es ist davon auszugehen, daß die Nummern 1.1 und 1.3 der Verfügung der Antragsgegnerin vom 17. Oktober 1995 rechtmäßig sind und die Antragstellerin zu 1 ihr Verhalten, das ihre gaststättenrechtliche Unzuverlässigkeit im Sinn von § 4 Abs. 1 Nr. 1 GastG begründen dürfte, auch während des Hauptsacheverfahrens fortsetzen würde.

Nach § 15 Abs. 2 GastG ist die Erlaubnis zu widerrufen, wenn nachträglich Tatsachen eintreten, die die Versagung der Erlaubnis nach § 4 Abs. 1 Nr. 1 GastG rechtfertigen würden. Die Erlaubnis ist nach § 4 Abs. 1 Nr. 1 GastG zu versagen, wenn Tatsachen die Annahme rechtfertigen, daß der Antragsteller die für den Gewerbebetrieb erforderliche Zuverlässigkeit nicht besitzt. Hiervon ist nach den in dieser Vorschrift aufgeführten Regelbeispielen unter anderem insbesondere dann auszugehen, wenn Tatsachen die Annahme rechtfertigen, daß der Antragsteller der Unsittlichkeit Vorschub leisten wird.

Inhaltlicher Maßstab für den Begriff der Unsittlichkeit im Sinne des § 4 Abs. 1 Nr. 1 GastG sind die in der Rechtsgemeinschaft anerkannten sozialethischen Wertvorstellungen; daher kann auch ein Geschehen, das keinen Straftatbestand erfüllt, im Sinne des § 4 Abs. 1 Nr. 1 GastG unsittlich sein. Die Bewertung straffreier sexueller Handlungen als in diesem Sinne unsittlich ist nicht etwa nur dann gerechtfertigt, wenn sie die ungestörte Entwicklung junger Menschen gefährden oder wenn andere Personen, die von ihnen unbehelligt bleiben wollen, erheblich belästigt werden können (vgl. dazu BVerwG, Urteil vom 16.09.1975, BVerwGE 49, 160 = GewArch. 1975, 385). Nach der in der Rechtsgemeinschaft vorherrschenden Überzeugung widerspricht die Prostitution den guten Sitten (BVerwG, Urteil vom 30.01.1990, BVerwGE 84, 314 m.w.N.). Daraus folgt ohne weiteres, daß ein Gastwirt, der seine Gaststätte so anlegt und führt, daß sie günstige Bedingungen für die Anbahnung von geschlechtlichen Beziehungen zwischen Prostituierten und ihren Freiern bietet, der Unsittlichkeit im Sinne des § 4 Abs. 1 Nr. 1 GastG Vorschub leistet (BVerwG, Beschluß vom 14.11.1990, GewArch. 1991, 115 m.w.N.). Daß diese Voraussetzungen im Fall der Antragstellerin zu 1 erfüllt sind, unterliegt nach Lage der Dinge keinen ernsthaften Zweifeln.

Die Ermittlungen der Landespolizeidirektion ... haben zu dem durch Zeugenaussagen gestützten Ergebnis geführt (vgl. die Stellungnahmen der LPD vom 20.01., 16.03., 31.05., 14.07., 14.09. und 04.10.1995 an die Antragsgegnerin), daß die von der Antragstellerin zu 1 betriebene Gaststätte auch der Anbahnung von geschlechtlichen Beziehungen zwischen Prostituierten und Freiern dient. Obgleich den verantwortlichen Geschäftsführern diese Gegebenheiten hinlänglich bekannt sind, haben sie keine ernsthaften Bemühungen unternommen, die Anbahnung solcher Kontakte in dem Lokal zu unterbinden. Allein diese Umstände rechtfertigen die Annahme, daß die Antragstellerin zu 1 der Unsittlichkeit Vorschub leistet. Bei ihr kommt indes noch erschwerend hinzu, daß sie offenbar Zimmer ihres zur Gaststätte gehörenden Beherbergungsbetriebs an Prostituierte vermietet und damit die Prostitution unmittelbar fördert.

Es dürfte auch nicht zu beanstanden sein, daß die Antragsgegnerin neben dem Widerruf der Gaststättenerlaubnis die Untersagung der Fortführung des Gaststättenbetriebs für erforderlich gehalten hat. Da die Antragsgegnerin die sofortige Vollziehung des Widerrufs der Erlaubnis angeordnet hat, sind die Voraussetzungen für ein Einschreiten nach § 31 GastG i.V.m. § 15 Abs. 2 GewO erfüllt. Entgegen der Auffassung der Antragstellerinnen dürfte die Antragsgegnerin das ihr bei einem Einschreiten nach § 15 Abs. 2 GewO eingeräumte Ermessen nicht fehlerhaft ausgeübt haben. Die Antragsgegnerin hat sich ersichtlich auf den Standpunkt gestellt, im Fall der Antragstellerin zu 1 sei nicht sichergestellt, daß sie allein aufgrund des sofort vollziehbaren Widerrufs der Gaststättenerlaubnis den Betrieb einstellen würde, weshalb zusätzlich eine Untersagung nach § 15 Abs. 2 GewO erforderlich sei. Da die Antragstellerin zu 1 den Gaststättenbetrieb von vornherein beharrlich unter Verstoß gegen geltendes Recht betrieben hat, dürften diese Erwägungen der Antragsgegnerin einer Überprüfung im Hauptsacheverfahren standhalten.

Entgegen der Auffassung der Antragstellerin zu 1 dürften der Widerruf der Gaststättenerlaubnis und die Untersagung der Fortführung des Betriebs nicht gegen den Verhältnismäßigkeitsgrundsatz verstoßen. Da die Antragstellerin zu 1 nachhaltig der Prostitution Vorschub geleistet und sich damit als unzuverlässig im Sinne von § 4 Abs. 1 Nr. 1 GastG erwiesen haben dürfte, kam voraussichtlich ein milderes Mittel als der Widerruf der Gaststättenerlaubnis nicht in Betracht. Hierzu ist die Gaststättenbehörde nach dem klaren Wortlaut des § 15 Abs. 2 GastG bei Unzuverlässigkeit des Gastwirts verpflichtet; ein Ermessen, ein anderes, den Betroffenen weniger belastendes Mittel zu wählen, ist ihr nicht eingeräumt. Angesichts der beharrlichen Verstöße der Antragstellerin zu 1 gegen die gaststättenrechtlichen Vorschriften wäre voraussichtlich der Erlaß von Auflagen ihr gegenüber auch nicht das geeignete Mittel, um rechtmäßige Zustände herzustellen.

Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 154 Abs. 2, 159 Satz 1 VwGO i.V.m. § 100 Abs. 1 ZPO, die Streitwertfestsetzung auf §§ 20 Abs. 3, 13 Abs. 1 GKG.

Dieser Beschluß ist unanfechtbar.