VGH Baden-Württemberg, Urteil vom 16.11.1999 - 1 S 1315/98
Fundstelle
openJur 2013, 11212
  • Rkr:

1. Die Spezialität des Versammlungsgesetzes steht polizeilichen Maßnahmen der Gefahrenabwehr, die im Vorfeld einer Versammlung ergriffen werden, grundsätzlich nicht entgegen.

2. Eine polizeiliche Meldeauflage, die gegenüber dem potentiellen Teilnehmer einer nicht angemeldeten Rudolf-Hess-Gedenkveranstaltung angeordnet wird, kann nur ergehen, wenn gerade in dessen Person die Gefahr von Rechtsverstößen bei der geplanten Versammlung besteht. Die Gefahr, daß aus der Versammlung heraus von anderen Teilnehmern Straftatbestände verwirklicht werden, reicht nicht aus.

Tatbestand

Der Kläger wendet sich gegen eine ihm auferlegte Meldeauflage.

Durch Verfügung der Beklagten vom 8.8.1997, geändert am 12.8.1997, wurde dem Kläger unter Anordnung der sofortigen Vollziehung aufgegeben, sich am 15.8.1997 um 17.00 Uhr, am 16.8.1997 um 10.00 Uhr und 15.00 Uhr, sowie am 17.8.1997 um 10.00 Uhr beim Polizeirevier Stuttgart-Bad Cannstadt zu melden. Gleichzeitig wurde ihm für den Fall, daß er dieser Anordnung nicht nachkommen sollte, ein Zwangsgeld in Höhe von 500,-- DM angedroht. Er wurde auch darauf hingewiesen, daß er bei Nichtbeachtung der Meldeauflage damit rechnen müsse, in polizeilichen Gewahrsam genommen zu werden. Zur Begründung wurde ausgeführt, daß nach polizeilichen Erkenntnissen am Wochenende vom 15.8. bis 17.8.1997 anläßlich des 10. Todestages von Rudolf Hess mit zentralen Veranstaltungen von Rechtsextremisten zu rechnen sei. Nach polizeilicher Einschätzung und objektiven Erkenntnissen aus vergangenen Hess-Gedenkmärschen sei davon auszugehen, daß die Teilnehmer Aktivisten aus dem rechtsextremistischen Bereich seien, die offensiv eine Verherrlichung des nationalsozialistischen Gedankenguts zur Schau stellten. Zu diesem Personenkreis gehöre nach polizeilichen Erkenntnissen auch der Kläger. Bei den zu erwartenden Veranstaltungen werde es mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit auch zur Begehung von Straftaten, insbesondere Propagandadelikten, sowie zu gewalttätigen Auseinandersetzungen zwischen rechtsextremistischen Veranstaltungsteilnehmern und Gegendemonstranten, insbesondere aus der autonomen Szene kommen. Die Verhütung von geplanten Straftaten sei eine Aufgabe der polizeilichen Gefahrenabwehr. Es müsse davon ausgegangen werden, daß der Kläger an den geplanten Veranstaltungen auch 1997 teilnehmen wolle. Es liege daher im öffentlichen Interesse, den Kläger an der Teilnahme an diesen Veranstaltungen zu hindern.

Die polizeiliche Meldeauflage sei eine hierzu geeignete Maßnahme und im Hinblick auf die gefährdeten Rechtsgüter auch verhältnismäßig.

Hiergegen legte der Kläger am 13.8.1997 Widerspruch ein. Zur Begründung führte er aus, die Meldeauflage und Zwangsgeldandrohung kämen allenfalls dann in Betracht, wenn er Störer wäre. Hierfür wäre erforderlich, daß mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit damit gerechnet werden müsse, daß er im fraglichen Zeitraum konkret zu benennende Straftaten von erheblichem Gewicht begehen werde. Daran fehle es. Die Verfügung schildere allenfalls eine abstrakte Gefahr. Seine in der Verfügung genannten Aktivitäten aus der Vergangenheit seien grundgesetzlich geschützte Wahrnehmungen von Freiheitsrechten. Rechtsradikale Treffen oder Aktivitäten seien weder strafbar, noch bestehe eine Rechtsgrundlage, diese zu unterbinden.

Mit Bescheid vom 19.9.1997 wurde das Widerspruchsverfahren durch das Regierungspräsidium Stuttgart eingestellt, da sich die Verfügung der Beklagten wegen Zeitablaufs erledigt hatte.

Mit seiner am 19.10.1997 beim Verwaltungsgericht Stuttgart erhobenen Klage hat der Kläger beantragt, die Rechtswidrigkeit der Verfügung der Beklagten vom 8.8.1997 festzustellen. Zur Begründung hat er ergänzend vorgetragen: Es bestehe ein berechtigtes Interesse an der begehrten Feststellung unter dem Gesichtspunkt der Wiederholungsgefahr, da mit Sicherheit auch künftig Hess-Veranstaltungen stattfinden würden. Er habe auch ein Rehabilitationsinteresse, da er durch die Verfügung wie ein Krimineller behandelt worden sei. Die Meldeauflage sei rechtswidrig. Man dürfe ohne Zweifel rechtsradikal sein und sich entsprechend politisch betätigen. Das Bundesverfassungsgericht habe entschieden, daß auch einer verfassungswidrigen Partei durch staatliche Organe solange kein Nachteil entstehen dürfe, als das Bundesverfassungsgericht diese nicht verboten habe. Für entsprechende Meinungen und Organisationen müsse gleiches gelten. Bevor in Freiheitsrechte des Bürgers eingegriffen werde, müsse diesem ein Fehlverhalten nachgewiesen werden. Dafür gäben seine bisherigen politischen Aktivitäten nichts her. Die Verehrung von Rudolf Hess als Person der Geschichte und Zeitgeschichte stehe jedem Bürger in den Grenzen der §§ 86 und 86a StGB, welche im vorliegenden Fall aber nicht überschritten würden, frei. Es sei absurd, Hess-Gedenkmärsche als Störung der öffentlichen Ordnung anzusehen. Durch eine solche Einstufung würden rechtsradikale Bürger nicht mehr als Mitbürger mit gleichen Rechten und Pflichten angesehen. Es sei unzulässig, Meinungsbekundungen, die der Mehrheit im Staate unangenehm seien, als Verstöße gegen die öffentliche Ordnung zu brandmarken. Außerdem habe er im Jahre 1997 im Rahmen der JN oder NPD nicht an einer Hess-Kundgebung teilgenommen, was den staatlichen Stellen auch bekannt gewesen sei. Zudem hätte die Beklagte darlegen müssen, daß mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit gerade von ihm ausgehende konkret zu benennende Straftaten zu erwarten gewesen seien, woran es in der Verfügung fehle.

Das Verwaltungsgericht hat, dem Antrag der Beklagten entsprechend, die Klage mit Urteil vom 29.1.1998 abgewiesen. Zur Begründung wurde ausgeführt, daß die angegriffene Meldeauflage von der Beklagten zu Recht auf §§ 1, 3 PolG gestützt worden sei. Wenn unter bewußter Umgehung der Anmeldepflicht ein Vorgehen nach § 15 VersG verhindert werden solle, so müsse es der Polizei möglich sein, den einzelnen, der hinreichend verdächtigt sei, an einer solchen Veranstaltung teilzunehmen, durch geeignete Maßnahmen nach dem Polizeigesetz daran zu hindern, sofern es sich bei der zu erwartenden Versammlung um eine solche handle, die nach § 15 Abs. 1 VersG verboten werden könne. Dadurch werde nicht stärker in Art. 8 GG eingegriffen, als es das Versammlungsgesetz in § 15 Abs. 1 erlaube. Die geplanten Veranstaltungen stellten wegen der drohenden Verherrlichung und Verharmlosung des Nationalsozialismus einen Verstoß gegen die öffentliche Ordnung dar und könnten daher nach § 15 Abs. 1 VersG verboten werden. Auch sei der Kläger zu Recht als Störer angesehen worden, da er eine der führenden Persönlichkeiten im rechtsextremistischen Bereich in Baden-Württemberg und bereits 1996 in Gewahrsam genommen worden sei, als er im Verdacht stand, sich auf der Anfahrt zu einer rechtsextremistischen Veranstaltung anläßlich des 9. Todestages von Rudolf Hess zu befinden. Da jeder Teilnehmer an derartigen Veranstaltungen zur öffentlichkeitswirksamen Verherrlichung des Nationalsozialismus beitrage, sei er bereits deshalb Verursacher der polizeilichen Gefahr, so daß es auf den Nachweis einer konkret vom Kläger ausgehenden Gefahr der Begehung von Straftaten nicht ankomme. Im übrigen sei die Maßnahme auch nicht unverhältnismäßig gewesen.

Mit der vom Senat zugelassenen Berufung trägt der Kläger ergänzend vor: Vor Erlaß der Meldeauflage sei eine Anhörung gemäß § 28 Abs. 1 LVwVfG unterblieben. Die Meldeauflage sei aber auch materiell rechtswidrig, weil sie ihn nicht an der Begehung von Straftaten, sondern an der Teilnahme an einer Hess-Veranstaltung habe hindern sollen. Dies könne aber nicht auf das allgemeine Polizeirecht gestützt werden, da das Versammlungsgesetz ein insoweit abschließendes Spezialgesetz darstelle. Zudem sei die Teilnahme an einer nicht angemeldeten Versammlung keine Straftat, sondern allenfalls eine Ordnungswidrigkeit, weshalb eine Einschränkung der Versammlungsfreiheit in diesem Falle unverhältnismäßig sei. Bei den Hess-Veranstaltungen könnte es sich auch um solche in geschlossenen Räumen handeln, die folglich nicht anmeldepflichtig seien.

Der Kläger beantragt,

das Urteil des Verwaltungsgerichts Stuttgart vom 29. Januar 1998 - 1 K 6145/97 - zu ändern und festzustellen, daß die Verfügung der Beklagten vom 8.8.1997, geändert durch Verfügung vom 12.8.1997, rechtswidrig gewesen ist.

Die Beklagte beantragt unter Vertiefung ihres bisherigen Vortrags,

die Berufung zurückzuweisen.

Dem Senat liegen die einschlägigen Akten der Beklagten, die Widerspruchsakten des Regierungspräsidiums Stuttgart sowie die erstinstanzlichen Gerichtsakten und die im Eilverfahren angefallenen Akten des Verwaltungsgerichts Stuttgart vor. Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts wird auf diese Akten und die zwischen den Beteiligten im Zulassungs- und Berufungsverfahren gewechselten Schriftsätze verwiesen.

Gründe

Die zulässige Berufung hat in der Sache Erfolg. Das vom Kläger beantragte Feststellungsbegehren ist zulässig (1.) und begründet (2.).

1. Die auf Feststellung der Rechtswidrigkeit der Meldeauflage der Beklagten gerichtete Klage ist als Fortsetzungsfeststellungsklage in entsprechender Anwendung von § 113 Abs. 1 Satz 4 VwGO zulässig. Mit Ablauf des letzten Termins, an dem sich der Kläger bei dem Polizeirevier Stuttgart-Bad Cannstatt hat melden müssen, also am 17.8.1997 um 10.00 Uhr, hat sich die für den Kläger belastende Verfügung der Beklagten durch Zeitablauf erledigt. Dies gilt auch für die Zwangsgeldandrohung. Die Zwangsgeldandrohung dient der Durchsetzung der aufgegebenen Handlung, hier der Meldeverpflichtung. Da nach Zeitablauf keine Meldepflicht mehr bestand, wurde die Zwangsgeldandrohung gegenstandslos.

Der Kläger hat ein berechtigtes Rehabilitationsinteresse. In der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts ist anerkannt, daß ein schutzwürdiges ideelles Interesse an der Rechtswidrigkeitsfeststellung nicht nur in Fällen in Betracht kommt, in denen abträgliche Nachwirkungen der erledigten Verwaltungsmaßnahme fortbestehen. Vielmehr kann auch die Art des Eingriffs, insbesondere im grundrechtlich geschützten Bereich, verbunden mit dem durch Art. 19 Abs. 4 GG garantierten Anspruch auf effektiven Rechtsschutz erfordern, das Feststellungsinteresse anzuerkennen (Urteil vom 23. März 1999 - BVerwG 1 C 12.97 -, m.w.N.). Hierzu zählen namentlich Feststellungsbegehren, die polizeiliche Maßnahmen zum Gegenstand haben (vgl. Urteil vom 29. April 1997 - BVerwG 1 C 2.95 - Buchholz 310 § 43 VwGO Nr. 127 S. 8 = NJW 1997, 2534 m.w.N.). Nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts ist es zwar mit dem Gebot, effektiven Rechtsschutz zu gewährleisten, grundsätzlich vereinbar, wenn die Gerichte ein Rechtsschutzinteresse nur solange als gegeben ansehen, als ein gerichtliches Verfahren dazu dienen kann, eine gegenwärtige Beschwer auszuräumen, einer Wiederholungsgefahr zu begegnen oder eine fortwirkende Beeinträchtigung durch einen an sich beendeten Eingriff zu beseitigen. Das Grundrecht auf effektiven Rechtsschutz gebietet es aber, daß der Betroffene Gelegenheit erhält, in Fällen tiefgreifender, tatsächlich jedoch nicht fortwirkender Grundrechtseingriffe auch dann die Rechtmäßigkeit des Eingriffs gerichtlich klären zu lassen, wenn die direkte

Belastung durch den angegriffenen Hoheitsakt sich nach dem typischen Verfahrensablauf auf eine Zeitspanne beschränkt, in welcher der Betroffene die gerichtliche Entscheidung kaum erlangen kann.

Die Anwendung dieser Grundsätze führt zur Bejahung eines berechtigten Interesses des Klägers, die Rechtswidrigkeit der Verfügung der Beklagten vom 8.8.1997, geändert durch Verfügung vom 12.8.1997, feststellen zu lassen. Mit der angegriffenen polizeilichen Meldeauflage wollte die Beklagte den Kläger mit Blick auf die von ihm zu erwartenden Verstöße gegen die öffentliche Sicherheit oder Ordnung an der Teilnahme an einer nicht angemeldeten Hess-Gedenkveranstaltung hindern. Damit greift die Meldeauflage jedenfalls nachhaltig in das Grundrecht des Klägers aus Art. 2 Abs. 1 GG ein.

2. Das Feststellungsbegehren des Klägers ist auch begründet. Denn die gegenüber dem Kläger erlassene Meldeauflage ist rechtswidrig gewesen.

2.1 Allerdings sind entgegen der Auffassung des Klägers zur Rechtswidrigkeit der Verfügung führende formelle Fehler nicht ersichtlich. Zwar ist der Kläger vor Erlaß der belastenden Maßnahme nicht gemäß § 28 Abs. 1 LVwVfG angehört worden. Dieser Mangel ist jedoch gemäß § 45 Abs. 1 Nr. 3 LVwVfG nachträglich geheilt worden. Der Kläger hatte noch vor Eintritt der Erledigung sowohl im Rahmen des von ihm eingelegten Widerspruchs wie auch des einstweiligen Rechtsschutzverfahrens vor dem Verwaltungsgericht Gelegenheit, seine sachlichen Einwände gegenüber der Beklagten vorzutragen; auf diese hätte die Beklagte auch noch rechtzeitig vor Eintritt des erledigenden Ereignisses mit einer Abhilfeentscheidung reagieren können.

2.2 Die beanstandete Meldeauflage war indes materiell rechtswidrig, weil sie nicht von der polizeilichen Generalklausel der §§ 1, 3 PolG, auf die die Beklagte ihre Maßnahme gestützt hat, getragen wird. Die Anwendbarkeit dieser Regelung war zwar im vorliegenden Fall nicht durch die Spezialität des Versammlungsgesetzes ausgeschlossen. Doch lagen die tatbestandlichen Voraussetzungen dieser Ermächtigungsgrundlage nicht vor.

Die Heranziehung der polizeilichen Generalklausel durch die Beklagte scheitert entgegen der Auffassung des Klägers nicht an dem abschließenden Regelwerk des Versammlungsgesetzes.

Grundsätzlich gilt, daß das Versammlungsgesetz die Befugnisse zur Beschränkung der Versammlungsfreiheit abschließend regelt und polizeiliche Maßnahmen gegen Teilnehmer einer öffentlichen Versammlung nur auf der Grundlage des Versammlungsgesetzes getroffen werden können (Senatsurteile vom 12.2.1990 - 1 S 1646/89 -, NVwZ-RR 1990, 602ff.; vom 26.1.1998 - 1 S 3280/96 -, NVwZ 1998, 761). Das Versammlungsgesetz enthält jedoch keine Ermächtigung zu polizeilichen Maßnahmen, die - wie hier - im Vorfeld einer Versammlung ergriffen werden, so daß die Spezialität des Versammlungsgesetzes insoweit Maßnahmen der Gefahrenabwehr auf der Grundlage des Polizeirechts grundsätzlich nicht entgegensteht (vgl. Senatsurteil vom 26.1.1998, a.a.O.; Wolf/Stephan, Polizeigesetz für Baden-Württemberg, § 4 RdNr. 38 m.w.N.).

Die tatbestandlichen Voraussetzungen für ein Eingreifen auf der Grundlage der polizeilichen Generalklausel lagen indes nicht vor.

Nach §§ 1, 3 PolG hat die nach §§ 66 Abs. 2, 62 Abs. 4 PolG zuständige Polizeibehörde die Aufgabe, von dem einzelnen und dem Gemeinwesen Gefahren abzuwehren, durch die die öffentliche Sicherheit oder Ordnung bedroht werden und Störungen der öffentlichen Sicherheit oder Ordnung zu beseitigen, soweit es im öffentlichen Interesse geboten ist, wobei sie diese Aufgaben unter Berücksichtigung aller Umstände nach pflichtgemäßen Ermessen zu erfüllen hat.

Eine Gefahr für diese polizeilichen Schutzgüter ist gegeben, wenn eine Sachlage oder ein Verhalten bei ungehindertem Ablauf des objektiv zu erwartenden Geschehens mit hinreichender Wahrscheinlichkeit zum Eintritt eines Schadens führt. Der damit erforderlichen Gefahrenprognose ist das Tatsachenwissen zugrunde zu legen, das der Polizeibehörde zum Zeitpunkt ihres Einschreitens bekannt war. Anhand dieses Tatsachenwissens muß aus Sicht eines objektiven, besonnenen Amtswalters das Vorliegen einer Gefahr bejaht werden können.

Unter Berücksichtigung der dargelegten Maßstäbe war von einer hinreichenden Gefahr für die öffentliche Sicherheit und Ordnung durch den Kläger zum Zeitpunkt des Erlasses der angegriffenen Verfügung nicht auszugehen, insbesondere waren keine Anhaltspunkte dafür gegeben, daß gerade von ihm bei den geplanten, aber noch nicht hinreichend konkretisierten Rudolf-Hess-Gedenkveranstaltungen konkrete Straftaten zu erwarten waren.

Die Beklagte durfte nach ihren polizeilichen Erkenntnissen zwar davon auszugehen, daß es am 10. Todestag von Rudolf Hess zu Gedenkveranstaltungen der rechten Szene wie in den Jahren zuvor kommen würde. Auch durfte sie damit rechnen, daß bei diesen Veranstaltungen aus der Mitte der Versammlung heraus Verstöße, wie etwa das Verbreiten von Propagandamitteln verfassungswidriger Organisationen § 86 StGB), Verwendung von Kennzeichen verfassungswidriger Organisationen (§ 86a StGB) und Volksverhetzung (§ 130 StGB) begangen würden. Die Gefahr, daß aus der Versammlung heraus von anderen Teilnehmern Straftatbestände verwirklicht werden könnten, reicht jedoch nicht aus, um den Kläger polizeirechtlich als Verursacher der Gefahr anzusehen und gegen ihn Maßnahmen der Gefahrenabwehr zu treffen. Grundsätzlich ist nur derjenige, der durch sein eigenes Verhalten unmittelbar eine Gefahr oder Störung verursacht, dafür polizeirechtlich verantwortlich (vgl. Drews/Wacker/Vogel/Martens, a.a.O. S. 313). Aus Gründen der öffentlichen Sicherheit durfte daher eine auf die polizeiliche Generalklausel gestützte Meldeauflage gegen den Kläger nur ergehen, wenn gerade in seiner Person die Gefahr von Rechtsverstößen bei den bevorstehenden Gedenkveranstaltungen bestand. Davon konnte die Polizeibehörde jedoch nicht ausgehen. Es lagen zum Zeitpunkt des Erlasses der angegriffenen Verfügung keine polizeilichen Erkenntnisse vor, daß der Kläger selbst in der Vergangenheit bei der Teilnahme an derartigen Veranstaltungen einschlägige Straftatbestände verwirklicht hätte, vor deren erneuter Begehung er durch die angeordnete Meldeauflage abgehalten werden sollte. Das Erkenntnismaterial beschränkt

sich im wesentlichen darauf, in pauschaler Weise die Teilnahme des Klägers an rechtsextremen bzw. extremistischen Veranstaltungen zu beschreiben, vermittelt jedoch keinen Aufschluß darüber, in welcher Weise der Kläger dabei aufgetreten ist, insbesondere welche die öffentliche Sicherheit oder Ordnung gefährdenden Handlungen er hierbei vorgenommen hat oder ob er solcher Handlungen zumindest verdächtig gewesen ist.

Auch die Gefahr anderweitiger Verstöße gegen die Strafrechtsordnung war nicht erkennbar. Die Teilnahme an einer nicht angemeldeten, möglicherweise aber anmeldepflichtigen Versammlung ist weder strafbar (vgl. § 26 VersammlG) noch ordnungswidrig (vgl. § 29 VersammlG). Strafbar macht sich insoweit nur, wer als Veranstalter oder Leiter eine öffentliche Versammlung unter freiem Himmel oder einen Aufzug ohne Anmeldung durchführt (§ 26 Nr. 2 VersammlG). Es lagen jedoch keine polizeilichen Erkenntnisse vor, daß der Kläger die Funktion des Veranstalters oder Leiters bei der nicht näher konkretisierten Gedenkveranstaltung bekleiden würde.

Es bestand auch keine hinreichende Gefahr dafür, daß der Kläger gegen die öffentliche Ordnung verstoßen würde. Entgegen der Auffassung der Beklagten läßt sich eine solche insbesondere nicht daraus herleiten, daß der Kläger an einer Gedenkveranstaltung teilnehmen wollte, die im Falle ihrer Anmeldung von der hierfür zuständigen Behörde wegen eines zu erwartenden Verstoßes gegen die öffentliche Ordnung nach § 15 VersammlG hätte verboten werden können. Ob die rechtlichen Voraussetzungen für ein Versammlungsverbot nach § 15 VersammlG vorliegen, hat die hierfür zuständige Behörde in jedem Einzelfall anhand der konkreten Umstände der jeweiligen Veranstaltung zu prüfen. Nichts anderes ergibt sich aus der Entscheidung des Senats vom 12.8.1994 (1 S 2239/94, BWVPr 1995, 18), auf die die Beklagte verwiesen hat. Dem dort zur rechtlichen Überprüfung in einem Eilverfahren zur Entscheidung des Senats gestellten Versammlungsverbots lag eine in örtlicher und zeitlicher Hinsicht konkret geplante Veranstaltung zugrunde, deren Themenbereiche festgelegt und deren Veranstalter und Hauptredner bekannt waren; der Hauptredner war bereits einschlägig u.a. wegen Volksverhetzung, Aufstachelung zum Rassenhaß und wegen Leugnens und Verharmlosens des unter der Herrschaft des Nationalsozialismus begangenen Völkermords vorbestraft. In diesem Fall hat der Senat unter Berücksichtigung der polizeilichen Erkenntnisse entschieden, daß es im Einzelfall gerechtfertigt sein kann, die Versammlung wegen Verstoßes gegen die öffentliche Ordnung zu verbieten, wenn bei einer Kundgebung aus Anlaß des Todestages von Rudolf Hess die konkrete Gefahr besteht, daß der Nationalsozialismus verherrlicht und/oder verharmlost wird (vgl. auch Bay. VGH, Beschluß vom 26.11.1992, Bay.VBl. 1993, 658ff.).

Da im vorliegenden Fall nähere Umstände möglicher Veranstaltungen in zeitlicher, örtlicher und thematischer Hinsicht gerade nicht bekannt waren, ja nicht einmal mit der erforderlichen Wahrscheinlichkeit davon ausgegangen werden konnte, daß sie im örtlichen Zuständigkeitsbereich der Beklagten und - anmeldepflichtig - unter freiem Himmel stattfinden würde, konnte die Beklagte nicht die Annahme zugrunde legen, daß die - nicht näher konkretisierte - Versammlung im Falle ihrer Anmeldung wegen einer unmittelbaren Gefahr für die öffentliche Ordnung verboten worden wäre. Damit durfte sie daraus auch nicht die Schlußfolgerung ziehen, daß bereits die beabsichtigte Teilnahme des Klägers an der nicht näher konkretisierten Veranstaltung eine Gefahr für die öffentliche Ordnung darstelle. Wäre dies anders zu beurteilen, dann wäre jedenfalls erforderlich gewesen, daß gerade die Teilnahme des Klägers an der Veranstaltung gegen die öffentliche Ordnung verstoßen hätte.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 1 VwGO.

Die Revision war nicht zuzulassen, da keiner der Voraussetzungen des § 132 Abs. 2 VwGO gegeben ist.