OLG Naumburg, Beschluss vom 04.10.2011 - 8 UF 194/11
Fundstelle
openJur 2012, 136345
  • Rkr:

Eine teilweise oder gänzliche Aufhebung der gemeinsamen elterlichen Sorge nach § 1671 Abs. 2 Nr. 2 BGB setzt voraus, dass eine gerichtliche Entscheidung zum Wohl des Kindes notwendig ist, was der beantragende Elternteil konkret darzulegen hat. Liegt schon kein gerichtliches Regelungsbedürfnis, also keine Notwendigkeit einer gerichtlichen Entscheidung für den Antrag auf Alleinsorge vor, so bedarf es in dem Verfahren nicht der Bestellung eines Verfahrensbeistands.

Tenor

1. Das Verfahrenskostenhilfegesuch der Beteiligten zu 1 wird abgewiesen.

2. Die Beschwerde der Beteiligten zu 1 gegen den Beschluss des Amtsgerichts - Familiengerichts - Zeitz vom 23. Juni 2011 wird auf ihre Kosten zurückgewiesen.

Der Beschwerdewert beträgt EUR 3.000.

Gründe

I.

Die Beteiligte zu 1 (Antragstellerin und Beschwerdeführerin) begehrt die Übertragung der alleinigen elterlichen Sorge.

Nachdem die Beteiligte zu 1 mit dem Beteiligten zu 2 die Ehe geschlossen hatte, gingen aus der Ehe

das (am 16. Dezember 1999 geb.) Kind J. und

das (am 01. Dezember 2000 geb.) Kind M.

hervor. Die Kinder leiden unter einer Erbkrankheit, der Leukodystrophie (progrediente Degeneration der Substantia alba des ZNS); sie besuchen nach Mitteilung des Beteiligten zu 3 die Förderschule.

Im Jahre 2002 trennten sich die Kindeseltern, anschließend wurde das alleinige Aufenthaltsbestimmungsrecht auf die Beteiligte zu 1 (Kindesmutter) übertragen (Verfahren 6 F 38/04 AG Zeitz) und im Juni 2005 wurde die Ehe - rechtskräftig - geschieden. Auf den Antrag des Beteiligten zu 2 ist sein Umgang mit den Kindern in einem Beschluss des Familiengerichts vom 21. Juli 2005 geregelt worden.

Am 17. März 2009 hat die Kindesmutter das erste Mal beim Familiengericht ein Verfahren nach § 1671 Abs. 2 Nr. 2 BGB anhängig gemacht, in dem sie die Übertragung der alleinigen elterlichen Sorge beantragt hat (6 F 72/09 AG Zeitz). Das Verfahren endete nach mündlicher Verhandlung mit einer Einigung der Kindeseltern, in der sich der Kindesvater (Beteiligte zu 2) verpflichtete, sein Umgangsrecht wieder wahrzunehmen, bei beruflicher Verhinderung rechtzeitig Bescheid zu geben, für die Kindesmutter erreichbar zu sein und mit ihr insbesondere Fragen der Gesundheitsfürsorge zu besprechen.

Am 08. Februar 2011 hat die Kindesmutter beim Familiengericht das vorliegende - zweite - Sorgerechtsverfahren anhängig gemacht, in dem sie ihren Antrag aus dem vorangegangenen Verfahren wiederholt. Sie beschwert sich darüber, dass der Kindesvater seit Jahren keinen persönlichen Umgang mehr mit den Kindern pflege - dies bestreitet der Kindesvater: die Ferien würden die Kinder immer bei seinen Eltern (Großeltern der Kinder) verbringen und er schicke stets Weihnachtsgeschenke - und dass der Kindesvater nicht auch einmal allein die Arzttermine mit den Kindern wahrnehme - indessen hat der Kindesvater der Kindesmutter nach den Feststellungen des Familiengerichts vollumfänglich Vollmacht erteilt. Ihr, der Kindesmutter, sei es nicht mehr zumutbar, dem Kindesvater hinterherzulaufen, wenn sie eine Unterschrift oder Entscheidung benötige.

Das Familiengericht hat den Antrag der Kindesmutter - nach persönlicher Anhörung der Kindeseltern und der Kinder sowie nach Gewährung rechtlichen Gehörs an die Beteiligten - abgewiesen. Gegen diese - ihr am 01. Juli 2011 zugestellte - Entscheidung wendet sich die Kindesmutter mit der am 01. August beim Familiengericht eingelegten Beschwerde.

II.

Der mit der zulässigen Beschwerde weiterverfolgte Antrag nach § 1671 Abs. 2 Nr. 2 BGB ist aus den zutreffenden Gründen der angefochtenen Entscheidung nicht begründet:

Eine teilweise oder gänzliche Aufhebung der gemeinsamen elterlichen Sorge nach § 1671 Abs. 2 Nr. 2 BGB setzt voraus, dass eine gerichtliche Entscheidung zum Wohl des Kindes notwendig ist (Palandt/Diederichsen, BGB, 70. Auflage, § 1671 Rn 15 m.w.N.). Dies ist nicht bereits bei fehlender Kommunikation zwischen den sorgeberechtigten Eltern (Palandt/Diederichsen a.a.O., § 1671 Rn 21 ff. unter Bezugnahme auf OLG Naumburg, FamRZ 2002, 564, 565 und auf OLG München, FamRZ 189, 190), sondern erst dann der Fall, wenn für den betreuenden Elternteil in einer Angelegenheit, die für das Kind von erheblicher Bedeutung ist (§ 1687 Abs. 1 Satz 1 BGB) - also nicht in einer Angelegenheit des täglichen Lebens, die der betreuende Elternteil allein regeln darf (§ 1687 Abs. 1 Satz 3 BGB) - eine Entscheidung ansteht (Palandt/Diederichsen a.a.O. unter Bezugnahme auf OLG Hamm, FamRZ 2005, 537, 538) und sich in einer solchen Angelegenheit kein Einvernehmen mit dem anderen Elternteil erzielen lässt (Palandt/Diederichsen a.a.O. unter Bezugnahme auf BGH, NJW 2005, 2080 f., wo auch BGH, FamRZ 1999, 1646, 1647 verwiesen wird; ferner OLG Naumburg, FamRZ 2009, 792 f.). Eine derartige Feststellung erfordert nicht nur einen konkreten Tatsachenvortrag dazu, dass, wann, bei welchem Anlass und auf welche Weise sich der antragstellende Elternteil um ein Einvernehmen bemüht hat, sondern auch dazu, dass seine Bemühungen an einer "Verweigerungshaltung" des anderen Elternteils "gescheitert" und Bemühungen in wichtigen Angelegenheiten auch in Zukunft mit hoher Wahrscheinlichkeit erfolglos sind (OLG Hamm a.a.O.). Ein gerichtlicher Eingriff in das Sorgerecht des anderen Elternteils setzt nämlich voraus, dass die gemeinsame elterliche Sorge praktisch "nicht funktioniert" weil ihr Funktionieren an einer "Uneinigkeit" der Eltern scheitert (BGH a.a.O.). Ist dies nicht der Fall, hat der Staat kein Recht, von seinem Wächteramt (Art. 6 Abs. 2 Satz 2 des Grundgesetzes) Gebrauch zu machen, denn die Pflege und Erziehung der Kinder sind das "natürliche Recht" der Eltern und die "zuvörderst" ihnen obliegende Pflicht (Art. 6 Abs. 2 Satz 1 des Grundgesetzes).

Angelegenheiten von erheblicher Bedeutung, welche die Kindesmutter nicht allein regeln kann, sind nicht ersichtlich. Jedenfalls hat die Kindesmutter nicht - konkret - vorgetragen, dass sie sich in einer solchen Angelegenheit erfolglos um ein Einvernehmen mit dem Kindesvater bemüht hat, d. h. ein Bemühen an einer "Verweigerungshaltung" des Kindesvaters oder einer "Uneinigkeit" der Kindeseltern gescheitert ist. Zumindest seit der erstinstanzlichen mündlichen Verhandlung vom 08. Juni 2011 besteht dafür kein hinreichender Anhaltspunkt mehr. Vor diesem Hintergrund weist das Familiengericht zutreffend darauf hin, dass bei eventuellen Meinungsverschiedenheiten immer noch die Möglichkeit besteht, bei einzelnen Angelegenheiten einen Antrag nach § 1628 BGB zu stellen (vgl. BGH, NJW 2005, 2080, 2081).

Zwar hat das Familiengericht den Kindern - abweichend von § 158 FamFG - keinen Verfahrensbeistand bestellt. Dies war aber - ausnahmsweise - auch nicht erforderlich, da der Antrag nach § 1671 Abs. 2 Nr. 2 BGB deshalb abgewiesen bleibt, weil kein gerichtliches Regelungsbedürfnis besteht. Wird nämlich die Notwendigkeit einer gerichtlichen Sorgerechtsregelung (1. Stufe der 2-stufigen Kindeswohlprüfung) verneint, dann braucht nicht mehr in die zweite Stufe der Kindeswohlprüfung eingetreten und geprüft zu werden, ob die Übertragung des Sorgerechts oder von Teilen desselben auf den antragstellenden Elternteil dem Wohl des Kindes am besten entspricht (vgl. Senat, Beschl. v. 16.07.10 - 8 UF 123/10 - m.w.N.).

Mit Rücksicht darauf sieht der Senat von weiteren Verfahrenshandlungen ab und entscheidet ohne mündliche Verhandlung. Denn weitere Erkenntnisse sind nicht zu erwarten, wie - nicht zuletzt - die Beschwerdebegründung der Kindesmutter zeigt.