OLG Hamburg, Urteil vom 21.10.2008 - 7 U 51/08
Fundstelle
openJur 2013, 527
  • Rkr:
Tenor

I. Auf die Berufung des Antragsgegners wird das Urteil des Landgerichts Hamburg vom 11. 3. 2008, Az. 324 O 48/08, abgeändert.

Die einstweilige Verfügung vom 28. 1. 2008 wird aufgehoben und der ihr zugrunde liegende Antrag zurückgewiesen.

II. Die Kosten des Verfahrens hat der Antragsteller zu tragen.

Gründe

I. Der Antragsgegner wendet sich mit seiner Berufung gegen ein Urteil des Landgerichts, mit dem eine einstweilige Verfügung bestätigt worden ist, durch die dem Antragsgegner verboten worden ist, durch die Äußerung „Wie die A. weiter erfuhr, sollen mindestens 30 Sportler die Dienste der Blutbank in W. in Anspruch genommen haben. Rund zwei Drittel der Athleten stammten demnach aus Deutschland. Es handele sich um Sportler aus den Bereichen Biathlon und Skilanglauf, die zumindest zum Teil zur Weltspitze gehören“ den Verdacht zu verbreiten, ein oder mehrere Biathleten und / oder Langläufer, die einem Kader des Antragstellers angehören, hätten die Dienste einer W. Blutbank in Anspruch genommen.

Der Antragsteller ist ein eingetragener Verein, dem als Dachverband die Landes- und Regionalfachverbände angehören, die aus Vereinen bestehen, in denen Biathleten und Skilanglaufsportler organisiert sind. Sportler, die bei internationalen Wettbewerben für die Bundesrepublik Deutschland antreten, gehören dem Antragsteller zwar nicht selbst als Mitglieder an, werden von ihm – in einem „Kader“ – aber vertreten, gefördert, trainiert und medizinisch betreut. Der Antragsgegner ist Journalist. Er verfasste eine Meldung, die am 16. Januar 2008 u.a. über den Internetauftritt der A. d. R. D. (A.) verbreitet worden ist. Sie trägt die Überschrift „Deutsche Top-Athleten bei W. Blutbank? Nach Informationen der A. stehen mehrere erfolgreiche Radfahrer sowie deutsche Wintersportler unter Verdacht, in einem W. Labor Blutdoping betrieben zu haben“ und enthält u.a. den streitigen Passus. Tatsächlich sind Anhaltspunkte dafür, dass Sportler, die in dem Kader des Antragstellers betreut werden, Blutdoping betrieben hätten, nicht vorhanden.

Das Landgericht hat in der angegriffenen Äußerung eine unzulässige Verdachtsberichterstattung gesehen, von der der Antragsteller betroffen sei, da alle deutschen Sportler, die zur Weltspitze gehörten, bei ihm als Nationalkader organisiert seien und der Antragsteller mit der Dopingbekämpfung im Bereich des Skisports bei Spitzensportlern befasst sei.

Hiergegen wendet sich der Antragsgegner mit seiner Berufung. Er ist der Ansicht, dass der Antragsteller von der beanstandeten Meldung nicht in eigenen Rechten betroffen sei.

Der Antragsgegner beantragt,

die einstweilige Verfügung des Landgerichts Hamburg vom 28. 1. 2008 (Az. 324 O 48/08) unter Abänderung des Urteils des Landgerichts Hamburg vom 11. 3. 2008 aufzuheben und den auf ihren Erlass gerichteten Antrag zurückzuweisen.

Der Antragsteller beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Der Antragsteller verteidigt die angefochtene Entscheidung. Er sieht in der angegriffenen Äußerung eine ihn betreffende Äußerung, deren Verbreitung ihn erheblich in seiner Ehre verletze. Dass er selbst betroffen sei, ergebe sich auch daraus, dass andere Publikationsorgane die Äußerung des Antragstellers ohne Weiteres auf ihn bezogen hätten, Sponsoren angekündigt hätten, wegen der Meldung ihre Unterstützung seiner Tätigkeit überprüfen zu wollen, und sich zahlreiche Journalisten mit Anfragen an ihn gewandt hätten.

Wegen der Einzelheiten wird auf die zwischen den Parteien gewechselten Schriftsätze nebst Anlagen sowie auf die angefochtene Entscheidung Bezug genommen.

II. Die Berufung ist zulässig und auch in der Sache begründet mit der Folge, dass die einstweilige Verfügung aufzuheben und der auf ihren Erlass gerichtete Antrag zurückzuweisen ist.

Dem Antragsteller steht ein Anspruch auf Unterlassung der Verbreitung der angegriffenen Äußerung aus §§ 823 Abs. 1, 1004 Abs. 1 Satz 2 BGB analog in Verbindung mit Artt. 1 Abs. 1, 2 Abs. 1 GG nicht zu, weil der Antragsteller von der angegriffenen Äußerung nicht betroffen ist. An der Betroffenheit des Antragstellers fehlt es deshalb, weil von ihm und seiner Tätigkeit in dem Text der von dem Antragsgegner verfassten Meldung nicht die Rede ist.

Sofern der Antragsteller seine Betroffenheit daraus herzuleiten sucht, dass er mit einem Gegenstand, um den es in der angegriffenen Äußerung gehe, nämlich der Verhinderung von Doping von Spitzensportlern, zu tun habe, kann dem nicht gefolgt werden; denn die Betroffenheit einer Organisation kann sich nicht allein daraus ergeben, dass sie auf einem Gebiet tätig ist, über das von einem Journalisten in abstrakter, nicht auf bestimmte Personen bezogener Weise berichtet wird. Das Grundrecht der Äußerungsfreiheit aus Art. 5 Abs. 1 Satz 1 GG gebietet es, bei der Prüfung der rechtlichen Zulässigkeit der Verbreitung eines Textes zunächst an den Text selbst anzuknüpfen und die Begleitumstände nur insoweit heranzuziehen, als dies erforderlich ist, um seinen Inhalt aus der Sicht des Rezipienten zu deuten (BVerfG, Beschl. v. 10. 10. 1995, NJW 1995, S. 3303 ff.). Der von dem Antragsgegner verfasste Text selbst enthält indessen keinerlei Bezugnahme auf den Antragsteller und seine Tätigkeit. Es ist lediglich abstrakt von Sportlern die Rede, die Doping betrieben haben sollen; der Kreis dieser Sportler wird weiter dahin eingegrenzt, dass etwa 20 von ihnen aus Deutschland stammten, dass es sich um Sportler aus den Bereichen Biathlon und Skilanglauf handle und dass ein Teil von ihnen zur Weltspitze gehöre. Um zu dem von dem Antragsteller reklamierten Verständnis des Textes zu gelangen, ist daher nicht nur erforderlich, dass der Rezipient dieses Textes zunächst weiß, dass alle deutschen Wintersportler, die zur Weltspitze gehören, dem Kader des Antragstellers angehören und dass der Antragsteller bei der Betreuung der seinem Kader angehörenden Sportler auch mit der Verhinderung von Doping befasst ist; der Rezipient muss weiter davon ausgehen, dass das Doping, über das berichtet wird, im Zusammenhang mit Sportereignissen steht, an deren Ausrichtung der Antragsteller beteiligt war, und schließlich zu der Auffassung gelangen, dass der Antragsteller in einer ihm zurechenbaren Weise etwas mit diesen Dopingaktivitäten zu tun habe, sei es, dass er diese gefördert habe, sei es, dass sie ihm aus Nachlässigkeit entgangen seien und er deshalb nichts gegen sie unternommen habe. Mit dem Antragsteller kann zwar davon ausgegangen werden, dass der sportinteressierte Rezipient der beanstandeten Meldung davon Kenntnis hat, dass die deutschen Spitzensportler dem Kader des Antragstellers angehören, so dass dieser Umstand noch als Begleitumstand der Meldung als von deren Inhalt mit umfasst angesehen werden könnte (vgl. BVerfG, Beschl. v. 14. 7. 2004, NJW 2004, S. 3619 f., 3620); alle weiteren gedanklichen Schritte, die der Rezipient anstellen müsste, um zu der von dem Antragsteller reklamierten Betroffenheit zu gelangen, liegen dagegen vollständig außerhalb des Textes und finden in diesem selbst keinen Anhaltspunkt mehr. Denn an keiner Stelle des Textes ist davon die Rede, dass das Doping, von dem berichtet wird, im Zusammenhang mit Trainings-, Überwachungs- oder Veranstaltungsaktivitäten des Antragstellers stehe. Zu dieser Auffassung gelangt der Rezipient nur, wenn er den Text als Ausgangspunkt benutzt, um über das Geschehen im Bereich des Wintersportes weiter zu spekulieren. Derartige Spekulationen, die durch eine Äußerung nur veranlasst sind, in dieser selbst aber keine Grundlage mehr haben, können dem Autor oder Verbreiter dieser Äußerung nicht mehr zugerechnet werden. Denn Autor und Verbreiter müssen sich zwar an dem Inhalt der von ihnen verfassten oder verbreiteten Äußerung festhalten lassen, aber eben auch nur an diesem Inhalt; außerhalb der Äußerung liegende Gedankenketten, in denen sich der Rezipient weitere mögliche Gegebenheiten hinzudenkt, sind ihrem Einflussbereich entzogen und unterliegen daher nicht mehr ihrer Verantwortung. Daher führt eine Äußerung, die sich mit einer Person oder einem Personenkreis befasst, die oder der einem übergeordneten Verband angehört, nicht zu einer Betroffenheit des Verbandes, wenn dieser selbst in der betreffenden Äußerung nicht erwähnt wird und die Äußerung auch nicht sein Verhalten zum Gegenstand hat (Hans. OLG Hamburg, Urt. v. 29. 10. 1987, NJW 1988, S. 3211 f., 3211: fehlende Betroffenheit des D. d. d. Z.-... von einem Bericht über Schadstoffe in Zuckerprodukten, die in Deutschland gehandelt werden; vgl. auch BGH, Urt. v. 15. 4. 1980, GRUR 1980, 813 f., 814: die Berichterstattung über das Verhalten einer namentlich genannten Person begründet nicht eine Betroffenheit der gleichnamigen Mitglieder der Familie dieser Person).

Der Fall ist auch nicht vergleichbar dem, dass über leitende Mitarbeiter eines – in einer Berichterstattung genannten – Unternehmens in herabsetzender Weise berichtet wird. Das kann zwar eine Betroffenheit des Unternehmens begründen (BGH, Urt. v. 3. 6. 1975, GRUR 1976, S. 210 ff.; hierher gehört auch die von dem Antragsteller herangezogene Entscheidung des Bundesgerichtshofs, Urt. v. 8. 7. 1980, GRUR 1981, S. 809 ff., 83 – „Medizinsyndikat IV“); diese Betroffenheit beruht aber darauf, dass die Personen, über die berichtet wird, als Führungskräfte die betrieblichen Verhältnisse des Unternehmens maßgebend mitgestalten (BGH aaO. GRUR 1976, S. 210). Hier ist indessen schon das „Unternehmen“, der Antragsteller als Träger des Kaders der Spitzensportler, in der Berichterstattung gar nicht erwähnt worden. In den Fällen der vom Bundesgerichtshof entschiedenen Art geht es zudem um eine Berichterstattung über ein Verhalten gerade des Unternehmens selbst, weil dieses nur über seine leitenden Mitarbeiter aktiv „handeln“ kann (vgl. §§ 26, 31 BGB).

Schließlich gebietet es auch die in Art. 5 Abs. 1 Satz 2 GG grundrechtlich garantierte Berichterstattungsfreiheit, den Kreis der von einer Berichterstattung in eigenen Rechten betroffenen Personen nicht zu weit zu ziehen. Die zu großzügige Annahme von Betroffenheiten hätte zur Folge, dass die Medien über Missstände oder über den Verdacht, dass Missstände bestehen, auch in anonymisierter Weise nicht mehr berichten könnten, ohne befürchten zu müssen, in Anspruch genommen zu werden, obwohl sie Namen und sonstige Identifizierungsmerkmale der (mutmaßlich) für die Missstände verantwortlichen Personen nicht in ihre Berichterstattung aufgenommen haben. Denn da heute fast jede Personengruppe, die gemeinsame Interessen oder eine gemeinsame Aktivitätsart verbindet, in Vereinen oder Verbänden organisiert ist, die ihrerseits auf Bundesebene über jeweils einen Bundesverband verfügen, wäre bei der kritischen Berichterstattung über Personen, die lediglich durch ihre Zugehörigkeit zu einer Gruppe dieser Art gekennzeichnet werden, stets eine Betroffenheit des entsprechenden Dachverbandes gegeben. Wenn aber die Verfasser massenmedial verbreiteter Meldungen befürchten müssten, auch bei sorgfältig anonymisierten Berichterstattungen mit Ansprüchen konfrontiert zu werden, deren Abwehr nicht selten erheblichen Zeit- und Kostenaufwand erfordert, wäre damit ein nicht unerheblicher Einschüchterungseffekt für die massenmediale Berichterstattung verbunden, der mit der grundrechtlich verbürgten Berichterstattungsfreiheit nicht vereinbar wäre (BGH, Urt. v. 15. 4. 1980, GRUR 1980, 813 f., 814).

Aus der von dem Antragsteller in Bezug genommenen Entscheidung des Bundesgerichtshofs (Urt. v. 8. 7. 1980, BGHZ 78, S. 24 ff. = NJW 1980, S. 2807 ff., 2810 – „Medizinsyndikat I“), ergibt sich nicht anderes. Auch in dieser wird vielmehr ausgeführt, dass es mit der in Art. 5 Abs. 1 GG garantierten Berichterstattungsfreiheit gerade nicht vereinbar wäre, wenn Äußerungen schon deshalb verboten werden könnten, weil sie die bloße Möglichkeit bieten, dass ihre Rezipienten Zusammenhänge in Bezug auf mögliche Gegebenheiten herstellen, zu denen der beanstandete Text sich nicht verhält: Eine Person, die den Inhalt der Äußerung auf sich bezieht, könne sich daher grundsätzlich nicht dagegen wehren, dass der Leser aus den ihm offen mitgeteilten Fakten selbst Schlüsse auf einen diese Person betreffenden Sachverhalt ziehe, der zwar bei Zugrundelegung der Äußerung gegeben sein kann, den der Autor aber weder offen noch verdeckt in seinen veröffentlichten Einzelaussagen behaupte. Einer ausdrücklichen Behauptung des Autors gleichzustellen sei deswegen nur eine solche Äußerung, mit der der Verfasser aus dem Bezugszusammenhang mehrerer Einzelaussagen dem Leser Schlussfolgerungen in Richtung auf einen bestimmten Sachverhalt als eigene, nur nicht offen ausgesprochene Schlüsse unterbreite. An einer solchen eigenen Beziehung des Verfassers auf einen Sachverhalt, aus dem der Antragsteller seine Betroffenheit abzuleiten sucht, fehlt es jedoch bei der hier beanstandeten Meldung; denn die Schlussfolgerungen, die die Leser aus der Meldung des Antragsgegners zu Lasten des Antragstellers ziehen können – und die manche Leser nach dem Vortrag des Antragstellers auch tatsächlich gezogen haben –, setzen an Umständen an, die außerhalb des von dem Antragsgegner verfassten und von ihm zu verantwortenden Textes liegen.

III. Die Kostenentscheidung folgt aus § 91 ZPO.