VGH Baden-Württemberg, Urteil vom 29.06.1993 - 2 S 3062/92
Fundstelle
openJur 2013, 8693
  • Rkr:

1. Fallen vor Ablauf des Befreiungszeitraums die Befreiungsvoraussetzungen weg, so bestimmt die Rundfunkanstalt das (vorzeitige) Ende der Befreiung, ohne dabei an die Regeln über den Widerruf begünstigender Verwaltungsakte gebunden zu sein.

2. Macht ein Rundfunkteilnehmer geltend, wegen einer nicht nur vorübergehenden Behinderung von 80 vH an öffentlichen Veranstaltungen ständig nicht teilnehmen zu können (§ 1 Abs 1 Nr 3 BefV (RdFunkGebBefrV BW 1980)), so ist die begehrte Gebührenbefreiung solange nicht möglich, wie nicht in seinem Schwerbehindertenausweis der RF-Vermerk eingetragen ist.

Tatbestand

Die Beteiligten streiten um die Befreiung von der Rundfunkgebührenpflicht. Die 1928 geborene Klägerin war bis Ende November 1991 wegen Unterschreitung der Einkommensgrenze von der Rundfunkgebührenpflicht befreit. Die Überprüfung der Einkommensverhältnisse aus Anlaß des Folgeantrags der Klägerin vom 2.9.1991 ergab eine Überschreitung der maßgeblichen Einkommensgrenze. Daraufhin bestimmte der Beklagte mit Bescheid vom 27.9.1991, daß die Gebührenbefreiung zum 30.9.1991 endet. Gleichzeitig lehnte er den Antrag auf Befreiung von der Rundfunkgebührenpflicht ab. Ihren am 10.10.1991 eingegangenen Widerspruch begründete die Klägerin im wesentlichen damit, daß sie zu 80 v. H. schwerbeschädigt sei. Wegen ihrer Gehbehinderung benötige sie eine Haushaltshilfe und habe deshalb erhöhte Aufwendungen. Durch Bescheid vom 3.12.1991 wies der Beklagte den Widerspruch "gegen unseren Ablehnungs- und Rücknahmebescheid" zurück. Das Einkommen der Klägerin überschreite den Betrag um 323,57 DM. Die Kosten für eine Haushaltshilfe sowie die Kosten für Strom und Gas seien nicht vom Einkommen absetzbar.

Am 12.12.1991 hat die Klägerin zur Niederschrift des Urkundsbeamten der Geschäftsstelle beim Verwaltungsgericht Freiburg Klage mit dem Antrag erhoben, "die Bescheide des Beklagten vom 27.9.1991 und 3.12.1991 aufzuheben und festzustellen, daß die Klägerin von der Rundfunkgebührenpflicht befreit wird". Die monatlichen Kosten von 380,-- DM für eine Haushaltshilfe seien von ihrem Einkommen abzusetzen. Sie könne wegen ihrer Schwerbehinderung an öffentlichen Veranstaltungen ständig nicht teilnehmen und erfülle deshalb auch die Befreiungsvoraussetzungen des § 1 Abs. 1 Ziff. 3 der Befreiungsverordnung. Die Eintragung des entsprechenden Vermerks "RF" in ihrem Schwerbehindertenausweis habe sie beantragt.

Der Beklagte ist der Klage entgegengetreten. Solange ein entsprechender Vermerk im Schwerbehindertenausweis nicht eingetragen sei, komme eine Befreiung nach § 1 Abs. 1 Nr. 3 der Befreiungsverordnung nicht in Betracht.

Durch Gerichtsbescheid vom 5. November 1992 hat das Verwaltungsgericht die Klage abgewiesen. Die Klage sei als Anfechtungsklage zulässig, aber nicht begründet. Die Voraussetzungen für eine Befreiung von der Rundfunkgebührenpflicht lägen nicht vor. Die nach § 1 Abs. 1 Nr. 7 der Befreiungsverordnung maßgebliche Einkommensgrenze werde überschritten. Der Beklagte habe es in Anwendung von § 76 Abs. 2 BSHG zu Recht abgelehnt, die Kosten der Haushaltshilfe vom Einkommen abzusetzen. Auch der Befreiungstatbestand des § 1 Abs. 1 Nr. 3 der Befreiungsverordnung sei nicht erfüllt. Die Behauptung der Klägerin, sie könne wegen ihres Leidens an öffentlichen Veranstaltungen ständig nicht teilnehmen, müsse unberücksichtigt bleiben, solange in ihrem Schwerbehindertenausweis nicht der entsprechende Vermerk "RF" eingetragen sei.

Gegen den ihr am 24. November 1992 zugestellten Gerichtsbescheid hat die Klägerin am 9. Dezember 1992 Berufung eingelegt, mit der sie ihr Begehren unter Wiederholung ihres Vorbringens weiterverfolgt.

Der Beklagte ist der Berufung entgegengetreten. Er hält die angegriffene Entscheidung für zutreffend.

Dem Senat liegen die Verwaltungsakten des Beklagten sowie die Gerichtsakten des Verwaltungsgerichts Freiburg - 3 K 2407/91 - vor; auf den Inhalt dieser Unterlagen wird Bezug genommen.

Gründe

Der Senat entscheidet mit Einverständnis der Beteiligten ohne mündliche Verhandlung (§ 101 Abs. 2 VwGO).

Die zulässige Berufung ist unbegründet. Das Verwaltungsgericht hat die Klage zu Recht abgewiesen. Die angefochtenen Bescheide des Beklagten sind rechtmäßig und verletzen die Klägerin nicht in ihren Rechten.

Nach Auffassung des Senats handelt es sich um eine kombinierte Anfechtungs- und Verpflichtungsklage. Mit dem Bescheid vom 27.9.1991 hat der Beklagte nicht nur ausgesprochen, daß die Gebührenbefreiung vorzeitig zum 30.9.1991 endet (VG-Akten S. 7), sondern zugleich den Befreiungsantrag der Klägerin vom 2.9.1991 abgelehnt. Das ergibt sich aus dem in den Verwaltungsakten des Beklagten befindlichen Bearbeitungsvordruck unter "Buchstabe C. Bescheid", der zusammen mit einem Anschreiben der Klägerin bekanntgegeben wurde (VG-Akten S. 9 u. 11). Demgemäß weist der Beklagte mit seinem Widerspruchsbescheid auch den Widerspruch der Klägerin "gegen unseren Ablehnungs- und Rücknahmebescheid vom 27.9.1991" zurück.

Soweit der Beklagte das vorzeitige Ende der Befreiung auf den 30.9.1991 festgesetzt hat, findet der Bescheid seine Rechtsgrundlage in § 5 Abs. 4 Satz 3 Halbs. 1 der hier noch anwendbaren Verordnung der Landesregierung Baden-Württemberg über die Voraussetzungen für die Befreiung von der Rundfunkgebührenpflicht vom 12.2.1980 (GBl. 1980, 125 und 556). Danach endet die Befreiung, wenn Tatsachen eintreten, wonach eine Voraussetzung für die Befreiung von der Rundfunkgebührenpflicht entfällt. Tritt hiernach das Ende der Befreiung schon unmittelbar kraft normativer Regelung ein, so bedarf es nicht erst der Beseitigung der erteilten Befreiung nach den Grundsätzen über den Widerruf begünstigender Verwaltungsakte (vgl. Kopp, VwVfG, 5. Aufl., § 48 RdNr. 17, § 49 RdNr. 35). Die Rundfunkanstalt ist jedoch berechtigt, den Zeitpunkt zu bestimmen, ab dem nach ihrer Auffassung die Voraussetzungen für das Fortbestehen der Befreiung nicht mehr vorliegen. Das ist hier mit dem angefochtenen Bescheid geschehen.

Mit dem Verwaltungsgericht ist auch davon auszugehen, daß jedenfalls ab 1. Oktober 1991 die Voraussetzungen für die Befreiung von der Rundfunkgebührenpflicht bei der Klägerin nicht (mehr) vorlagen, woraus sich zugleich ergibt, daß auch die Ablehnung der weiteren Befreiung durch den Beklagten zu Recht erfolgt ist. Das Verwaltungsgericht hat ausgeführt, daß die Befreiungsvoraussetzungen des § 1 Abs. 1 Nr. 7 der Befreiungsverordnung nicht vorliegen, weil das Einkommen der Klägerin die hiernach maßgebende Einkommensgrenze übersteige; insbesondere könnten die geltend gemachten Kosten für die Beschäftigung einer Haushaltshilfe nicht abgesetzt werden. Den zutreffenden Ausführungen des Verwaltungsgerichts hat der Senat nichts hinzuzufügen; er macht sie sich deshalb zur Vermeidung von Wiederholungen zu eigen (§ 130 b VwGO). Zu Recht hat das Verwaltungsgericht auch erkannt, daß eine Befreiung nach § 1 Abs. 1 Nr. 3 der Befreiungsverordnung solange nicht in Betracht kommt, wie im Schwerbehindertenausweis der Klägerin nicht der RF-Vermerk eingetragen ist. Ob die Klägerin "wegen ihres Leidens an öffentlichen Veranstaltungen ständig nicht teilnehmen" kann, kann weder vom Beklagten noch von den Verwaltungsgerichten inzidenter entschieden werden. Vielmehr ist diese Prüfung den Versorgungsämtern vorbehalten, die durch Eintragung des RF-Vermerks im Schwerbehindertenausweis über das Vorliegen der Voraussetzung mit Bindungswirkung für jedermann entscheiden (§ 4 Abs. 4 und 5 Schwerbehindertengesetz v. 26.8.1986, BGBl. I, S. 1421, i.V.m. § 3 Abs. 1 Nr. 4 der 4. DVO zum Schwerbehindertengesetz i.d.F. v. 25.7.1991, BGBl. I, S. 1739; zur Bindungswirkung vgl. BVerwGE 66, 315; 72, 8 zu § 3 Abs. 5 Schwerbehindertengesetz a.F.).