VG Berlin, Urteil vom 24.10.2007 - 7 A 44.07
Fundstelle
openJur 2014, 17657
  • Rkr:
Tenor

Der Beklagte wird unter Abänderung des Bescheides des Landesverwaltungsamtes Berlin vom 21. November 2006 in der Fassung des Widerspruchsbescheides derselben Behörde vom 17. Januar 2007 verpflichtet, der Klägerin eine weitere Beihilfe in Höhe von 52,69 € zu gewähren.

Der Beklagte trägt die Kosten des Verfahrens.

Das Urteil ist wegen der Kosten vorläufig vollstreckbar.

Der Beklagte darf die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des aufgrund des Urteils vollstreckbaren Betrages abwenden, wenn nicht die Klägerin vor der Vollstreckung Sicherheit in Höhe von 110 % des jeweiligen Vollstreckungsbetrages leistet.

Tatbestand

Die Beteiligten streiten über die Beihilfefähigkeit eines Medizinproduktes.

Die Klägerin ist als Beamtin beihilfeberechtigt. Ihr Ehemann befand sich wegen eines lumbalen Bandscheibenvorfalls am 28. September 2006 in fachärztlicher Behandlung bei Herrn Dr. R., der den Ehemann der Klägerin u.a. zwei „Go-on“Fertigspritzen in die Lendenwirbelsäule injizierte. Mit Rechnung vom 18. Oktober 2006 machte der Arzt Dr. R. für die beiden Fertigspritzen Aufwendungen in Höhe von 2 x 41,80 €, mithin insgesamt 83,60 € geltend.

Auf den Antrag der Klägerin vom 06. November 2006 erkannte der Beklagte mit Bescheid des Landesverwaltungsamtes Berlin vom 21. November 2006 aus der Rechnung des Herrn Dr. R. vom 18. Oktober 2006 über insgesamt 270,57 € nur einen Betrag in Höhe von insgesamt 195,33 € als beihilfefähig an und gewährte daher zu einem Bemessungssatz von 70 v.H. eine Beihilfe in Höhe von 136,73 €. Zur Begründung gab er an, dass in der Rechnung Aufwendungen für nicht verschreibungspflichtige Arzneimittel enthalten seien, die seit dem 01. August 2004 nicht mehr beihilfefähig seien. Die Klägerin legte am 10. Dezember 2006 Widerspruch gegen den Bescheid ein und fügte eine Stellungnahme des Arztes Dr. R. vom 06. Dezember 2006 bei. Danach handele es sich bei dem Präparat „Go-on“ um Hyaluronsäure. Die Injektion mit Hyaluronsäure entspreche dem allgemeinen Stand der medizinischen Erkenntnisse. Das Präparat „Go-on“ sei wirkstoffsidentisch mit dem verschreibungspflichtigen Arzneimittel „Hyalart“, sei jedoch erheblich günstiger und verursache nicht allergische Reizungen.

Mit Widerspruchsbescheid vom 17. Januar 2007 wies das Landesverwaltungsamt Berlin den Widerspruch der Klägerin gegen den Bescheid vom 21. November 2006 zurück. Zur Begründung wird ausgeführt, dass es sich bei dem angewendeten Präparat „Go-on“ nicht um ein Arzneimittel handele. Hyaluronsäure sei vielmehr Bestandteil der körpereigenen Gelenkflüssigkeit. Durch Einspritzen von Hyaluronsäure könne Schmierung und Stoßdämpfung wiederhergestellt werden. Der Beklagte wies in dem Widerspruchsbescheid ferner darauf hin, dass es sich bei dem Präparat „Hyalart“ um ein rezeptpflichtiges Arzneimittel handele, für welches Beihilfe gewährt werden könne.

Die Klägerin hat am 15. Februar 2007 Klage erhoben. Zur Begründung macht sie im Wesentlichen geltend, dass das Präparat in der „Go-on“ Fertigspritze wirkstoffgleich mit der „Hyalart“ -Fertigspritze sei, weil es sich in beiden Fällen um Hyaluronsäure handele. Es sei daher nicht nachvollziehbar, dass bei einem wirkstoffgleichen Produkt keine Beihilfe gewährt werde.

Die Klägerin beantragt sinngemäß,

den Beklagten unter Abänderung des Bescheides des Landesverwaltungsamtes Berlin vom 21. November 2006 in der Fassung des Widerspruchsbescheides derselben Behörde vom 17. Januar 2007 zu verpflichten, der Klägerin eine weitere Beihilfe in Höhe von 52,69 € zu gewähren.

Der Beklagte beantragt,

die Klage abzuweisen.

Zur Begründung nimmt er auf die Begründung in dem angefochtenen Widerspruchsbescheid Bezug.

Gründe

Mit Einverständnis der Beteiligten konnte der Berichterstatter über die Klage entscheiden (§ 87 a Abs. 2 und 3 VwGO). Das Gericht konnte trotz Ausbleibens der Klägerin verhandeln und entscheiden, weil die Klägerin mit der Ladung auf diese Möglichkeit hingewiesen worden ist (§ 102 Abs. 2 VwGO).

Die zulässige Verpflichtungsklage ist begründet. Der Bescheid des Landesverwaltungsamtes Berlin vom 21. November 2006 in der Fassung des Widerspruchsbescheides derselben Behörde vom 17. November 2007 ist rechtswidrig und verletzt die Klägerin dadurch in ihren Rechten. Die Klägerin hat Anspruch auf die Gewährung einer weiteren Beihilfe in Höhe von 52,69 € (§ 113 Abs. 5 Satz 1 VwGO).

Anspruchsgrundlage für die Gewährung der Beihilfe ist § 44 LBG Bln. i.V.m. § 6 Abs. 1 Nr. 2 der Allgemeinen Verwaltungsvorschrift für Beihilfen in Krankheits-, Pflege- und Geburtsfällen (Beihilfevorschriften - BhV -). Danach sind aus Anlass einer Krankheit beihilfefähig die Aufwendungen für die vom Arzt bei Leistungen nach Nr. 1 verbrauchten Arznei-, Verbandmittel und dergleichen. Nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts (Urteil vom 30. Mai 1996 - 2 C 5/95, ZBR 1996, S. 314), der die Kammer folgt, kommen als Arzneimittel im Sinne der Beihilfevorschriften jedenfalls grundsätzlich nur Mittel in Betracht, die dazu bestimmt sind, ihre Wirkung im Rahmen der Krankenbehandlung durch Anwendung am oder im menschlichen Körper zu erzielen. Dies deckt sich im Wesentlichen mit dem engeren (eigentlichen) Arzneimittelbegriff in § 2 Abs. 1 des Arzneimittelgesetzes - AMG -. Diese Begriffsbestimmung ist zwar angesichts des ganz andersartigen Zweckes des Arzneimittelgesetzes, für die Sicherheit im Verkehr mit Arzneimitteln zu sorgen (§ 1 AMG), nicht ohne weiteres auf das Beihilferecht zu übertragen, dass die Beteiligung des Dienstherrn an Kosten der Krankenbehandlung der Beamten und ihrer Angehörigen regelt. Sie kann aber als Ausgangspunkt für die Bestimmung der dort verwendeten gleichlautenden Begriffe dienen. Der Begriff des Arzneimittels kann beihilferechtlich insoweit weiter zu fassen sein als der des Arzneimittelgesetzes (vgl. insoweit auch OVG Rheinland-Pfalz, Urteil vom 09. Mai 2005 - 2 A 10106/05, ZBR 2006, S. 203; VG Aachen, Urteil vom 03. Mai 2007 - 1 K 562/06 -, zit. nach juris).

14Nach diesen Maßstäben handelt es sich bei der „Go-on“ Fertigspritze von der Firma Opfermann zwar nicht um ein Arzneimittel im Sinne des Arzneimittelgesetzes. Hiervon geht auch der Hersteller selbst aus (vgl. www.opfermann.de/otc-produkte-knorpelbehandlung-pages-2 therapie.html vom 23. Oktober 2007). „Go-on“ ist vielmehr ein biomechanisches Medizinprodukt und unterliegt insoweit nicht dem Arzneimittelgesetz, sondern dem Medizinproduktgesetz. Der Unterschied liegt im Wesentlichen darin begründet, dass die Herstellung von Arzneimitteln mit wesentlich höheren Qualitäts- und Sicherheitsauflagen für den Hersteller verbunden ist (vgl. hierzu Verbraucherzentrale Hamburg [www.vzhh.de-arthrose.aspx]).

Es kann hier offenbleiben, ob das Präparat Go-on als Medizinprodukt gleichwohl unter den beihilferechtlichen Arzneimittelbegriff fällt. Wenn man dies unterstellt (so zu dem ebenfalls als Medizinprodukt einzustufenden Präparat Susplasyn, der ebenfalls wirkstoffgleiche Hyaluronsäure enthält, VG Aachen a.a.O.), wären die Aufwendungen ohne weiteres nach § 6 Abs. 1 Nr. 2 Satz 1 BhV beihilfefähig. Die Ausschlussregelung des § 6 Abs. 1 Nr. 2 Satz 2 BhV, nach der nicht verschreibungspflichtige Arzneimittel nur unter besonderen Voraussetzungen beihilfefähig sind, greift für Medizinprodukte von vornherein nicht ein. Deshalb kann offenbleiben, ob die Änderung der Beihilfevorschriften insoweit wegen der Anforderungen des verfassungsrechtlichen Gesetzesvorbehalts (BVerfG, Urteil vom 17. Juni 2004 - 2 C 50/02 - BVerwGE 121, S. 103) genügen. Die Frage, ob ein Arzneimittel verschreibungspflichtig oder verschreibungsfrei ist, stellt sich bei Medizinprodukten von vornherein nicht.

16Selbst wenn man jedoch von dem engeren Arzneimittelbegriff ausginge, ergibt sich die Beihilfefähigkeit der Aufwendungen für die „Go-on“ Fertigspritze daraus, dass nach § 6 Abs. 1 Nr. 2 BhV neben Arznei- und Verbandmittel auch die vom Arzt verbrauchten „dergleichen“ Mittel beihilfefähig sind. „Dergleiche“ Mittel der Krankenbehandlung sind dann beihilfefähig, wenn sie vom Arzt, Zahnarzt oder Heilpraktiker bei Leistungen nach Nr. 1 verbraucht oder nach ihrer Art und Umfang schriftlich verordnet worden sind und nach ihrer Zweckbestimmung wie Arznei- und Verbandsmittel im Rahmen der Krankenbehandlung ihre Wirkung am oder im menschlichen Körper erzielen. Dies ist bei einer „Go-on“ Fertigspritze mit Hyaluronsäure, die vom Arzt bei der Krankenbehandlung verbraucht wird, der Fall.

Dass das Präparat nicht den strengen Anforderungen des Arzneimittelgesetzes unterliegt, ist beihilferechtlich nicht relevant. Für diese Auslegung streiten auch Sinn und Zweck des Beihilferechts. Das Beihilferecht verfolgt insoweit nämlich einen anderen Zweck als das Arzneimittelrecht. Der Dienstherr beteiligt sich an den Kosten der Krankenbehandlung im Rahmen seiner Fürsorgepflicht, so dass eine kostengünstigere Behandlung im Grundsatz vorzuziehen ist, wenn nicht besondere Umstände den Einsatz einer teureren Behandlung notwendig erscheinen lassen (vgl. § 5 Abs. 1 BhV). Dabei liegt es grundsätzlich in der Therapiefreiheit des Arztes, zwischen wirkstoffgleichen Arzneimitteln und Medizinprodukten auszuwählen. Der Schutz vor einer kostenmäßigen Beteiligung des Dienstherrn an einer zweifelhaften Behandlung wird dadurch gewährleistet, dass die Beihilfefähigkeit von wirkstoffgleichen Medizinprodukten durch das Bundesministerium des Innern nach § 6 Abs. 2 BhV beschränkt werden kann, wenn es sich bei dem Einsatz des Medizinprodukts um eine nicht wissenschaftlich allgemein anerkannte Behandlungsmethode für die jeweilige Erkrankung handelt. Für eine solche Beschränkung ist hier nichts ersichtlich.

Da der Beklagte aus der Rechnung vom 18. Oktober 2006 jeweils 270,57 € einen Betrag von 195,33 € als beihilfefähig anerkannt hat, ist nur der Differenzbetrag in Höhe von 75,24 € maßgeblich. Bei einem Beihilfebemessungssatz von 70 v.H. ergibt sich mithin eine Beihilfe über 52,69 €.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 1 VwGO, die übrigen Nebenentscheidungen beruhen auf § 167 Abs. 1 und 2 VwGO i.V.m. §§ 708 Nr. 11 und 711 ZPO.

Ein Grund, die Berufung zuzulassen, lag nicht vor (§ 124 a Abs. 1 VwGO).