KG, Beschluss vom 19.09.2007 - 2 AR 38/07
Fundstelle
openJur 2014, 17756
  • Rkr:

Im Rahmen der Prüfung, ob einem Verweisungsbeschluss wegen Vorliegens von Willkürlichkeit ausnahmsweise die Bindungswirkung des § 281 Abs. 2 Satz 3 ZPO zu versagen ist:

a) hat keine amtswegige Sachverhaltsermittlung durch das Gericht stattzufinden; es verbleibt auch insofern beim zivilprozessualen Beibringungsgrundsatz;

b) ist auf den Zeitpunkt des Erlasses des Verweisungsbeschlusses abzustellen;

c) führen lediglich versehentliche Falscherfassungen des sich aus der Verfahrensakte ergebenden Sachverhaltes durch das verweisende Gericht noch nicht zur Annahme von Willkürlichkeit.

Tenor

Das Amtsgericht Peine wird als das örtlich zuständige Gericht bestimmt.

Gründe

I.

Die Klägerin verlangt mit der Klage Rückzahlung von Entgelt, das sie auf einen mit der Beklagten im Jahre 2004 geschlossenen Vertrag gezahlt hatte. Zum Zeitpunkt des Vertragsschlusses hatte die Beklagte ihren Sitz in der Kochstraße 22 in Berlin-Kreuzberg. Die von ihr verwandten Allgemeinen Geschäftsbedingungen sahen vor, dass „als Gerichtsstand ... Berlin vereinbart [werde]“.

Die Klägerin machte den Anspruch zunächst im Mahnverfahren vor dem Amtsgericht Hünfeld geltend. Die Anschrift der Beklagten gab sie mit „S. Str. 30, ... Berlin“ an. Nach Zustellung des Mahnbescheides unter dieser Anschrift und nach Eingang des Widerspruchs der Beklagten gab das Amtsgericht Hünfeld die Sache antragsgemäß an das Amtsgericht Charlottenburg ab. Dieses konnte der Beklagten die Anspruchsbegründung aber nicht mehr unter ihrer Berliner Anschrift zustellen; die Zustellung erfolgte unter der Wohnanschrift des Geschäftsführers der Beklagten in ... I. . In Reaktion hierauf wies das Amtsgericht Charlottenburg die Parteien auf Bedenken wegen seiner örtlichen Zuständigkeit hin, wobei es sowohl zum allgemeinen Gerichtsstand der Beklagten als auch zum besonderen Gerichtsstand nach § 29 ZPO ausführte. Auf Antrag der Klägerin verwies es sodann den Rechtsstreit an das Amtsgericht Peine, nahm zur Begründung auf den vorherigen richterlichen Hinweis Bezug und führte ergänzend zu dem sich etwaig aus den Allgemeinen Geschäftsbedingungen ergebenden Gerichtsstand aus. Das Amtsgericht Peine wies die Parteien nunmehr auf Bedenken hinsichtlich seiner örtlichen Zuständigkeit hin und machte darauf aufmerksam, dass der Wohnsitz des Geschäftsführers nicht zwangsläufig mit dem Sitz der Beklagen identisch sei. Daraufhin melde sich erstmals die Beklagte im streitigen Verfahren und gab durch ihren Briefkopf zu erkennen, dass sie sich „in Liquidation“ befinde. Die Klägerin trug vor, dass sich der letzte Geschäftssitz der Klägerin in der S. Straße in Berlin befunden habe. Antragsgemäß erklärte sich sodann das Amtsgericht Peine für unzuständige und verwies den Rechtsstreit unter Hinweis auf § 69 Abs. 2 GmbHG zurück an das Amtsgericht Charlottenburg.

II.

1. Das Kammergericht ist gemäß § 36 Abs. 1 Nr. 6, Abs. 2 ZPO zur Bestimmung des zuständigen Gerichtes berufen, nachdem sich zunächst das Amtsgericht Tempelhof-Kreuzberg und sodann das Amtsgericht Peine mit nicht mehr anfechtbaren Entscheidungen für unzuständig erklärt haben.

2. Das Amtsgericht Peine ist nach § 281 Abs. 2 Satz 3 ZPO wegen des Verweisungsbeschlusses des Amtsgerichts Charlottenburg örtlich zuständig.

a) Nach § 281 Abs. 2 Satz 3 ZPO bewirkt ein Verweisungsbeschluss im Grundsatz bindend die Unzuständigkeit des verweisenden Gerichtes und die Zuständigkeit des Gerichtes, an das verwiesen wird. Diese Bindungswirkung ist, trotz des einschränkenden Wortlautes der Vorschrift, von demjenigen Gericht zu beachten, das die Zuständigkeitsbestimmung nach § 36 Abs. 1 Nr. 6 ZPO vornimmt (vgl. nur Vollkommer in Zöller, ZPO, 26. Aufl. 2007, § 36 Rdnr. 28, m.Rspr.N.).

Anerkannt ist allerdings, dass die Bindungswirkung ausnahmsweise dann entfällt, wenn die Verweisung auf Willkür beruht (vgl. nur BGH , NJW 2003, 3201 [3201]; Greger in Zöller, ZPO, 26. Aufl. 2007, § 281 Rdnr. 17 m.w.N.). Dabei ist Willkür nicht allein deshalb anzunehmen, weil die Frage der Zuständigkeit - aus Sicht des nach § 36 Abs. 1 ZPO zur Entscheidung berufenen, höheren Gerichtes oder aus Sicht der herrschenden Meinung in der Rechtsprechung - unzutreffend beantwortet wurde. Erst bei groben Rechtsfehlern des verweisenden Gericht, die zur Folge haben, dass die Verweisung jeder Rechtsgrundlage entbehrt, ist die Grenze zwischen der fehlerhaften, gleichwohl aber bindenden, und der willkürlichen Entscheidung überschritten (BGH NJW 2002, 3634 [3635]; BGH , NJW-RR 1992, 383 [383]; Greger in Zöller, a.a.O.).

7Der Beurteilung, ob ein solcher Fehler vorliegt, ist der Sachverhalt zu Grund zu legen, den die Parteien dem Gericht vortragen (BGH NJW-RR 1995, 702 [702]); die befassten Gerichte sind nicht gehalten, von Amts wegen Ermittlungen zur Feststellung der Zuständigkeit vorzunehmen. Denn der Zivilprozess ist vom Beibringungsgrundsatz geprägt und es ist anerkannt, dass dieser Grundsatz nicht nur für die Feststellung der in der Sache maßgeblichen Tatsachen gilt, sondern auch für diejenigen Tatsachen, die bei der Prüfung der Sachurteilsvoraussetzungen von Belang sind ( Greger in Zöller, ZPO, 26. Aufl. 2007, vor § 128 Rdnr. 12; Brehm in Stein/Jonas, ZPO, 22. Aufl. 2003, vor § 1 Rdnr. 257).

8Zudem ist bei der o.g. Beurteilung nur derjenige Vortrag zu berücksichtigen, der zum Zeitpunkt des Erlasses des Verweisungsbeschlusses vorgetragen war (BGH NJW-RR 1995, 702 [702]; OLG Naumburg, OLGR 2007, 563 [563], Leitsatz 3; Greger in Zöller, a.a.O.). Denn zum einen kann dem verweisenden Gericht schlechterdings nicht der Vorwurf einer willkürlichen Entscheidung auf Grund von Sachvortrag gemacht werden, den das Gericht zum Zeitpunkt seiner Entscheidung nicht kennen konnte. Zum anderen widerspräche es dem Zweck des § 281 Abs. 2 Satz 3 ZPO, wonach Zuständigkeitsstreitigkeiten in einer dem Gebot des gesetzlichen Richters genügenden Weise möglichst zügig erledigt werden sollen, wenn durch neuen Sachvortrag der Zuständigkeitsstreit wieder eröffnet werden könnte. Vielmehr sind die Parteien gehalten, vor Erlass des Verweisungsbeschlusses im Rahmen der Gewährung des rechtlichen Gehörs dem Gericht alle Tatsachen vorzutragen, die für die Bestimmung der Zuständigkeit von Bedeutung sind. Allenfalls dann, wenn eine Partei den Erlass des Verweisungsbeschlusses dadurch erschlichen hat, dass sie ihren Vortrag zum Erlasszeitpunkt bewusst unvollständig ließ, ist späterer Sachvortrag zum Schutz des Prozessgegners berücksichtigbar (vgl. KG , KGR 1996, 95 [96]). Dies gebietet der Grundsatz von Treu und Glauben, dem die Parteien auch bei ihrem prozessualen Handeln unterliegen ( KG , a.a.O.).

9Schließlich ist Willkürlichkeit nicht schon dann anzunehmen, wenn das verweisende Gericht den sich aus der gerichtlichen Verfahrensakte ergebenden Sachverhalt versehentlich falsch erfasst hat und deshalb zu einer unzutreffenden Verweisungsentscheidung gelangt ist (OLG Karlsruhe, OLGR 2005, 851 [852]).

b) Nach diesen Grundsätzen ist vorliegend keine Willkür anzunehmen.

Denn eine etwaige Zuständigkeit des Amtsgerichts Charlottenburg könnte sich allenfalls aus § 69 Abs. 2 GmbHG ergeben, nämlich dann, wenn die Beklagte ihren Sitz zum Zeitpunkt der Fassung des Auflösungsbeschlusses der Beklagten im Bezirk dieses Gerichtes, namentlich in der S. Straße hatte. Eine etwaige Zuständigkeit des Amtsgerichts Charlottenburg auf Grund der Allgemeinen Geschäftsbedingungen der Beklagten oder auf Grund von § 29 ZPO i.V.m. § 269 BGB hat das Amtsgericht Charlottenburg mit jedenfalls vertretbarer und damit bindender Argumentation verneint. Die Tatsachen, dass die Beklagte aufgelöst wurde und dass sich ihr Sitz zum Zeitpunkt der Auflösung noch in der S. Straße befand, wurde von den Parteien jedoch erst nach Erlass des Verweisungsbeschlusses vorgetragen. Dieser Vortrag und damit das Eingreifen von § 69 Abs. 2 GmbHG ist daher bei der Prüfung der Willkürlichkeit nicht zu berücksichtigen. Nachdem nicht ersichtlich ist, dass eine der Parteien durch zunächst bewusst unvollständigen Vortrag den Verweisungsbeschluss erschlichen hat, gilt vorliegend nicht ausnahmsweise Abweichendes.

Ein Ansatzpunkt dafür, dass die Zuständigkeit des Amtsgerichts Peine nicht gegeben und der Verweisungsbeschluss damit insofern unrichtig sein könnte, war für das Amtsgericht Charlottenburg allenfalls dem Umstand zu entnehmen, dass die Zustellung der Anspruchsbegründung unter dem Wohn sitz des Geschäftsführers der Beklagten erfolgte. Denn der Wohnsitz des Geschäftsführers ist - worauf das Amtsgericht Peine zu Recht hinweist - nicht notwendigerweise identisch mit dem für die Zuständigkeitsbestimmung maßgeblichen Geschäftssitz der Beklagten. Jedoch stellt die dem Amtsgericht Charlottenburg möglicherweise unterlaufene Verwechslung von Wohn- und Geschäftssitz ein Versehen dar, das im alltäglichen Geschäftsbetrieb leicht unterlaufen kann. Zudem ist in Folge der Verwechslung nur derjenige Teil des Verweisungsbeschlusses in Frage gestellt, mit dem die Zuständigkeit des Amtsgerichts Peine bejaht wird, nicht aber derjenige Teil, mit dem das Amtsgericht Charlottenburg seine eigene Zuständigkeit verneint. Auch liegt es immerhin nahe - und entspricht nach heutigem Kenntnisstand vorliegend auch den Tatsachen -, dass eine kleinere GmbH wie die Beklagte ihren Geschäftssitz in räumlicher Nähe zum Wohnsitz des Geschäftsführers hat.

Angemerkt werden soll noch, dass die örtliche Zuständigkeit des Amtsgerichts Peine - nach heutigem Kenntnisstand - durchaus zu bejahen ist, was das Amtsgericht Peine in seinem Verweisungsbeschluss verkennt. Denn § 69 Abs. 2 GmbH enthält keine abschließende Zuständigkeitsregelung, sondern lässt eine Klage beim aktuellen Geschäftssitz der in Liquidation befindlichen GmbH gemäß § 17 ZPO weiterhin zu. Denn § 69 Abs. 2 GmbH dient dem Schutz der Gläubiger einer solchen GmbH, nicht aber der Einschränkung der nach allgemeinen Regel bestehenden prozessualen Möglichkeiten dieser Gläubiger ( Schulze-Osterloh/Noack in Baumbach/Hueck, GmbHG, 18. Aufl. 2006, § 69 Rdnr. 25; K. Schmidt in Scholz, GmbHG, 9. Aufl. 2002, § 69 Rdnr. 41).