ArbG Karlsruhe, Urteil vom 16.12.2011 - 3 Ca 281/11
Fundstelle
openJur 2012, 67911
  • Rkr:

§ 17 Absatz ein S. 1 BEEG greift in das europarechtlich garantierte Recht auf Elternurlaub ein. Die Vorschrift ist durch teleologische Reduk-tion richtlinienkonform fortzubilden und insoweit nicht anzuwenden als dadurch dem in Elternzeit befindlichen Arbeitnehmer Rechtsnachteile daraus entstehen, dass er eine Elternzeit von bis zu drei Monaten in An-spruch nimmt.

Die ersten drei Monate der Elternzeit haben daher bei der Kürzung nach § 17 Abs. 1 S. 1 BEEG außer Betracht zu bleiben.

Tenor

1. Der Beklagte wird gesamtschuldnerisch mit Herrn Rechtsanwalt M. J. verurteilt, an die Klägerin 1.380,00 EUR brutto nebst Zinsen i.H.v. 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz der EZB seit dem 28.06.2011 zu bezahlen.

2. Im übrigen wird die Klage abgewiesen.

3. Von den Kosten des Rechtsstreits tragen die Klägerin 43 % und der Beklagte 57 %.

4. Der Streitwert wird auf 2.430,00 EUR festgesetzt.

Tatbestand

Die Parteien streiten um einen Urlaubsabgeltungsanspruch der Klägerin.

Die Klägerin war vom 15.10.2009 bis zum 16.05.2011 bei dem Beklagten und dessen Sozius Rechtsanwalts M. J. als Rechtsanwaltsfachangestellte zu einem Bruttomonatsentgelt in Höhe von 1.950,00 EUR beschäftigt. Auf den zwischen den Parteien geschlossenen Arbeitsvertrag (AS 36) wird Bezug genommen. Nach dessen § 4 wurden 26 Arbeitstage als Urlaub vereinbart.

Am 15.02.2010 und 16.02.2010 hatte die Klägerin Urlaub. Nach der Geburt eines Kindes am 17.05.2010 war die Klägerin in Elternzeit. Das Arbeitsverhältnis endete durch Aufhebungsvereinbarung (AS 20) zum 16.05.2011. Dem ging folgendes voraus:

Anfang Mai 2011 äußerte die Klägerin den Wunsch, das Arbeitsverhältnis zu beenden. Der Beklagte übersandte ihr daraufhin eine Aufhebungsvereinbarung (AS 22), in der es unter anderem heißt:

§ 2 Freistellung, Abwicklung

Die Arbeitnehmerin bleibt von der Erbringung ihr obliegender Verpflichtungen zur Erbringung der Arbeitsleistung freigestellt. Die Freistellung erfolgt unter Anrechnung auf möglicherweise bestehende Urlaubsansprüche.

Das Arbeitsverhältnis wird bis zu seiner Beendigung von beiden Seiten ordnungsgemäß abgewickelt.

§ 5 Arbeitszeugnis

Der Arbeitgeber erteilt der Arbeitnehmerin ein sehr wohlwollendes Arbeitszeugnis, welches sich auf die Tätigkeiten, Leistungen und die Führung der Arbeitnehmerin während des Arbeitsverhältnisses erstreckt.

§ 6 Abgeltung

Die Parteien sind sich darüber einig, dass mit vorstehender Vereinbarung alle wechselseitigen Ansprüche aus dem Arbeitsverhältnis, aus seiner Beendigung und für die Zeit nach der Beendigung - gleich ob bekannt oder unbekannt - erledigt und abgegolten sind, soweit nicht vorstehend etwas anderes bestimmt worden ist.

Die Arbeitnehmerin verzichtet auf einen etwaigen Wiedereinstellungsanspruch.

Mit Schreiben vom 13.05.2011 übersandte die Klägerin eine wie folgt geänderte Fassung der Aufhebungsvereinbarung (AS 24):

2. Abwicklung

Die Arbeitgeber zahlen an die Arbeitnehmerin für den Verlust ihres Arbeitsplatzes eine Sozialabfindung gem. § 9, 10 KSchG in Höhe von EUR 800,00 (Euro achthundert) brutto. Das Arbeitsverhältnis wird bis zu seiner Beendigung von beiden Seiten ordnungsgemäß abgewickelt.

5. Arbeitszeugnis

Die Arbeitgeber erteilten der Arbeitnehmerin ein sehr wohlwollendes Arbeitszeugnis, welches sich auf die Tätigkeiten, Leistungen und die Führung der Arbeitnehmerin während des Arbeitsverhältnisses erstreckt. Das Zeugnis wird im letzten Absatz die Formulierung tragen:

"Das Arbeitsverhältnis von Frau H. endete mit dem Auslaufen der Elternzeit. Wir bedauern ihr Ausscheiden, da uns mit Frau H. eine erfahrene Mitarbeiterin verlässt, danken ihr für die geleisteten Dienste und wünschen Frau H. für ihren weiteren beruflichen und privaten Lebensweg viel Erfolg und alles Gute."

6. Abgeltung

Die Parteien sind sich darüber einig, dass mit vorstehender Vereinbarung alle wechselseitigen Ansprüche aus dem Arbeitsverhältnis, aus seiner Beendigung und für die Zeit nach der Beendigung - gleich ob bekannt oder unbekannt - erledigt und abgegolten sind, soweit nicht vorstehend etwas anderes bestimmt worden ist.

Die Arbeitnehmerin verzichtet auf einen etwaigen Wiedereinstellungsanspruch.

In dem Anschreiben vom 13.05.2011 (AS 24) heißt es:

Unter 2. mache ich noch restlichen Urlaubsanspruch geltend. Meines Wissens sind hier noch 9 Tage offen. Für die Abgeltung habe ich hierfür einen pauschalen Betrag angesetzt.

Die letztlich getroffene Regelung in der Aufhebungsvereinbarung vom 16.05.2011 lautet:

§ 2 Abwicklung

Das Arbeitsverhältnis wird bis zu seiner Beendigung von beiden Seiten ordnungsgemäß abgewickelt.

§ 5 Arbeitszeugnis

Der Arbeitgeber erteilt der Arbeitnehmerin ein sehr wohlwollendes Arbeitszeugnis, welches sich auf die Tätigkeiten, Leistungen und die Führung der Arbeitnehmerin während des Arbeitsverhältnisses erstreckt. Das Zeugnis wird im letzten Absatz die Formulierung tragen:

"Das Arbeitsverhältnis von Frau H. endete mit dem Auslaufen der Elternzeit. Wir bedauern ihr Ausscheiden, da uns mit Frau H. eine erfahrene Mitarbeiterin verlässt, danken ihr für die geleisteten Dienste und wünschen Frau H. für ihren weiteren beruflichen und privaten Lebensweg viel Erfolg und alles Gute."

§ 6 Abgeltung

Die Parteien sind sich darüber einig, dass mit vorstehender Vereinbarung alle wechselseitigen Ansprüche aus dem Arbeitsverhältnis, aus seiner Beendigung und für die Zeit nach der Beendigung - gleich ob bekannt oder unbekannt - erledigt und abgegolten sind, soweit nicht vorstehend etwas anderes bestimmt worden ist.

Die Arbeitnehmerin verzichtet auf einen etwaigen Wiedereinstellungsanspruch.

Der Beklagte erteilt das als Anlage K 1 (AS 5) vorgelegte Arbeitszeugnis, das die in § 5 der Vereinbarung vereinbarte Schlussformel enthält.

Mit Anwaltsschreiben vom 09.06.2011 (AS 7) verlangte die Klägerin vom Beklagten Urlaubsabgeltung in Höhe von 2.430,00 EUR brutto. Der Beklagte lehnte die Zahlung unter Verweis auf § 6 der Aufhebungsvereinbarung ab. Mit seinem Klageerwiderungsschriftsatz vom 20.07.2011 erklärte der Beklagte vorsorglich die Kürzung des Urlaubsanspruchs gemäß § 17 Abs. 1 BEEG.

Die Klägerin ist der Auffassung, dass die allgemeine Abgeltungsklausel in der Aufhebungsvereinbarung ihren gesetzlichen Urlaubsanspruch nicht verfallen lasse.

Sie hält § 17 Abs. 1 Satz 1 BEEG für europarechtswidrig.

Die Regelung sei nicht mit den Richtlinien des Rates der Europäischen Union 93/104/EG und 96/34/EG und 76/207/EG vereinbar. Auch der Elternurlaub, dessen Ausgestaltung im BEEG geregelt sei, unterliege dem absoluten Schutz der Mitgliedsstaaten der Europäischen Gemeinschaft. Eine Konkurrenz unterschiedlicher Urlaubsinanspruchnahmen wie Elternurlaub, Mutterschaftsurlaub oder Jahresurlaub führe im gleichen zeitlichen Rahmen nicht dazu, dass der andere Anspruch dadurch untergehe, da ein durch Gemeinschaftsrecht gewährleisteter Urlaub nicht einen anderen durch dieses Recht gewährleisteten Urlaub beeinträchtigen könne. Die Mitgliedsstaaten könnten die durch den Europäischen Rat geschaffenen grundsätzlichen Ansprüche auf die genannten Urlaubsarten nicht, auch nicht teilweise beeinträchtigen und zum Nachteil der Arbeitnehmer vernichten.

Die Klägerin trägt weiter vor:

Sie habe weder auf Urlaubs- noch auf Urlaubsabgeltungsansprüche verzichtet. Soweit sie zwei Urlaubstage genommen habe, seien diese nicht auf den ihr noch zustehenden gesetzlichen Urlaubsanspruch anzurechnen. Da der gesetzliche Mindesturlaub für 2010 und für 2011 nach Ablauf der Elternzeit wegen der Beendigung des Arbeitsverhältnisses nicht habe genommen werden können, sei er abzugelten.

Sie verlangt Abgeltung von 20 Urlaubstagen für 2010 und von 6,66, aufgerundet 7 Urlaubstagen für 2011, insgesamt 27 Urlaubstage à 90,00 EUR brutto (1.950,00 EUR brutto x 3 : 65), also 2.430,00 EUR brutto.

Die Klägerin beantragt zuletzt:

Der Beklagte wird gesamtschuldnerisch mit Herrn RA J. verurteilt, an die Klägerin 2.430,00 EUR brutto nebst Zinsen in Höhe von 5%Punkten über dem Basiszinssatz seit dem 28.06.2011 zu bezahlen.

Der Beklagte beantragt,

die Klage abzuweisen.

Er trägt vor:

Im Nachgang zu dem Schreiben der Klägerin vom 13.05.2011 sei seitens der Beklagten gegenüber der Klägerin am Telefon vom Kanzleimitarbeiter RA W. erklärt worden, dass eine Urlaubsabgeltung nicht erfolgen werde, sondern eine Abgeltung sämtlicher etwaiger Urlaubsansprüche im Aufhebungsvertrag vereinbart werden solle. Es sei mit Frau H. sodann die Einigung getroffen worden, dass sie auf jegliche Urlaubsansprüche und Urlaubsabgeltungsansprüche verzichte und diese erledigt seien.

Im Gegenzug habe sich die Beklagtenseite bereit erklärt, ein außerordentlich gutes Arbeitszeugnis auszufertigen, das weitaus positiver ausfalle als die tatsächlich erbrachten Arbeitsleistungen, sowie die gewünschte Formulierung aufzunehmen.

Die Klägerin sei hiermit einverstanden gewesen und habe erklärt, dass sie auf Urlaubsansprüche und Urlaubsabgeltungsansprüche verzichte. Es habe somit die Einigung bestanden, dass die Abgeltungsabrede auch diese Ansprüche erfasse.

Bei Unwirksamkeit des Verzichts auf Urlaubsansprüche sei ein Teil der Aufhebungsvereinbarung rechtsunwirksam. Der Beklagte würde aber der Aufhebungsvereinbarung niemals zugestimmt haben, wenn eine Verpflichtung zur Auszahlung des gesetzlichen Mindesturlaubs weiterhin bestünde. Nach § 139 BGB sei das gesamte Rechtsgeschäft im Falle der Teilnichtigkeit nichtig, wenn nicht anzunehmen sei, dass es auch ohne den nichtigen Teil vorgenommen sein würde.

Der Beklagte würde der Aufhebung des Arbeitsverhältnisses unter den im übrigen vereinbarten Bedingungen nicht zugestimmt haben, wenn er die von der Klägerin geforderte Leistung auf Urlaubsabgeltung an sie noch hätte abführen müssen. Bei Gesamtnichtigkeit bestehe das Arbeitsverhältnis der Parteien fort mit der Folge, dass ein Abgeltungsanspruch im bestehenden Arbeitsverhältnis nicht existiere und demgemäß aus diesem Rechtsgrund bereits die Klage abweisungsreif sei.

Der Abgeltung stehe auch der Grundsatz von treuwidrigem und widersprüchlichem Verhalten entgegen. Es widerspreche Treu und Glauben, trotz übereinstimmender Auffassung, es habe auch der Urlaub erledigt werden sollen, sich auf das Verzichtsverbot des § 13 BUrlG zu berufen. Dem übereinstimmenden Willen der Parteien habe es entsprochen, dass der Urlaub erledigt sein soll. Es sei lediglich eine vermeintlich nicht rechtssichere Formulierung wegen des Verbots des Verzichtes vereinbart worden.

Der Aufhebungsvertrag sei jedenfalls wegen Störung der Geschäftsgrundlage dergestalt anzupassen, dass die Parteien eine Formulierung gewählt hätten, die rechtssicher auch den gesetzlichen Mindesturlaub erfasse.

§ 17 Absatz 1 Satz 1 BEEG sei nicht europarechtswidrig. Das Bundesarbeitsgericht habe diese Vorschrift zuletzt im Urteil vom 17.05.2011 (9 AZR 197/10) wirksam zur Anwendung gebracht und in den Urteilsgründen ausdrücklich erklärt, dass gemäß § 17 Abs. 1 Satz 1 BEEG der Erholungsurlaub um 1/12 für jeden vollen Kalendermonat der Elternzeit gekürzt werden dürfe.

Aufgrund der Kürzung verblieben für das Jahr 2010 acht Urlaubstage, wovon die Klägerin zwei genommen habe. Sie könne daher Abgeltung allenfalls in Höhe von 540,00 EUR brutto (6 x 90,00 EUR) fordern.

Hinsichtlich der weiteren Einzelheiten des Parteivorbringens wird auf die gewechselten Schriftsätze sowie auf die Sitzungsniederschriften vom 25.07.2011 und vom 18.11.2011 Bezug genommen.

Gründe

Die Klage ist zulässig, aber nur zum Teil begründet. Die Klägerin kann vom Beklagten Urlaubsabgeltung in Höhe von 1.380,00 EUR brutto nebst Zinsen verlangen.

1. Die Klägerin hat einen Anspruch auf Abgeltung von 15,33 Urlaubstagen gemäß § 17 Abs. 3 BEEG.

a. Der jährliche Urlaubsanspruch der Klägerin betrug 26 Arbeitstage. In dieser Höhe ist der Urlaubsanspruch für 2010 voll, für 2011 anteilig für vier Beschäftigungsmonate zunächst entstanden.

Dies ist durch § 17 Abs. 1 Satz 1 BEEG denklogisch vorausgesetzt, denn nur ein entstandener Anspruch kann gekürzt werden (BAG 9 AZR 197/10 vom 17.05.2011; 8 AZR 475/84 vom 30.07.1986).

b. Der Beklagte hat diesen Anspruch gemäß § 17 Abs. 1 Satz 1 BEEG gekürzt.

Die Kürzung wurde mit Schriftsatz vom 20.07.2011 erklärt. Da § 17 Abs. 1 BEEG ebenso wie der frühere § 17 BErzGG keine Wirksamkeitsvoraussetzungen für die Kürzungserklärung, insbesondere nicht im Hinblick auf den Zeitpunkt der Abgabe dieser empfangsbedürftigen rechtsgeschäftlichen Erklärung vorsieht, konnte die Kürzung wirksam auch noch mit der Klageerwiderung erklärt werden (BAG 9 AZR 165/95 vom 23.04.1996; 9 AZR 340/91 vom 28.07.1992; LAG Niedersachen 3 Sa 1288/10 vom 16.11.2010).

Da das Arbeitsverhältnis zu diesem Zeitpunkt bereits beendet war, betrifft die Kürzungserklärung im Ergebnis lediglich den Urlaubsabgeltungsanspruch.

c. Die Kürzung ist allerdings nur wirksam, soweit sie den Zeitraum nach dem 17.08.2010 betrifft und führt daher zu einer Reduzierung des vertraglichen Urlaubsanspruchs für 2010 auf 17,33 Tage, für 2011 auf 0.

aa. Soweit § 17 Abs. 1 Satz 1 BEEG die Kürzung des Urlaubsanspruchs um 1/12 für jeden vollen Monat der Elternzeit bis zu einem Zeitraum von drei Monaten vorsieht, verstößt die Regelung gegen europarechtliche Vorgaben.

§ 2 Nr. 1 der Richtlinie 96/34/EG gewährleistet für erwerbstätige Männer und Frauen ein unbedingtes Recht auf Elternurlaub im Falle einer Geburt oder Adoption des Kindes für die Dauer von mindestens drei Monaten.

Der nationale Gesetzgeber hat diese Richtlinie zum einen durch Beschäftigungsverbote nach der Entbindung gemäß § 6 MuSchG und zum anderen durch einen Anspruch auf Elternzeit gemäß § 15 BEEG umgesetzt. Dabei geht der Anspruch auf Elternzeit zeitlich weit über den von der Richtlinie garantierten Zeitraum hinaus. Zugleich wird nach § 16 Abs. 1 Satz 3 BEEG die Zeit der Mutterschutzfrist nach § 6 Abs. 1 MuSchG auf den Zeitraum der Elternzeit angerechnet, wenn die Elternzeit im Anschluss an die Mutterschutzfrist oder im Anschluss an einen an die Mutterschutzfrist folgenden Erholungsurlaub genommen wird.

Der Wortlaut von § 17 Abs. 1 Satz 1 BEEG ermöglicht dem Arbeitgeber eine Kürzung des Urlaubsanspruchs für den gesamten Zeitraum der Elternzeit und damit auch hinsichtlich des gesetzlich und gemeinschaftsrechtlich garantierten Mindesturlaubsanspruchs von vier Wochen.

Der Gesetzgeber geht offenbar davon aus, dass ein "Erholungsbedarf" nach der Geburt eines Kindes zwar besteht, soweit nur die Schutzfristen des § 6 des Mutterschutzgesetz in Anspruch genommen werden, nicht aber sofern im Anschluss daran Elternzeit nach § 15 BEEG genommen und das Arbeitsverhältnis damit zum Ruhen gebracht wird. Diese Wertung entspricht nicht europarechtlichen Vorgaben, wonach der Anspruch auf bezahlten Jahresurlaub grundsätzlich voraussetzungslos ist:

Gemäß Artikel 7 Abs. 1 der Richtlinie 93/104 treffen die Mitgliedstaaten die erforderlichen Maßnahmen, damit jeder Arbeitnehmer einen bezahlten Mindestjahresurlaub von vier Wochen nach Maßgabe der Bedingungen für die Inanspruchnahme und die Gewährung erhält, die in den einzelstaatlichen Rechtsvorschriften und / oder nach den einzelstaatlichen Gepflogenheiten vorgesehen sind.

Der Anspruch jedes Arbeitnehmers auf bezahlten Jahresurlaub ist also als ein besonders bedeutsamer Grundsatz des Sozialrechts der Gemeinschaft anzusehen, von dem nicht abgewichen werden darf und dessen Umsetzung durch die zuständigen nationalen Stellen nur in den in der Richtlinie 93/104 ausdrücklich gezogenen Grenzen erfolgen darf.

Insoweit ist es bezeichnend, dass diese Richtlinie als Regel vorschreibt, dass der Arbeitnehmer normalerweise über eine tatsächliche Ruhezeit verfügen können muss, damit ein wirksamer Schutz seiner Sicherheit und seiner Gesundheit sichergestellt ist, denn nur für den Fall, dass das Arbeitsverhältnis beendet wird, lässt Artikel 7 Abs. 2 der Richtlinie zu, dass der Anspruch auf bezahlten Jahresurlaub durch eine finanzielle Vergütung ersetzt wird (EUGH C-342/01 vom 18.03.2004 - Merino Gómez). Die Richtlinie erlaubt es den Mitgliedstaaten nicht, bereits die Entstehung eines ausdrücklich allen Arbeitnehmern zuerkannten Anspruchs auszuschließen (EUGH C-350/06 und C-520/06 vom 20.01.2009 - Schultz-Hoff).

Der Anspruch auf Jahresurlaub dient einem anderen Zweck als der Anspruch auf Mutterschutzurlaub. Letzterer dient zum einen dem Schutz der körperlichen Verfassung der Frau während und nach der Schwangerschaft und zum anderen dem Schutz der besonderen Beziehung zwischen der Mutter und ihrem Kind während der Zeit, die an die Schwangerschaft und an die Entbindung anschließt (EUGH C-342/01 vom 18.03.2004).

Der Anspruch auf Elternurlaub steht daher grundsätzlich neben dem Anspruch auf bezahlten Jahresurlaub. Beide Urlaubsansprüche sind gemeinschaftsrechtlich geschützt und beeinträchtigen einander nicht.

bb. § 17 Abs. 1 Satz 1 BEEG ist daher richtlinienkonform auszulegen. Die genannten Richtlinien finden im Privatrechtsverhältnis keine unmittelbare Anwendung. Hieraus folgt jedoch nicht, dass richtlinienwidriges nationales Recht nicht angewandt werden darf.

§ 17 Abs. 1 Satz 1 BEEG kann richtlinienkonform fortgebildet werden. Ermöglicht es das nationale Recht durch Anwendung seiner Auslegungsmethoden, eine innerstaatliche Bestimmung so auszulegen, dass eine Kollusion mit einer anderen Norm innerstaatlichen Rechts vermieden wird, sind die nationalen Gerichte gehalten, die gleichen Methoden anzuwenden um das von der Richtlinie verfolgten Ziel zu erreichen. Diese Verpflichtung besteht auch dann, wenn die nationalen Gerichte die Reichweite der innerstaatlichen Bestimmung zu diesem Zweck einschränken müssen (BAG 9 AZR 983/07 vom 24.03.2009, zitiert nach Juris, dort Randnummern 55 bis 58 mit weiteren Nachweisen).

Es ist vorliegend geboten, § 17 Abs. 1 Satz 1 BEEG durch teleologische Reduktion richtlinienkonform fortzubilden:

§ 17 Abs. 1 Satz 1 BEEG ist insoweit nicht anzuwenden, als dadurch dem in Elternzeit befindlichen Arbeitnehmer Rechtsnachteile daraus entstehen, dass er eine Elternzeit von bis zu drei Monaten in Anspruch nimmt.

Die ersten drei Monate der Elternzeit haben daher bei der Kürzung nach § 17 Abs. 1 Satz 1 BEEG außer Betracht zu bleiben. Eine Kürzung kann für den Zeitraum ab dem 17.08.2012 vorgenommen werden.

cc. § 17 Abs. 1 Satz 1 BEEG gehört nicht, wie das LAG Niedersachsen in der Entscheidung 3 Sa 1288/10 vom 16.11.2010 annimmt, lediglich zu den "erforderlichen Maßnahmen" gemäß Artikel 7 der Richtlinie 2003/88/EG für die Inanspruchnahme des bezahlten Mindestjahresurlaubs. Die Vorschrift greift wie bereits ausgeführt vielmehr in einen weiteren gemeinschaftsrechtlich garantierten Urlaubsanspruch ein.

Der Entscheidung des LAG Niedersachsen ist auch insoweit nicht zu folgen, als danach differenziert wird, dass die Inanspruchnahme von Elternzeit anders als im Falle von Krankheit allein auf einer Entscheidung des Arbeitnehmers selbst beruhe. Dies gilt zunächst jedenfalls nicht für die Schutzfristen des § 6 MuSchG, denn für die Dauer der dort geregelten Zeiträume besteht grundsätzlich ein Beschäftigungsverbot, unabhängig von einer Entscheidung der Arbeitnehmerin. Deshalb gelten auch nach § 17 Satz 1 MuSchG die Ausfallzeiten wegen mutterschutzrechtlicher Beschäftigungsverbote für den Anspruch auf bezahlten Erholungsurlaub als Beschäftigungszeiten und führen deshalb nicht zur Kürzung des Urlaubsanspruchs (BAG 9 AZR 197/10 vom 17.05.2011, zitiert nach Juris, dort Randnummer 33).

Aber auch für den über die Schutzfristen des § 6 MuSchG hinaus gehenden Zeitraum gilt, dass einem Arbeitnehmer durch die Inanspruchnahme des gemeinschaftsrechtlich gewährleisteten Elternurlaubs ein Nachteil nicht entstehen darf.

Denn die Ausübung der Rechte, die Frauen nach Maßgabe des Artikels 2 Abs. 3 der Richtlinie durch Vorschriften gewährt werden, die sie bei Schwangerschaft und Mutterschaft schützen sollen, darf für sie nicht zu Nachteilen bei den Arbeitsbedingungen führen (EuGH C-136/95 vom 30.04.1998 - Thibault - Randnummer 26).

Zu den Arbeitsbedingungen gehören gerade auch die vertraglichen Urlaubsansprüche.

dd. Vorliegend führt dies zu einer Kürzung des Urlaubsanspruch für 2011 auf 0 und für 2010 auf 8/12. Ausgangspunkt ist hierbei der vertragliche Urlaub der Klägerin, der zu den geschützten Arbeitsbedingungen gehört. Der EUGH hat insoweit in seiner Entscheidung Merino Gómez C-342/01 vom 18.03.2004 den im nationalen Recht vorgesehenen Jahresurlaub zugrundegelegt, der länger war als der in der Richtlinie 93/104 vorgesehene Mindesturlaub.

Der Anspruch auf Erholungsurlaub von 26 Arbeitstagen im Jahr 2010 ist danach um 4/12 zu kürzen. Daraus errechnen sich 17,33 Urlaubstage. Hiervon hat die Klägerin zwei Urlaubstage genommen. Insoweit ist ihr Urlaubsanspruch erloschen. Es verbleiben 15,33 abzugeltende Urlaubstage (vgl. zu dieser Berechnungsmethode - Kürzung vor Anrechnung - BAG 9 AZR 197/10 a.E.).

d. Dem Anspruch der Klägerin steht § 6 der zwischen den Parteien geschlossenen Aufhebungsvereinbarung nicht entgegen. Eine Abgeltung des gesetzlich und gemeinschaftsrechtlich garantierten Urlaubsanspruchs ist nicht möglich. Die Klägerin kann auf diesen Anspruch nicht verzichten, § 13 Abs. 1 S. 3 BUrlG.

e. Dem Anspruch der Klägerin steht auch der Einwand treuwidrigen Verhaltens nicht entgegen.

Zwar hatte die Klägerin vor Abschluss der Vereinbarung zunächst angeboten, den Urlaubsabgeltungsanspruch in eine Abfindung in Höhe von 800,00 EUR umzuwandeln, was einer Umgehung sozialrechtlicher Vorschriften bedeutet hätte. Zu einer derartigen Vereinbarung kam es jedoch nicht.

Die Klägerin hat für den Verzicht auf Urlaubsabgeltungsansprüche keinerlei finanzielle Gegenleistung erhalten. Soweit der Beklagte vortragen lässt, er habe der Klägerin als Gegenleistung ein sehr wohlwollendes Zeugnis ausgestellt, kann er mit diesem Einwand nicht gehört werden, da er zur Erstellung eines wahrheitsgemäßen Zeugnisses verpflichtet ist und diese Verpflichtung nicht "verkaufen" kann. Selbst wenn eine derartige Abrede getroffen worden wäre, wäre sie insoweit nichtig, was jedoch wiederum nicht die Gesamtnichtigkeit der Aufhebungsvereinbarung zur Folge hätte.

f. Der Einwand des Wegfalls oder der Störung der Geschäftsgrundlage verfängt ebenfalls nicht.

Soweit der Beklagte der Auffassung ist, der Aufhebungsvertrag sei dergestalt anzupassen, dass die Parteien eine Regelung getroffen hätten, die rechtssicher auch den gesetzlichen Mindesturlaub erfasse, so erscheint dieser Vortrag angesichts der klaren Regelung von § 13 BUrlG i.V.m. § 134 BGB nicht nur als einigermaßen erstaunlich. Es bleibt auch völlig unklar, wie dieses Ansinnen rechtssicher hätte formuliert werden können, da es sich doch nur um eine Umgehung von § 13 Abs. 1 S. 3 BUrlG hätte handeln können.

g. Die Höhe des täglichen Urlaubsentgelts ist zwischen den Parteien mit 90,00 EUR brutto unstreitig. Die Klägerin hat daher einen Anspruch auf Urlaubsabgeltung in Höhe von 1.380,00 EUR brutto.

h. Die Klägerin kann vom Beklagten gemäß § 288 Abs. 1 i.V.m. § 286 Abs. 1 S. 1 BGB auch verlangen, dass er ihr aus dem Vergütungsanspruch Verzugszinsen in Höhe von 5%punkten über dem Basiszinssatz seit dem Eintritt des Verzugs am 28.06.2011 (vgl. die Fristsetzung AS 8) zahlt.

Im übrigen war die Klage abzuweisen.

3. Die Kostenentscheidung folgt aus § 46 Abs. 2 ArbGG i.V.m. § 92 Abs. 1 Satz 1 ZPO: Die Parteien tragen die Kosten im Verhältnis des jeweiligen Obsiegens und Unterliegens.

4. Der Wert des Streitgegenstandes war gemäß § 61 Abs. 1 ArbGG im Urteil festzusetzen in Höhe des Zahlungsantrags.