SG Karlsruhe, Beschluss vom 02.11.2011 - S 1 KO 4475/11
Fundstelle
openJur 2012, 67359
  • Rkr:

Besteht objektiv keine Notwendigkeit, für die An- und Abreise zur Teilnahme an einer mündlichen Verhandlung ein Taxi zu benutzen, sind lediglich die Kosten für die - fiktive - Benutzung eines Privat-PKW erstattungsfähig (Anschluss an Bay. LSG vom 06.10.2006 - L 14 R 476/05.Ko -)

Tenor

Die Entschädigung des Antragstellers aus Anlass der Wahrnehmung des Termins zur mündlichen Verhandlung beim Sozialgericht Karlsruhe am 06. Juli 2011 wird auf EUR 23,00 festgesetzt.

Dieser Beschluss ergeht gebührenfrei; außergerichtliche Kosten werden nicht erstattet.

Gründe

I.

In dem beim Sozialgericht Karlsruhe anhängig gewesenen Rechtsstreit S 12 LW 5301/09 war zwischen den dortigen Beteiligten die Gewährung von Versichertenrente wegen voller Erwerbsminderung aus der landwirtschaftlichen Alterssicherung über den 30.11.2008 hinaus umstritten.

Der 1959 geborene, als selbstständiger Landwirt tätig gewesene Kläger leidet u.a. an einer gemischten Angst und Depression sowie einer chronischen Schmerzstörung mit somatischen und psychischen Faktoren bei Zustand nach Non-Hodgkin-Lymphom. Die Beklagte des Hauptsacheverfahrens hatte ihm ab dem 01.09.2005 Rente wegen voller Erwerbsminderung nach den Bestimmungen des Gesetzes über die Alterssicherung der Landwirte gewährt (Bescheid vom 25.08.2005). Wegen einer von ihr angenommenen Besserung im Gesundheitszustand des Klägers hatte sie diesen Bescheid mit Wirkung ab dem 01.12.2008 aufgehoben (Bescheid vom 21.11.2008, Widerspruchsbescheid vom 19.11.2009). Auf die deswegen zum Sozialgericht Karlsruhe (S 12 LW 5301/09) erhobene Klage bestimmte die Kammervorsitzende nach Abschluss der Beweiserhebung (u.a. Gutachten des Neurologen und Psychiaters Dr. N.) am 16.05.2011 Termin zur mündlichen Verhandlung auf den 06.07.2011, 11:00 Uhr. Zugleich ordnete sie das persönliche Erscheinen des Klägers an und wies ihn unter Beifügung eines entsprechenden Merkblatts auf die Folgen unentschuldigten Ausbleibens hin.

Zu der mündlichen Verhandlung am 06.07.2011, die um 11:00 Uhr begann und um 11:45 Uhr endete, ist der Kläger in Begleitung seines Prozessbevollmächtigten persönlich erschienen.

Am 09.08.2011 hat der Kläger beantragt, ihm die aus Anlass der Wahrnehmung des Termins zur mündlichen Verhandlung am 06.07.2011 entstandenen Kosten für die Fahrt mit einem Taxi von seinem Wohnort nach Karlsruhe und zurück einschließlich - Wartezeit des Taxifahrers während der Dauer der mündlichen Verhandlung - in Höhe von insgesamt EUR 150,00 zu erstatten. Die Kostenbeamtin hat die Erstattung der Taxi-Kosten abgelehnt und die Entschädigung des Antragstellers auf EUR 23,00 entsprechend der - fiktiven - Benutzung eines Privat-PKW für 92 km zu je EUR 0,25 festgesetzt; der Kläger habe vorab weder besondere Umstände mitgeteilt, die sein persönliches Erscheinen in der mündlichen Verhandlung erheblich verteuerten, noch einen Antrag auf Genehmigung einer Beförderung mit einem Taxi gestellt (Beschluss vom 14.10.2011).

Mit seiner dagegen am 26.10.2011 eingelegten Erinnerung trägt der Kläger im Wesentlichen vor, er habe mit seiner Ladung zum Gerichtstermin kein Merkblatt erhalten. Außerdem sei es ihm aus gesundheitlichen Gründen nicht möglich gewesen, selbst nach Karlsruhe zu fahren.

Die Kostenbeamtin hat der Erinnerung nicht abgeholfen (Verfügung vom 27.10.2011) und sie dem erkennenden Gericht zur Entscheidung vorgelegt.

Zur weiteren Darstellung des Sachverhaltes und des Vorbringens des Klägers wird auf den Inhalt der vorliegenden Prozessakte zum Verfahren S 12 LW 5301/09, den der Kostenakte sowie den der Entschädigungsakte Bezug genommen.

II.

Der Antrag auf gerichtliche Festsetzung der Entschädigung des Klägers seiner ihm aus Anlass der Teilnahme an der mündlichen Verhandlung am 06.07.2011 entstandenen Kosten und Aufwendungen ist zulässig (§ 4 Abs. 1 Satz 1 des Justizvergütungs- und -entschädigungsgesetzes ). Er führt zur Festsetzung einer Entschädigung in Höhe von EUR 23,00, wie von der Kostenbeamtin bereits verfügt. Dagegen steht ihm eine Entschädigung wegen der Aufwendungen für die Benutzung eines Taxis in Höhe weiterer EUR 127,00 gegen die Staatskasse nicht zu.

1. Der Anspruch des Klägers auf Vergütung seiner Auslagen wegen seiner Teilnahme an der mündlichen Verhandlung beim Sozialgericht Karlsruhe am 06.07.2011 folgt aus § 191, erster Halbsatz des Sozialgerichtsgesetzes (SGG) i.V.m. den Bestimmungen des JVEG. Nach § 191, erster Halbsatz SGG werden einem Beteiligten, dessen persönliches Erscheinen angeordnet worden ist, auf Antrag bare Auslagen und Zeitverlust wie einem Zeugen vergütet. Unter die Vergütung barer Auslagen im Sinne von § 191, erster Halbsatz SGG fällt unter anderem der Fahrtkostenersatz (§ 19 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 i.V.m. § 5 JVEG).

2. Nach § 5 Abs. 1 JVEG werden bei Benutzung von öffentlich, regelmäßig verkehrenden Beförderungsmitteln die tatsächlich entstandenen Auslagen bis zur Höhe der entsprechenden Kosten für die Benutzung der ersten Wagenklasse der Bahn einschließlich der Auslagen für Platzreservierung und Beförderung des notwendigen Gepäckes ersetzt. Nach Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 der genannten Vorschrift werden bei Benutzung eines eigenen oder unentgeltlich zur Nutzung überlassenen Kraftfahrzeugs dem Zeugen zur Abgeltung der Betriebskosten sowie zur Abgeltung der Abnutzung des Kraftfahrzeuges EUR 0,25 für jeden gefahrenen Kilometer ersetzt zzgl. der durch die Benutzung des Kraftfahrzeugs aus Anlass der Reise regelmäßig anfallenden baren Auslagen, insbesondere der Parkentgelte. Bei der Benutzung eines sonstigen Kraftfahrzeugs, unter anderem eines Taxis, werden die tatsächlichen Auslagen bis zur Höhe der nach Satz 1 genannten Fahrtkosten ersetzt (§ 5 Abs. 2 Satz 3, erster Halbsatz JVEG). Höhere als die in § 5 Abs. 2 JVEG bezeichneten Fahrtkosten werden ersetzt, soweit diese unter anderem wegen besonderer Umstände notwendig sind (§ 5 Abs. 3 JVEG).

3. Unter Berücksichtigung dieser rechtlichen Gegebenheiten hat der Kläger wegen seines persönlichen Erscheinens im Termin zur mündlichen Verhandlung am 06.07.2011 Anspruch auf Entschädigung in Höhe von insgesamt EUR 23,00. Mit diesem Betrag sind die - fiktiven - Kosten (vgl. insoweit Bay. LSG vom 06.10.2006 - L 13 R 476/05.Ko - ) für die Fahrtstrecke von der Wohnung des Klägers in Sch. zum Sozialgericht Karlsruhe und zurück (das sind zwei Mal 46 km = 92 km zu je EUR 0,25) abgegolten.

a) Eine Entschädigung höherer Taxikosten als der in § 5 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 JVEG genannten Beträge steht dem Kläger nicht zu, denn diese Kosten waren nicht  wegen besonderer Umstände notwendig im Sinne des § 5 Abs. 3 JVEG. Eine Notwendigkeit in diesem Sinne kann sich aus einem besonderen Eilfall, ungewöhnlich schlechten Verkehrsverhältnissen, körperlichen Gebrechen, einem hohen Alter (vgl. Meyer/Höver/Bach, JVEG, 25. Auflage 2011, Anmerkung 5.20) oder daraus ergeben, dass bei der Benutzung eines Taxis eine Übernachtung am Ort der Untersuchung eingespart wird (vgl. Hartmann, Kostengesetze, 40. Auflage 2010, § 5 JVEG, Rand-Nr. 20). Diese Voraussetzungen liegen hier nicht vor. Zwar leidet der Kläger nach dem im Hauptsacheverfahren S 12 LW 5301/09 erstellten Gutachten des Sachverständigen Dr. N. u.a. an Gesundheitsstörungen auf neurologisch-psychiatrischem Fachgebiet, aufgrund derer er seinen Beruf als selbstständiger Landwirt nur noch weniger als 3 Stunden täglich verrichten kann; auch körperlich leichte Tätigkeiten des allgemeinen Arbeitsmarktes sind ihm danach nur noch 3 bis weniger als 6 Stunden täglich möglich. Eine Einschränkung der Wegefähigkeit des Klägers hat Dr. N. indes ausdrücklich verneint und ihn für fähig erachtet, während der Hauptverkehrszeiten zwei Mal täglich öffentliche Verkehrsmittel zu benutzen. Hierfür spricht auch, dass der Kläger seinen anamnestischen Angaben gegenüber dem gerichtlichen Sachverständigen zufolge zu der gutachtlichen Untersuchung zwar von seinem Schwager zu den Praxisräumen des Sachverständigen gefahren wurde, er von dort jedoch alleine mit der Straßenbahn nach Hause gefahren ist. Vor diesem Hintergrund erschließt sich dem Gericht nicht, weshalb der Kläger dann nicht in der Lage gewesen sein sollte, auch zur Teilnahme an der mündlichen Verhandlung am 06.07.2011 öffentliche Verkehrsmittel für das Zurücklegen der Wegstrecken von seiner Wohnung nach Karlsruhe und zurück zu benutzen.

b) Insoweit bestanden für den Kläger auch keine ungewöhnlich schlechten Verkehrsverhältnisse, insbesondere Verkehrsverbindungen, zwischen seinem Wohn- und dem Gerichtsort. So hätte der Kläger am Sitzungstag um 08.35 Uhr einen Fußweg von etwa 0,7 km zur Haltestelle H.-Straße, L. zurücklegen müssen, um von dort um 08.45 Uhr mit dem Bus zum Bahnhof nach B. W. zu fahren. Von dort hätte er um 09.09 Uhr Anschluss mit der Stadtbahn S6 nach P. Hauptbahnhof gehabt und von dort um 09.46 Uhr mit der Stadtbahn S5 bis Karlsruhe M.-Platz fahren können, wo er um 10.29 Uhr angekommen wäre. Er hätte den Gerichtsort damit mit zweimaligem Umsteigen in einer Reisedauer von 1 Stunde 54 Minuten erreichen können. Für die Rückfahrt wären ähnliche Zeiten angefallen (Abfahrt Karlsruhe M.-platz um 12.10 Uhr und Ankunft zuhause um 14.18 Uhr), wie sich aus der im Internet unter ... abrufbaren Fahrplanauskunft der K. Verkehrsverbund GmbH ergibt.

Damit hatten den Kläger weder gesundheitliche Gründe noch sonstige besondere Umstände gehindert, öffentliche Verkehrsmittel zur Teilnahme an der mündlichen Verhandlung am 06.07.2011 zu nutzen.

c) Im Übrigen war der Kläger in dem der Terminsmitteilung beigefügten Merkblatt ausdrücklich darauf hingewiesen worden, dass er verpflichtet ist, andere besondere Umstände, die sein Erscheinen erheblich verteuerten, z.B. die Benutzung eines Taxis, sofort mitzuteilen und weitere Nachricht des Gerichts abzuwarten. Nach Aktenlage hat der Kläger indes eine solche Mitteilung vor dem Terminstag und im zeitlichen Zusammenhang mit dem Erhalt der Ladung dem Gericht gegenüber nicht gemacht. Soweit er in seinem Erinnerungsschreiben vom 22.10.2011 ausführt, er habe dieses Merkblatt nicht erhalten, erachtet die Kammer dies als ziel- und zweckgerichtetes Vorbringen. Denn nach dem gerichtsinternen EDV-Programm wird bei der Ladung eines Beteiligten unter Anordnung seines persönlichen Erscheinens zum Termin zur mündlichen Verhandlung automatisch neben dem Entschädigungsvordruck auch das Merkblatt für Beteiligte, deren persönliches Erscheinen angeordnet ist, ausgedruckt. Nachdem der Kläger ersichtlich aber sowohl die Terminsmitteilung als auch den Entschädigungsantrag erhalten hat, steht fest, dass ihm gleichzeitig auch das Merkblatt zugegangen ist.

Angesichts dessen hat der Kläger keinen Anspruch auf Entschädigung höherer Fahrtkosten als der in § 5 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 JVEG genannten Beträge, wie von der Kostenbeamtin bereits festgesetzt. Diese bemessen sich in Höhe von fiktiven Kosten für die Benutzung eines privaten PKW, dass sind für 92 km zu je EUR 0,25 insgesamt EUR 23,00 (vgl. insoweit nochmals Bay. LSG, a.a.O.).

4. Ihm steht darüber hinaus auch keine Entschädigung für Zeitversäumnis gem. § 191, erster Halbsatz SGG i.V.m. § 19 Abs. 1 Satz 1 Nr. 4 und § 20 JVEG zu. Denn dem Kläger ist durch seine Teilnahme an der mündlichen Verhandlung am 06.07.2011 ersichtlich kein entschädigungsfähiger Nachteil entstanden, nachdem er ohne Beschäftigung ist und seinen Angaben zur Tagesstrukturierung gegenüber Dr. N. zufolge auch keinerlei sonstige Arbeiten oder Tätigkeiten verrichtet, die er infolge der Heranziehung, d.h. seiner Verpflichtung zum persönlichen Erscheinen im Termin zur mündlichen Verhandlung, nachholen musste.

Dieser Beschluss ergeht gebührenfrei; Kosten werden nicht erstattet (§ 4 Abs. 8 JVEG).