FG Baden-Württemberg, Gerichtsbescheid vom 03.08.2011 - 1 K 338/09
Fundstelle
openJur 2012, 67293
  • Rkr:
Tenor

1. Die Einspruchsentscheidung des Beklagten vom 5. Dezember 2008 wird aufgehoben. Der Beklagte wird unter Aufhebung des ablehnenden Bescheids vom 15. Februar 2008 verpflichtet, die Umsatzsteuer für das Jahr 2003 unter Änderung der Steueranmeldung vom 8. Juni 2005 um 1.558,62 EUR auf 304,46 EUR und die Umsatzsteuer für das Jahr 2004 unter Änderung der Steueranmeldung vom 18. Juli 2006 um 1.986,21 EUR auf 206,74 EUR herabzusetzen. Die Umsatzsteuer 2005 wird unter Änderung des Umsatzsteuerbescheids vom 28. Februar 2008 um 1.986,21 EUR auf 845,98 EUR herabgesetzt.

2. Die Kosten des Verfahrens trägt der Beklagte.

3. Die Zuziehung eines Bevollmächtigten für das Vorverfahren wird für notwendig erklärt.

4. Die Revision wird zugelassen.

Tatbestand

Die Beteiligten streiten darum, ob die Umsätze des Klägers aus der Betreuung und Unterstützung psychisch gestörter Jugendlicher umsatzsteuerpflichtig oder nach Art. 13 Teil A Abs. 1 Buchst. h der Sechsten Richtlinie 77/388/EWG des Rates vom 17. Mai 1977 zur Harmonisierung der Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten über die Umsatzsteuern - Gemeinsames Mehrwertsteuersystem: einheitliche steuerpflichtige Bemessungsgrundlage (Richtlinie 77/388/EWG; jetzt: Art. 132 Abs. 1 Buchst. h der Richtlinie 2006/112/EG des Rates vom 28. November 2006 über das gemeinsame Mehrwertsteuersystem - Mehrwertsteuer-Systemrichtlinie - MwStSystRL -) von der Umsatzsteuer befreit sind.

Der Kläger hatte zunächst von 1987 bis 1989 seinen zwanzig Monate dauernden zivilen Ersatzdienst in einer heilpädagogischen stationären Wohngruppe abgeleistet. Später war er von Januar 1991 bis September 1994 als Erzieher in berufsbegleitender Ausbildung an der Katholischen Fachschule für Sozialwesen in X ebenfalls in mehreren heil- und intensiv-pädagogischen stationären Wohngruppen tätig. Während dieser Zeit nahm er über etwa zweieinhalb Ausbildungsjahre hinweg am Unterricht der Ausbildung zum Jugend- und Heimerzieher in dualer, praxisintegrierter Form teil, ohne diese Ausbildung jedoch abzuschließen. Danach war der Kläger von Oktober 1994 bis September 2006 als pädagogischer Mitarbeiter in einer sozialpädagogischen Wohngemeinschaft für Jugendliche und junge Erwachsene - einem häuslichen Wohnprojekt in gemeindeintegrierter Form, das eine private, staatlich anerkannte Einrichtung der Jugendhilfe darstellte - tätig. Im September 2006 wurde dem Kläger zudem vom Regierungspräsidium Stuttgart die fachliche Eignung zum Ausbilder im Ausbildungsberuf Mediengestalter Bild und Ton zuerkannt. Seit dem 1. März 2008 ist der Kläger mit einer wöchentlichen Arbeitszeit von sieben Stunden bei einem ... er Unternehmen als Familienhelfer und Jugend- und Heimerzieher angestellt. Außerdem arbeitet er - so bereits in den Streitjahren (2003 bis 2005) - als selbständiger Tonmeister.

Seit dem 15. Februar 2003 (des ersten Streitjahrs) und auch in den beiden weiteren Streitjahren 2004 und 2005 war der Kläger zudem als freier Mitarbeiter für den in Luxemburg ansässigen ... familiar ... tätig, der in Luxemburg die Aufgaben des Jugendamts wahrnimmt. In dessen Auftrag betätigte der Kläger sich als Betreuer des in X wohnenden Jugendlichen B. Herr B ist ein luxemburgischer Staatsbürger, der an einer Persönlichkeits- und Aufmerksamkeitsstörung litt und deshalb nicht in der Lage war, seinen gewöhnlichen Alltag selbst zu organisieren. Der Kläger unterstützte Herrn B - der seit seinem ersten Lebensjahr bei einer Pflegefamilie in Deutschland wohnte, zu der er heute noch Kontakt hält - in allen Belangen der Organisation des Alltags und sorgte insbesondere dafür, dass der Betreute regelmäßig in der Schule und am Ausbildungsplatz erschien, seine Einkäufe und Behördengänge erledigte sowie seine Mietangelegenheiten und seine Belange mit Gerichten, der Polizei und der Finanzverwaltung regelte. Außerdem wirkte der Kläger für Herrn B an der Schlichtung von privaten Streitigkeiten mit. Herr B hatte keine körperliche Behinderung und war auch nicht als geistig behindert eingestuft. Die Kosten für die Betreuung des Herrn B durch den Kläger übernahm der ... familiar ..., der die entsprechende Vergütung (im Streitjahr 2003: 11.300 EUR; in den Streitjahren 2004 und 2005: je 14.400 EUR) unmittelbar an den Kläger überwies.

In seinen am 8. Juni 2005 und am 18. Juli 2006 eingereichten Umsatzsteuererklärungen für 2003 und 2004 gab der Kläger an, neben weiteren - unstreitig umsatzsteuerpflichtigen - Umsätzen als Tonmeister auch Ausgangsumsätze aus der Betreuung des Herrn B in Höhe von 9.741,38 EUR netto (in 2003) bzw. von 12.413,79 EUR netto (in 2004) getätigt zu haben. Später - am 12. Februar 2008 - gab der Kläger beim beklagten Finanzamt (dem Beklagten) für beide Jahre berichtigte Umsatzsteuererklärungen sowie für das Streitjahr 2005 eine erstmalige Umsatzsteuererklärung ab, in denen er jeweils nur noch seine Ausgangsumsätze aus der Tätigkeit als Tonmeister erfasst und die Betätigung als Betreuer unter Hinweis auf die Steuerbefreiung nach § 4 Nr. 25 des Umsatzsteuergesetzes (UStG; hier in der in den Streitjahren geltenden Fassung - a. F. -) unberücksichtigt gelassen hatte. Der Beklagte lehnte die beantragte Änderung der Umsatzsteuerfestsetzungen für 2003 und 2004 mit Bescheid vom 15. Februar 2008 unter Hinweis darauf ab, dass der Kläger weder ein Träger der öffentlichen Jugendhilfe noch ein förderungswürdiger Träger der freien Jugendhilfe sei und die Umsatzsteuerbefreiung nach § 4 Nr. 25 UStG a. F. für ihn daher nicht in Betracht komme. Aus den gleichen Gründen erließ der Beklagte am 28. Februar 2008 einen Umsatzsteuerbescheid für 2005, in dem der Besteuerung - abweichend von der Erklärung des Klägers - weitere steuerpflichtige Ausgangsumsätze aus der Betreuertätigkeit in Höhe von 12.413 EUR zugrundegelegt wurden.

Mit seinen fristgerecht eingelegten Einsprüchen machte der Kläger geltend, die Ablehnung der Änderungsanträge für 2003 und 2004 und die abweichende Steuerfestsetzung für 2005 seien unzutreffend, weil gemäß Art. 13 Teil A Abs. 1 Buchst. h der Richtlinie 77/388/EWG Leistungen, die eng mit der Kinder- und Jugendbetreuung zusammenhingen, steuerfrei seien, wenn sie durch Träger der öffentlichen Jugendhilfe oder andere Einrichtungen mit sozialem Charakter erbracht würden. Nach gefestigter Rechtsprechung des Gerichtshofes der Europäischen Union (EuGH) umfasse der Begriff der Einrichtungen auch natürliche Personen. Die Neuregelung in § 4 Nr. 25 UStG (hier in der durch das Jahressteuergesetz 2008 - JStG 2008 - vom 20. Dezember 2007, BGBl I 2007, 3150, BStBl I 2008, 218, geänderten Fassung - n. F. -) sei lediglich eine längst überfällige Umsetzung von geltendem europäischem Recht.

Der Beklagte wies die Einsprüche mit Einspruchsentscheidung vom 5. Dezember 2008 als unbegründet zurück. Die steuerbaren Betreuungsleistungen des Klägers seien nicht nach § 4 Nr. 25 UStG a. F. steuerfrei, weil die Vorschrift nur Tätigkeiten umfasse, die gemeinnützige Ziele verfolgten und nicht auf Gewinnerzielung ausgerichtet seien. Demgegenüber dienten die Leistungen des Klägers auch dem Ziel, die Mittel für seinen Lebensunterhalt zu beschaffen. § 4 Nr. 25 UStG a. F. entspreche auch den Vorgaben des europäischen Rechts, da Art. 13 Teil A Abs. 2 der Richtlinie 77/388/EWG die Mitgliedstaaten dazu berechtige, die Steuerbefreiung - wie geschehen - auf Einrichtungen des öffentlichen Rechts und auf gemeinnützige Organisationen zu beschränken. Zwar erstrecke § 4 Nr. 25 UStG n. F. die Steuerbefreiung auch auf Personen, deren Leistungen von derartigen Einrichtungen vergütet würden. Diese Neuregelung sei jedoch nur auf nach dem 31. Dezember 2007 erbrachte Leistungen anzuwenden und daher für den Streitfall nicht von Belang.

Mit seiner fristgerecht erhobenen Klage verfolgt der Kläger sein Anliegen weiter. Es sei unstreitig, dass § 4 Nr. 25 UStG a. F. die begehrte Steuerbefreiung nicht rechtfertige. Die Norm sei in den (berichtigten) Umsatzsteuererklärungen vom 12. Februar 2008 lediglich aus dem Grunde angegeben worden, weil das deutsche Umsatzsteuerrecht keinen Tatbestand für die von ihm - dem Kläger - getätigten Umsätze kenne. Tatsächlich berufe er sich unmittelbar auf Art. 13 Teil A Abs. 1 Buchst. h der Richtlinie 77/388/EWG, weil er Leistungen ausführe, die eng mit der Kinder- und Jugendbetreuung verbunden seien. Wie der EuGH entschieden habe, stehe dem Gemeinwohlzweck der Befreiung nicht entgegen, dass es sich um eine Tätigkeit mit gewerblichem Charakter gehandelt habe. Auch der Begriff der Einrichtungen sei so weit gefasst, dass er sich auch auf private Einheiten mit Gewinnerzielungsabsicht erstrecke. Der deutsche Gesetzgeber habe die Befreiungsvorschrift der Richtlinie 77/388/EWG nur teilweise und nicht vollständig umgesetzt, weil das europäische Gemeinschaftsrecht selbst die Inanspruchnahme der betreffenden Befreiung nicht ausdrücklich vom fehlenden Gewinnstreben der Einrichtung abhängig gemacht habe. Er könne sich daher für den nicht umgesetzten Teilbereich nicht auf sein eigenes Unterlassen berufen.

Der Kläger beantragt (sinngemäß),

unter Aufhebung des ablehnenden Bescheids vom 15. Februar 2008 und der Einspruchsentscheidung vom 5. Dezember 2008 den Beklagten zu verpflichten, die Umsatzsteuer für das Jahr 2003 um 1.558,62 EUR auf 304,46 EUR und für das Jahr 2004 um 1.986,21 EUR auf 206,74 EUR herabzusetzen, sowie die Umsatzsteuer 2005 um 1.986,21 EUR auf 845,98 EUR herabzusetzen,

und

die Zuziehung eines Bevollmächtigten für das Vorverfahren für notwendig zu erklären.

Der Beklagte beantragt,

die Klage abzuweisen.

Er hält an der in seiner Einspruchsentscheidung dargelegten Rechtsauffassung fest.

Gründe

Die Klage ist begründet. Die Entscheidung des Beklagten, die beantragte Änderung der Umsatzsteuerfestsetzungen für die Jahre 2003 und 2004 abzulehnen und die Umsatzsteuer für das Jahr 2005 abweichend von der Steueranmeldung des Klägers festzusetzen, ist rechtswidrig und verletzt den Kläger in seinen Rechten (§ 100 Abs. 1 Satz 1 der Finanzgerichtsordnung - FGO -). Die streitigen Umsätze des Klägers aus der Betreuung des Jugendlichen B waren bereits in den Streitjahren 2003 bis 2005 umsatzsteuerfrei. Dies ergibt sich aus Art. 13 Teil A Abs. 1 Buchst. h der Richtlinie 77/388/EWG (jetzt: Art. 132 Abs. 1 Buchst. h MwStSystRL), der auf den Streitfall unmittelbare Anwendung findet.

1. Zutreffend gehen die Beteiligten übereinstimmend davon aus, dass die Leistungen des Klägers nach den Vorschriften des nationalen Rechts in den Streitjahren nicht von der Umsatzsteuer befreit waren.

a) Dies gilt insbesondere für den Regelungsbereich des § 4 Nr. 25 UStG a. F.. Nach dessen Satz 1 waren in den Streitjahren bestimmte Leistungen der Träger der öffentlichen Jugendhilfe und der förderungswürdigen Träger der freien Jugendhilfe steuerfrei, nämlich zum einen die Durchführung von Lehrgängen, Freizeiten, Zeltlagern, Fahrten und Treffen sowie von Veranstaltungen, die dem Sport und der Erholung dienen (Buchst. a), zum anderen in Verbindung mit den unter Buchstabe a) bezeichneten Leistungen die Beherbergung, Beköstigung und die üblichen Naturalleistungen, die den Jugendlichen und Mitarbeitern in der Jugendhilfe sowie den bei diesen Leistungen tätigen Personen als Vergütung für die geleisteten Dienste gewährt werden (Buchst. b), und schließlich die Durchführung von kulturellen und sportlichen Veranstaltungen (Buchst. c).

Dabei kann dahinstehen, ob der Kläger in seiner Person überhaupt die Voraussetzungen als Träger der öffentlichen Jugendhilfe oder als förderungswürdiger Träger der freien Jugendhilfe (siehe dazu § 4 Nr. 25 Satz 2 UStG a. F.) erfüllen konnte. Denn auf seine Betreuungsleistungen war die Steuerbefreiung schon deshalb nicht anwendbar, weil der Kläger keine einzige der in der Vorschrift abschließend genannten Tätigkeiten ausgeführt hat. Dies wird vom Kläger auch nicht in Frage gestellt.

b) Gleichfalls nicht zweifelhaft ist, dass die streitigen Leistungen auch nicht durch andere nationale Vorschriften umsatzsteuerfrei gestellt waren. Bei ihnen handelte es sich weder - mangels Ausführung einer Heilbehandlung - um eine nach § 4 Nr. 14 UStG a. F. begünstigte heilberufliche Tätigkeit noch um Leistungen i. S. des § 4 Nr. 18 UStG, da der Kläger weder ein amtlich anerkannter Verband der freien Wohlfahrtspflege noch eine einem solchen Wohlfahrtsverband angeschlossene öffentliche Einrichtung war (vgl. im Einzelnen Urteil des Bundesfinanzhofs - BFH - vom 8. November 2007 - V R 2/06, BFHE 219, 428, BStBl II 2008, 634, unter II. 1. a. und b., m. w. N. zur Rechtsprechung des EuGH und des BFH).

c) Mittlerweile stellt § 4 Nr. 25 Satz 1 UStG n. F. unter anderem die Leistungen der Jugendhilfe nach § 2 Abs. 2 des Achten Buches Sozialgesetzbuch (SGB VIII) umsatzsteuerfrei, wenn diese Leistungen von Trägern der öffentlichen Jugendhilfe oder anderen Einrichtungen mit sozialem Charakter erbracht werden.

Zwar werden davon auch die Umsätze des Klägers erfasst, weil es sich bei ihnen um Hilfsleistungen für seelisch behinderte Kinder und Jugendliche (§ 2 Abs. 2 Nr. 5 SGB VIII) in Form der Eingliederungshilfe durch eine geeignete Pflegeperson mit dem Ziel der Teilhabe am Leben in der Gesellschaft (§ 35a Abs. 1, Abs. 2 Nr. 3 SGB VIII) gehandelt hat. Auch unterfällt der Kläger in seiner Person dem begünstigten Kreis der Einrichtungen mit sozialem Charakter, da er gemäß § 4 Nr. 25 Satz 2 Buchst. b Doppelbuchst. bb UStG n. F. Leistungen erbringt, die im vorangegangenen Kalenderjahr durch den luxemburgischen ... familiar ... als Träger der öffentlichen Jugendhilfe vergütet wurden. Schließlich hindert auch der Begriff der Einrichtungen die Inanspruchnahme der Steuerbefreiung nicht, weil er nach dem Regelungswillen des Gesetzgebers (vgl. Gesetzentwurf der Bundesregierung zum JStG 2008, BTDrucks 16/6290, 78) und der (nach Ansicht des Senats zutreffenden) Rechtsauffassung der Finanzverwaltung (vgl. Schreiben des Bundesministeriums der Finanzen - BMF - vom 2. Juli 2008 - IV B 9 - S 7183/07/10001, 2008/0325481, BStBl I 2008, 690, unter Tz. 4 am Ende) auch natürliche Personen wie den Kläger umfasst. Jedoch ist § 4 Nr. 25 UStG n. F. - wie sich aus Art. 28 Abs. 4 i. V. m. Art. 8 Nr. 4 Buchst. d JStG 2008 ergibt - erst am 1. Januar 2008 in Kraft getreten und damit auf die Umsätze des Streitfalls noch nicht anwendbar.

2. Indessen ergibt sich die Freistellung der Betreuungsleistungen des Klägers von der Umsatzsteuer für die Streitjahre aus den Vorschriften des europäischen Gemeinschaftsrechts. Deren Vorgaben hat der nationale Gesetzgeber vor Inkrafttreten des § 4 Nr. 25 UStG n. F. nicht hinreichend in innerstaatliches Recht umgesetzt, so dass sich der Kläger auf die dort geregelte Steuerbefreiung unmittelbar berufen kann.

a) Art. 13 Teil A Abs. 1 Buchst. h der Richtlinie 77/388/EWG verpflichtete die Mitgliedstaaten, die eng mit der Kinder- und Jugendbetreuung verbundenen Dienstleistungen und Lieferungen von Gegenständen durch Einrichtungen des öffentlichen Rechts oder andere von dem betreffenden Mitgliedstaat als Einrichtung mit sozialem Charakter anerkannte Einrichtungen von der Umsatzsteuer zu befreien. Eine Bestimmung gleichen Inhalts enthält mittlerweile (mit Wirkung seit dem 1. Januar 2007) Art. 132 Abs. 1 Buchst. h MwStSystRL.

b) Beide der dort genannten Voraussetzungen erfüllen Dienstleistungen wie jene, die der Kläger im Streitfall ausgeführt hat.

Zum einen sind die im Auftrag des luxemburgischen Jugendamts erbrachten Leistungen einer Eingliederungshilfe für seelisch behinderte Jugendliche i. S. des § 35a SGB VIII vergleichbar und damit eng mit der Kinder- und Jugendbetreuung verbunden (vgl. dazu BFH-Urteil in BFHE 219, 428, BStBl II 2008, 634, unter II. 2. a.). Zum anderen können Einzelunternehmer wie der Kläger - jedenfalls nach den Vorgaben des europäischen Gemeinschaftsrechts - ihre Leistungen (und zwar selbst dann, wenn sie - wie im Streitfall - zumindest auch der Bestreitung des eigenen Lebensunterhalts dienen) in der Rechtsform einer Einrichtung erbringen, die zu den von dem betreffenden Mitgliedstaat als Einrichtung mit sozialem Charakter anerkannte(n) Einrichtungen zählt.

aa) Wie der EuGH und - ihm folgend - der BFH entschieden haben, steht dem Gemeinwohlzweck einer Befreiung nach Art. 13 Teil A Abs. 1 Buchst h der Richtlinie 77/388/EWG grundsätzlich nicht entgegen, dass es sich um eine Tätigkeit mit gewerblichem Charakter handelt (Urteile des EuGH vom 26. Mai 2005 - C-498/03, Kingscrest Associates Ltd. und Montecello Ltd., Slg. 2005, I-4427, UR 2005, 453, unter Rdnr. 31 m. w. N., und des BFH in BFHE 219, 428, BStBl II 2008, 634, unter II. 2. b. aa.). Auch der Begriff der Einrichtung ist grundsätzlich weit genug, um auch private Einheiten mit Gewinnerzielungsabsicht zu erfassen, so dass er natürliche Personen, die ein Unternehmen betreiben - wie hier den Kläger -, nicht von der Steuerbefreiung ausschließt (Urteile des EuGH vom 7. September 1999 - C-216/97, Gregg, Slg. 1999, I-4947, UR 1999, 419, unter Rdnr. 17, vom 3. April 2003 - C-144/00, Hoffmann, Slg. 2003, I-2921, UR 2003, 248, und Kingscrest Associates Ltd. und Montecello Ltd. in Slg. 2005, I-4427, UR 2005, 453, unter Rdnr. 35, sowie des BFH vom 18. August 2005 - V R 71/03, BFHE 211, 543, BStBl II 2006, 143, unter II. 2. d. cc. (2)., und in BFHE 219, 428, BStBl II 2008, 634, unter II. 2. b. aa.).

bb) Nach Maßgabe des europäischen Gemeinschaftsrechts handelt es sich bei Unternehmen wie jenem, das der Kläger mit der Erbringung von Eingliederungshilfe für seelisch behinderte Jugendliche betreibt, um Einrichtungen, die von dem betreffenden Mitgliedstaat als solche mit sozialem Charakter anzuerkennen sind.

Zwar kann der Einzelne die Eigenschaft einer Einrichtung mit sozialem Charakter nicht schon dadurch erlangen, dass er sich auf diese Bestimmung beruft. Vielmehr ist es Sache der nationalen Behörden, nach dem Gemeinschaftsrecht und unter der Kontrolle der nationalen Gerichte - insbesondere unter Berücksichtigung der Praxis der zuständigen Verwaltung in ähnlichen Fällen - zu bestimmen, welche Einrichtungen als Einrichtungen mit sozialem Charakter i. S. von Art. 13 Teil A Abs. 1 Buchst. h der Richtlinie 77/388/EWG anzuerkennen sind (Urteile des EuGH Kingscrest Associates Ltd. und Montecello Ltd. in Slg. 2005, I-4427, UR 2005, 453, unter Rdnrn. 53 ff., und des BFH in BFHE 219, 428, BStBl II 2008, 634, unter II. 2. b. cc.; vgl. auch Urteile des EuGH vom 10. September 2002 - C-141/00, Ambulanter Pflegedienst Kügler GmbH, Slg. 2002, I-6833, UR 2002, 513, unter Rdnrn. 55 ff., und vom 6. November 2003 - C-45/01, Christoph-Dornier-Stiftung, Slg. 2003, I-12911, UR 2003, 584, unter Rdnr. 72, sowie des BFH vom 22. April 2004 - V R 1/98, BFHE 205, 514, BStBl II 2004, 849, unter II. 2. b., jeweils zu Art. 13 Teil A Abs. 1 Buchst. g der Richtlinie 77/388/EWG).In Übereinstimmung damit hat der BFH bereits entschieden, dass die Anerkennung eines Unternehmers als eine Einrichtung mit sozialem Charakter auch aus der Übernahme der Kosten für seine Leistungen durch Krankenkassen oder andere Einrichtungen der sozialen Sicherheit abgeleitet werden kann. Dabei kann für die Anerkennung auch gewürdigt werden, dass der Leistende die begünstigten Leistungen aufgrund vertraglicher Vereinbarungen mit Trägern der Sozialversicherung erbracht hat (BFH-Urteile in BFHE 205, 514, BStBl II 2004, 849, in BFHE 211, 543, BStBl II 2006, 143, und in BFHE 219, 428, BStBl II 2008, 634).

Dies vorausgeschickt, setzt die Inanspruchnahme der Steuerbefreiung nach europäischem Gemeinschaftsrecht - ungeachtet des insoweit nicht eindeutigen Wortlauts (als Einrichtungen mit sozialem Charakter anerkannte Einrichtungen) - jedenfalls das vorherige Durchlaufen eines förmlichen steuerrechtlichen oder sozialrechtlichen Anerkennungsverfahrens nicht voraus (gleicher Ansicht: Urteil des Finanzgerichts - FG - Münster vom 9. November 2010 - 15 K 4439/06 U, Entscheidungen der Finanzgerichte - EFG - 2011, 594, unter 4., Az. des BFH: V R 52/10). Dies hat der EuGH bereits in seinem Urteil Christoph-Dornier-Stiftung in Slg. 2003, I-12911, UR 2003, 584 (unter Rdnr. 67) zur Vorschrift des Art. 13 Teil A Abs. 1 Buchst. b der Richtlinie 77/388/EWG (jetzt: Art. 132 Abs. 1 Buchst. b MwStSystRL) festgehalten, wo - sprachlich ungleich enger - von ordnungsgemäß anerkannten Einrichtungen die Rede ist. Das dort Entschiedene gilt daher für den weiter gefassten Anwendungsbereich des Buchst. h der Vorschrift erst recht. Von Bedeutung ist mithin vielmehr, ob Gemeinschaften mit den gleichen Tätigkeiten wie jenen des Klägers wegen des mit diesen Tätigkeiten verbundenen Gemeinwohlinteresses bereits in den Genuss einer ähnlichen Steuerbefreiung kommen (EuGH-Urteile Kingscrest Associates Ltd. und Montecello Ltd. in Slg. 2005, I-4427, UR 2005, 453, unter Rdnr. 53, und Ambulanter Pflegedienst Kügler GmbH in Slg. 2002, I-6833, UR 2002, 513, unter Rdnr. 58).

Sachverhalte wie jener des Streitfalls können deshalb auch nicht mit der Begründung von der Umsatzsteuerfreiheit ausgenommen werden, dass die leistende Einrichtung (hier: der Kläger) ihre Dienstleistungen nicht gegenüber Sozialversicherungsträgern gerade desjenigen Mitgliedstaats erbracht hat, in dem die Umsätze stattgefunden haben und der die Umsätze besteuern will. Zwar müssen die begünstigten Einrichtungen nach dem Wortlaut des Art. 13 Teil A Abs. 1 Buchst. h der Richtlinie 77/388/EWG (jetzt: Art. 132 Abs. 1 Buchst. h MwStSystRL) von dem betreffenden Mitgliedstaat als Einrichtungen mit sozialem Charakter anerkannt worden sein. Daraus hat der BFH in seinem Urteil in BFHE 219, 428, BStBl II 2008, 634 (unter II. 2. b. dd.) den Schluss gezogen, dass die Anerkennung des betreffenden Mitgliedstaates als eine Einrichtung mit vergleichbarer Zielrichtung zumindest eine unmittelbare vertragliche - Inhalt, Umfang sowie Verantwortung für die vertragsgemäße Durchführung konkretisierende - Beziehung zwischen diesem Mitgliedstaat bzw. seinen Untergliederungen und dem Unternehmer voraussetze, wie sie zwischen dem Kläger - der seine Leistungen für den luxemburgischen ... familiar ... und damit für einen ausländischen Träger der sozialen Sicherheit erbringt - tatsächlich nicht besteht. Die damit einhergehende Schlechterstellung von Umsätzen mit Sozialversicherungsträgern anderer Mitgliedstaaten gegenüber solchen mit Sozialversicherungsträgern des Inlands wäre jedoch nach Auffassung des Senats mit gemeinschaftsrechtlichen Maßgaben nicht zu vereinbaren. Zu beachten ist nämlich zudem, dass der Grundsatz der steuerlichen Neutralität es im Anwendungsbereich des Art. 13 Teil A Abs. 1 Buchst. h der Richtlinie 77/388/EWG insbesondere verbietet, gleichartige und miteinander in Wettbewerb stehende Dienstleistungen hinsichtlich der Umsatzsteuer unterschiedlich zu behandeln (EuGH-Urteil Kingscrest Associates Ltd. und Montecello Ltd. in Slg. 2005, I-4427, UR 2005, 453, unter Rdnr. 54 m. w. N.). Steht daher - wie im Streitfall - fest, dass die Leistungen von der Umsatzsteuer zu befreien wären, wenn sie für das inländische Jugendamt ausgeführt würden, weil aus der Kostenübernahme durch dieses Jugendamt (§ 35a Abs. 2 Nr. 3 SGB VIII) die Anerkennung als Einrichtung mit sozialem Charakter folgt, so können die gleichartigen Dienstleistungen für das Jugendamt eines anderen Mitgliedstaates nicht unter Berufung darauf als steuerpflichtig behandelt werden, dass mit der Kostenübernahme zwar eine Anerkennung durch jenen Mitgliedstaat (hier: durch Luxemburg), nicht aber zugleich auch die Anerkennung durch den betreffenden Mitgliedstaat des Leistungsorts (hier: durch Deutschland) verbunden sei.

c) Daraus folgt, dass der deutsche Gesetzgeber für Sachverhalte wie jenen des Streitfalls die Befreiungsvorschrift des Art. 13 Teil A Abs. 1 Buchst. h der Richtlinie 77/388/EWG - jedenfalls bis zur Neufassung des § 4 Nr. 25 UStG n. F. - nicht hinreichend in innerstaatliches Recht umgesetzt hat (vgl. hierzu bereits BFH-Urteile in BFHE 219, 428, BStBl II 2008, 634, unter II. 1., und vom 30. Juli 2008 - V R 66/06, BFHE 223, 381, BStBl II 2010, 507, unter II. 2. b.).

Diesem Befund steht - anders als der Beklagte meint - nicht entgegen, dass das Gemeinschaftsrecht die Mitgliedstaaten ausdrücklich dazu ermächtigt hat, die Gewährung jener Steuerbefreiung für Einrichtungen wie die des Klägers von Fall zu Fall von der Erfüllung bestimmter Bedingungen abhängig zu machen, zu denen unter anderem auch der Verzicht auf die systematische Gewinnerzielung gehört (Art. 13 Teil A Abs. 2 Buchst. a 1. Gedankenstrich der Richtlinie 77/388/EWG; jetzt: Art. 133 Satz 1 Buchst. a MwStSystRL).Denn diese Beschränkung der Befreiungsregel hat - wie der EuGH mehrfach entschieden hat (Urteile Ambulanter Pflegedienst Kügler GmbH in Slg, 2002, I-6833, UR 2002, 513, unter Rdnr. 60, und Kingscrest Associates Ltd. und Montecello Ltd. in Slg. 2005, I-4427, UR 2005, 453, unter Rdnr. 38) - nur Eventualcharakter. Die Anwendung der Beschränkung bedarf daher einer ausdrücklichen Regelung durch den nationalen Gesetzgeber, die jedoch nicht unterstellt werden kann, soweit - wie hier - die gemeinschaftsrechtliche Befreiung schlicht nicht umgesetzt worden ist. Hat der Mitgliedstaat es daher unterlassen, die insoweit erforderlichen Maßnahmen zu treffen, so kann er sich anschließend nicht auf sein eigenes Unterlassen berufen, um einem Steuerpflichtigen eine Steuerbefreiung zu verwehren, die dieser nach der Richtlinie 77/388/EWG in Anspruch nehmen kann (mittlerweile ständige Rechtsprechung des BFH: BFH-Urteile in BFHE 205, 514, BStBl II 2004, 849, unter II. 3. b., in BFHE 211, 543, BStBl II 2005, 143, unter II. 2. d. cc. (4)., und - ausführlich - in BFHE 219, 428, BStBl II 2008, 634, unter II. 2. b. bb.). Soweit dem BFH-Beschluss vom 28. Februar 2002 - V B 31/01, BFH/NV 2002, 957, unter II. 2. d.) anderes zu entnehmen sein könnte, wäre dies jedenfalls durch die späteren Entscheidungen des EuGH und des BFH überholt.

d) Die Steuerbefreiung des Art. 13 Teil A Abs. 1 Buchst. h der Richtlinie 77/388/EWG findet auf die Leistungen des Klägers auch unmittelbare Anwendung.

Nach der Rechtsprechung des EuGH und des BFH kann sich ein Einzelner in Ermangelung fristgemäß erlassener Umsetzungsmaßnahmen auf Bestimmungen einer Richtlinie, die inhaltlich als unbedingt und hinreichend genau erscheinen, gegenüber allen nicht richtlinienkonformen innerstaatlichen Vorschriften berufen. Er kann sich auf diese Bestimmungen auch berufen, soweit sie so geartet sind, dass sie Rechte festlegen, die der Einzelne dem Staat gegenüber geltend machen kann. Ein Mitgliedstaat kann einem Steuerpflichtigen, der beweisen kann, dass er steuerrechtlich unter einen Befreiungstatbestand der Richtlinie fällt, nicht entgegenhalten, dass er die Vorschriften, die die Anwendung eben dieser Steuerbefreiung erleichtern sollen, nicht erlassen hat (vgl. Urteile des EuGH Ambulanter Pflegedienst Kügler GmbH in Slg. 2002, I-6833, UR 2002, 513, unter Rdnr. 51, und Christoph-Dornier-Stiftung in Slg. 2003, I-12911, UR 2003, 584, unter Rdnr. 78, sowie des BFH in BFHE 205, 514, BStBl II 2004, 849, unter II.3. b., in BFHE 219, 428, BStBl II 2008, 634, unter II. 2., vom 17. Februar 2009 - XI R 67/06, BFHE 224, 183, BFH/NV 2009, 869, unter II. 2. a., und vom 11. März 2009 - XI R 68/06, BFH/NV 2009, 1464, unter II. 3. a.). Art. 13 Teil A Abs. 1 Buchst. h der Richtlinie 77/388/EWG zählt die Tätigkeiten, die steuerfrei sind, nach diesen Maßstäben hinreichend genau und unbedingt auf (BFH-Urteil in BFHE 219, 428, BStBl II 2008, 634, unter II. 2. a.). Das genügt.

3. Der Klage war somit stattzugeben. Die Umsatzsteuer des Streitjahrs 2005 war entsprechend dem Antrag des Klägers herabzusetzen (§ 100 Abs. 2 Satz 1 FGO). Der Rechtsstreit ist auch hinsichtlich der Umsatzsteuer der Streitjahre 2003 und 2004 spruchreif; insoweit folgt die Verpflichtung des Beklagten zur Änderung der noch unter dem Vorbehalt der Nachprüfung stehenden Steuerfestsetzungen aus § 101 Satz 1 FGO i. V. m. § 164 Abs. 2 der Abgabenordnung (AO).

4. Die Kostenentscheidung beruht auf § 135 Abs. 1 FGO. Die Zuziehung eines Bevollmächtigten für das Vorverfahren war für notwendig zu erklären, da dem Rechtsstreit eine Streitfrage zugrundeliegt, die nicht so einfach zu beantworten war, als dass sich der Kläger dort selbst hätte vertreten können (§ 139 Abs. 3 Satz 3 FGO).

5. Die Zulassung der Revision folgt aus § 115 Abs. 2 Nr. 2 FGO. Die Frage, unter welchen Voraussetzungen einem Kinder- und Jugendbetreuer aus dem Umstand der Kostenübernahme durch den Sozialversicherungsträger oder das Jugendamt eines anderen Mitgliedstaats die Anerkennung als Einrichtung mit sozialem Charakter vermittelt werden kann, ist höchstrichterlich bislang noch nicht geklärt. Zur Steuerbefreiung für Umsätze gewerblicher Betreuer sind beim BFH zudem bereits mehrere Revisionsverfahren anhängig (Az. V R 52/10 gegen das Urteil des FG Münster in EFG 2011, 594, und Az. V R 7/11 gegen das Urteil des FG Düsseldorf vom 26. November 2010 - 1 K 1914/10 U, EFG 2011, 1115; siehe auch Urteil des FG Münster vom 16. Juni 2011 - 5 K 3437/10 U, bislang nicht veröffentlicht).

6. Der Senat hielt es für angezeigt, den Rechtsstreit gemäß § 90a Abs. 1 FGO ohne mündliche Verhandlung durch Gerichtsbescheid zu entscheiden.

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