VGH Baden-Württemberg, Beschluss vom 02.08.2011 - 8 S 1516/11
Fundstelle
openJur 2012, 67088
  • Rkr:

1. Die Baurechtsbehörde kann nach § 54 Abs. 4 LBO mit der Erteilung der Baugenehmigung das gemeindliche Einvernehmen inzident ersetzen. Einer eigenständigen Ersetzungsent-scheidung bedarf es folglich nicht. Der Begründungspflicht des § 54 Abs. 4 Satz 4 LBO in Verbindung mit § 39 Abs. 1 LVwVfG muss genügt werden.

2. Die Einvernehmensersetzung nach § 54 Abs. 4 LBO ist jedenfalls in der Regel geboten, wenn das Einvernehmen rechtswidrig versagt wurde. Ob es sich bei § 54 Abs. 4 LBO um eine Ermessensvorschrift oder um eine Befugnisnorm handelt, bei der eine gebundene Entscheidung zu treffen ist, bleibt offen.

Tenor

Die Beschwerde der Antragstellerin gegen den Beschluss des Verwaltungsgerichts Sigmaringen vom 9. Mai 2011 - 7 K 2316/10 - wird zurückgewiesen.

Die Antragstellerin trägt die Kosten des Beschwerdeverfahrens mit Ausnahme der außergerichtlichen Kosten des Beigeladenen.

Der Streitwert für das Beschwerdeverfahren wird auf 3.750,-- EUR festgesetzt.

Gründe

I.

Die Antragstellerin ist eine Gemeinde, die sich gegen die Ersetzung ihres Einvernehmens gemäß § 54 Abs. 4 LBO wendet.

Der Beigeladene beantragte am 25.03.2010 beim Landratsamt Alb-Donau-Kreis eine Baugenehmigung für den Einbau eines Putenaufzucht- und -maststalles in einen vorhandenen Schweinemaststall auf seinem Grundstück ... Straße ... (Flst.-Nr. ...) in ...-...

Die Antragstellerin verweigerte mit Schreiben vom 21.05.2010 die Erteilung ihres Einvernehmens zu dem Bauvorhaben. Hieran hielt sie auch nach Anhörung durch ein Schreiben des Landratsamts Alb-Donau-Kreis vom 06.07.2010 fest und teilte dies dem Landratsamt unter dem 27.07.2010 mit.

Mit Schreiben vom 20.09.2010, das mit einer Rechtsbehelfsbelehrung versehen war und dem bereits eine Abschrift der Baugenehmigung beilag, informierte das Landratsamt Alb-Donau-Kreis die Antragstellerin darüber, dass sie ihr Einvernehmen rechtswidrig versagt habe. Der Bauherr habe einen Rechtsanspruch auf Erteilung der Baugenehmigung. Sie erhalte deshalb eine Abschrift der Baugenehmigung. Die Genehmigung gelte zugleich als Ersatzvornahme. Die Begründung sei in der Baugenehmigung aufgeführt.

Unter dem 21.09.2010 erteilte das Landratsamt Alb-Donau-Kreis dem Beigeladenen die beantragte Baugenehmigung. In dem Bescheid ist ausgeführt, die Genehmigung gelte als Ersatzvornahme für das versagte gemeindliche Einvernehmen (§ 54 Abs. 4 LBO). Zur Begründung heißt es weiter, der ehemalige Schweinemaststall des Beigeladenen genieße Bestandsschutz. Auch wenn seit ca. zwei Jahren keine Schweine mehr eingestellt seien, bleibe die Baugenehmigung bezüglich der Nutzung des Stalles erhalten. Nach § 34 Abs. 2 BauGB beurteile sich die Zulässigkeit des Vorhabens nach seiner Art allein danach, ob es nach der Baunutzungsverordnung in dem Baugebiet allgemein zulässig wäre. Die Eigenart der näheren Umgebung entspreche einem Dorfgebiet nach § 5 BauNVO. Nach § 5 Abs. 1 BauNVO diene ein Dorfgebiet unter anderem der Unterbringung der Wirtschafsstellen land- und forstwirtschaftlicher Betriebe. Die geplante Nutzungsänderung von einem Schweine- in einen Putenstall sei zulässig. Ein Verstoß gegen das Rücksichtnahmegebot (§ 15 BauNVO) sei durch die Nutzungsänderung nicht gegeben. Laut Stellungnahme des Fachdienstes Landwirtschaft vom 01.04.2010 bestünden keine Bedenken. Die Immissionsabstände der geplanten Puteneinstallung fielen geringer aus als die Immissionsabstände des genehmigten, im Bestandsschutz stehenden Mastschweinestalls. Auch die Stellungnahmen des Fachdienstes Umwelt- und Arbeitsschutzes vom 22.04.2010 sowie des Fachdienstes Verbraucherschutz, Veterinärangelegenheiten vom 08.04.2010 hätten keine Bedenken/Einwände gegen die geplante Nutzungsänderung.

Am 04.10.2010 erhob die Antragstellerin Widerspruch gegen die Baugenehmigung und gegen die Entscheidung in Bezug auf die Ersetzung des gemeindlichen Einvernehmens nach § 54 Abs. 4 LBO und die damit zugleich verbundene Ersatzvornahme.

Mit Beschluss vom 09.05.2011 - 7 K 2316/10 - hat das Verwaltungsgericht Sigmaringen den Antrag der Antragstellerin auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung ihres Widerspruchs gegen die dem Beigeladenen unter Ersetzung des Einvernehmens erteilte Baugenehmigung vom 21.09.2010 abgelehnt. Dabei hat das Verwaltungsgericht den Antrag sachdienlich dahin ausgelegt, dass die Anordnung nicht nur hinsichtlich der dem Beigeladenen erteilten Baugenehmigung, sondern auch hinsichtlich des ersetzten Einvernehmens begehrt werde.

Mit ihrer Beschwerde beantragt die Antragstellerin,

den Beschluss des Verwaltungsgerichts Sigmaringen vom 09.05.2011 - 7 K 2316/10 - aufzuheben und die aufschiebende Wirkung ihres Widerspruchs vom 04.10.2010 gegen die unter dem 21.09.2010 dem Beigeladenen erteilte Baugenehmigung und gegen die Entscheidung des Landratsamts Alb-Donau-Kreis vom 20.09.2010 in Bezug auf die Ersetzung des gemeindlichen Einvernehmens nach § 54 Abs. 4 LBO und die damit zugleich verbundene Ersatzvornahme anzuordnen.

Der Antragsgegner beantragt,

die Beschwerde zurückzuweisen.

Er führt aus, es treffe zu, dass es sich bei der Vorschrift des § 54 Abs. 4 LBO um eine Ermessensvorschrift handele. Demnach stehe es grundsätzlich im Ermessen der Baurechtsbehörde, von der Möglichkeit der Ersetzung Gebrauch zu machen. Für diese Ermessensvorschrift gälten jedoch Besonderheiten. Eine sachgerechte Ermessenserwägung führe in der Regel dazu, dass die Baurechtsbehörde eine Ersetzung des Einvernehmens vornehmen müsse, wenn es rechtswidrig von der Gemeinde versagt worden sei. Ausgangspunkt sei die Überlegung, dass die rechtswidrige Verweigerung des Einvernehmens eine Verletzung des Anspruchs des Bauherrn aus § 58 LBO bedeute. Dies ergebe sich auch aus der Rechtsprechung betreffend die Haftung im Falle einer rechtswidrig verweigerten Baugenehmigung. Diese verlange, dass die Baurechtsbehörde in jedem Fall des verweigerten Einvernehmens die Ersetzung zur Vermeidung der eigenen Haftung prüfen und bei rechtswidrig verweigertem Einvernehmen die Ersetzung vornehmen müsse. Mit dem Schreiben vom 06.07.20010 sei der Antragstellerin gegenüber ausführlich vorgetragen worden, warum ein Rechtsanspruch des Beigeladenen auf Erteilung der Baugenehmigung bestehe und damit das gemeindliche Einvernehmen zu ersetzen sei.

Der Beigeladene stellt keinen Antrag.

Wegen der Einzelheiten wird auf die gewechselten Schriftsätze, die beigezogenen Akten des Landratsamts Alb-Donau-Kreis und die Gerichtsakten verwiesen.

II.

1. Die zulässige Beschwerde ist nicht begründet. Unter Berücksichtigung der in der einmonatigen Begründungsfrist (§ 146 Abs. 4 Satz 1 VwGO) dargelegten Gründe, auf deren Prüfung der Senat grundsätzlich beschränkt ist (§ 146 Abs. 4 Satz 6 VwGO), hat das Verwaltungsgericht den Antrag der Antragstellerin auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung ihres Widerspruchs gegen die dem Beigeladenen erteilte Baugenehmigung sowie gegen die Entscheidung über die Ersetzung des gemeindlichen Einvernehmens nach § 54 Abs. 4 LBO zu Recht abgelehnt. Die mit der Beschwerdebegründung dargelegten Gründe gebieten keine andere Entscheidung.

a) Die Antragstellerin beanstandet, der Entscheidung des Landratsamts vom 20.09.2010 über die Ersetzung des Einvernehmens sei keine Begründung beigefügt. Das Schreiben verweise allein auf die Baugenehmigung und auf die Anhörung vom 06.07.2010. Eine Ausnahme von der Begründungspflicht komme allenfalls nach § 39 Abs. 2 Nr. 2 LVwVfG in Betracht. Regelmäßig reiche aber eine Anhörung nicht zur Begründung eines Verwaltungsakts aus. So sei es auch hier. Die Verweisung auf die erst einen Tag später ergangene Baugenehmigung, also eine zukünftige Entscheidung, könne ebenfalls nicht genügen.

Diese formellen Bedenken gegen die Ersetzung des gemeindlichen Einvernehmens sind unbegründet. Ein etwaiger Begründungsmangel hinsichtlich der Ersetzungsentscheidung ist jedenfalls unbeachtlich geworden, nachdem das Landratsamt im Beschwerdeverfahren - ausgehend davon, dass § 54 Abs. 4 LBO Ermessen einräume - schriftsätzlich Ausführungen zu den Gründen gemacht hat, die bei der Ersetzungsentscheidung leitend waren. Denn nach § 45 Abs. 1 Nr. 2 LVwVfG ist eine Verletzung von Verfahrens- oder Formvorschriften, die - wie hier - nicht den Verwaltungsakt nach § 44 LVwVfG nichtig macht, unbeachtlich, wenn die erforderliche Begründung nachträglich gegeben wird. Handlungen nach § 45 Abs. 1 LVwVfG können bis zum Abschluss der letzten Tatsacheninstanz eines verwaltungsgerichtlichen Verfahrens nachgeholt werden (§ 45 Abs. 2 LVwVfG).

Unabhängig von dem nachträglichen Unbeachtlichwerden spricht zudem Einiges dafür, dass ohnehin kein Begründungsmangel vorlag. Nach dem für die Einordnung als Verwaltungsakt (vgl. BVerwG, Urteil vom 17.08.1995 - 1 C 15.94 -, BVerwGE 99, 101 = NJW 1996, 1073) wie auch für die Auslegung eines Verwaltungsakts maßgeblichen objektiven Erklärungswert (vgl. BVerwG, Urteil vom 20.04.2005 - 9 C 4.04 - BVerwGE 123, 292 = NVwZ 2005, 1070 ) könnte zwar das Schreiben vom 20.09.2010 als eine isolierte Ersetzungsentscheidung auf der Grundlage des § 54 Abs. 4 Satz 1 LBO verstanden werden. Denn es ist förmlich als Bescheid mit Rechtsbehelfsbelehrung ausgestaltet und auch inhaltlich - trotz des Fehlens eines Entscheidungssatzes - seinem Sinn nach auf die Ersetzung des Einvernehmens gerichtet. Das Schreiben selbst enthielt - anders als bei einem Verwaltungsakt grundsätzlich erforderlich - keine Begründung für die Einvernehmensersetzung. Auf Inhalt, Rechtsqualität und fehlende Begründung des Schreibens vom 20.09.2010 kam es jedoch (abgesehen davon, dass die Baugenehmigung mit ihrer in Bezug genommenen Begründung dem Schreiben auch beigefügt war und nur ein späteres Erstellungsdatum trug) gar nicht an. Denn eine - mit Begründung versehene - Ersetzung des gemeindlichen Einvernehmens erfolgte inzident mit der Baugenehmigung vom 21.09.2010. Das Ersetzungsverfahren des § 54 Abs. 4 LBO ist - ähnlich dem kommunalrechtlichen Ersetzungsverfahren mit Beanstandung und Ersatzvornahme (§§ 121, 123 GemO; wobei allerdings nach Maßgabe des § 28 LVwVfG noch Anhörungserfordernisse hinzutreten) - zweistufig aufgebaut: Auf einer ersten Stufe erfolgt gemäß § 54 Abs. 4 Sätze 6 und 7 LBO die Anhörung der Gemeinde; auf einer zweiten Stufe ergeht gemäß § 54 Abs. 4 Sätze 3 und 4 LBO die Baugenehmigung mit der Wirkung der Ersatzvornahme (so zutreffend Sauter, LBO, 3. Aufl., § 54 Rn. 47; vgl. auch Wortha, VBlBW 2010, 219 ). Die Anlehnung an das kommunalaufsichtliche Verfahren schlägt sich in der Verwendung des Begriffes Ersatzvornahme nieder (so auch § 71 MBO 2002, noch deutlicher Art. 67 Bay. LBO, wo von Ersatzvornahme im Sinne der GemO die Rede ist), obwohl damit an dieser Stelle nichts Anderes als die Ersetzung des Einvernehmens gemeint ist. Einer eigenständigen Ersetzungsentscheidung bedarf es folglich nicht. Das Ersetzungsverfahren ist in das Genehmigungsverfahren zum Zwecke der Verfahrenskonzentration integriert. Ergeht gleichwohl eine getrennte Ersetzungsentscheidung (wie dies hier womöglich mit dem Schreiben vom 20.09.2010 beabsichtigt war) neben der Baugenehmigung, so genügt es, wenn die Baugenehmigung den Anforderungen des § 54 Abs. 4 LBO genügt. Die danach allein maßgebliche Baugenehmigung vom 21.09.2010 ist mit einer förmlichen Begründung für die Einvernehmensersetzung ergangen. Unter Nr. 15 der Auflagen und Hinweise ist unter Bezug auf § 54 Abs. 4 LBO ausgeführt, die Genehmigung gelte als Ersatzvornahme für das versagte gemeindliche Einvernehmen. Daran anschließend erfolgt die Begründung, weshalb nach § 58 Abs. 1 Satz 1 LBO die Baugenehmigung zu erteilen gewesen sei. Bereits damit könnte der Begründungspflicht des § 54 Abs. 4 Satz 4 LBO in Verbindung mit § 39 Abs. 1 LVwVfG genügt sein. Hiergegen ließe sich lediglich anführen, dass keine Gesichtspunkte zur Ermessensausübung benannt wurden. Ob dies mit § 39 Abs. 1 Satz 3 LVwVfG vereinbar war - etwa deshalb, weil § 54 Abs. 4 LBO gar kein Ermessen einräumt oder das Ermessen hier ein intendiertes Ermessen ist beziehungsweise auf Null reduziert war -, bedarf keiner Entscheidung (vgl. dazu U. Stelkens in Stelkens/Bonk/Sachs, VwVfG, 7. Aufl., § 39 Rn. 58).

b) Die Antragstellerin rügt weiter, § 54 Abs. 4 LBO sei eine Ermessensvorschrift. Da keine Ermessensabwägung stattgefunden habe, sei die Entscheidung des Landratsamts rechtswidrig.

Dieses Vorbringen greift jedenfalls deshalb nicht durch, weil das Landratsamt in seiner Erwiderung auf die Beschwerdebegründung tragfähige, vom Senat noch zu berücksichtigende Ermessenserwägungen angestellt hat. Daher kann offen bleiben, ob § 54 Abs. 4 LBO der Genehmigungsbehörde überhaupt Ermessen einräumt. Für einen Ermessensspielraum spricht der Wortlaut der Bestimmung wie auch derjenige des § 36 Abs. 2 Satz 3 BauGB, wonach eine Einvernehmensersetzung durch die nach Landesrecht zuständige Behörde möglich ist. Beide Vorschriften sind als Kann-Vorschriften ausgestaltet. Hierbei muss mit dem Wort kann allerdings nicht zwingend ein Ermessen verbunden sein; vielmehr ließe sich dieses auch allein darauf beziehen, dass die Ersetzungsbefugnis überhaupt eingeräumt wird. Gegen eine Ermessensfreiheit der Genehmigungsbehörde könnte unter Umständen angeführt werden, der Bauwillige, dessen Vorhaben mit den materiell-rechtlichen Vorschriften in Einklang stehe, habe einen durch Art. 14 GG geschützten Anspruch gegenüber der Baugenehmigungsbehörde auf Erteilung der Baugenehmigung. Hiermit wäre es möglicherweise nicht in Einklang zu bringen, wenn die Baugenehmigungsbehörde unter Berufung auf ein ihr eingeräumtes Ermessen die rechtswidrige Verweigerung des Einvernehmens durch die Gemeinde nicht ersetzen und deshalb mit der Ablehnung des Bauantrages rechtswidrig in das Eigentumsrecht des Bauwilligen eingreifen dürfte (vgl. BGH, Urteil vom 16.09.2010 - III ZR 29/10 - BGHZ 187, 51 = VBlBW 2011, 144). Andererseits ergibt sich aus § 36 Abs. 2 Satz 3 BauGB oder § 54 Abs. 4 LBO nicht ausdrücklich, dass die Genehmigungsbehörde für sich stets ein besseres Wissen als dasjenige der ihr Einvernehmen versagenden Gemeinde in Anspruch nehmen und deshalb zwingend das Einvernehmen, dessen Versagung sie für rechtswidrig hält, ersetzen muss. Im Gesetz ist nicht eindeutig angelegt, dass die Nichtersetzung des Einvernehmens einen Eingriff in das Eigentumsrecht des Bauwilligen darstellt und damit die zur Ersetzung befugte Behörde (haftungsrechtlich) letztverantwortlich sein muss. Dementsprechend sind die Meinungen darüber, ob es sich bei § 54 Abs. 4 LBO um eine Ermessensvorschrift handelt, geteilt (dafür Fischer, VBlBW 2010, 213 ; Rieger in Schrödter, BauGB, 7. Aufl., § 36 Rn. 23; Sauter, LBO, a.a.O., § 54 Rn. 46; Schlotterbeck in Schlotterbeck/Hager/Busch/Gammerl, LBO, 6. Aufl., § 54 Rn. 27; Wortha, VBlBW 2010, 219 ; dem Gegenteil zuneigend BGH, Urteil vom 16.09.2010, a.a.O.; Groß, BauR 1999, 560 ; explizit dagegen Dippel, NVwZ 1999, 921 u. NVwZ 2011, 769 m.w.N. zum Streitstand in der obergerichtlichen Rspr.; Dolderer, BauR 2000, 491 ; Horn, NVwZ 2002, 406 ; Roeser in Schlichter/Stich/Driehaus/Paetow, Berliner Kommentar zum Baugesetzbuch, 3. Aufl., § 36 Rn. 14). Hierzu muss der Senat im vorliegenden Verfahren nicht abschließend Stellung beziehen. Denn die vom Landratsamt in seiner Erwiderung auf die Beschwerdebegründung angeführten Ermessenserwägungen sind auch bei Annahme eines Ermessensspielraums rechtlich nicht zu beanstanden und tragen die Ersetzung des Einvernehmens der Antragstellerin. Das Landratsamt hat nämlich zu Recht die Versagung des Einvernehmens als rechtswidrig erkannt. Es musste weder im Tatsächlichen noch im Rechtlichen Zweifel an der Richtigkeit seiner Auffassung haben, dass der Beigeladene einen Anspruch auf die beantragte Baugenehmigung hatte (siehe dazu unten). Es handelte sich um keinen Grenzfall, bei dem sich Rücksicht auf die Argumente der Gemeinde aufdrängte. Auch war eine Ersetzung des Einvernehmens nicht bereits im Wege der Rechtsaufsicht nach der Gemeindeordnung eingeleitet worden, was unter Umständen eine Anwendung des § 54 Abs. 4 LBO hätte entbehrlich machen können (vgl. zu diesem Gesichtspunkt OVG Rheinland-Pfalz, Beschluss vom 23.09.1998 - 1 B 11493/98 - NVwZ-RR 2000, 85 ). Es wäre daher gegenüber dem Bauherrn wohl unverhältnismäßig gewesen, ihm die Erfüllung dieses Anspruchs zu verwehren, der nicht nur in § 58 Abs. 1 Satz 1 LBO normiert, sondern auch Ausdruck der vom Eigentumsgrundrecht garantierten Baufreiheit ist (vgl. BVerfG, Beschluss vom 19.06.1973 - 1 BvL 39/69, 1 BvL 14/72 - BVerfGE 35, 263). Insofern trifft die Überlegung des Landratsamtes zu, dass für die (Ermessens-) Vorschrift des § 54 Abs. 4 LBO Besonderheiten gelten und (jedenfalls) eine sachgerechte Ermessenserwägung in der Regel dazu führt, dass die Baurechtsbehörde eine Ersetzung des Einvernehmens vornehmen muss, wenn es rechtswidrig von der Gemeinde versagt worden ist (vgl. Wortha, VBlBW 2010, 219 : intendiertes Ermessen; so für den Fall offenkundiger Rechtswidrigkeit auch VG Frankfurt, Urteil vom 14.09.2000 - 3 E 1383/00 - NVwZ-RR 2001, 371 ; Rieger, a.a.O., § 36 Rn. 23). Der Hinweis auf die Rechtsprechung betreffend die Haftung im Falle einer rechtswidrig verweigerten Baugenehmigung, die verlange, dass die Baurechtsbehörde in jedem Fall des verweigerten Einvernehmens die Ersetzung zur Vermeidung der eigenen Haftung prüfen und bei rechtswidrig verweigertem Einvernehmen die Ersetzung durchführen müsse (vgl. BGH, Urteil vom 16.09.2010, a.a.O.), ist tragfähig.

Unter diesen Umständen bedarf daher auch keiner Klärung, inwieweit eine Gemeinde überhaupt etwaige Ermessensfehler bei der Einvernehmensersetzung rügen kann. Der insoweit einschränkenden Rechtsprechung (vgl. Bay. VGH, Beschluss vom 13.02.2006 - 15 CS 05.3346 - BauR 2006, 2022; Nieders. OVG, Urteil vom 10.01.2008 - 12 LB 22/07 - ZfBR 2008, 366; Hess. VGH, Beschluss vom 08.09.2010 - 3 B 1271/10 - ZfBR 2011, 290) neigt der Senat allerdings eher nicht zu.

c) Die Beschwerde wird weiter damit begründet, die Entscheidung des Landratsamtes verstoße gegen die Vorschriften des vierten Teils der Gemeindeordnung (§§ 118 ff. GemO). Gemäß § 54 Abs. 4 Satz 2 LBO sei nur das Beanstandungsrecht des § 121 GemO ausgenommen. Die baurechtliche Genehmigung substituiere die Ersatzvornahme, der aber regelmäßig die Anordnung gem. § 122 GemO (vorausgehe). Der Ersatzvornahme müsse - als Vollstreckungshandlung - eine Grundverfügung - also eine Anordnung - vorausgehen. Das Anhörungsschreiben vom 06.07.2010 nehme aber nur auf die Ersatzvornahme und nicht auf die Grundverfügung Bezug. Für die Ersatzvornahme bedürfe es gemäß § 123 GemO (der nach § 54 Abs. 4 Satz 2 LBO nicht ausgeschlossen sei) einer weiteren Fristsetzung, die sich von der Fristsetzung im Schreiben des Landratsamts vom 06.07.2010 unterscheiden müsse. Eine solche Fristsetzung sei nicht erfolgt. Zudem setze die Vollstreckung gemäß § 123 GemO die Vollstreckbarkeit der Grundverfügung voraus. Sofortvollzug sei aber bezüglich der Entscheidung vom 20.09.2010 nicht angeordnet worden. Insoweit habe der Widerspruch gegen diese Verfügung aufschiebende Wirkung. Der Landesgesetzgeber habe gemäß § 54 Abs. 4 LBO bewusst auf §§ 118 ff. GemO zurückgegriffen. Die Ersatzvornahme als Methode der Aufsicht sei eine gemeinde- und keine baurechtliche Frage. § 212a BauGB und die Kompetenz des Bundesgesetzgebers könnten deshalb nicht so weit reichen, Widersprüchen und Anfechtungsklagen gegenüber der Ersatzvornahme die aufschiebende Wirkung abzusprechen. Eine Gemeinde könne auch nicht Dritte im Sinne von § 212a BauGB sein, da sie Behörde im Sinne von § 1 LVwVfG sei und die aus ihrer kommunalen Planungshoheit entspringenden, verfassungsmäßig abgesicherten Rechte wahrnehme. Folge hiervon sei, dass der Widerspruch gegen die Ersatzvornahme mangels Anordnung von Sofortvollzug aufschiebende Wirkung habe.

Diese Einwände gehen fehl. Sollte die Antragstellerin der Auffassung sein, dass es vor dem Erlass der Baugenehmigung mit der Wirkung der Ersatzvornahme noch einer Anordnung gemäß § 122 GemO bedurft hätte, so irrt sie. Die Antragstellerin verkennt, dass die Ersatzvornahme gemäß § 123 GemO nicht nur der Durchführung von Maßnahmen nach dem Anordnungsrecht des § 122 GemO, sondern auch solcher nach dem Beanstandungsrecht des § 121 GemO dient. Daran knüpft § 54 Abs. 4 LBO an, indem er zur Verfahrensvereinfachung § 121 GemO keine Anwendung finden lässt (Satz 2) und mit der Baugenehmigung die Ersatzvornahme fingiert (Satz 3). Das Anhörungsschreiben vom 06.07.2010 entspricht den Anforderungen des § 54 Abs. 4 Sätze 6 und 7 LBO. Es bedurfte weder einer weiteren Fristsetzung, noch ist § 123 GemO auf das Ersetzungsverfahren nach § 54 Abs. 4 LBO (zusätzlich) anwendbar. Auch das Argument, bezüglich der Entscheidung vom 20.09.2010 sei kein Sofortvollzug angeordnet worden, weshalb ihr Widerspruch aufschiebende Wirkung habe, geht ins Leere. Dies trifft ebenso wenig zu wie die Annahme in der Beschwerdeschrift, gegenüber der Ersatzvornahme entfalte ihr Widerspruch aufschiebende Wirkung. § 54 Abs. 4 Satz 5 LBO ordnet - ohne dass sich Probleme hinsichtlich der Gesetzgebungskompetenz stellen - ausdrücklich an, dass Widerspruch und Anfechtungsklage insoweit keine aufschiebende Wirkung haben, als die Genehmigung als Ersatzvornahme gilt. Was den Widerspruch gegen die Baugenehmigung (im Übrigen) angeht, folgt Gleiches bereits aus § 212a BauGB. Auch die Gemeinde ist Dritte im Sinne dieser Bestimmung (VGH Baden-Württemberg, Beschluss vom 11.05.1998 - 5 S 465/98 - ESVGH 48, 250 = VBlBW 1998, 458; Dippel, NVwZ 1999, 921 ; Sauter, a.a.O., § 54 Rn. 49; Söfker in Ernst/Zinkahn/Bielenberg/Krautzberger, BauGB, § 36 Rn. 43 u. 47; Wortha, VBlBW 2010, 219 ; a.A. Sächs. OVG, Beschluss vom 12.09.1996 - 1 S 407/96 - LKV 1997, 376).

d) Die Antragstellerin führt zuletzt an, das Verwaltungsgericht habe verkannt, dass kein Bestandsschutz in Bezug auf die Schweinehaltung bestehe. Es könne nicht darauf ankommen, aus welchen Gründen die Schweinemast im November 2007 aufgegeben worden sei, da sie anderenorts weitergeführt worden sei. Aus dem Bestandsschutz einer Schweinemast könne zudem kein Bestandsschutz für einen Putenstall hergeleitet werden. Bei der Stallumnutzung handele es sich um ein genehmigungsbedürftiges Vorhaben. Soweit die Kammer damit argumentiere, die Aufstallung mit Puten statt Schweinen würde keine stärkere Belastung mit sich bringen, sei diese Ansicht problematisch. Die Kammer setze sich nicht mit der vorgelagerten Frage auseinander, inwieweit die Baugenehmigungen vom 18.07.1968 und vom 08.08.1972 überhaupt eine Neuaufstallung mit Schweinen nach Maßgabe des heutigen Geruchsimmissionsstandards - der Geruchs-Immissionsrichtlinie (GIRL) - zulassen würden. Insoweit sei die Immissionskreisbildung (104/71 bzw. 84/55 m) nicht mehr Stand der Technik. Erst wenn geprüft sei, ob und unter welchen Bedingungen eine Schweineaufstallung zulässig wäre, könne in einem weiteren Schritt geprüft werden, inwieweit eine Putenaufstallung eine geringere Beeinträchtigung und damit eine zulässige Nutzungsänderung darstellen würde. Die Kammer übernehme zudem die Stellungnahme des Fachdienstes der Beschwerdegegnerin vom 01.04.2010 und die Beurteilung anhand der VDI-Richtlinie 3474 E; Standard sei aber die GIRL, zu der seitens des Antragsgegners nichts vorgetragen werde. Ohne sachverständige Immissionsprognose könne nicht ermittelt werden, ob die jetzige Putenaufstallung geringere Geruchsimmissionen auslöse als die Schweineaufstallung, wobei sich die Frage stelle, ob auf die Zeitpunkte1968, 1972 oder heute (GIRL) abzustellen sei. In der Angelegenheit sei ein Sachverständigengutachten in Form einer Immissionsprognose unabdingbar notwendig.

Diese Darlegungen überzeugen nicht. Es leuchtet nicht ein, weshalb der Bestandsschutz für die Schweinehaltung allein deshalb entfallen sein soll, weil nach Aufgabe derselben an dem in Streit stehenden Standort eine solche anderenorts weitergeführt worden sein soll. Mit den umfangreichen Ausführungen des Verwaltungsgerichts zum Fortbestehen der (Legalisierungswirkung der) Baugenehmigung und der vom Verwaltungsgericht zitierten Rechtsprechung (VGH Baden-Württemberg, Urteile vom 04.03.2009 - 3 S 1467/07 - ESVGH 59, 199, und vom 19.10.2009 - 5 S 347/09 - VBlBW 2010, 111; vgl. auch bereits Senatsbeschluss vom 19.07.1989 - 8 S 1869/89 - NVwZ-RR 1990, 171; zum Ganzen jüngst Bringewat, NVwZ 2011, 733 ff.) setzt sich die Beschwerde nicht weiter auseinander. Erst recht wird nichts zu der vom Bestandsschutz zu trennenden Frage (vgl. BVerwG, Beschluss vom 24.05.1988 - 4 CB 12.88 - BauR 1988, 574) vorgetragen, warum die Schweineställe entgegen dem Verwaltungsgericht die Eigenart der näheren Umgebung tatsächlich nicht mehr mitbestimmen beziehungsweise für die faktische Gebietsart ohne Bedeutung sein sollten. Der Einwand, aus dem Bestandsschutz einer Schweinemast könne kein Bestandsschutz für einen Putenstall hergeleitet werden, geht nur verzerrt auf die Sichtweise des Verwaltungsgerichts ein. Das Verwaltungsgericht hat die geplante Putenaufstallung nämlich nicht als von der früheren Baugenehmigung für einen Schweinemastbetrieb gedeckt angesehen. Vielmehr spielte die früher genehmigte Schweinehaltung für das Verwaltungsgericht nur insoweit eine Rolle, als der Schweinemastbetrieb noch für die Eigenart der näheren Umgebung (§ 34 Abs. 1 BauGB) sowie für die Qualifikation der Umgebung als faktisches Dorfgebiet (im Rahmen der Alternativbegründung gemäß § 34 Abs. 2 BauGB i.V.m. § 5 BauNVO) herangezogen wurde (siehe dazu BVerwG, Urteil vom 19.09.1986 - 4 C 15.84 - BVerwGE 75, 34 = NVwZ 1987, 406; Beschluss vom 24.05.1988, a.a.O.). Andernfalls hätte sich das Verwaltungsgericht nicht umfassend mit Fragen des Einfügens beziehungsweise der Gebietseinordnung befasst.

Schließlich wecken auch die Ausführungen der Antragstellerin zu der von der Putenaufstallung ausgehenden Geruchsimmissionsbelastung keine Zweifel an der Rechtmäßigkeit der Baugenehmigung. Nach der von der Landwirtschaftsabteilung des Landratsamts anhand der VDI-Richtlinie 3474 E vorgenommenen (und nach diesem Maßstab nicht in Frage gestellten) Berechnung verringert sich der erforderliche Immissionsabstand zu einem Dorfgebiet gegenüber der baurechtlich genehmigten Schweinemastnutzung für den kleineren Stall von 84 m auf 55 m und für den größeren Stall von 104 m auf 71 m. Dass das Bauvorhaben gleichwohl unzumutbare Geruchsbelästigungen hervorruft, legt die Antragstellerin nicht substantiiert dar. Soweit sie den mit den Baugenehmigungen vom 18.07.1968 und vom 08.08.1972 genehmigten Stand für nicht mehr zeitgemäß hält, fehlen Erwägungen zu dem vom Verwaltungsgericht insoweit zugesprochenen Bestandsschutz und der deswegen zugrunde zu legenden Vorbelastung. Es erschließt sich auch nicht hinreichend, woraus die Antragstellerin auf unzuträgliche Geruchsverhältnisse schließt. Die pauschale Behauptung, auf die Berechnung nach VDI 3474 E könne es nicht ankommen, weil (nur) die GIRL den heutigen Geruchsimmissionsstandard wiedergebe, kann der Beschwerde nicht zum Erfolg verhelfen. Zum einen legt die Antragstellerin keine Berechnung nach der GIRL vor. Zum anderen gibt das Immissionsschutzrecht für Luftverunreinigungen durch Geruchsstoffe keinen rechtlich verbindlichen Maßstab vor. Zur Bestimmung der Erheblichkeit von Geruchsimmissionen (§ 3 Abs. 1 BImSchG) können lediglich einschlägige technische Regelwerke als Orientierungshilfen herangezogen werden (vgl. BVerwG, Beschluss vom 28.07.2010 - 4 B 29.10 - BauR 2010, 2083). Insoweit kommen VDI-Richtlinien ebenso wie die GIRL - speziell zur Beurteilung der Zumutbarkeit von Geruchsimmissionen aus landwirtschaftlicher Tierhaltung auch das Empirische Modell zur Abschätzung der Immissionshäufigkeiten im Umfeld von Tierhaltungen nach Abshoff und Krause - EMIAK - oder die Ergebnisse der Geruchsfahnenbegehungen an Rinderställen der Bayerischen Landesanstalt für Landtechnik der Technischen Universität München-Weihenstephan - in Frage (vgl. Senatsurteil vom 18.01.2011 - 8 S 600/09 - NVwZ-RR 2011, 393 = BeckRS 2011, 46826). Dem von der Fachabteilung des Landratsamts herangezogenen Entwurf der VDI-Richtlinie 3474 Emissionsminderung Tierhaltung Geruchsstoffe vom März 2001 kann unter diesen Umständen nicht von vornherein jede Bedeutung abgesprochen werden. Der Umstand, dass ein Regelwerk lediglich im Entwurf vorliegt, schließt es nicht aus, es als fachlich abgestützte Aussage im Sinne einer Entscheidungshilfe zugrunde zu legen (vgl. Senatsurteil vom 18.01.2011 - 8 S 600/09 - a.a.O. ).

2. Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 1 VwGO. Es gibt keinen Grund für eine Billigkeitsentscheidung im Sinne des § 162 Abs. 3 VwGO zugunsten des Beigeladenen, der weder einen Antrag gestellt noch sonst Wichtiges zur Förderung des Verfahrens beigetragen hat (vgl. Senatsbeschluss vom 20.01.2011 - 8 S 2567/10 - VBlBW 2011, 279). Die Streitwertfestsetzung beruht auf § 53 Abs. 2 Nr. 2 in Verbindung mit § 52 Abs. 1 GKG.

Der Beschluss ist unanfechtbar.