OLG Stuttgart, Beschluss vom 01.02.2006 - 16 WF 36/06
Fundstelle
openJur 2012, 66709
  • Rkr:
Tenor

Auf die sofortige Beschwerde des Beklagten wird der Beschluss des Amtsgerichts - Familiengericht - Heilbronn vom 29.12.2005 wie folgt

abgeändert:

Dem Beklagten wird für das Verfahren im ersten Rechtszug Prozesskostenhilfe ohne Zahlungsbestimmung bewilligt und Rechtsanwältin ... beigeordnet.

Gründe

Die gemäß § 127 Abs. 2 S. 2 und 3 ZPO zulässige, fristgerecht eingelegte sofortige Beschwerde gegen die Verweigerung der Prozesskostenhilfe durch das Familiengericht hat in der Sache Erfolg.

I.

Der Beklagte hat zwar offenbar wahrheitswidrig bestritten, mit der Klägerin Ziff. 1 in der gesetzlichen Empfängniszeit Geschlechtsverkehr gehabt zu haben. Das allein rechtfertigt jedoch nicht die Verweigerung der Prozesskostenhilfe. Der Anspruch auf Prozesskostenhilfe im sachlich gerechtfertigten Umfang wird durch wahrheitswidrige Angaben nicht verwirkt, vielmehr ist hierüber so zu entscheiden, wie dies bei wahrheitsgemäßen Angaben erfolgt wäre (BGH, FamRZ 1984, 677). Entscheidend ist also, ob dem Beklagten bei wahrheitsgemäßer Angabe des stattgefundenen Geschlechtsverkehrs unter Würdigung des Verteidigungsvorbringens im Übrigen Prozesskostenhilfe zu bewilligen gewesen wäre.

II.

Das Familiengericht hat, einer verbreiteten Unsitte folgend, über den rechtzeitig gestellten Antrag des Beklagten auf Prozesskostenhilfe erst nach Durchführung einer Beweisaufnahme in der Hauptsache entschieden, die zum Ergebnis geführt hat, dass seine Vaterschaft praktisch erwiesen ist. Für die Frage, ob dem Beklagten nunmehr nachträglich Prozesskostenhilfe bewilligt werden kann, obwohl die Aussichtslosigkeit seiner Rechtsverteidigung inzwischen feststeht, gelten folgende Erwägungen:

1. Nach weithin einhelliger Ansicht steht es der nachträglichen Bewilligung von Prozesskostenhilfe nicht entgegen, wenn die Erfolgsaussicht zum Zeitpunkt der ordnungsgemäßen Antragstellung bzw. Bewilligungsreife gegeben war, aber nachträglich durch ein überholendes Ereignis entfallen ist, bevor über die Prozesskostenhilfe entschieden wurde.

2. Streitig ist hingegen die davon zu unterscheidende Frage, von welchem Erkenntnisstand aus zu beurteilen ist, ob die Erfolgsaussicht zu diesem (ggf. früheren) Zeitpunkt bestanden hat (vgl. zum Meinungsstand MünchKomm/Wax,BGB, 2. Aufl., § 114 Rdnr. 157 ff.), ob es also der nachträglichen Bewilligung von Prozesskostenhilfe entgegensteht, dass die (von vornherein fehlende) Erfolgsaussicht erst auf Grund nachträglicher Erkenntnisse festgestellt wird (nicht auseinandergehalten von OLG Köln, FamRZ 2000, 1588). Stellt man hierzu (entgegen Waxa.a.O.;Kalthoener/Büttner/Wrobel-Sachs, Prozesskostenhilfe und Beratungshilfe, 2. Aufl., Rdnr. 423) generell (so OVG Bremen, Beschluss vom 14.02.2002, 1 S 469/01, veröff. bei JURIS; Hamburgisches OVG, DVBl. 2004, 844) oder doch in Fällen vorwerfbar verzögerlicher Bearbeitung durch das Gericht (so OLG Zweibrücken, JurBüro 2000, 482) auf den Zeitpunkt der Bewilligungsreife ab, stellt sich die weitere Frage, ob die seinerzeit positive Erfolgsprognose die Bewilligung der Prozesskostenhilfe auch dann noch rechtfertigt, wenn der Prozess in der Hauptsache endgültig zum Nachteil des Antragstellers entschieden oder sonst erledigt ist (so Hamburgisches OVG a.a.O.; a.M.Zöller/Philippi, ZPO, 25. Aufl., § 119 Rdz. 47;MünchKomm-Wax, ZPO, 2. Aufl., § 127 Rdz. 16, je m.w.N.).

3. Schließlich ist streitig, ob für die Beantwortung beider Fragen (Wann muss die Erfolgsaussicht bestehen bzw. bestanden haben? Von welchem Kenntnisstand aus ist dies zu beurteilen?) in einem Statusprozess der vorliegenden Art insbesondere für die Rechtsverteidigung dieselben Maßstäbe gelten wie im gewöhnlichen Zivilprozess.

Nur die letztere Frage steht zur Entscheidung an. Nach Auffassung des Senats, der dies bereits entschieden hat (FamRZ 2005, 1266), folgt aus dem Verfassungsgebot der Rechtsschutzgleichheit in Verbindung mit dem Rechtsstaatsprinzip (Art. 3 Abs. 1, 20 Abs. 3 GG), das hinter der einfach-gesetzlichen Regelung in §§ 114 ff. ZPO steht (BVerfG FamRZ 1993, 664; NJW-RR 2003, 1216), sowie aus den Besonderheiten des Statusverfahrens, dass die Erfolgsaussicht der Rechtsverteidigung eines auf Feststellung der Vaterschaft in Anspruch genommenen Mannes nicht, insbesondere nicht rückschauend nach durchgeführter Beweisaufnahme, gleichsam aus der Vogelperspektive beurteilt werden darf, wenn er selbst bei verständiger Würdigung der ihm bekannten Tatsachen zum Zeitpunkt der ordnungsgemäßen Antragstellung Zweifel an seiner Vaterschaft hegen konnte und diese Tatsachen in prozessual erheblicher Form rechtzeitig - d.h., bevor der Zweifel auf Grund besserer Erkenntnis widerlegt ist - ins Verfahren eingeführt hat. Deshalb scheitert die Bewilligung der Prozesskostenhilfe nicht bereits daran, dass die Vaterschaft des Beklagten mittlerweile feststeht (a.M. OLG Köln, FamRZ 2000, 1588). Die Besonderheit des Statusverfahrens besteht darin, dass ein Mann, der mit der Kindesmutter in der gesetzlichen Empfängniszeit sexuell verkehrt, sie aber (was in der Lebenswirklichkeit kaum vorstellbar ist) nicht auf Schritt und Tritt überwacht hat, sich abgesehen von seltenen Ausnahmefällen (nachgewiesene Zeugungsunfähigkeit) weder seiner Vaterschaft noch seiner Nichtvaterschaft sicher sein kann. In dieser Situation würde angesichts der großen Bedeutung von Statusverfahren auch eine vermögende Partei das Risiko der Prozessführung auf sich nehmen, wenn sie tatsächliche Hinweise auf die Möglichkeit eines Mehrverkehrs der Kindesmutter hat. Dass diese Möglichkeit rein abstrakt immer besteht, reicht andererseits nicht aus, sonst könnte man auf eine Erfolgsprüfung ganz verzichten (so in der Tat - jedenfalls im Ergebnis -Waxa.a.O. Rdnrn. 98, 115). Dies widerspräche dem Gesetz, das mit diesem Erfordernis in verfassungsrechtlich unbedenklicher Weise (BVerfG a.a.O. - beide Entscheidungen) das Interesse des Hilfesuchenden an gleichem Zugang zum Recht mit dem Interesse der Allgemeinheit, keine aussichtslosen oder mutwilligen Prozesse finanzieren zu müssen, in Einklang zu bringen sucht.

III.

Hätte der Beklagte wahrheitsgemäß zugestanden, dass er mit der Kindesmutter in der gesetzlichen Empfängniszeit Geschlechtsverkehr hatte, wäre bei der Prüfung der Frage, ob sein Gegenvorbringen erheblich ist, auf den Regelungszusammenhang des § 1600 d Abs. 2 S. 1 und 2 BGB abzustellen gewesen. Das Gesetz knüpft an die Beiwohnung während der gesetzlichen Empfängniszeit die Vermutung der Vaterschaft des Sexualpartners, lässt aber den Gegenbeweis nicht nur zu, sondern ordnet darüber hinaus die Aufklärung von Amts wegen an (§§ 640 Abs. 1, 616 Abs. 1 ZPO). Hiernach muss der Beklagte im Verfahren auf Feststellung der Vaterschaft, wenn er Prozesskostenhilfe bewilligt bekommen will, über die bloß abstrakte Möglichkeit seiner Nichtvaterschaft hinaus Tatsachen vortragen, die seine Zweifel zumindest verständlich erscheinen lassen. Der Umfang der Darlegungslast hängt von den Umständen des Einzelfalles ab.

Der Beklagte hat unwidersprochen vorgetragen, dass die Kindesmutter und deren Mutter anlässlich der Geburt des Kindes selbst Zweifel an seiner Vaterschaft geäußert haben und dass er beim Versuch, die Mutter und das Neugeborene in der Klinik zu besuchen, bereits an der Pforte mit dem Hinweis abgewiesen worden sei, der leibliche Vater des Kindes sitze bereits drinnen. Diese Umstände berechtigen zu Zweifeln an der eigenen Vaterschaft. Die Voraussetzungen für die Bewilligung von Prozesskostenhilfe liegen damit vor.

IV.

Die Entscheidung über die Bewilligung der Prozesskostenhilfe beruht zwar auf einer Auslegung des § 114 ZPO (also nicht des materiellen Rechts), die, wie oben II. 2. und 3. dargestellt, umstritten, von grundsätzlicher Bedeutung und, soweit ersichtlich, höchstrichterlich noch ungeklärt ist (zumindest was die Erfolgsprüfung der Rechtsverteidigung im Verfahren auf Feststellung der Vaterschaft betrifft). Daher wäre die Rechtsbeschwerde zuzulassen, wenn sie an sich statthaft wäre. Das ist aber nicht der Fall. Die Staatskasse kann gegen die Bewilligung ratenfreier Prozesskostenhilfe nur einwenden, dass die persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse unrichtig gewürdigt wurden. Im Übrigen ist die Bewilligung der Prozesskostenhilfe unanfechtbar. Dann gibt es dagegen auch keine Rechtsbeschwerde.