LSG Baden-Württemberg, Urteil vom 28.06.2007 - L 7 SO 414/07
Fundstelle
openJur 2012, 66217
  • Rkr:

Der Anspruch eines behinderten Menschen auf Eingliederungshilfe umfasst auch einen neben der Sonderschulbetreuung erkennbaren ergänzenden sozialhilferechtlichen Bedarf (hier: Schulbegleiter als Integrationshelfer).Der Sozialhilfeträger darf die Leistung nicht um während der Schulbegleitung erbrachte pflegerische Maßnahmen und Hilfeleistungen kürzen. Der Nachranggrundsatz des § 2 Abs. 1 SGB XII wird durch § 13 Abs. 3 SGB XI für das Verhältnis von Eingliederungshilfe zur Pflegeversicherung beseitigt; der behinderte Mensch kann nicht auf eine anteilige Inanspruchnahme von Leistungen der Pflegeversicherung verwiesen werden.Ob eine Leistung auf Integration abzielt und damit Eingliederungshilfe ist oder eine (rein) pflegerische Hilfe darstellt, richtet sich nach dem Schwerpunkt der Maßnahme. Eine Aufspaltung findet nicht statt.

Tenor

Die Berufung des Beklagten gegen das Urteil des Sozialgerichts Karlsruhe vom 19. Dezember 2006 wird zurückgewiesen.

Der Beklagte hat der Klägerin auch die außergerichtliche Kosten des Berufungsverfahrens zu erstatten.

Die Revision wird zugelassen.

Tatbestand

Zwischen den Beteiligten ist streitig, ob der Beklagte von den an die Klägerin erbrachten Leistungen der Eingliederungshilfe nach dem Bundessozialhilfegesetz (BSHG) bzw. dem Sozialgesetzbuch Zwölftes Buch (SGB XIII) in Form der Hilfe zu einer angemessenen Schulbildung anteilige pflegerische Leistungen in Abzug bringen darf.

Die am ... 1994 geborene Klägerin ist aufgrund einer Chromosomenveränderung (Defekt am Chromosom Nr. 2), einer Mikrocephalie sowie wegen cerebraler Krampfanfälle mehrfach behindert; der Medizinische Dienst der Krankenversicherung (MDK) hat der Klägerin ab Oktober 1996 die Pflegebedürftigkeit nach der Stufe II zuerkannt. Schon auf einen früheren Antrag bestätigte die Kinder- und Jugendmedizinerin Dr. V. durch ärztliches Zeugnis vom 16. März 2003, dass bei der Klägerin ein zusätzlicher Bedarf für eine Betreuungskraft während des Besuchs der K.-Schule - Schule für Geistigbehinderte - in L. als Hilfe zur angemessenen Schulbildung besteht. Der Beklagte hatte damals durch Bescheid vom 25. August 2003 die Kosten der zusätzlichen Betreuungskraft während der Unterrichtszeit übernommen.

Am 17. November 2004 stellten die Eltern für die Klägerin einen Antrag auf Weiterbewilligung der Eingliederungshilfe für Behinderte auch für das Schuljahr 2004/2005. Nach der Besprechung mit den Eltern der Klägerin forderte der Beklagte diese auf, für die Zeit, in der sich die Klägerin in der Schule befinde, Pflegesachleistungen statt Pflegegeld bei der Pflegekasse zu beantragen. Eine Kopie des Pflegegeldbescheids bat er zu übersenden. Für die Klägerin schaltete sich deren Bevollmächtigter ein und teilte mit, den Antrag auf Pflegesachleistungen gestellt zu haben. Am 15. März 2005 wollten die Beteiligten einen Gesamtplan/Hilfeplan nach § 58 SGB XII entwickeln. Im Ergebnis konnten sich die Teilnehmer des Gesprächs jedoch nicht auf eindeutige Ziele festlegen, das Hilfegespräch musste aus Terminsgründen der Eltern vorzeitig abgebrochen werden. Am 19. April 2005 legte die K.-Schule einen Entwicklungsbericht über die Klägerin vor. Danach bedurfte sie im pflegerischen Bereich weiterhin des Toilettentrainings und der Unterstützung bei den Mahlzeiten. Ebenso benötige sie im Schwimm- und Sportunterricht ständige Beaufsichtigung. Es handele sich dabei um assistierende Dienste. Die Klägerin trage noch immer eine Windel und könne sich bis auf das Ausziehen von Jacke, Schuhen und halb ausgezogener Kleidungsstücke nicht alleine an- und ausziehen. Zerkleinerte Speisen esse sie teilweise mit Löffel und Gabel, müsse dabei aber in der Handführung ständig gebremst und zielgesteuert werden. Auch beim Trinken benötige sie Hilfe ebenso wie im Bereich der Körperpflege.

Am 10. Juni 2005 beantragten die Eltern der Klägerin für diese die Weiterbewilligung der Eingliederungshilfe für das Schuljahr 2005/2006. In der Folgezeit vertraten die Beteiligten unterschiedliche Auffassungen zu der Frage, ob der als zusätzliche Pflegekraft eingeschaltete DRK Kreisverband B. die von ihm erbrachten Leistungen nach Modulen abrechnen könne. Die Pflegekasse stellte sich gemeinsam mit den Eltern auf den Standpunkt, eine Abrechnung nach den Zeiten, in denen die Pflege in der Schule bzw. zu Hause stattfinde, könne und werde nicht erfolgen. Die Eltern hätten den Antrag auf Pflegesachleistungen zurückgenommen. Nachdem sich der Pflegedienst dem Beklagten gegenüber doch bereit erklärt hatte, die Pflege nach Modulen abzurechnen, wechselten die Eltern den Pflegedienst, worauf diese in der Folgezeit vom AWO Kreisverband B. gepflegt wurde.

Mit Bescheid vom 29. September 2005 gewährte der Beklagte der Klägerin auf den Antrag vom 17. November 2004 Hilfe für Behinderte gemäß §§ 39, 40 Abs. l Nr. 4 BSHG und ab 1. Januar 2005 gemäß §§ 53, 54 Abs. l Nr. l SGB XII als Hilfe zur angemessenen Schulbildung in Form einer zusätzlichen Betreuungskraft (Zivildienstleistender oder Ableistender eines freiwilligen sozialen Jahres des Deutschen Roten Kreuzes Sindelfingen) während der Unterrichtszeiten der K.-Schule, allerdings abzüglich der Leistungen der Pflegekasse. Hiergegen erhob die Klägerin Widerspruch mit der Begründung, Leistungen der Pflegekasse würden für die häusliche Pflege benötigt und dürften nicht in Abzug gebracht werden.

Ausweislich des Entwicklungsberichts der K.-Schule vom 17. Oktober 2005 benötigte die Klägerin auch weiterhin im pflegerischen Bereich die Unterstützung für Toilettentraining und bei den Mahlzeiten. Ohne die Maßnahme der Eingliederungshilfe (ergänzende Pflegekraft) sei für sie der Schulbesuch nicht möglich, da sie ständige Einzelbetreuung benötige.

Mit Bescheid vom 15. Dezember 2005 bewilligte der Beklagte die Eingliederungshilfe für Behinderte auch für das Schuljahr 2005/2006, allerdings wiederum unter Abzug von Pflegeleistungen. Auch hiergegen erhob die Klägerin fristgerecht Widerspruch.

Am 6. April 2006 hat die Klägerin Untätigkeitsklage beim Sozialgericht Karlsruhe (SG) erheben lassen, mit welcher sie die Bescheidung der Widersprüche gegen die Bescheide vom 29. September 2005 und 15. Dezember 2005 begehrte. Mit Widerspruchsbescheid vom 10. Juli 2006 wies der Beklagte die Widersprüche gegen die Bescheide vom 29. September und 15. Dezember 2005 zurück mit der Begründung, die Klägerin habe zusätzlich zu den Leistungen der Eingliederungshilfe während der Schulzeit einen zusätzlichen pflegerischen Bedarf nach dem Sozialgesetzbuch Elftes Buch (SGB XI), der durch Leistungen der B. kasse als Pflegekasse zu decken sei. Die insoweit erbrachten und zu erbringenden Leistungen seien auf die Leistungen der Eingliederungshilfe anzurechnen. Deshalb seien die Pflegeleistungen bei der Gewährung der Eingliederungshilfe in Abzug zu bringen. Soweit die Pflegekasse eine Pflegesachleistung insoweit nicht erbringe, weil die Klägerin ihren hierauf gerichteten Antrag zurückgenommen oder nicht gestellt habe, stehe § 2 Abs. l SGB XII der Gewährung von Sozialhilfe entgegen.

Nach Erlass des Widerspruchsbescheids hat die Klägerin die erhobene Klage als Anfechtungs- und Leistungsklage fortgeführt und dazu ausgeführt, die Leistungen der Eingliederungshilfe seien ohne Abzug von Pflegeleistungen zu gewähren. Schon in einem früheren Rechtsstreit vor dem Verwaltungsgericht (VG) Karlsruhe (8 K 14/01) sei der Beklagte verurteilt worden, Eingliederungshilfe in dem geforderten Umfang zu gewähren. Im November 2004 habe der Beklagte erstmals einen neuen Antrag für das Schuljahr 2004/2005 verlangt. Des Weiteren sei die Klägerin aufgefordert worden, bei der Pflegekasse Pflegesachleistungen zu beantragen. Während eines Streits über die Abrechnung der Pflegeleistungen sei teilweise ein bestimmter Leistungsanteil der Pflegeversicherung einbehalten worden, deshalb stünden Rechnungen des Deutschen Roten Kreuzes als Leistungserbringer in Höhe von ca. 8.000,- EUR offen. Der Beklagte halte zu Unrecht Teile seiner Leistung mit Rücksicht auf die Leistung der sozialen Pflegeversicherung zurück, denn eine Abrechnung der Pflegeleistung nach Modulen (für die Schule und für den häuslichen Bereich) sei nicht möglich. Der Abzug eines Anteils der Leistung der Pflegekasse sei auch inhaltlich nicht gerechtfertigt, weil ein Anspruch auf Pflegesachleistung während der Schulzeit nicht bestehe. Die Klägerin habe Anspruch auf Eingliederungshilfe nach § 54 Abs. l Satz l SGB XII in Form der Hilfe zur angemessenen Schulbildung. Diese Hilfe schließe heilpädagogische und sonstige Maßnahmen zugunsten körperlich-seelisch behinderter Kinder und Jugendlicher ein. Eine Beschränkung sei nicht vorgesehen.

Unter dem 29. Juni 2006 hat die Schulleiterin der K.-Schule bestätigt, dass während der Unterrichtszeit für die Klägerin keine pflegerischen Leistungen erbracht würden. Die Klägerin hat zudem einen weiteren Entwicklungsbericht vom 29. Juni 2006 vorgelegt, wonach wesentliche Änderungen gegenüber den früheren Berichten nicht zu verzeichnen seien.

Durch Urteil vom 19. Dezember 2006 hat das SG den Beklagten unter Abänderung der angefochtenen Bescheide verurteilt, der Klägerin Eingliederungshilfe als Hilfe zu einer angemessenen Schulbildung für die Zeit vom 17. November 2004 bis Ende des Schuljahres 2005/2006 ohne Abzug von Pflegeleistungen zu gewähren. Zur Begründung hat das SG ausgeführt, das Leistungsbegehren sei sinngemäß auf die Zeiten gerichtet, über die der Beklagte in den angefochtenen Bescheiden eine Entscheidung getroffen habe. Nach dem Verfügungssatz des Bescheids vom 29. September 2005 sei dies die Zeit vom 17. November 2004 bis zum Ende des Schuljahres 2004/2005 sowie nach dem Bescheid vom 15. Dezember 2005 die bis zum Ende des Schuljahrs 2005/2006. Die Klägerin habe für die Zeit vom 17. November bis 31. Dezember 2004 gemäß §§ 39, 40 Abs. l Nr. 4 BSHG und ab 1. Januar 2005 gemäß § 53 Abs. l S. l i.V.m. § 54 Abs. l S. l Nr. l SGB XII Anspruch auf Leistungen der Eingliederungshilfe in Form der Hilfe zu einer angemessenen Schulbildung. Ein solcher Anspruch bestehe, wenn und solange nach der Besonderheit des Einzelfalls, insbesondere nach Art und Schwere der Behinderung, Aussicht bestehe, dass die Aufgabe der Eingliederungshilfe erfüllt werden könne. Besondere Aufgabe der Eingliederungshilfe sei es, eine drohende Behinderung zu verhüten oder eine Behinderung oder deren Folgen zu beseitigen oder zu mildern oder die behinderten Menschen in die Gesellschaft einzugliedern. Hiervon ausgehend habe die Klägerin Anspruch auf Eingliederungshilfeleistungen, was zwischen den Beteiligten dem Grunde unstreitig sei. Streitig sei allerdings, ob der Beklagte auf die von ihm zu erbringenden Leistungen der Eingliederungshilfe für behinderte Menschen die der Klägerin bestandskräftig vom Beigeladenen zuerkannten Leistungen der gesetzlichen Pflegeversicherung, hier Pflegesachleistung nach §§ 37, 15 Abs. l Satz l Nr. 2 SGB XI, teilweise in Anrechnung bringen dürfe. Insoweit komme es entscheidend darauf an, ob der bei der Klägerin bestehende und auch während der Unterrichtszeit durch eine Pflegekraft gedeckte Bedarf an einer zusätzlichen Betreuungskraft während der Unterrichtszeit den Leistungen der Eingliederungshilfe für behinderte Menschen zuzurechnen sei oder ob sich dieser Bedarf den hiervon abzugrenzenden Leistungen der gesetzlichen Pflegeversicherung zuordnen lasse. Ausweislich der Entwicklungsberichte der von der Klägerin besuchten Schule umfasse der Bedarf der Klägerin an Leistungen der Eingliederungshilfe die pädagogische sowie heilpädagogische Förderung einschließlich der Beaufsichtigung während des Unterrichts, die Einschränkung der Verletzungs- und Unfallgefahr sowie die Hilfe zur Konzentration auf den Unterricht. Bei diesen Bedarfen handele es sich um Hilfen zur Erlangung einer angemessenen Schulbildung.

Die Klägerin habe darüber hinaus einen Bedarf an Hilfe beim Toilettengang, bei der Nahrungsaufnahme, der Körperpflege und dem An- und Ausziehen. Insoweit habe sich nach den Entwicklungsberichten über die Klägerin, zuletzt dem vom 29. Juni 2006, in den letzten Jahren keine wesentliche Änderung im Hilfebedarf ergeben; die Klägerin sei weiterhin bei den angegebenen Verrichtungen auf Hilfe angewiesen. Auch dieser Hilfe- und Pflegebedarf während des Tages und des Schulbesuchs sei jedoch vom Beklagten unter dem Gesichtspunkt der Hilfe zur angemessenen Schulbildung vom Sozialhilfeträger zu tragen. An der Zuordnung des während der Hilfe zu einer angemessenen Schulbildung zu deckenden Bedarfs ändere sich nicht deshalb etwas, weil die Schülerin auch während der Schulzeit einer besonderen pflegerischen Betreuung bedürfe. Zwar dienten die Pflegemaßnahmen teilweise der Aufrechterhaltung der Kommunikation mit dem Lehrer und der Teilnahme am Unterricht und damit sonderpädagogischen Zwecken, teilweise fielen sie aber auch in gleicher Weise im häuslichen Bereich stetig an und wären auch ohne den Schulbesuch zu erbringen. Derartige unterstützende Maßnahmen, die den Schulbesuch ermöglichten oder erleichterten, bildeten nach der verwaltungsgerichtlichen Rechtsprechung einen einheitlichen Bedarf (VGH Baden-Württemberg, Urteil v. 17. September 1997 - 6 S 1709/97 -, FEVS 48, 305; VG Lüneburg, Urteil v. 27. September 2005 - 4 A 156/04 -). Es wäre nicht sachgerecht, innerhalb der Zeiten des Schulbesuchs zwischen den heilpädagogischen und den pflegerischen Maßnahmen abzugrenzen und diese teilweise vom Beklagten und teilweise von der Pflegeversicherung finanzieren zu lassen. Schließlich ergebe sich auch aus § 22 Nr. 2 der Eingliederungshilfeverordnung (EinglHV), dass die Kosten einer Begleitperson Teil der im Einzelfall erforderlichen Hilfe zur Eingliederung darstellten. Da die zusätzliche Begleitperson Teil der Eingliederungshilfe für behinderte Menschen sei, komme es auf die Frage, ob die Eltern Pflegesachleistungen beantragen könnten, nicht an.

Gegen das ihm am 12. Januar 2007 zustellte Urteil hat der Beklagte am 23. Januar 2007 Berufung eingelegt. Er ist weiterhin der Auffassung, die Klägerin habe zwar Anspruch auf Eingliederungshilfe in Form der Hilfe zur angemessenen Schulbildung. Diese habe aber in erster Linie einen heilpädagogischen und begleitenden Hintergrund, nicht einen pflegerischen. Da bei der Klägerin zusätzlich ein pflegerischer Bedarf nach dem SGB XI bestehe, sei dieser nach § 13 Abs. 3 Satz 3 SGB XI von der Pflegeversicherung zu übernehmen. Die zur Deckung dieses Bedarfs erbrachten und zu erbringenden Leistungen seien grundsätzlich nicht der Eingliederungshilfe zuzuordnen. Deshalb seien die Pflegeleistungen bei der Gewährung von Eingliederungshilfe in Abzug zu bringen. Dass die Eltern der Klägerin Pflegegeld bezögen, ändere hieran nichts, denn diesen stehe die Möglichkeit offen, sich durch einen Antrag auf Pflegesachleistung insoweit selbst zu behelfen (§ 2 Abs. l SGB XII). Bei dem Wechseln der Windeln und der Hilfe zur Nahrungsaufnahme, zur Körperpflege, dem An- und Ausziehen würden keine Fähigkeiten eingeübt, sondern nur der pflegerische Bedarf von einer anderen Person übernommen. Die eingesetzte Pflegekraft sei auch nicht in der Lage, heilpädagogische Arbeiten zu übernehmen. Wenn die Schule bestätige, dass keine pflegerischen Leistungen während der Unterrichtszeit erbracht würden, sei dies nach dem vorgelegten Entwicklungsbericht nicht richtig. Der Teil der Eingliederungshilfe, der auf die Beaufsichtigung beim Schwimm- und Sportunterricht, die Einschränkung von Verletzungs- und Unfallgefahren sowie die Hilfe zur Konzentration auf den Unterricht entfalle, sei Teil der Eingliederungshilfe, die darüber hinausgehenden Tätigkeiten wie Toilettentraining, Selbstversorgung seien dagegen der Pflege zuzurechnen.

Zu Unrecht berufe sich das SG auf verwaltungsgerichtliche Entscheidungen, wonach die Eingliederungshilfe und die pflegerischen Hilfen einen einheitlichen Bedarf bildeten und es daher nicht sachgerecht sei, innerhalb der Zeiten des Schulbesuchs zwischen heilpädagogischen und den pflegerischen Maßnahmen abzugrenzen und diese teilweise vom Beklagten und teilweise von der Pflegeversicherung finanzieren zu lassen. Tatsächlich seien in dem geltend gemachten Bedarf pflegerische Leistungen enthalten, die - bei entsprechender Bedürftigkeit - im Rahmen des SGB XII nach den §§ 61 ff. als Hilfe zur Pflege und nicht als Eingliederungshilfe für behinderte Menschen zu erbringen seien. Dass es der Wille des Gesetzgebers gewesen sei, eine solche Differenzierung bis ins Detail vorzunehmen, werde unter Anderem aus dem - im Vergleich zum früheren BSHG - neu ins Gesetz aufgenommenen § 35 SGB XII deutlich. Leistungen der Hilfe zur Pflege stünden aber, wie alle Leistungen nach dem SGB XII, unter dem Nachranggrundsatz des § 2 XII. Vorliegend würde die Leistungen der Pflegekasse nach § 36 SGB XI insbesondere deshalb nicht erbracht, weil der dort gestellte Antrag wieder zurückgenommen worden sei. Dies sei mit hoher Wahrscheinlichkeit deshalb geschehen, weil bei Bewilligung von Pflegesachleistungen das Pflegegeld reduziert worden wäre. Inzwischen berufe sich die Pflegekasse darauf, dass die Sachleistungen, würden sie gewählt, auf Grund der zu Hause zu erbringenden Pflege in vollem Umfang verbraucht wären. Dies sei aber schon deswegen nicht haltbar, weil die zu Hause zu erbringende Pflege offensichtlich durch die Mutter und nicht durch einen zugelassenen Pflegedienst erfolge und dafür keine Sachleistung erbracht werden könne. Stattdessen hätte die Pflegekasse die Pflegesachleistungen zumindest so lange erbringen müssen, wie der zugelassene Pflegedienst des Roten Kreuzes tätig gewesen sei. Dem stehe § 36 SGB XI nicht entgegen, da Leistungen der häuslichen Pflege auch zulässig seien, wenn Pflegebedürftige nicht in ihrem eigenen Haushalt gepflegt würden; diese seien nur dann ausgeschlossen, wenn Pflegebedürftige in einer stationären Pflegeeinrichtung oder in einer Einrichtung im Sinne des § 71 Abs. 4 SGB XI gepflegt würden. Bei der besuchten Schule handele es sich jedoch nicht um eine solche Einrichtung.

Auch § 13 Abs. 3 Satz 3 SGB XI könne nicht so verstanden werden, dass Eingliederungshilfe für behinderte Menschen nach dem SGB XII Leistungen nach dem SGB XI für diese Person ausschließe. Stattdessen stelle § 13 Abs. 4 SGB XI klar, dass in diesem Falle eine Vereinbarung zwischen der Pflegekasse und dem Sozialhilfeträger geschlossen werden solle, wonach nur eine Stelle die Leistungen übernehme und die andere Kostenerstattung leiste. Schließlich könne auch der Verweis auf § 22 Nr. 2 EinglHV nicht überzeugen, denn bei den weiteren Kosten der Begleitperson seien nicht parallel erbrachte Pflegeleistungen, die über die Pflegekasse abgerechnet werden könnten, gemeint.

Der Beklagte beantragt,

das Urteil des Sozialgerichts Karlsruhe vom 19. Dezember 2006 aufzuheben und die Klage abzuweisen.

Die Klägerin beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Sie hält das ergangene Urteil für richtig und nimmt im Wesentlichen Bezug auf ihr bisheriges Vorbringen.

Die Beigeladene hat sich nicht geäußert und keinen Antrag gestellt.

Wegen weiterer Einzelheiten wird auf die Gerichtsakten, die Akten des SG - S 4 SO 1559/06 - und die beigezogenen Verwaltungsakten des Beklagten Bezug genommen.

Gründe

Die form- und fristgerecht erhobene Berufung ist zulässig. Sie ist insbesondere statthaft, da die Berufung laufende Leistungen für mehr als ein Jahr betrifft (§ 144 Abs. 1 Satz 2 SGG). Die Berufung ist jedoch unbegründet.

Das SG hat den Beklagten zu Recht verurteilt, im streitbefangenen Zeitraum Leistungen der Eingliederungshilfe in Form der Hilfe zu einer angemessenen Schulbildung ohne anteiligen Abzug für pflegerische Maßnahmen zu erbringen. Die Klägerin, die - zwischen den Beteiligten unstreitig und nach Aktenlage offensichtlich - aufgrund ihrer Behinderungen zum Kreis der anspruchsberechtigten Personen gehört, kann für die Zeit vom 17. November bis 31. Dezember 2004 auf der Grundlage von §§ 39, 40 Abs. l Nr. 4 BSHG und ab 1. Januar 2005 auf der Grundlage von § 53 Abs. l S. l i.V.m. § 54 Abs. l S. l Nr. l SGB XII grundsätzlich Leistungen der Eingliederungshilfe in Form von Hilfen zu einer angemessenen Schulbildung verlangen.

Dies gilt nicht nur für die Fälle so genannter Schulbegleiter von behinderten Menschen, die eine Regelschule besuchen, sondern nach der Rechtsprechung des Senats auch beim Besuch einer grundsätzlich auf die Behinderung des Kindes zugeschnittenen Sonderschule, denn auch dort ist ein ergänzender sozialhilferechtlicher Eingliederungsbedarf nicht generell ausgeschlossen (Beschluss des Senats vom 9. Januar 2007 - L 7 SO 5701/06 ER-B -, FEVS 58, 285-288). Ein solcher ergänzender Eingliederungsbedarf besteht bei der Klägerin, da es sich bei den Tätigkeiten, für welche diese eine Betreuungsperson benötigt, nicht um Tätigkeiten handelt, die zum Kernbereich der pädagogischen Arbeit eines Lehrers gehören, sondern um solche der ständigen Beaufsichtigung zur Vermeidung einer Selbstgefährdung und der Hilfe bei alltäglichen Verrichtungen (entsprechend bereits Verwaltungsgericht Karlsruhe, Urteil vom 21. Februar 2003 - 8 K 14/01 -). Hiervon ausgehend kann die Klägerin Hilfe für einen Schulbegleiter bzw. eine Integrationskraft zur Unterstützung bei dem Schulbesuch verlangen.

Zu Unrecht hat der Beklagte die Hilfe mit Blick auf im Rahmen der Schulbegleitung ergänzend erbrachte pflegerische Maßnahmen und Hilfeleistungen gekürzt. Bei der der Klägerin gewährten Hilfe durch Übernahme der Kosten für eine Integrationshilfe handelt es sich um eine Maßnahme der Eingliederungshilfe, denn Zweck ist es, der Kläger den Sonderschulbesuch zu ermöglichen und sie hierdurch in die Gesellschaft einzugliedern (§ 40 Abs. 1 Nr. 4 BSHG, § 54 Abs. 1 Nr. 1 SGB XII). Die Hilfe stellt dabei eine einheitliche Leistung dar, die insgesamt auf die Integration der Klägerin abzielt, wobei die vorliegend erforderlichen pflegerischen Unterstützungshandlungen, wie die Unterstützung beim An- und Auskleiden, dem Toilettentraining und bei den Mahlzeiten, deutlich in den Hintergrund treten. Eine nach den einzelnen Tätigkeiten der Integrationskraft differenzierende Aufspaltung der Maßnahme in Leistungen der Eingliederungshilfe einerseits und Pflegeleistungen im Sinne des SGB XI andererseits scheidet aus. Denn derartige unterstützende Maßnahmen, die den Schulbesuch ermöglichen oder erleichtern, sind, wie § 12 Nr. 1 der Verordnung nach § 47 des Bundessozialhilfegesetzes bzw. § 12 Nr. 1 der Verordnung nach § 60 des Zwölften Buchs Sozialgesetzbuch (Eingliederungshilfe-Verordnung) zeigen, Teil der Hilfe zu einer angemessenen Schulbildung nach § 35 a SGB VIII und nach § 40 Abs. 1 Satz 1 Nr. 4 BSHG bzw. § 54 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 SGB XII (Bayerischer Verwaltungsgerichtshof München, Urteil vom 6. Juli 2005 - 12 B 02.2188 - FEVS 57, 138-140; vgl. auch VGH Baden - Württemberg, Urteil vom 17. September 1997 - 6 S 1709/97 - FEVS 48, 30 und VG Lüneburg, Urteil vom 27. September 2005 - 4 A 156/04 -, RdLH 2006, 29; vgl. auch LPK-BSHG, 6. Aufl. 2003, § 39 Rn. 35 zu den sog. Komplexleistungen).

Die Klägerin kann nicht darauf verwiesen werden, zur Deckung ihres Anspruchs auf eine angemessene Schulbildung anteilig für die in der Hilfe enthaltenen pflegerischen Unterstützungshandlungen andere Hilfen oder Einrichtungen, namentlich die Leistungen der Pflegeversicherung in Anspruch zu nehmen. Dies gebietet auch nicht der Nachranggrundsatz und zwar weder in Fassung, wie er sie im Rahmen des § 2 Abs. 1 BSHG gefunden hat noch nach der des § 2 Abs. 1 SGB XII, wonach Sozialhilfe nicht erhält, wer sich selbst helfen kann oder wer die erforderliche Hilfe von anderen, insbesondere von Angehörigen oder von Trägern anderer Sozialleistungen erhält. Denn der Nachranggrundsatz gilt nicht im Verhältnis von Leistungen der Eingliederungshilfe und denen nach dem SGB XI, wie sich aus § 13 Abs. 3 Satz 3 SGB XI ergibt, der für das Verhältnis der Leistungen der Pflegeversicherung zu denjenigen der Eingliederungshilfe eine Sonderregelung trifft.

Das Verhältnis der Leistungen der Pflegeversicherung zu anderen Sozialleistungen ist in § 13 SGB XI geregelt. Nach § 13 Abs. 3 S. 1 Nr. 1 SGB XI gehen Leistungen der Pflegeversicherung den Fürsorgeleistungen zur Pflege nach dem Sozialhilferecht vor. Dies gilt aber nicht für die Leistungen der Eingliederungshilfe. Das Verhältnis der Leistungen der Pflegeversicherung zu den Leistungen der Eingliederungshilfe nach dem Bundessozialhilfegesetz war in § 13 Abs. 3 S. 3 SGB XI in der bis einschließlich 2004 geltenden Fassung geregelt. Danach blieben die Leistungen der Eingliederungshilfe für behinderte Menschen u.a. nach dem Bundessozialhilfegesetz (durch die Leistungen nach dem SGB XI) unberührt, sie waren im Verhältnis zur Pflegeversicherung nicht nachrangig. Die Bestimmung des § 13 Abs. 3 S. 3 SGB XI wurde durch das erste Gesetz zur Änderung des 11. Buches Sozialgesetzbuch und anderer Gesetze (1. SGB XI-Änderungsgesetz - 1. SGB XI -ÄndG) vom 14. Juni 1996 (BGBl. I S. 830), in seinem Wortlaut geändert und erhielt folgende Fassung: Die Leistungen der Eingliederungshilfe für Behinderte nach dem Bundessozialhilfegesetz, dem Bundesversorgungsgesetz und dem 8. Buch bleiben unberührt, sie sind im Verhältnis zur Pflegeversicherung nicht nachrangig; die notwendige Hilfe in den Einrichtungen nach § 71 Abs. 4 ist einschließlich der Pflegeleistungen zu gewähren. Nach der Begründung des zuständigen Ausschusses des Bundestages (BT-Drs. 3/4091, S. 41) handelte es sich bei der Änderung um eine klarere Fassung des angestrebten Regelungsziels, die verdeutlichen soll, dass Leistungen der Sozialhilfe zur Eingliederungshilfe nicht nachrangig sind gegenüber Leistungen der Pflegeversicherung. Dementsprechend hat die verwaltungsgerichtliche Rechtsprechung die schon zuvor für das Verhältnis von Eingliederungshilfe und Hilfe zur Pflege getroffene Abgrenzung, wonach die Zuordnung einer Hilfsmaßnahme zur einen oder anderen Hilfe davon abhängt, welchem Ziel die konkrete Hilfe dient - mit der Folge, dass eine Aufspaltung der Maßnahmen in solche der Eingliederungshilfe und solche der Hilfe zur Pflege nicht vorzunehmen ist (vgl. VGH Baden-Württemberg, Urteil vom 31. Januar 1996 - 6 S 494/93 - ) -, auf die Abgrenzung der Eingliederungshilfe zu den Leistungen der Pflegeversicherung übertragen. Danach sind Maßnahmen in vollem Umfang der Eingliederungshilfe zuzuordnen, wenn pflegerische Maßnahmen dabei in den Hintergrund treten (vgl. zur Abgrenzung nach dem Schwerpunkt der Maßnahme: Hauck/Wilde, SGB XI, Loseblattsammlung Stand 1. Mai 1997, § 13 Rdnr. 33; vgl. auch Hess. VGH, Beschluss v. 25. November 1996 - 9 TG 3721/96 -).

Die Regelung des § 13 Abs. 3 S. 3 SGB XI wonach der sozialhilferechtliche Nachranggrundsatz im Verhältnis von Pflegeversicherung und Eingliederungshilfe nicht gilt, hat auch nach Inkrafttreten des SGB XII Bestand; die Bestimmung wurde lediglich durch Gesetz vom 27. Dezember 2003 (BGBl. I S. 3022) mit Wirkung zum 1. Januar 2005 in ihrem Wortlaut der neuen Gesetzeslage angepasst. Von daher besteht weder nach dem Wortlaut der gesetzlichen Regelung noch nach deren Sinn und Zweck eine Veranlassung, nach Inkrafttreten des SGB XII das Verhältnis der Vorschriften der Eingliederungshilfe zu denen des SGB XI abweichend von der beschriebenen früheren Sichtweise zu bestimmen. Namentlich die vom Beklagten in Bezug genommene Vorschrift des § 35 SGB XII gibt hierfür nichts her.

Hiervon ausgehend hat das SG zutreffend entschieden, dass der Einsatz des Integrationshelfers der Klägerin deren Schulbesuch erst ermöglicht und daher der integrative Aspekt einer Hilfe im Vordergrund steht, woraus folgt, dass seine Finanzierung eine typische Eingliederungsmaßnahme nach §§ 39 Abs. 3, 40 Abs. 1 Nr. 3 BSHG bzw. nach § 54 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 SGB XII darstellt. Da die Hilfestellungen des Integrationshelfers, die erbracht werden, um der Klägerin den Sonderschulbesuch zu ermöglichen, insgesamt der Eingliederungshilfe zuzuordnen sind, kann die Klägerin nicht darauf verwiesen werden, für die dabei auch anfallenden pflegerischen Maßnahmen die Pflegegeldkasse in Anspruch zu nehmen.

Unter diesen Umständen kann offen bleiben, ob die Tätigkeit des Schulbegleiters in der Schule vom Leistungskatalog des § 4 Abs. 1 Nr. 2 SGB XI, insbesondere von den Leistungen für die häusliche Pflege, erfasst wird.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

Die Revision war wegen der grundsätzlichen Bedeutung der Sache zuzulassen (§ 160 Abs. 2 Nr. 1 SGG). Denn jedenfalls das Verhältnis der Bestimmungen über die Eingliederungshilfe nach dem sechsten Kapitel des SGB XII zu den Leistungen der Pflegeversicherung nach dem SGB XI betrifft eine Rechtsfrage von allgemeiner Bedeutung, die bislang höchstrichterlich nicht geklärt ist.